Süddeutsche Zeitung - 06.04.2020

(Nora) #1
von markus balser

Berlin– Wer derzeit in der Hauptstadt et-
was Normalität sucht, findet sie immerhin
an den großen Verkehrsachsen. Die 1400
gelben Busse der Berliner Verkehrsbetrie-
be fahren weiter kreuz und quer durch die
Stadt und bedienen die Haltestellen mit we-
nigen Einschränkungen. Einen Unter-
schied allerdings gibt es: Kleine wie auch
die großen Doppeldecker-Busse, die zu
Stoßzeiten normalerweise gut 100 Men-
schen transportieren, sind in diesen Tagen
oft gähnend leer. Nicht selten sitzt nur der
Fahrer im Bus.
Bis vor wenigen Wochen erlebten
Deutschlands Nahverkehrsbetriebe einen
enormen Boom. Wachsende Städte bestell-
ten reihenweise neue Busse und U-Bah-
nen, um die immer größeren Menschen-
ströme durch die Städte zu bugsieren – kli-
mafreundlich und ohne Autos. Doch die
seit März geltenden Ausgangsbeschrän-
kungen und die Home-Office-Welle in
deutschen Unternehmen haben die Bran-
che in eine beispiellose Krise gestürzt: Die
Einzelticketverkäufe, die normalerweise
50 Prozent der Ticketeinnahmen ausma-
chen, brachen laut Verband Deutscher Ver-
kehrsunternehmen (VDV) um 80 bis 90
Prozent ein. Egal ob Berlin, Flensburg oder
Rosenheim: Es steigen kaum noch Passa-
giere ein, damit fließt auch viel weniger
Geld in die Kassen.


Die Lage ist dramatisch, denn die Kos-
ten laufen weiter. Die Verkehrsbetriebe
sind angehalten, weiter zu fahren, um et-
wa medizinisches Personal zur Arbeit zu
bringen. Sie sollen dabei auch nicht viel we-
niger Fahrzeuge einsetzen, damit sich die
Fahrgäste auf viele Busse, S- und U-Bahn-
Wagen verteilen können – das reduziert
auch im Nahverkehr die Ansteckungsge-
fahr. Dass die Einnahmen drastisch sin-
ken, die Kosten aber beinahe gleich hoch
bleiben, löst landauf, landab finanzielle
Schieflagen aus. „Für viele Verkehrsunter-
nehmen sind die wirtschaftlichen Folgen
durch wegbrechende Fahrgeldeinnahmen
schon jetzt verheerend“, sagt VDV-Haupt-
geschäftsführer Oliver Wolff. Von Liquidi-
tätsproblemen in den ersten Betrieben ist
in der Branche die Rede. Von der Sorge, das
Personal nicht mehr bezahlen zu können.
Eine Umfrage macht klar, wie prekär
die Lage längst ist. In München meldet et-
wa der MVV einen Fahrgastrückgang um
70 bis 85 Prozent. Pro Monat entstünden
dem MVV damit Einnahmeverluste von 30
bis 50 Millionen Euro. Man befinde sich
„nahezu täglich im Gespräch mit der Poli-
tik“ über nötige Maßnahmen, sagt eine
MVV-Sprecherin. Wichtig sei eine zeitnahe
Kompensation von Einnahmeausfällen. Es


fehle schlicht an Geld. Die Berliner BVG ver-
zeichnen einen Fahrgastrückgang um 70
bis 75 Prozent. Das Angebot hätten die Ver-
kehrsbetriebe aber nur um 13 Prozent redu-
ziert, sagt ein Sprecher. Die aktuellen Fahr-
gastrückgänge bei Bussen und Bahnen
sorgten für Einnahmeverluste in der ge-
samten Nahverkehrsbranche, erklärt der
Rhein-Main-Verkehrsverbund (RMV).
Die Unternehmen ringen um einen ge-
meinsamen Appell an die Politik. Am Frei-
tag schaltete sich der Verwaltungsrat der

