Süddeutsche Zeitung - 06.04.2020

(Nora) #1

SZ: Die Nachricht, das Bundeskriminal-
amt arbeite an einem Bericht zu den Mord-
taten in Hanau, in dem es heißt, der Täter
habe zunächst Verschwörungstheorien ge-
glaubt und sich dann erst eine rechtsextre-
me Ideologie zugelegt, hat bei den Angehö-
rigen der Opfer Verunsicherung und Em-
pörung ausgelöst. Warum?
Selma Yilmaz-Ilkan: Sie fürchten, dass die
politische Dimension dieser Tat vom Bun-
deskriminalamt verkleinert wird. Der Tä-
ter hat ja ein Manifest hinterlassen, das ein-
deutig rechtsextremistisch und rassistisch
ist. Er behauptet dort, es gebe Länder, de-
ren Bevölkerung ausgerottet gehören – es
sind Länder mit überwiegend muslimi-
scher Bevölkerung, und es gehört Israel da-
zu. Klarer kann man seine rassistische, an-
tisemitische und muslimfeindliche Gesin-
nung ja gar nicht beschreiben. Und so hat
er ja auch seine Opfer ausgewählt.


Nun kann man aber auch sagen: Die Er-
mittler des BKA müssen alle Spuren aus-
werten, um ein möglichst realistisches
Bild des Täters zu erhalten, auch, um Ta-
ten von ähnlich gestrickten Menschen zu
verhindern.
Selbstverständlich müssen Ermittler alle
Informationen berücksichtigen. Als ich die
Nachrichten las, hatte ich aber den Ein-
druck, dass da schon die These vom psy-
chisch kranken Einzeltäter vertreten wur-
de, der quasi aus dem Nichts kam. Das hat
die Familien der Opfer schockiert. In Han-
au ist ja nach der Gewalttat vieles gut gelau-
fen: Die Stadt Hanau hat sich gemeinsam
mit dem Ausländerbeirat um die Familien
gekümmert, und auf der Trauerfeier hat
Bundespräsident Frank-Walter Steinmei-
er klar gesagt: Diese Tat hat mit dem Hass
auf Menschen mit Migrationsgeschichte
und auf Muslime zu tun. Das hat den Fami-
lien in ihrer Fassungslosigkeit und Trauer
Mut gemacht: Der Staat steht hinter uns.
Dieser Tat wird nicht wie die NSU unter
dem Tisch gekehrt. Sollte sich die Interpre-
tation durchsetzen, hier habe ein verwirr-
ter Einzelner gehandelt, würde das ihnen
den Boden unter den Füßen wegziehen.


Das BKA hat nun betont, dass man auf je-
den Fall davon ausgehe, dass die Tat rassis-
tisch motiviert gewesen sei.
Das ist eine wichtige Klarstellung. Diese
Klarstellung hat gut getan, insbesondere
den Familien der Angehörigen. Vielleicht
hat die öffentliche Kritik zu dieser Klarstel-
lung beigetragen. Wir hoffen nun sehr,
dass im Abschlussbericht nichts relativie-
ren wird. Zum Beispiel heißt es angeblich
in dem Berichtsentwurf, der Täter habe ei-
nem dunkelhäutigen Nachbarn geholfen
und mit Migranten Fußball gespielt. Seine
Mitspieler von damals aber sagen: Der hat


mit niemandem geredet, schon gar nicht
mit einem Migranten. Und dass er mal ei-
nem Nachbarn hilft, soll belegen, dass er
kein Rassist ist?

Was sollte der Abschlussbericht berück-
sichtigen?
Er soll nichts verschweigen. Aber er soll
auch die politische und gesellschaftliche
Dimension der Tat nicht aus den Augen ver-
lieren. Sicher war der Täter ein psychisch
kranker Mensch – so, wie auch viele Atten-
täter psychisch krank sind, die glauben, im
Namen des Islams morden zu dürfen.

