Handelsblatt - 06.04.2020

(Martin Jones) #1
Stefan Menzel, Franz Hubik
Düsseldorf, München

D

ie Stimmung könnte schlechter nicht
sein. „Die Händler stehen mit dem
Rücken zur Wand“, sagt der Chef ei-
nes Audi-Betriebs aus Süddeutsch-
land. Mit dem durch die Coronakrise
ausgelösten Stillstand im öffentlichen Leben stehen
auch die Autohändler vor einer ungewissen Zu-
kunft. „Uns erwartet eine lange Durststrecke, die
wir durchzustehen haben“, sagt der Audi-Mann.
Seit zwei Wochen passiert bei den meisten deut-
schen Autohändlern nicht mehr viel. Viele Betriebe
mussten wegen der Corona-Pandemie schließen.
Seitdem werden kaum noch Neuwagen verkauft,
und auch bei den Gebrauchtfahrzeugen passiert
nicht mehr viel. Werkstätten durften zwar noch ge-
öffnet bleiben. Doch es schauen weniger Kunden
vorbei, die ihren Wagen reparieren lassen wollen.
Wenn viele Leute daheimbleiben, wird auch das
Auto seltener gebraucht.
Das Kfz-Gewerbe ist stark mittelständisch ge-
prägt. Von den knapp 37 000 Betrieben in Deutsch-
land sind viele noch in Familienhand – ohne große
Rücklagen und Reserven für eine lang anhaltende
Krise. Etwa 70 Prozent der Betriebe haben nach ei-
ner Umfrage des Zentralverbands Deutsches Kraft-
fahrzeug-Gewerbe (ZDK) für ihre Mitarbeiter inzwi-
schen Kurzarbeit angemeldet. Für viele Unterneh-
men ist das der einzig gangbare Weg, um sich von
Kosten zu entlasten und Liquidität zu sichern.
Die Aussichten für die kommenden Wochen und
Monate sind nicht die besten. Die Verkaufszahlen
werden weiter in den Keller rutschen, vor allem im
April, wenn das öffentliche Leben wahrscheinlich
für einen kompletten Monat stillsteht. Bereits im
März sind die Pkw-Neuzulassungen um 38 Prozent
auf 215 100 Fahrzeuge gesunken, teilte der Verband
der Automobilindustrie (VDA) am Freitag in Berlin
mit. Im ersten Quartal gingen die Neuregistrierun-
gen um ein Fünftel auf 701 300 Pkws zurück.
Auch in anderen europäischen Ländern sieht es
nicht viel besser aus. In Frankreich sind die Zulas-
sungszahlen im März um 72 Prozent eingebrochen,
in Spanien sah es mit minus 69 Prozent nicht viel
besser aus. In den USA ist die Krise inzwischen an-
gekommen. Dort verbuchten die VW-Händler im
März einen Rückgang von 42 Prozent.

Kapitalkosten als größte Last
„Wir haben nur 30 bis 40 Tage Zeit“, sagt Dirk
Weddigen von Knapp, Geschäftsführer des VW-
und Audi-Partnerverbands, in dem sich etwa 1 000
deutsche Händler zusammengeschlossen haben.
Wenn nicht eine schnelle Lösung für die Betriebe
gefunden werde, könnten bis zu 50 Prozent vom
Markt verschwinden. Die staatlichen Hilfen müss-
ten zügig ausgezahlt werden. Etwa dadurch, dass
die Förderbank KfW eine 100-prozentige Haftung
von Krediten übernehme. Das Geld würde schnel-
ler fließen, weil bei den Hausbanken dann kein Ge-
nehmigungsprozess mehr nötig sei.
Weil im Moment keine Autos mehr verkauft wer-
den können, werden die Kapitalkosten zur größten
Last für die Autohändler. „Hohe Bestände mit Kre-
diten vorfinanzierter Neuwagen füllen die Ver-
kaufsräume und Lager“, sagt Jürgen Karpinski, Prä-
sident des Dachverbands ZDK und selbst Volkswa-
gen-Händler im Großraum Frankfurt. „Dieses tote
Kapital legt sich als Schlinge um den Hals der mit
hohem Fremdkapitalanteil arbeitenden Händler“,
warnt der oberste Händlervertreter Deutschlands.
Bei Opel sieht es nicht anders aus. „Wir erleben
eine Vollbremsung“, konstatiert Peter Müller, Vor-
standssprecher des Verbands deutscher Opel-
Händler (VDOH), im Gespräch mit dem Handels-
blatt. „Unsere Showrooms sind seit mehr als zwei
Wochen geschlossen. Der Autoverkauf ist dadurch
fast auf null runtergegangen.“ Einzig die Werkstät-
ten in den rund 1 460 Servicestützpunkten seien
zum Teil noch bis zu 70 Prozent ausgelastet. „Aber
auch die Aufträge für Reparaturen und Wartungen
werden von Tag zu Tag weniger“, warnt Müller.
Aktuell sind die geschlossenen Zulassungsstellen
das größte Problem für den Autohandel. Damit
stockt der Verkauf auch der letzten Neuwagen, die