Verkehrsverbünde nach Informationen
derSüddeutschen Zeitungzu einer Krisen-
sitzung zusammen. In den kommenden Ta-
gen wollen die Betriebe voraussichtlich
weitere Hilfen fordern. Denn sie stecken in
einem Dilemma. Weil sie oft als kommuna-
le Betriebe organisiert sind, finden sie kei-
nen Schutz unter dem eingeführten Ret-
tungsschirm der Regierung für private Un-
ternehmen. Verluste müssen eigentlich die
Kommunen ausgleichen. Doch die sind oft
selbst finanzschwach und angesichts des

Ausmaßes der Ausfälle überfordert. So for-
derte Michael Neugebauer, Chef der Göttin-
ger Verkehrsbetriebe, bereits einen eige-
nen Rettungsschirm für Niedersachsens
ÖPNV-Branche, damit sie die Krise über-
lebt. In Baden-Württemberg appelliert die
Politik an die Hilfe der Fahrgäste. Verkehrs-
minister Winfried Hermann (Grüne) bat El-
tern, Schüler-Abos nicht zu kündigen und
normal weiter laufen zu lassen. Das könne
dazu beitragen, kleine und mittelständi-
sche Busunternehmen und andere Ver-

kehrsbetriebe vor gravierenden wirtschaft-
lichen Folgen der Corona-Krise – bis hin
zur Insolvenz – zu bewahren.
Denn die nächsten großen Aufgaben
warten schon. Die Verkehrsbetriebe berei-
ten sich bereits darauf vor, das Angebot
langsam wieder auszuweiten. Um aller-
dings die Abstandsregel von 1,5 Metern ein-
halten zu können, sei künftig ein viel größe-
res Angebot nötig, sagt VDV-Chef Wolff. Zu
Stoßzeiten brauche man dann wohl vier
mal so viele Fahrzeuge.

Berlin– Das wegen der Corona-Krise ver-
hängte allgemeine Verbot von Gottesdiens-
ten löst juristischen Widerstand aus. Der
katholische „Freundeskreis St. Philipp Ne-
ri“ in Berlin geht vor dem örtlichen Verwal-
tungsgericht dagegen vor. Dem Antrag der
Gläubigen zufolge soll das Gericht feststel-
len, dass die Gemeinde öffentliche Gottes-
dienste mit bis zu 50 Teilnehmern abhal-
ten darf. Die Gemeinde würde sich im Ge-
genzug dazu verpflichten, dass die Besu-
cher in diesem Fall „beim Betreten und Ver-
lassen des Gebäudes sowie während der
Gottesdienste einen Mindestabstand von
1,5 Metern untereinander einhalten“. Au-
ßerdem verspricht die Gemeinde, die Na-
men, Adressen und Telefonnummern aller
Besucher zu sammeln und aufzuheben.
Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts
Berlin bestätigte auf Anfrage, dass der An-
trag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung eingegangen sei. Mit einer Entschei-
dung sei demnächst zu rechnen. Einen ähn-
lichen Fall gibt es in Bayern: Ein Münchner
Anwalt verlangt per Eilantrag, dass religiö-
se Zusammenkünfte trotz Corona-Pande-
mie erlaubt sein sollen. In seinem Antrag,
über den die Deutsche Presse-Agentur be-
richtet, heißt es, Ostern sei nach katholi-
schem Glauben das „Fest der Feste“. Der
Bayerische Verwaltungsgerichtshof soll
noch in dieser Woche entscheiden.
Propst Gerald Goesche vom „Freundes-
kreis St. Philipp Neri “ hält das generelle
Verbot von Gottesdiensten für unverhält-
nismäßig. Wenn die Supermärkte offen sei-
en, in denen es viel enger zugehe als in der
Kirche, dann könne man auch Gottesdiens-
te feiern, sagte erSüddeutscher Zeitung,
NDR und WDR. „Sie sind in unserer Kirche
sicherer als in jedem Supermarkt.“
Kläger vor dem Verwaltungsgericht Ber-
lin ist der 2004 gegründete Verein „Freun-
deskreis St. Philipp Neri“, der Gottesdiens-
te abhält, sich der „traditionellen römi-
schen Liturgie“ verbunden fühlt und die
Gemeinschaft „Institut St. Philipp Neri“
unterstützt. Dieses Institut bezeichnet
sich als Lebensverband nach Kanoni-
schem Recht und ist demnach nicht auf
Ebene des Erzbistums Berlin errichtet, son-
dern auf der des Heiligen Stuhls. Die Ge-
meinde sieht sich demnach nicht in die
Strukturen der Katholischen Kirche in
Deutschland eingebunden, sondern viel-
mehr päpstlichem Recht unterworfen.

