Handelsblatt - 06.04.2020

(Martin Jones) #1
Dennis, Kevin und Vater Hubertus
Grote (v.l.): Das GOP Varieté will
die Krise ohne Kredite meistern.

GOP Varieté

Katrin Terpitz Düsseldorf

M

itte März feierte das Programm „La
Strada“ noch seine Uraufführung
im Münchener GOP Varieté an der
Maximilianstraße. Akrobaten,
Gaukler und Musikanten versetzten
das Publikum in die Straßen von Barcelona, Avignon
und Rom. 100 000 Euro kostete die Neuproduktion.
Doch wenige Tage später schlossen die Behörden das
Theater – wie auch die übrigen sechs festen Spielstät-
ten von GOP.
Die durch das Coronavirus ausgelöste Krise trifft
Europas größte Varieté-Gruppe schwer. „Von heute
auf morgen haben wir keine Einnahmen mehr“, sagt
Dennis Grote. Der 31-Jährige führt zusammen mit sei-
nem Vater Hubertus, 53, und Olaf Stegmann die Ge-
schäfte des Bielefelder Familienunternehmens. Bru-
der Kevin, 26, arbeitet ebenfalls im Bereich Varieté.
„Das ist ein herber Schlag für uns“, sagt Grote.
Die Corona-Maßnahmen machen den GOP-Thea-
tern nicht nur zu schaffen, weil die Einnahmen aus
Ticketverkäufen wegbrechen. Die Hälfte des Um-
satzes steuerte bislang die hauseigene Gastronomie
bei. 80 Prozent der mehr als 700 000 Gäste im Jahr
speisen vor oder während der Aufführung – meist
ein mehrgängiges Menü. Auch das Varieté-Pro-
gramm auf den Kreuzfahrtdampfern „Mein Schiff “
wurde gestoppt.
Normalerweise verkauft GOP für all seine Thea-
ter rund 2 000 Tickets am Tag – zum Stückpreis
von 24 bis 48 Euro. Bereits gebuchte Gäste erhalten
nun zur Entschädigung Gutscheine. Nur wenige
verlangten das Geld zurück, berichtet das Unter-
nehmen.
Familie Grote ist stolz darauf, dass ihr GOP Varie-
té bisher nie einen Cent Subventionen brauchte.
Aber nun kommt das Familienunternehmen nicht
umhin, seine rund 1 000 festen Mitarbeiter in
Kurzarbeit zu schicken. „Das hilft sehr“, betont
Dennis Grote, der als Hobbypilot starke Nerven
mitbringt.

Akrobaten sind kaum abgesichert
Besonders schwierig ist die Situation für Akroba-
ten, Clowns oder Conférenciers. Die freischaffen-
den Künstler erhalten als Soloselbstständige statt
Kurzarbeitergeld einmalige Soforthilfen. Auch Mi-
nijobber wie Kellner oder Putzkräfte haben keinen
Anspruch auf Kurzarbeitergeld. In Hannover wol-
len GOP-Varieté-Künstler und -Mitarbeiter ihre
Zwangspause nun als Erntehelfer und Einkaufshel-
fer für Senioren überbrücken.

Die laufenden Kosten für die Spielstätten in Han-
nover, Essen, Bad Oeynhausen, Münster, Mün-
chen, Bremen und Bonn zahlt das Familien -
unternehmen weiter aus eigener Kasse. Auf 47 Mil-
lionen Euro Jahresumsatz kamen die GOP-Theater
zuletzt. „Wir hatten ein gutes Weihnachtsgeschäft“,
sagt Geschäftsführer Stegmann. Wegen der Miet-
zahlungen befindet sich GOP in Gesprächen mit
den Immobilienbesitzern. Von einigen gibt es Zusa-
gen, die Miete nicht nur zu stunden, sondern für
drei Monate teilweise auszusetzen. „In solchen Zei-
ten zeigt sich, wer partnerschaftlich zu uns steht“,
sagt Stegmann. „Dafür sind wir sehr dankbar.“
Wolfgang Jansen vom Präsidium des Verbands
Deutscher Varieté Theater attestierte GOP vor Co-
rona „ausgeprägtes unternehmerisches Geschick“.
Hinzu komme der Mut, immer wieder neue Häuser
zu eröffnen. Der studierte Eventmanager Dennis
Grote etwa hat das Theater in Bremen im Alter von
25 Jahren als Direktor miteröffnet.
Zum Varieté kam Familie Grote eher durch Zu-
fall. Dennis’ Großvater Harry war ein erfolgreicher
Disco-Betreiber. Seinen Beruf als Autoschlosser
hatte er aus gesundheitlichen Gründen früh aufge-
ben müssen. War eine Diskothek erfolgreich, ver-
kaufte er sie und eröffnete die nächste.
1991 wurden er und sein Sohn Hubertus ange-
sprochen, den Georgspalast (GOP) in Hannover
wiederzubeleben. Der hatte bis Ende der 1960er-