Wenn wir aber sagen: Das war nur ein tragi-
scher Einzelfall, dann haben wir bald den
nächsten angeblichen Einzelfall. Es ist
auch enorm wichtig, dass die Angehörigen
den Bericht nicht von der Presse erfahren
sondern die Möglichkeit bekommen, ihn
vorher zu lesen.

Sie betreuen mit einem Team die Angehö-
rigen der Opfer – wie geht es denen?
Der Schmerz ist noch da, wie sollte es an-
ders sein? Den Verlust können wir nicht
rückgängig machen. Aber wir sind da und

zeigen ihnen, dass sie nicht allein sind, fra-
gen, was sie brauchen. Wir versuchen, Si-
cherheit zu vermitteln: Wir stehen jetzt hin-
ter Euch. Das ist ganz wichtig.

Was in Zeiten der Corona-Krise schwierig
geworden ist.
Ja. Gerade ist Behcet Gültekin gestorben,
der krebskranke Vater von Gökhan Gülte-
cin; nach dem Tod seines Sohnes hatte er
keine Kraft mehr, weiterzuleben. Mein
Mann ist zu der Familie gefahren – und
musste da Sicherheitsabstand halten. Das
ist schon sehr traurig. Sonst telefonieren
wir viel, machen Videokonferenzen. Wir
haben den 19. Februar noch nicht verarbei-
tet, da kommt die nächste Krise über uns.
Wir hoffen und setzen uns auch dafür ein,
dass die Tat darüber nicht vergessen wird.
Corona-Viren sind ansteckend – Hass,
Rechtsextremismus, Rassismus sind es
aber leider auch.

Was tun Sie, um die Erinnerung wach zu
halten?
Wir haben gemeinsam mit den Angehöri-
gen einen eingetragenen Verein gegrün-
det, das „Institut für Toleranz und Zivilcou-
rage – 19. Februar Hanau“. Darin sind alle
Familien der Getöteten und die Verletzten
vertreten. Wir wollen mit dem Institut un-
ter anderem auch in die Schulen, die Bil-
dungseinrichtungen. Die Familien sagen:
Wir wollen weiterhin ein Teil dieser Gesell-
schaft sein, wir empfinden keinen Hass.
Aber wir wollen, dass die Tat Konsequen-
zen hat. Die Familienangehörigen wollen
ja nicht Opfer auf ewig sein. Sondern Men-
schen, die was zu sagen haben und in die
Gesellschaft positiv wirken.
interview: matthias drobinski

von cathrin kahlweit

London –Seinen großen Moment hat die
Nation gar nicht so recht mitbekommen:
Die BBC zeigte am Samstag eine halbe
Stunde lang irritierende Archivbilder, in
denen der Bewerber um den Labour-Vor-
sitz, Keir Starmer, mit strahlendem Lä-
cheln auf eine Gruppe Menschen mit Fan-
plakaten zuging, um sich dann in ihre Mit-
te zu stellen. In Corona-Zeiten war das na-
türlich nicht möglich, und tatsächlich hat-
te Keir Starmer sich für seinen Sieg in der
Zwischenzeit längst mit einem Homevideo
bedankt, aufgenommen vor einer weißen
Schrankwand.
Nach vier Monaten Wahlkampf, von de-
nen die letzten Wochen weitgehend im In-
ternet stattfanden, ist es heraus: Starmer,
57, hat gegen die Kandidatin der Parteifüh-
rung, Rebecca Long-Bailey, und gegen die
unabhängige Abgeordnete Lisa Nandy ei-
nen sicheren Sieg eingefahren. Und nicht
nur das: Bei den parallel stattfindenden
Wahlen für einige Sitze im wichtigen Exe-
kutivkomitee (NEC), der Machtzentrale in
der Labour Party, haben ebenfalls Kandida-
ten das Rennen gemacht, die als Starmer-
Leute gelten. Der wird jetzt zwar nicht
durchregieren und alles umkrempeln kön-
nen, aber der Labour-Chef ist eindeutig
der neue starke Mann einer immer noch
mächtigen, europäischen Linkspartei mit
einer halben Million Mitglieder.