Die Katholische Kirche in Deutschland
missbilligt denn auch die Klage der klei-
nen Berliner Gemeinde. In Kreisen der
Deutschen Bischofskonferenz heißt es, die-
ses Vorgehen sei weder Position noch Linie

der Kirche in der Corona-Krise. Vielmehr
handele es sich um einen Alleingang.
Für Propst Goesche dagegen ist es „eine
Riesenenttäuschung“, dass die Kirche
nicht gegen das Gottesdienstverbot vorge-
he – besonders vor Ostern. Die „totale Un-
terdrückung“ von Gottesdiensten könne
„irgendwann gefährlich werden“, sagte
Goesche, wenn „Gläubige sich dann unkon-
trolliert treffen und was machen“. Er wün-
sche sich, dass Kirchen die gleichen Rege-
lungen bekämen wie Supermärkte. „Für
uns ist Jesus das Medikament des Heils
und der Arzt unserer Seelen.“

Zur Eindämmung des Coronavirus hat
der Berliner Senat am 23. März eine Verord-
nung in Kraft gesetzt, die Veranstaltungen
und Zusammenkünfte weitgehend verbie-
tet. Wer seine Wohnung verlässt, muss
demnach einen Mindestabstand von 1,
Metern zu anderen Personen einhalten.
Der Besuch von Kirchen, Moscheen und
Synagogen ist zwar erlaubt, allerdings nur

zur individuellen, stillen Einkehr. Mitte
März hatte der Berliner Senat zunächst ei-
ne Verordnung erlassen, die weniger ein-
schneidend war: Sie ließ Veranstaltungen
mit bis zu 50 Teilnehmern zu, wobei sich
die Anwesenden in Teilnehmerlisten ein-
tragen sollten.
Auf diese frühere, nunmehr nicht mehr
gültige Verordnung stützt sich nun die kla-
gende Gemeinde. Nach eigenen Angaben
hat sie im März mehrere Gottesdienste mit
höchstens 50 Teilnehmern abgehalten;
den Besuchern habe sie dabei markierte
Plätze auf den Kirchenbänken zugewie-
sen, die jeweils zwei Meter voneinander
entfernt gewesen seien. Seit Inkrafttreten
der verschärften Verordnung Ende März
hat in der St.-Afra-Kirche (Bezirk Mitte)
kein Gottesdienst mehr stattgefunden.
In seinem elfseitigen Schriftsatz vom


  1. März argumentiert der Berliner Anwalt
    Nikolai Nikolov, die Gemeinde habe einen
    Anspruch darauf, „dass öffentliche Gottes-
    dienste als spezifische Äußerung religiö-
    sen Lebens stattfinden dürfen“. Dies erge-
    be sich aus der Freiheit der Religionsaus-
    übung, die in Artikel 4 des Grundgesetzes
    verankert sei. Das umfassende Veranstal-
    tungsverbot des Berliner Senats, heißt es,
    „stellt einen unverhältnismäßigen Ein-
    griff in die Freiheit der Religionsausübung
    dar und ist insoweit unwirksam“. Dass der
    Staat Leben und körperliche Unversehrt-
    heit schütze, könne den Eingriff allein
    nicht rechtfertigen.


Im Kern macht der Kläger geltend, dass
die Vorschriften des Berliner Senats unver-
hältnismäßig seien. Es sei schon gar nicht
erforderlich, sämtliche Veranstaltungen
zu untersagen, weil man das Ziel, die Men-
schen vor einer Infektion zu schützen,
auch mit anderen, milderen Mitteln errei-
chen könne. Angemessener findet der Klä-
ger demnach die früheren Regelungen, die
Mitte März in Berlin galten. Eine maximale
Teilnehmerzahl von 50 Personen, der Min-
destabstand von 1,5 Metern und das Anle-
gen von Anwesenheitslisten habe „ein Mi-
nimum an öffentlichen Veranstaltungen“
ermöglicht, ohne den Infektionsschutz zu
gefährden, schreibt Anwalt Nikolov. „Auch
in anderen Bereichen, wie zum Beispiel Su-
permärkten und in öffentlichen Verkehrs-
mitteln, wird laut Verordnung ein Zusam-
mentreffen einer größeren Anzahl von Per-
sonen in Kauf genommen und lediglich
auf die Einhaltung eines Mindestabstands
gedrungen.“

