Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

10 MEINUNG & DEBATTE Freitag, 27. März 2020


Trumps Iran-Politik


hat ihr Ziel verfehlt


Irans Gesundheitssystem steht in der Corona-Krisevordem Kollaps– wegen Versäumnissen


des Regimes und wegen der amerikanischen Sanktionen. Das soll te für die USA ein Anlass sein,


ihre Politik zu überdenken.Von Ulrich von Schwerin


Iran gehört zu den am schwersten vom Corona-
virus getroffenLändern. Kaum ein Staat wirkt so
überfordert von der Krise wie die IslamischeRepu-
blik. Dies liegt in erster Linie an der Inkompetenz
und dem Missmanagement desRegimes, das viel zu
spät auf die sich abzeichnende Epidemiereagiert
hat und lieberVerschwörungstheorien verbreitet,
als den Empfehlungen derWissenschaft zu folgen.
Verschärft wird die Krise noch durch dieSanktio-
nen der USA, denn dasVirus trifft auf eineVolks-
wirtschaft und ein Gesundheitssystem, deren Ab-
wehrkräfte massiv geschwächt sind.
Das Gesundheitswesen in Iran ist im Grunde
hochentwickelt, an qualifizierten Ärztinnen und
Krankenpflegern gibt eskeinen Mangel. Doch in
der Corona-Krise zeigt sich, wie dünndie Aus-
stattung der Spitäler ist. Nicht nur gibt es zu we-
nig Schutzausrüstung, Desinfektionsmittel und Be-
atmungsgeräte, auch wichtige Medikamente fehlen.
Einiges daran ist hausgemacht, doch hat es auch
viel mit den amerikanischen Sanktionen zu tun.
Seit demAusstieg aus dem internationalen
Atomabkommen mit Iran im Mai 20 18 hat der
amerikanische PräsidentTr ump eineVielzahlvon
Finanz- und Handelsbeschränkungen verhängt und
laufend verschärft. VomRevolutionsführer über die
Atomenergiebehörde bis zumAussenminister gibt
es kaum eine staatliche Institution, die nicht mit
Sanktionen belegt wäre. Dazukommen Strafmass-
nahmen gegen die Erdölindustrie, denBanken-
sektor und die Luftfahrtbranche.


Medikamente kaum erhältlich


Ob der Export vonTeppichen oder Pistazien oder
dieEinfuhr von Ersatzteilen für Flugzeuge – alles
unterliegt dem Sanktionsregime. Zwar versichert
Washington bis heute, dass sich die Strafmassnahmen
nicht gegen dasVolk, sondern ausschliesslich gegen
dieFührung inTeheran richten. Doch längst treffen
sie die gesamte Gesellschaft, da sie so breitangelegt
sind, dass dieAbwicklung von gewöhnlichenHan-
delsgeschäften mit demAusland kaum noch möglich
ist – auch wenn diese humanitärer Art sind.
Obwohl Medikamente, medizinische Geräte und
Lebensmittel von den Sanktionen ausgenommen
sind, zeigen Studien,dass sich das Sanktionsregime
negativ auf die Gesundheitsversorgung auswirkt.
Laut Human RightsWatch sind Medikamente für
die Behandlung von Krebs, Epilepsie und anderen
Krankheiten seitJahren nur noch schwer erhält-
lich. Mangels Zugang zu westlichen Produkten wei-
chen iranische Spitäler auf Medikamente minderer
Qualität aus. Auch der imJanuar mit Billigung der
USAeingerichtete Schweizer Zahlungskanal zur
Abwicklung humanitärer Geschäfte kann da kaum
Abhilfe schaffen.
DerUno-Generalsekretär António Guterres und
viele Experten fordern nun, in der Corona-Krise
die Sanktionen zumindest zu lockern. Sie verwei-
sen darauf, dass die USA früher bei Erdbeben und
anderen Katastrophen in Iran ihre Sanktionen aus-
gesetzt haben. Bisher hat dieRegierungTr ump aber
keine Anstalten gemacht, diesem Beispiel zu folgen.
Im Gegenteil, sie hat sogar neue Strafmassnahmen
verhängt.Dabei gibt es auch jenseits der Corona-
Krise gute Gründe, die Iran-Politik zu überdenken.


Regimewechsel als Ziel?


Mehr als vierJahrzehnte nach der Islamischen
Revolution von1979 drängt sich dieFrage auf,
ob die amerikanischen Sanktionen ihre Ziele er-
reicht haben.Tr ump begründet seinePolitik des
«maximalen Drucks» gegenüberTeheran mit des-
sen «bösartigem» und «destabilisierendem»Verhal-
ten in derRegion.Wie bei ähnlichen Strafmassnah-
men gegen Nordkorea,Russland oderVenezuela
gibtWashington an, dasLand damit zu einemPoli-
tikwechsel zwingen zu wollen.
Iran solle sich einfach wie eine «normale
Nation» verhalten, heisst es ausWashington. Doch
abgesehen von derFrage, was eigentlich «normal»
ist in einerRegion voller autoritärer, repressiver
Staaten, die ihreInteressen imAusland kaum weni-
ger aggressiv verfolgen als Iran, bleiben Zweifel, ob
Tr ump damit inWirklichkeit nicht einen «regime
change» anstrebt. SeineRegierung hat nie einen
Zweifel daran gelassen, dass sie eine Änderung des
Systems der IslamischenRepublik befürwortet.
Nun ist klar, dass sich auch die Mehrheit der Ira-
ner ein Ende desrepressivenRegimes wünscht und
dass auch Irans Nachbarländer eine Abkehr von
dessen aggressiverAussenpolitik begrüssten. Doch
neben derFrage, ob die USA dasRecht haben,
über die Staatsform andererLänder zu entschei-
den, stellt sich diejenige, ob ihre derzeitige Sank-
tionspolitik geeignet ist, einenRegimewechsel oder
auch nur eine Änderung derPolitik zu erreichen.
Zunächst ist festzustellen, dass die seit 20 18
verhängtenFinanz- und Handelsbeschränkungen
durchausWirkung zeigen.Nach demAusstieg der
USA aus dem Atomabkommen haben die meisten
westlichenFirmen Iran aus Angst vor den Sank-
tionen verlassen. Die Erdölexporte sind von einst
2,5 MillionenFass auf weniger als 130 00 0 Fass pro
Tag zurückgegangen, nachdem im Mai 20 19 die zu-
nächst gewährtenAusnahmen für Irans wichtigste
Abnehmerländer aufgehoben worden waren.