jetzt eigentlich an private Kunden und Unterneh-
men weitergereicht werden könnten. Bei Auto-
händlern stehen derzeit Tausende neuer oder ge-
brauchter Fahrzeuge, die an Kunden übergeben
werden müssten.
Kunden übernehmen und bezahlen die Autos
aber nur, wenn sie zugelassen werden können. Die-
ser höhere Fahrzeugbestand bindet wiederum Ka-
pital, das die Händler zum Überleben brauchen.
Die Autohersteller sehen das Problem ähnlich wie
die Händler. „Auch die Zulassungsstellen müssen
wieder arbeiten“, verlangt VDA-Präsidentin Hilde-
gard Müller. Nur dann werde ein Wiederanlaufen
der Produktion in den Autofabriken möglich.
Zunehmend schwierig ist auch die Übergabe ei-
nes Autos an Kunden, weil physische Kontakte der-
zeit deutlich reduziert werden sollen. Deshalb be-
reitet die Branche Konzepte vor, mit denen neue
Autos ohne persönlichen Kontakt zwischen Auto-
verkäufer und Kunden übergeben werden können.
„Wir arbeiten an einem Weg für die Zeit nach Co-
rona“, bestätigt Jürgen Stackmann, Vertriebsvor-
stand der Marke Volkswagen. Dazu gehörten kon-
taktlose Testfahrten, kontaktlose Verkaufsprozesse
und kontaktlose Fahrzeugübergaben. Auch wenn
die Beschränkungen im öffentlichen Leben wieder
gelockert würden, werde es später noch Restriktio-
nen geben, gerade auch im Autohandel.
Das oberste Ziel der Händler bleibt aber, so viele
Kunden wie möglich in ihre Showrooms zu locken.

Das wird künftig aber anders aussehen. „Die Mitar-
beiter werden wohl mit Handschuhen und Schutz-
decken die Wagen instand halten. Nach jeder Pro-
befahrt oder Reparatur muss das Fahrzeug zudem
desinfiziert werden“, sagt Opel-Händlervertreter
Müller. „Wir bereiten uns darauf vor, ausreichend
Desinfektionsmittel lagernd zu haben.“
Schon seit Jahren versuchen die Autohersteller,
den Internethandel stärker auszubauen. Das Coro-
navirus dürfte den Herstellern dabei wahrschein-
lich helfen. „Mein Team arbeitet an einem regel-
rechten Schub für die digitale Welt“, sagt VW-Vor-
stand Stackmann.
Auch den Händlern ist klar, dass die Coronakrise
den Erneuerungsprozess im Autovertrieb beschleu-
nigen dürfte. „Es wird eine massive Veränderung in
Richtung des digitalen Verkaufs geben“, sagt VW-
Audi-Händlerchef Dirk Weddigen von Knapp. Da-
mit zeichne sich eine stärkere Zentralisierung im
Fahrzeugvertrieb ab. Er macht sich allerdings keine
Sorgen, dass die Entwicklung zu mehr digitalem
Geschäft auf Kosten der Händler geht. Im neuen,
seit dem 1. April gültigen Händlervertrag von Volks-
wagen sei festgeschrieben worden, dass die Ver-
triebspartner bei jedem Onlinegeschäft des Wolfs-
burger Autoherstellers beteiligt würden.
Der Geschäftsführer des VW-Audi-Händlerver-
bands glaubt zudem nicht, dass die Autohersteller
die Coronakrise dazu nutzen werden, die Händler-
netze in Deutschland entscheidend zu verkleinern.

Autohändler

in Not

In der mittelständisch geprägten Branche drohen nach den


langen Schließungen viele Pleiten. Nach dem Ende der


Krise wird sich der Autohandel massiv verändern müssen.


imago/Joko

Das tote


Kapital legt


sich als


Schlinge um


den Hals


der mit


hohem Fremd -


kapitalanteil


arbeitenden


Händler.