Die Eindeutigkeit des Sieges gilt allge-
mein als Überraschung, auch wenn Star-
mer die Umfragen schon seit längerer Zeit
angeführt hatte. Aber das Partei-Establish-
ment und einige wichtige Gewerkschaften
hatten sich hinter Schattenwirtschaftsmi-
nisterin Long-Bailey gestellt, die auch Cor-
byn selbst sich als Nachfolgerin gewünscht
hatte. Sie kommt aus der Gegend von Man-
chester, wo zuletzt die Wähler in Scharen
zu den Tories übergelaufen waren, und hat-
te versprochen, das Erbe des linken Partei-
chefs zu bewahren.
Dass Starmer das Rennen machte, gilt
daher als Klatsche für eine scheidende Par-
teiführung, die bis zuletzt für sich rekla-
mierte, die Mitglieder stünden hinter ihr,
und die Wahlniederlage sei vor allem die
Folge einer geradezu feindseligen Bericht-
erstattung in den Medien gewesen. Aber:
56,6 Prozent aller Stimmen in der Urwahl
gingen an den Abgeordneten aus London,
mehr als doppelt so viele wie an Long-Bai-
ley und dreimal so viele wie an Nandy.


Auch wenn er könnte, ist Starmer aller-
dings gar nicht der Typ, der sofort alles um-
krempeln und durchregieren würde, wie
er auch in seiner Dankesrede mitteilte. Er
ist ein Moderator, kein Rechthaber: Er wol-
le alle Fraktionen in der Partei einbinden,
vorsichtig sein im Umgang auch mit Geg-
nern, wolle einen, heilen. Einen Rachefeld-
zug gegen Corbyns Leute, wie es einige
nun fordern, werde es mit ihm nicht geben.

Starmer hatte auch im Wahlkampf den
immer noch kommissarisch amtierenden
Parteichef Jeremy Corbyn nur zögerlich
kritisiert und versichert, er werde an vie-
len Schlüsselelementen des Wahlpro-
gramms von 2019 festhalten. Bis auf Weite-
res ist er in der Führungsspitze auch jetzt
noch von engen Mitarbeitern Corbyns um-
geben; diese können nur vom Exekutivko-
mitee entlassen werden.

Während der Urwahl hatte die Partei ei-
ne Abrechnung mit der Ära Corbyn weitge-
hend vermieden. Aber in den vergangenen
Tagen, kurz vor dessen endgültigem Ab-
schied, wurde die nachgetragene Kritik im-
mer schärfer: Nicht nur Leitartikler und Po-
litikexperten, sondern sogar zahlreiche La-
bour-Abgeordnete veröffentlichten bitte-
re Abrechnungen mit einem Mann, der die
Partei ins Abseits manövriert habe und un-

geeignet für seine Aufgabe gewesen sei.
Starmer soll, kann, muss es nun besser ma-
chen. Direkt nach Bekanntgabe des Wahl-
ergebnisses bekam er einen Gratulations-
anruf von Boris Johnson – samt einer Einla-
dung: Er könne gern an Regierungsbrie-
fings zur Corona-Krise teilnehmen. Star-
mer sagte zu und erklärte das später da-
mit, dass es jetzt nicht darum gehe, politi-
sches Kapital aus der Katastrophe zu zie-
hen. Man werde die Regierung, wo nötig,
kritisieren, aber in erster Linie zum Wohl
des Landes zusammenarbeiten.