In derFolge sind nicht nur die iranischen Staats-
einnahmen eingebrochen,auch dieWährung hat
massiv anWert verloren, während die Inflation auf
mehr als 40 Prozent gestiegen ist. Nachdem dieWirt-
schaftsleistung imVorjahrbereits 4,9 Prozent ver-
loren hatte, ist sie 20 19 laut derWeltbankum 8,7 Pro-
zent zurückgegangen.Für die Bevölkerung hat das
dramatischeFolgen: Die Arbeitslosigkeit steigt, die
Kaufkraft schwindet, und der Lebensstandard sinkt.
Neben den humanitärenFolgen zeitigen die Sank-
tionen weitere problematische Nebeneffekte: Sie nut-
zen gerade denjenigen am meisten, die sie am här-
testen treffen sollen. Experten verweisen schon
lange darauf, dass dieRevolutionswächter von den
Sanktionen profitieren, da diese zurAusweitung des
Schwarzmarkts und des Schmuggels führen, die gross-
teils in der Hand der Militärs sind. Gemäss Schätzun-
gennehmen dieRevolutionswächterallein aus dem
Erdölschmuggel jährlich Milliarden von Dollars ein.

Gegendruck ausTeheran


Entsprechend hatten die Sanktionen bisher kaum
Auswirkungen auf dasVerhalten desRegimes.
Statt Zugeständnisse zu machen, reagiertTeheran
auf den Druck mit Gegendruck und gezielten An-
griffen.Tr otz dem Einbruch derWirtschaft und der
Staatseinnahmen baut dasRegime seinRaketen-
programm aus und verwendet Milliarden darauf,
seineVerbündeten in derRegion aufzurüsten.
Was kann derWesten dagegen tun? Gewiss ist
die Antwort nicht,grundsätzlichauf Sanktionen zu
verzichten.Das Waffenembargo und gezielte Sank-
tionen gegen einzelneVertreter desRegimes sind
gerechtfertigt undkönnen helfen, deren Hand-
lungsmöglichkeiten einzuschränken. Die umfas-
sendenWirtschaftssanktionen aber zeitigen nicht
nur problematische Nebeneffekte, sie führen auch
nicht zum Ziel. Die Corona-Krisekönnte nun ein

Anlass sein,diePolitik neu auszurichten. Statt
der illusorischen Hoffnung auf einenKollaps des
Regimes nachzuhängen,sollteTr ump endlich eine
transparente, international abgestimmte diplomati-
sche Strategie entwickeln. Solange er unrealistische
Maximalforderungen stellt wie die bedingungslose
Aufgabe der Urananreicherung, die Einstellung des
Raketenprogramms und den Stopp aller Militärhilfe
an den Hizbullah, die Hamas und die Huthi, wird
er nichts erreichen. Denn deren Erfüllung liefe auf
eine Kapitulation desRegimes inTeheran hinaus.
Stattdessen sollteTr ump Iran einrealistisches
Angebot machen, geknüpft an klare Bedingun-
gen: die schrittweiseAufhebung der allgemeinen
Finanz- und Handelssanktionen gegen die Be-
schränkung der Atom- undRaketenprogramme.
Ein erster Schrittkönnte dieWiederzulassung be-
grenzter Erdölexporte sein, wenn Iran dafür zum
Atomabkommen zurückkehrt. Als zweiter Schritt
wäre dieFreigabe des Zahlungsverkehrs denkbar,
wenn Iran Nachverhandlungen akzeptiert.
DerVorlauf zum Atomabkommen von 20 15 hat
gezeigt, dass dasRegime durchaus auf Sanktions-
druckreagiert, wenn ihm einAusweg geboten wird.
Um die Iraner nun zurRückkehr an denVerhand-
lungstisch zu bewegen, wäre eine Geste des guten
Willens hilfreich. Die Erleichterung der Importe
von Medikamenten wäre ein sinnvolles erstes Signal.
Denkbar wäre auch dieWiederzulassung der Liefe-
rung von Ersatzteilen für die marode iranische Flug-
zeugflotte. Eine solchePolitikkönnte diejenigen
Kräfte in Iran stärken, die auf Dialog, Kooperation
und Öffnung setzen und die durchTr umpskonfron-
tativenKurs geschwächt worden sind. Gewiss würde
sich Iran dadurch nicht zu einem freiheitlichen und
demokratischen Staat wandeln – dies zu erreichen,
liegt nicht in der Hand der USA. Doch dieFortfüh-
rung einer Sanktionspolitik, die die einfachen Bür-
ger trifft, die Hardliner stärkt und jederzeit zu einem
Krieg zu führen droht, istkeine Alternative.

Die Sanktionen


nutzen gerade denjenigen


am meisten, die sie


am härtesten treffen sollen:


Die Revolutionswächter


profitieren von der Ausweitung


des Schwarzmarkts


und des Schmuggels.


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