Jürgen Karpinski
ZDK-Präsident

Unternehmen


& Märkte


MONTAG, 6. APRIL 2020, NR. 68
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„Nach der Krise wird jeder Standort und jedes ver-
kaufte Auto gebraucht“, sagt Weddigen. Dazu ge-
hörten auch die kleineren Handelsbetriebe auf
dem Land, deren dauerhafter Bestand vor der Co-
ronakrise am ehesten gefährdet schien. Zudem hel-
fe Volkswagen seinen Händlern mit verlängerten
Zahlungszielen und einer schnelleren Überweisung
der Jahresboni für 2019.
Erste Erfahrungen aus China zeigen, dass dort
das Interesse am eigenen Auto wächst. Denn ob-
wohl sich in der Volksrepublik die Lage gebessert
hat, gibt es unverändert eine Bedrohung durch das
Coronavirus. Das eigene Auto bietet im Unter-
schied zum öffentlichen Verkehr mit Bus und Bahn
mehr Schutz und Distanz. Das könnte auch in
Deutschland im späteren Verlauf des Jahres für ei-
ne Wiederbelebung der Autokonjunktur sorgen.
Bei den Preisen für Neuwagen dürfte es in den
kommenden Wochen nur eine Richtung geben:
nach unten. Wegen der schwachen Nachfrage wer-
den viele Hersteller um hohe Rabatte und Nach-
lassprogramme nicht herumkommen. Außerdem
könnte der Staat helfen. „Wir brauchen Stimulation
und Anreize für die Leute, damit sie nach der Iso-
lation wieder in die Autohäuser gehen und Autos
kaufen“, schlägt Stefan Wolf vor, Vorstandschef des
schwäbischen Autozulieferers Elring Klinger. Ver-
schrottungsprämien würden auch dazugehören.
Sie sind vielen Autofahrern noch bestens bekannt


  • aus der Zeit der Finanzkrise vor zehn Jahren.


Onlineverkäufe

Volkswagen sucht den Internetstar


D


ass er eines Tages mal Moderator sein
würde, hätte sich Wang Qi nie gedacht.
Denn eigentlich sei er, wie der 29-Jährige
von sich sagt, ein „ganz normaler Autoverkäu-
fer“, der vor einem Jahr in einem FAW-Volkswa-
gen-Autoladen im nordchinesischen Baoding zu
arbeiten begann. Doch seit Februar stellt sich
Wang jeden Tag nachmittags für mindestens zwei
Stunden vor eine Handykamera und spricht zu
rund 1 200 Zuschauern seines Livestreams.
„Ich erzähle etwas über die Modelle im Laden,
wie man die Reinigungsflüssigkeit für die Wind-
schutzscheiben wechseln kann oder wie
man das Auto anlassen kann, auch
wenn die Batterie im elektroni-
schen Schlüssel leer ist. Natür-
lich trägt er dabei immer
Mundschutz. So will das
nicht nur die Geschäftslei-
tung. „Wenn ich den nicht
trüge, wären die Zuschau-
er irritiert“, erklärt er.
Die Coronakrise ist auch
in China noch nicht ausge-
standen. Als die Epidemie im
Februar in China wütete, kam
fast die gesamte Wirtschaft des
Landes zum Erliegen. Läden wur-
den geschlossen, die Straßen waren
so gut wie leer gefegt. Auch die Auto-
branche erlitt schwere Einbrüche: Nach Anga-
ben des chinesischen Pkw-Verbands fiel im Febru-
ar die Zahl der verkauften Neuwagen um 80 Pro-
zent zum Vorjahr.
Doch während alle zu Hause sitzen mussten,
zeichnete sich der Boom einer anderen Branche
ab: das virtuelle Shoppen per Livestream und
Kurzvideos. Grundsätzlich sei das nichts Neues,
berichtet Michael Mayer, China-Vertriebschef von
Volkswagen. Auch vor dem Virus informierten
sich viele chinesische Kunden bereits online und
wickelten den Kauf dann im Laden ab. Aber mit
der Coronakrise habe sich ein Trend rund um
das kommerzielle Livestreaming, dessen Wert die
Finanzdienstleistungsfirma Zhongtai Securities
für 2019 in China auf 56 Milliarden Euro beziffer-
te, beschleunigt.
Während in Europa und Nordamerika das Live-
streaming hauptsächlich in der Gaming- und Un-
terhaltungsbranche verbreitet ist, schaute nach
Schätzungen der Marktforschungsfirma iiMedia
mehr als eine halbe Milliarde Menschen in China
Amateuren dabei zu, wie sie ihren Alltag per Vi-
deo für andere aufzeichneten. Die Hälfte von ih-
nen interessiere sich dabei vor allem für Shop-
ping-Kanäle. 40 Prozent davon wiederum hatten
sogar in der ersten Hälfte 2019 schon Ware ge-
kauft, die über Livestreaming angeboten wurde.
Und auch Plattformen wie Kuaishou und Dou -
yin, Bytedances chinesisches Pendant zur inter-
nationalen Version der Kurzvideo-App TikTok,
wo neben Kurzvideos auch Livestreams angebo-
ten werden können, erlebten während der