Für die klagende Gemeinde stünden die
Nachteile außerdem nicht in einem ange-
messenen Verhältnis zu den bezweckten
Vorteilen. Die Religionsausübung sei
durch das allgemeine Gottesdienstverbot
derzeit nicht nur beschränkt, sondern
„gänzlich aufgehoben“. Die stille Einkehr
einzelner Gläubiger in der Kirche könne
den Gottesdienst „niemals ersetzen“. Ganz
allgemein dürfe der Staat den vorliegen-
den Konflikt nicht „in der gegebenen Ein-
seitigkeit“ lösen, indem er Gottesdienste
insgesamt und ohne Ausnahme untersage.
„Eine zutreffende Abwägung hätte hier zu-
mindest eine eingeschränkte Möglichkeit
zur Durchführung von Gottesdiensten of-
fenhalten müssen“, schreibt Anwalt Niko-
lov. Er beruft sich dabei auch auf den Deut-
schen Ethikrat, demzufolge die staatlichen
Entscheidungen nicht allein auf wissen-
schaftlicher Basis erfolgen dürften. Viel-
mehr sei darauf zu achten, dass Grund-
und Menschenrechte nicht auf Dauer aus-
gehöhlt oder zerstört würden.
Am Samstagvormittag fand sich bereits
gut ein Dutzend Gläubige in der Kirche St.
Afra ein. Propst Goesche sprach mehrere
Gebete auf Lateinisch, am Schluss traten
die Gläubigen nach vorne, um kniend von
ihm die Mundkommunion zu empfangen.
Dabei legte Goesche jedem und jeder eine
Hostie auf die Zunge. Einen Mundschutz
trugen weder die betagten Gläubigen noch
der Priester. Natürlich bleibe da ein „Restri-
siko“, sagte Propst Goesche. „Aber nie-
mand muss zur Kommunion gehen.“
markus grill,
georg mascolo, nicolas richter

Berlin –Bundestagspräsident Wolfgang
Schäuble (CDU) stößt mit seinem Vor-
schlag, das Grundgesetz zu ändern, um die
Handlungsfähigkeit des Parlaments auch
während der Corona-Krise sicherzustel-
len, auf breiten Widerstand in den Bundes-
tagsfraktionen. Der Vorsitzende der Links-
fraktion, Dietmar Bartsch, sagte derSüd-
deutschen Zeitung: „In Krisenzeiten das
Grundgesetz verändern zu wollen, verbie-
tet sich – die Linke wird das nicht unterstüt-
zen.“ Das Parlament sei handlungsfähig,
die demokratische Opposition zeige „sich
außerordentlich kompromissbereit und
wir sollten die Bevölkerung nicht zusätz-
lich mit solchen Diskussionen verunsi-
chern – was sollen da Ärztinnen oder Pfle-
ger denken?“
Ähnlich äußerte sich die Erste Parlamen-
tarische Geschäftsführerin der Grünen-
Fraktion, Britta Haßelmann. „Ich bin irri-
tiert, dass wir wieder mit Vorschlägen zu
Verfassungsänderungen konfrontiert sind


  • Krisenzeiten sind nicht die Zeit, so etwas
    Weitreichendes mal kurzerhand auf den
    Weg bringen zu wollen“, sagte sie. Außer-
    dem habe „die letzte Sitzungswoche ge-
    zeigt, dass das Parlament arbeitsfähig ist“.