Der Rechtsanwalt ist erst seit 2015 Abge-
ordneter des Londoner Wahlkreises Hol-
born und St. Pancras. Zuvor war er Chef
der englischen Staatsanwaltschaften gewe-
sen, davor hatte er als Berater für eine neu
geschaffene Polizeibehörde in Nordirland
gearbeitet, die nach dem Karfreitagsab-
kommen gegründet worden war. Starmer
selbst sagt, mindestens so stark wie seine
politische Arbeit und sein Engagement als
Menschenrechtsanwalt habe ihn seine Ju-
gend geprägt: Seine Mutter, eine Kranken-
schwester, litt an einer schweren Autoim-
munkrankheit; der junge Keir kümmerte
sich neben der Schule um sie. Seine Sorge
um die Familie überschattete auch den
Wahlkampf um den Führungsjob bei La-
bour. Seine Schwiegermutter hatte im
März bei einem Autounfall schwerste Ver-
letzungen erlitten und starb zwei Wochen
später im Krankenhaus; Starmer unter-
brach seine Kampagne und blieb bei seiner
Frau und deren Familie. Auf Nachfragen,
warum er sich nicht an aktuellen Debatten
beteilige, konterte er damals relativ scharf:
Manchmal gebe es im Leben Wichtigeres.
Nun will er also Labour „in eine neue
Ära führen“ und sie wieder zu einer Partei
machen, die Wahlen gewinnen kann. In
der BBC sagte er am Sonntag auch, nach
der Corona-Krise gelte es, eine „veränder-
te Welt“ zu gestalten; Labour müsse daran
mitarbeiten. Reiche und Konzerne müss-
ten einen bedeutenden Anteil an der Auf-
bauarbeit leisten, zu der unter anderem ei-
ne bessere Bezahlung von Arbeitnehmern
in Schlüsselstellen der Gesellschaft gehö-
re. „Wir können nicht zurückfallen inbusi-
ness as usual. Die Menschen, die sich jetzt
als so besonders wichtig erweisen, sind
überarbeitet und unterbezahlt. Das muss
sich ändern.“ Und noch etwas müsse sich
ändern: der Brexit-Kurs der Regierung. Es
sei ein Fehler, auf dem endgültigen Aus-
stieg Ende 2020 zu beharren.  Seite 4

London –Noch vor zwei Wochen, als die
Queen vom Buckingham Palace nach
Windsor aufgebrochen war, um sich in das
zu begeben, was der Palast „Teil-Isolation“
nennt, warten Gerüchte nach draußen ge-
drungen: Ja, die Monarchin plane eine Re-
de an die Nation. Aber sie werde diese An-
sprache erst halten, wenn die Lage wirk-
lich dramatisch sei und das Volk Trost und
Zuspruch besonders dringend brauche.
Nun ist es offenbar soweit: Am Sonntag-
abend wollte Elisabeth II. um Punkt 20 Uhr
britischer Zeit zur Nation sprechen; die Re-
de war vorher in Windsor aufgezeichnet
worden. Es war erst die fünfte derartige Re-
de in ihrer langen Amtszeit. Normalerwei-
se wendet sich die Monarchin jeweils mit ei-
ner Weihnachtsansprache an das Volk; au-
ßerdem mit einer – von der Regierung ge-
schriebenen – Rede zur Parlamentseröff-
nung, der Queen’s Speech. In der Vergan-
genheit waren es, abgesehen vom diaman-
tenen Thronjubiläum 2012, auch immer
traurige Anlässe für diese besonderen Bot-
schaften gewesen: so etwa 2002, als ihre
Mutter, die beliebte Queen Mom, gestor-
ben war. Nach dem Tod von Prinzessin Dia-
na, 1997, hatte die Queen gezögert, zu lan-
ge, wie ihre unglücklichen Untertanen fan-
den. Schließlich gab sie nach und drückte
ihr höchstes Bedauern über den tragischen
Unfall aus. Und noch einmal sprach sie
zum Volk: nach dem ersten Golfkrieg 1991.
Was sie diesmal sagen wollte, hatte der
Palast vorab an die Medien gegeben, damit
all jene, die sich – trotz strenger Mahnun-
gen aus der Downing Street – an diesem
schönen Frühlingsabend aus der Selbstiso-
lation nach draußen begeben hatten,
nichts verpassten. Sie werde, hieß es, die
Nation dazu aufrufen, Selbstdisziplin, Ge-
lassenheit und Mitmenschlichkeit zu be-
wahren. Dies seien herausfordernde Zei-
ten, die Trauer, finanzielle Schwierigkei-
ten und Alltagsprobleme mit sich bräch-
ten. In einem Text, den der Palast als „sehr
persönlich“ bezeichnet, drückte sie auch
die Hoffnung aus, dass es in den kommen-
den Jahren viel Anlass geben werde, stolz
zu sein darauf, wie diese Herausforderung
gemeistert wurde. „Die, die nach uns kom-
men, werden sagen, diese Generation Bri-
ten war so stark wie alle zuvor.“
Elisabeth II., die demnächst 94 Jahre alt
wird, soll bei guter Gesundheit sein, heißt
es. Sie hält sich gemeinsam mit ihrem
Mann Philip in Windsor auf. Der 98-Jähri-
ge hatte sich in den vergangenen Monaten
mehrmals in ärztliche Behandlung bege-
ben müssen. Auch ihr Sohn Charles, frisch
vom Corona-Infekt genesen, hatte am Frei-
tag, als er zur Eröffnung eines Notfall-
Krankenhauses sprach, allen gedankt, die
in der Krise so großen Einsatz zeigten. ck