Zwangsquarantäne einen Boom. Laut Zahlen der
Beratungsfirma Questmobile nahmen ihre Nut-
zerzahlen während des chinesischen Neujahrs
um 35 Prozent auf 574 Millionen zu. Während
User 2019 nur durchschnittlich 78 Minuten täg-
lich auf den Apps verbrachten, waren es dieses
Jahr 105 Minuten.
Allein während der verlängerten chinesischen
Neujahrsfest-Ferien, als die meisten Chinesen Co-
ronabedingt zu Hause verweilten, konnte Aliba-
bas Livestreaming-Plattform mehr als 43 Prozent
neue Zuschauer gewinnen. Anfang April verkauf-
te der chinesische Internet-Star Luo Yong-
hao innerhalb eines dreistündigen
Livestreams Ware im Gesamtwert
von 14 Millionen Euro.
Von dem Trend versuchte
auch VW zu profitieren. Mit-
te Februar bot das Unter-
nehmen seinen Autover-
käufern zusammen mit
der „Taobao Universität“
des E-Commerce-Giganten
Alibaba einen Kurs an, um
mit sozialen Medien den
Umsatz zu verbessern.
VW-Vertriebsleiter Mayer
war vom Enthusiasmus der Ver-
käufer überrascht. So gut wie alle
seien bereit gewesen, sich auszuprobie-
ren. Rund 50 000 Autoverkäufer aus ganz Chi-
na machten an dem achtstündigen Kurs mit.
Auch Verkäufer Wang saß jeden Abend brav
vor seinem Rechner und ließ sich Schritt für
Schritt zu einem Internet-Star ausbilden. Wie
plant man den Dreh? Worauf kommt es beim Fil-
men an? Wie gestaltet man die Videos?
Nach einer Diskussion mit den Kollegen ent-
schied sich Wangs Laden, sich auf Videos mit Rat-
schlägen zu konzentrieren. „Wer lustige Videos
macht, kriegt zwar mehr Zuschauer, aber die
wollen keine Autos kaufen“, erklärt er. In der
Marktforschung, erklärt Mayer, habe VW festge-
stellt, dass die Zuschauer vor allem Details über
das Produkt abfragen, technische Details erklärt
bekommen wollen und unterschiedliche Versio-
nen des gleichen Modells vergleichen wollen. Zu-
dem könne man in den sozialen Medien wie Kua-
ishou und Douyin ein breiteres und jüngeres Pu-
blikum ansprechen und informieren.
Die größte Herausforderung aber ist, Zuschau-
er in zahlende Kunden zu verwandeln. Zwar ver-
suchen die Plattformen, das Einkaufserlebnis so
einfach wie möglich zu machen, indem sie auf
die Produktseite der Ware auf Taobao oder
JD.com verlinken, aber spätestens bei der Über-
weisung stößt man als Verbraucher auf die Ober-
grenze von 10 000 Yuan, also umgerechnet
knapp 1 300 Euro pro Transaktion.
Um dem abzuhelfen, bietet VW online Kredit-
verträge an. Sobald über die Plattformen die Ver-
bindung zur Partnerbank hergestellt worden sei,
könne die Bonität des Kunden abgefragt und eine
Zahlung eingeleitet werden.
Natürlich könne kein Digitalangebot das wirkli-
che Erleben ersetzen, meint Mayer. „Am Ende
wollen die Kunden das Auto dann doch mal füh-
len und riechen.“ Daher kann man natürlich
auch online Probefahrten buchen – auch hier
steige die Zahl der Nutzer deutlich.
Außerdem habe es geholfen, dass die Kunden
digital beraten werden konnten. Derzeit sei die
sogenannte Konversionsrate sehr hoch, erzählt
Mayer. Gemeint ist damit das Verhältnis zwi-
schen Besuchern, die einen Autoladen besuchen
und dann auch tatsächlich ein Auto kaufen. „Vie-
le Kunden, die jetzt zu uns kommen, haben
schon einmal unsere Livestreams und Kurz -
videos gesehen“, sagt auch Wang, der schüchtern
kichert, wenn er von seinen weiblichen Fans er-
zählt, die ihm jetzt treu auf seinem Livestream
folgen. Sha Hua

Online-Autoverkäufer
von FAW-Volkswa-
gen: Anleitungen für
kleine Reparaturen
per Livestream.

ddp/Gu dao - Imaginechina

Absatzeinbruch

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PROZENT


niedriger war die Zahl der verkauf-
ten Autos in China im Februar im
Vergleich zum Vorjahr.

Quelle: Pkw-Verband

Tesla-Showroom
in Berlin: „Uns er-
wartet eine lange
Durststrecke, die
wir durchzustehen
haben.“

Automarkt Deutschland
Zahl der monatlichen Pkw-Neuzulassungen

215 119 Pkws

HANDELSBLATT

Jan. 2007 März 2020
Quelle: KBA

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