Jahre ein Varieté beherbergt. Vor der Tanzveran-
staltung fürs ältere Publikum ließ die Familie Artis-
ten auftreten. Später konzentrierten sich Vater und
Sohn ganz aufs Varieté. Ein mutiger Schritt, aber
der Familie Grote gelang es, das Image des Varietés
zu entstauben. „Bei uns finden Sie Weltklassekünst-
ler, die sonst im Cirque du Soleil auftreten“, sagt
Hubertus Grote.

Nummer zwei nach Cirque du Soleil
Nach dem Cirque du Soleil ist GOP weltweit der
größte Arbeitgeber für Artisten. Den kanadischen
Zirkus mit 44 Produktionen auf dem gesamten Glo-
bus hat die Zwangspause durch Corona noch här-
ter getroffen. Rund 4 680 Mitarbeiter, 95 Prozent
der Belegschaft, mussten entlassen werden. „Wir
sind tieftraurig. Aber das ist die einzige Option, die-
se schwierige Situation zu überstehen und uns auf
spätere Wiedereröffnungen vorzubereiten“, sagte
Daniel Lamarre, Chef des Cirque du Soleil. Der Un-
terhaltungskonzern gehört heute Finanzinvesto-
ren. Laut Nachrichtenagentur Reuters erwägt der
Cirque du Soleil, der 900 Millionen Dollar Schul-
den haben soll, Gläubigerschutz zu beantragen.
Für privatwirtschaftlich betriebene Kulturveran-
stalter ist die Coronakrise eine Katastrophe. „Städ-
tische Theater und Varietés, die schon immer über-
wiegend von öffentlichen Subventionen leben,
werden bleiben“, sagt Dennis Grote. Von den priva-
ten Unterhaltungsbetrieben jedoch dürften die
meisten kleinen eine so lange Durststrecke nicht
überleben, schätzt der Varieté-Unternehmer. „Ich
befürchte einen Kahlschlag in der deutschen Kul-
turlandschaft.“
Auch Roncalli-Gründer Bernhard Paul sieht pri-
vate Kulturbetriebe in diesen Zeiten in Gefahr: „Es
gibt eine enorme private, nicht subventionierte
Kulturszene, die sich von diesem Kulturschock jah-
relang nicht erholen wird“, schrieb er jüngst in ei-
nem offenen Brief an NRW-Ministerpräsident Ar-
min Laschet (CDU).
Varieté-Unternehmer Dennis Grote sagt: „Die
Zwangsschließungen kosten uns richtig viel Geld,
aber wir sind zuversichtlich, dass wir heil durch-
kommen.“ GOP stehe auf gesunden Beinen. „Wir
sind bankenunabhängig und haben immer sehr
vorsichtig gewirtschaftet.“
Überbrückungskredite hat das Varieté noch
nicht beantragt. „Aber keiner weiß ja, wie lange die
Schließungen noch dauern.“ Der Unternehmer
hofft auf die Zeit nach der Krise: „Nach der Qua-
rantäne werden die Menschen umso hungriger auf
Unterhaltung sein“, ist er überzeugt.

Familie Grote


Salto


mortale


Europas größtes Varieté GOP kam


bislang ohne einen Cent Subventionen


aus. Nun sind die Theater dicht und


1 000 Mitarbeiter in Kurzarbeit.


In solchen


Zeiten zeigt


sich, wer


partnerschaft-


lich zu uns


steht.