Berlin –Seit das Coronavirus sich ausbrei-
tet, haben viele EU-Staaten wieder Grenz-
kontrollen eingeführt. Dem Wirrwarr neu-
er Reisebeschränkungen und Ausnahmen
will Bundesinnenminister Horst Seehofer
(CSU) am Montag noch eine weitere Rege-
lung hinzufügen. Auch an den Übergängen
nach Polen, Tschechien, Belgien und in die
Niederlande will der Minister Reisende
kontrollieren lassen. Nur wer einen trifti-
gen Grund hat, etwa Arbeit, soll durchge-
lassen werden. Rückkehrer aus dem Aus-
land will Seehofer zu einer zweiwöchigen
Quarantäne verpflichten.
Ob die Maßnahmen am Montag im Kri-
senkabinett beschlossen werden, war bis
zuletzt offen. Als gesichert kann gelten,
dass die deutschen Grenzregelungen un-
übersichtlich geworden sind. Zunächst
führte Deutschland am 16. März Kontrol-
len an den Landgrenzen zu Österreich, der
Schweiz, Frankreich, Luxemburg und Dä-
nemark ein. „Nicht erforderliche Einrei-
sen“ wurden untersagt, etwa Tourismus.
Berufspendler dürfen die Grenzen passie-
ren, werden bei Infektionsverdacht aber
untersucht. Der Warenverkehr soll weiter
fließen. Trotzdem kam es zu langen Staus.

Tausende osteuropäische Pflegekräfte reis-
ten aus oder blieben fern. Am 19. März wur-
den die Kontrollen auf Luft- und Seever-
kehr ausgeweitet. Das zielte auch auf Flug-
gäste aus Italien und Spanien.
Am 17. März zogen die Staats- und Re-
gierungschefs der EU nach. Seither gilt an
der Außengrenzen der EU eine 30-tägige
Einreisebeschränkung für Bürger aus
Nicht-EU–Ländern. Ohne zwingenden
Grund dürfen sie nicht mehr einreisen.

Aber es gibt Ausnahmen. Alle EU-Bürger
und ihre Angehörigen dürfen in ihre Hei-
matstaaten zurückkehren und dafür ande-
re Länder durchqueren. Das gilt auch für
Schweizer, Norweger, Isländer, Liechten-
steiner und Briten. Ausgenommen von der
Einreisesperre sind zudem Asylbewerber.
Allerdings scheitern sie oft an blockierten
Grenzen. Deutschland stellte alle Program-
me ein, bei denen besonders Schutzbedürf-
tige ins Land geholt werden.