Schäuble hatte am Donnerstag an alle
Fraktionsvorsitzenden einen Brief ge-
schrieben. Darin heißt es, in den vergange-
nen Wochen habe „immer wieder die Fra-
ge eine Rolle gespielt, wie der Deutsche
Bundestag im Falle einer weiteren Ver-
schärfung der gegenwärtigen Corona-Kri-
se zuverlässig seine Handlungsfähigkeit si-
cherstellen kann“. Als Sofortmaßnahme
sei das Quorum für die Beschlussfähigkeit
des Parlaments von 50 auf 25 Prozent der
Abgeordneten gesenkt worden. Er „höre
aber, dass es durchaus Zweifel gibt, ob die-
se Maßnahme ausreichend ist“. Eine der
weiteren Überlegungen gehe „dahin, Bun-
destagsplenarsitzungen virtuell abzuhal-
ten“. Falls bei den Fraktionsvorsitzenden
Interesse bestehe, über derartige virtuelle
Plenarsitzungen zu reden, sei er gerne be-
reit, gleich in der nächsten Sitzungswoche
zu einer Besprechung darüber einzuladen.
Die Wissenschaftlichen Dienste des Bun-
destags haben dazu bereits ein Szenario
für eine Grundgesetzänderung erarbeitet.
In seinem Brief schreibt Schäuble aber
auch, dass er der Meinung sei, „dass die
Schaffung eines Notfallausschusses des
Deutschen Bundestags ebenfalls dringend
erwogen werden sollte“. Für den Verteidi-
gungsfall erlaubt das Grundgesetz die Bil-
dung eines Notparlaments. Dieser „Ge-
meinsame Ausschuss“ hätte 48 Mitglieder
und bestünde nach Artikel 53a des Grund-
gesetzes zu zwei Dritteln aus Abgeordne-
ten des Bundestages und zu einem Drittel
aus Mitgliedern des Bundesrates. Für den
Fall einer Pandemie gibt es im Grundge-
setz jedoch keine vergleichbare Regelung.
Schäuble hält das für einen Fehler. Er hat
seine Verwaltung deshalb bereits einen
„Aktenvermerk“ mit einem Vorschlag
schreiben lassen. Er liegt der SZ vor. Eine
Ergänzung des Grundgesetzartikels 53
wird darin präferiert.

Der Erste Parlamentarische Geschäfts-
führer der FDP-Fraktion, Marco Busch-
mann, sagte der SZ, seine Fraktion setze
sich „unabhängig von Corona für moderne-
re und digitalere Arbeitsweisen im Bundes-
tag ein“. Aber das Grundgesetz sollte man
nicht überstürzt ändern, „im Stress der Kri-
se ist die Gefahr von Abwägungs- und
Flüchtigkeitsfehlern zu groß“. Außerdem
habe das Parlament doch „gezeigt, dass es
auch in der Krise schnell und entschlossen
handeln kann“. Regierung und Opposition
hätten über die Maßnahmen zur Eindäm-
mung der Corona-Krise „konsensorien-
tiert verhandelt, die Mehrheiten waren
breit, das Verfahren lief zügig“.
An der einzigen namentlichen Abstim-
mung in der letzten Sitzungswoche hatte
zwar ein Viertel der Abgeordneten wegen
der Corona-Krise nicht teilgenommen. Da
aber auch alle anwesenden Mitglieder der
Oppositionsfraktionen von FDP, Grünen
und Linken mit Ja stimmten, hatte es eine
breite Mehrheit für die Lockerung der
Schuldenbremse zur Finanzierung des Co-
rona-Hilfspakets gegeben. Sogar die AfD-
Fraktion hatte sich nicht dagegengestellt.
Zwei der anwesenden AfD-Abgeordneten
stimmten mit Ja, 54 enthielten sich – und
nur drei votierten mit Nein. Auch wegen
dieser Erfahrung unterstützen bisher auch
die beiden Koalitionsfraktionen Schäubles
Vorstoß für eine Grundgesetzänderung
nicht. robert rossmann

Die stille Einkehr in der Kirche
könne den Gottesdienst
„niemals ersetzen“

Gerald Goesche vom
katholischen „Freun-
deskreis St. Philipp
Neri“ hält sich nicht
an das Gottesdienst-
verbot. Eine Erlaub-
nis für eine Zusam-
menkunft von 50
Gläubigen will er
erklagen.FOTO: GRILL

Kaum noch jemand zieht sich Fahrkarten aus den Automaten: Leere im zentralen Münchner U- und S-Bahnhof Marienplatz. FOTO: PETER KNEFFEL/DPA