Olaf Stegmann
GOP-Geschäftsführer

Familienunternehmen


des Tages


MONTAG, 6. APRIL 2020, NR. 68
44

Anna Alex

Einen Schritt weiter


I


n Tagen, wo aufgrund der Coro-
na-Pandemie ein Start-up nach
dem anderen Kurzarbeit oder
gar Insolvenz anmeldet, ist eine abge-
schlossene Finanzierungsrunde ein
echter Lichtblick. Den Seriengrün-
dern Anna Alex und Benedikt Franke
ist das gelungen: Für ihr Klima-Tech-
Start-up „Planetly“ haben sie gerade
5,2 Millionen Euro eingesammelt,
wie sie dem Handelsblatt mitteilten.
Planetly, zu Jahresbeginn gegrün-
det, entwickelt digitale Tools, mit de-
ren Hilfe Unternehmen ihre

CO 2 -Emissionen berechnen, reduzie-
ren und ausgleichen und natürlich
auch entsprechend damit werben
können. Das frische Geld kommt
vom Frühphasen-Venture-Capital-
Fonds Speedinvest, vom Fonds „468
Capital“ des Mesosphere-Gründers
Florian Leibert, von „Cavalry Ventu-
res“ sowie weiteren Business Angels.
Es soll vorrangig in die Erweiterung
des derzeit 20-köpfigen Teams sowie
in Softwareentwicklung fließen.
Auch wenn angesichts der Pande-
mie die Klimakrise nicht mehr das
beherrschende Megathema ist, sagt
Alex: „Sie ist und bleibt ja genauso
wichtig wie zuvor.“ Froh sind die
35-Jährige und ihr Co-Gründer den-
noch, dass sie die Finanzierung noch
Ende Februar, quasi vor Corona, ab-
geschlossen haben. Corinna Nohn

Anna Alex:
„Die Klimakrise ist
und bleibt wichtig.“

Outfittery

Berater Kerkhoff: Geschäft quasi
komplett zum Erliegen gekommen.

Kerkhoff Group GmbH

Mit Co-Gründer Benedikt
Franke sicherte sich die
35-Jährige erste Millionen für
ihr Klima-Tech-Start-up – kurz
vor der Coronakrise.

Gerd Kerkhoff

Die Rückkehr des


Patriarchen


Eines der bekanntesten
deutschen mittelständischen
Beratungsunternehmen
kämpft um die Existenz.
Öffentliche Hilfe ist angefragt.

Anja Müller, Hans-Jürgen Jakobs
Düsseldorf, München

E


in halbes Jahr lang war Gerd
Kerkhoff, 62, kaum in seiner
Düsseldorfer Beratungsfirma
gewesen. Die operativen Geschäfte
hatte er, nebst 30 Prozent der Antei-
le, Co-CEO Frank Wiethoff, 51, über-
lassen. Eine perfekte Nachfolgelö-
sung sollte Wirklichkeit werden.
Doch am vorigen Dienstag, 18 Uhr,
war der Gründer wieder präsent –
und wie.
Am 31. März, an dem eigentlich die
Gehälter eingehen sollten, teilte er in
einer virtuellen Schaltkonferenz den
110 Mitarbeitern Betrübliches mit.
Vom Wohnort am Tegernsee aus refe-
rierte der 40-Prozent-Gesellschafter
über die Folgen der Coronakrise im
eigenen Laden. Es ging um gestoppte
Projekte, angespannte Liquidität –
und um nunmehr nötige Solidarität.
Mit einem Schlag wurde offenbar:
Eines der bekanntesten deutschen
mittelständischen Beratungsunter-
nehmen kämpft um die eigene Exis-
tenz. In dieser Woche entscheidet
sich, ob die Kerkhoff Group rechtzei-
tig öffentliche Hilfen bekommt und
so einer Schieflage ausweichen kann.
Ausgerechnet der wiederholt mit
Preisen ausgezeichnete Spezialist,
der für seine Kunden Einkaufspreise,
Abläufe und Kosten optimiert, hat
nun Probleme mit der eigenen Orga-
nisation. Das folgt einerseits aus dem
Crash der Märkte, andererseits spielt
der Führungswechsel eine Rolle.
Der 2019 eingerückte Wiethoff
pflegt einen anderen Stil als Patriarch
Kerkhoff. Der einstige Regionalvor-
stand Ost des KPMG-Konzerns lager-
te etwa die Buchhaltung an eine ex-
terne Firma aus, was wohl zu Wirr-
warr und zur Nichtauszahlung von
Reisekosten führte – ein „Fauxpas“
Wiethoffs, so ein Mitarbeiter. So kam
es, dass er nun Freund und Feind