Am 25. März erging das nächste Verbot.
Innenminister Seehofer sprach ein Einrei-
severbot für Erntehelfer aus Staaten aus,
die nicht zum Schengenraum gehören. Das
traf insbesondere Ukrainer und Rumänen,
die einen Gutteil der Saisonarbeiter in der
deutschen Landwirtschaft stellen. Land-
wirtschaftsministerin Julia Klöckner
(CDU) warnte vor Nahrungsmittelengpäs-
sen im Herbst. Seehofer betonte zunächst,
dass für Polen, Tschechen und Slowaken
keine Kontrollen galten. Nun dürfen im
April und Mai jeweils 40 000 Erntearbeiter
aus Nicht-Schengen-Staaten per Flugzeug
einreisen. Allerdings gelten für Sammelun-
terkünfte und getrenntes Arbeiten strenge
Auflagen.
Am 31. März sprach Gesundheitsminis-
ter Jens Spahn (CDU) ein weiteres Verbot
aus, diesmal für Flüge aus dem Iran nach
Deutschland. Die Bundesregierung hatte
Iran zwar früh als Corona-Risikoregion er-
kannt. Trotzdem mussten Reisende bei
der Ankunft in Deutschland bis dato nur ei-
ne Aussteigekarte ausfüllen. Bei Infektio-
nen sollten örtliche Gesundheitsämter die
Kontaktpersonen informieren, eigentlich.
constanze von bullion  Seite 4

Hamburg– Morgens Vorlesung, mittags
Mensa und am Abend der Dienst hinterm
Tresen – um ihr Studium zu finanzieren,
müssen viele junge Menschen in Deutsch-
land nebenher arbeiten. Gut zwei Drittel
der Studierenden jobben, das hielt die letz-
te Sozialerhebung der Studentenwerke vor
gut drei Jahren fest, insgesamt sind das
schätzungsweise 1,9 Millionen Studentin-
nen und Studenten. Die Corona-Krise
bringt viele nun um ihre Nebentätigkeiten:
Kneipen schließen, Messen werden abge-
sagt und an der Kinokasse gibt es nichts zu
tun, solange keine Filme gezeigt werden.
Studierenden, die in der Corona-Krise
in Geldnot geraten, will die Bundesregie-
rung nun offenbar mit Überbrückungsdar-
lehen helfen. Das geht aus einer Antwort
des Bildungsministeriums auf eine Anfra-
ge der Linken-Abgeordneten Nicole Gohl-
ke hervor, die derSüddeutschen Zeitung
vorliegt.
Normalerweise können bedürftige Stu-
dierende im Erststudium Bafög beantra-
gen. Aber nicht alle Studenten, die wenig
Geld und Unterstützung der Eltern haben,
bekommen die Ausbildungsförderung.
Wer zum Beispiel über der Regelstudien-
zeit liegt oder ein früheres Studium abge-
brochen hat, ist von den Bafög-Leistungen

ausgeschlossen – kann als Student aller-
dings auch keine Sozialleistungen wie
Hartz IV beantragen. Er ist daher oft auf ei-
nen Nebenjob angewiesen. Das Haus von
Bildungsministerin Anja Karliczek (CDU)
verweist nun auf eine bereits bestehende
Härtefallregelung. Danach können in be-
sonderen Fällen auch Menschen Hartz IV

bekommen, die eigentlich nicht anspruchs-
berechtigt sind. In der Regel mussten Stu-
dierende dafür aber ihr Studium unterbre-
chen. „In der aktuellen Situation“, heißt es
nun in der Antwort des Ministeriums, sei
„eine Anspruchsberechtigung auch ohne
Beurlaubung“ möglich. Das Geld muss
zwar wie bisher hinterher zurückgezahlt
werden – aber Studierende können es nun
leichter erhalten, ohne an der Uni ausset-
zen zu müssen.
Zu kompliziert, findet das die Bildungs-
politikerin Nicole Gohlke von der Linken.
Ihr geht die Maßnahme nicht weit genug.
„Während die Bundesregierung für den
Rettungsschirm bei der Wirtschaft den