Nahverkehr ohne Personen


Ausgangsbeschränkungen und Home-Office lassen die Einnahmen von Bus und Bahn einbrechen.
Betriebe fürchten das Aus, Verbände fordern einen Schutzschirm und Politiker die Solidarität der Passagiere

Hannover– Gesundheitsämter in Nie-
dersachsen sollen die Daten von Men-
schen in Corona-Quarantäne an die
Polizei weitergeben – das hat Daten-
schützer auf den Plan gerufen. Es gehe
um Gesundheitsdaten und die Aufhe-
bung der ärztlichen Schweigepflicht,
dafür sei eine gesetzliche Grundlage
nötig, sagte die Datenschutzbeauftragte
des Landes, Barbara Thiel, derHanno-
verschen Allgemeinen Zeitung. Ein Spre-
cher Thiels sagte, man sei nur auf Ar-
beitsebene über „Überlegungen“ zu
einem solchen Verfahren informiert
worden. Das Gesundheitsministerium
hatte nach eigenen Angaben am
31.März einen Erlass an die Gesund-
heitsämter verschickt, wonach diese die
Anschriften der unter häuslicher Qua-
rantäne stehenden Menschen nach
einem positiven Corona-Test an die
Polizei übermitteln sollten. dpa


Freiburg– Der Deutsche Caritasver-
band fordert angesichts der Coronavi-
rus-Pandemie Hilfe für die Menschen
in Flüchtlingslagern. „Zehntausende bis
Hunderttausende Menschen leben in
diesen Lagern unter katastrophalen
hygienischen Bedingungen auf engs-
tem Raum zusammen. Das ist der idea-
le Nährboden für das Corona-Virus“,
warnte der Präsident des Deutschen
Caritasverbandes, Peter Neher, am
Sonntag in Freiburg. Schon aus Eigen-
nutz müsse sofort gehandelt werden.
„Wir können es uns nicht leisten, der-
zeit nicht solidarisch zu sein.“ Das Virus
kenne keine Grenzen. Anstelle der Abrie-
gelung von Flüchtlingslagern müsse es
darum eine koordinierte Hilfsaktion
geben. dpa


Berlin– Juso-Chef Kevin Kühnert hat
angesichts der angespannten wirtschaft-
lichen Lage vieler Gastronomen in der
Corona-Krise eine Initiative zur Ret-
tung Berliner Kneipen gegründet. Ziel
sei es, dass in der kommenden Woche
eine Internetseite online gehe, auf der
Spenden für Kneipen gesammelt wer-
den. „Wir möchten gerne an die Men-
schen appellieren, den symbolischen
Euro für das nicht in der Kneipe getrun-
kene Bier beiseite zu legen und der
eigenen Stammkneipe zukommen zu
lassen“, sagte der Vorsitzende der SPD-
Jugendorganisation und stellvertreten-
de Parteichef der Deutschen Presse-
Agentur. Viele Kiezkneipen hätten kei-
ne finanziellen Rücklagen und seien im
Vergleich zu Restaurants und Bars
schlechter vernetzt. dpa


„Sicherer als in jedem Supermarkt“


Ein katholischer Freundeskreis will vor dem Berliner Verwaltungsgericht Gottesdienste in Zeiten von Corona erstreiten


DEFGH Nr. 81, Montag, 6. April 2020 (^) POLITIK HF2 5
Schäuble findet
keine Unterstützer
Fraktionen lehnen Ideen
für ein Krisen-Parlament ab
Wolfgang Schäuble möchte das Parlament
handlungsfähig halten. FOTO: JUTRCZENKA/DPA
Das Verbot, sich in Kirchen zu versammeln, schmerzt viele Gläubige. Virtuelle Gottes-
dienste halten nicht alle für einen angemessenen Ersatz. FOTO: SWEN PFÖRTNER/DPA
Der Münchner Verkehrsverbund
hat einen Fahrgastrückgang
von 70 bis 85 Prozent
Die „totale Unterdrückung“
von Gottesdiensten könne
gefährlich werden
Datenschützer protestieren
Virtuelle Plenarsitzungen
oder sogar einen Notfallausschuss
wünscht der Parlamentspräsident
Ruf nach Hilfe für Flüchtlinge
Kühnert sammelt für Kneipen
INLAND

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