hat. Im März entsagte Heinz Scheve
der Geschäftsführung.
In einer E-Mail, die dem Handels-
blatt vorliegt, bilanziert Gerd Kerk-
hoff selbst den Stand der Dinge. Die
Situation brächte es mit sich, „dass
wir unseren Zahlungsverpflichtungen
nicht zeitgerecht nachkommen und
die März-Gehälter 2020 und Prämien
2019 nicht pünktlich auszahlen kön-
nen“, schreibt er. Man gehe davon
aus, den Zahlungsverzug der Gehäl-
ter bis spätestens 15. April beheben
zu können. Die Prämien 2019 wür-
den erst „nach überstandener Coro-
nakrise“ gezahlt werden können,
„geplant noch in 2020“. Bei den Rei-
sekosten hingegen seien „bereits alle
Maßnahmen initiiert, um alle ausste-
henden Reisekostenerstattungen bis
Ende dieser Woche auszuzahlen“.
Dem Handelsblatt gegenüber führt
der Diplom-Kaufmann aus, er habe
alle Unterlagen für einen der aktuell
ausgereichten Kredite der Staatsbank
KfW und seiner Hausbank, der Spar-
kasse Vest Recklinghausen, geschickt.
Mit ihr arbeite er seit 35 Jahren zu-
sammen, damals war er Manager ei-
ner Kaffeerösterei in Dorsten.

„Zeitraubender Prozess“
Man setze „auf die finanzielle Unter-
stützung der KfW“, so Kerkhoff. Das
sei aber, anders als von der Politik
dargestellt, „ein zeitraubender Pro-
zess“. Seit einigen Wochen sei das
Geschäft durch Corona „quasi kom-
plett zum Erliegen gekommen“, das
habe „uns in einen drastischen Liqui-
ditätsengpass getrieben“. Zuvor hätte
die Kerkhoff Group einen starken
Auftragseingang gehabt, „2020 wäre
vermutlich das beste Jahr unserer Fir-
mengeschichte geworden“. Nun sei
auch die Solidarität von Mitarbeitern
und Management gefragt: Deshalb
helfe er „jetzt persönlich mit Darle-
hen und Bürgschaften“.
Kommunikationsprobleme sind je-
doch kaum zu ignorieren. So hatte
Wiethoff im Intranet („Kerkhoff Wee-
kly“) stets eher allgemein über Coro-
na in der Wirtschaft räsoniert. Kein
Wunder, dass die Rückkehr des „Al-
ten“ das Personal ebenso verblüffte
wie der Fakt, dass innerhalb weniger
Wochen geschätzt 800 000 Euro für
Gehälter fehlen. Kerkhoff verweist
auf die Besonderheiten des Bera-
tungsgeschäfts: Größere Rücklagen –
etwa für den Kauf einer Maschine –
seien nicht nötig. Zudem sind einige
Topmitarbeiter beteiligt und lebten
auch von Ausschüttungen.
Im April wird sich Kurzarbeit ver-
meiden lassen, wenn tatsächlich die
Zusage von der Sparkasse kommt. Im
Mai aber greift bei Kerkhoff auch die-
se Maßnahme. Dann verschärft sich
der Überlebenskampf – mit Kerkhoff
als „Primus inter Pares“. Der sei ein
„Gründer, ein Macher, der intelligen-
te Dinge gemacht hat“, sagt ein Ex-
Manager.
Insolvenz sei „kein probates Mittel
der Unternehmensführung“, sagt der
Patron nur und hofft auf einen Bera-
terboom in der Zukunft: „Wir wollen
die Coronakrise überleben, das ist ei-
ne echte Managementaufgabe.“

Familienunternehmen des Tages


MONTAG, 6. APRIL 2020, NR. 68
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