Turbo einlegt, bewegt sie sich bei der Unter-
stützung für bis zu zwei Millionen Studie-
rende im Schneckentempo. Bildungsminis-
terin Karliczek ignoriert schlechthin die fi-
nanzielle Notlage“, sagt sie: „Es braucht
jetzt einen Bund-Länder-Sozialfonds für
unkomplizierte Soforthilfen.“
Das Deutsche Studentenwerk weist un-
terdessen darauf hin, dass Studierende ei-
nen erneuten Bafög-Antrag stellen kön-
nen, sobald ihre Eltern in Kurzarbeit gera-
ten oder gar in der Krise die Stelle verlie-
ren. „Dann wird das aktuell niedrigere Ein-
kommen der Eltern zugrunde gelegt, und
nicht mehr dasjenige des vorletzten Kalen-
derjahrs. Die Chancen, mehr Bafög zu be-
kommen, steigen erheblich“, sagt der Gene-
ralsekretär des Studentenwerks, Achim
Meyer auf der Heyde. Auch bei wegbre-
chenden Nebenjobs sollten Studierende
prüfen, ob sie nicht doch einen Anspruch
auf Bafög haben könnten.
In der Corona-Krise hat die Bundesre-
gierung zudem die Bafög-Regelungen gelo-
ckert, wenn Studierende im Gesundheits-
system, dem Sozialwesen oder in der Land-
wirtschaft jobben. Die Einkünfte aus die-
sen Tätigkeiten werden nun großzügiger
als bislang auf die Ausbildungsförderung
angerechnet. bernd kramer

Aufräumen ohne anzuecken


Nach fünf Jahren ist das Experiment mit Jeremy Corbyn beendet, und Keir Starmer übernimmt den Vorsitz bei Labour.
Der 57-Jährige will die Partei wieder einen, statt mit seinem Vorgänger abzurechnen – und verfolgt dabei ein klares Ziel: Downing Street

Ausgenommen sind Asylbewerber.
Doch sie scheitern oft daran, dass
kaum noch Züge und Busse fahren

Wirrwarr an den Grenzen


Immer mehr Regeln beschränken Reisen. Horst Seehofer will noch weitere hinzufügen


Der Sieg ist überaus deutlich


ausgefallen – eine Klatsche


für die bisherige Führung


Der Neue ist überzeugter
Europäer und lehnt den
Brexit-Kurs der Regierung ab

Wenn die Seuche den Nebenjob killt


Die Bundesregierung lässt notleidende Studenten leichter an Geld kommen


Selma Yilmaz-Ilkan, 35,
studierte Politik- und
Sozialwissenschaftlerin in
Gießen und London.
Sie ist in Hanau
kommunalpolitisch aktiv,
unter anderem als Vorsit-
zende des Ausländerbei-
rats der Stadt.
FOTO: OH

„Nichts verschweigen“


Hanauer Morde: Was Angehörige der Opfer fürchten – und was sie vom Staat erwarten


Hochschüler können Hartz IV
erhalten, müssen das Geld aber
später wieder zurückzahlen

6 HF2 (^) POLITIK Montag, 6. April 2020, Nr. 81 DEFGH
Anwalt und seit 2015 Abgeordneter aus London: Keir Starmer will die Labour Party in eine neue Ära führen und zu einer
Partei machen, die auch wieder mal gewinnen kann. FOTO: STEFAN ROUSSEAU/DPA
Appell
zur Selbstdisziplin
Die Queen spricht zum Volk,
das kommt nur sehr selten vor
Plakate erinnern an die neun Menschen, die ein rechtsextremer Attentäter am 19. Fe-
bruar im hessischen Hanau erschossen hat. FOTO: DAVID GANNON/AFP

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