Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

Freitag, 27. März 2020 ZÜRICH UNDREGION 15


Singen und basteln nützt gegen den Lagerkoller

Damit Ihnen und Ihren Kindern tr otz Schulsperre wegen Corona die Decke nicht auf den Kopf fällt, haben wir einige Ideen aufgelistet


JOHANNA WEDL, KATJA BAIGGER


Im Kanton Zürich bleiben Kindergär-
ten, Schulen und Universitäten vorerst
geschlossen.Was anfangs für Kinder und
Jugendliche wie unerwarteteFerien ge-
wirkt haben mag, kann in einerFamilie
auf Dauer Spannungen und Streit aus-
lö sen. Grundsätzlich lässt sich feststel-
len: Je älter die Kinder sind, desto leich-
ter fällt es, den neuen Alltag zu bewälti-
gen. Eine Mutter berichtet, ihr 9-jähriger
Sohn brauche deutlich mehr Unterstüt-
zung als ihre 12Jahre alteTochter.
Experten empfehlen, weiterhin mög-
lichst einen strukturiertenAlltag zu pfle-
gen und zum Beispiel feste Zeiten für
Mahlzeiten einzuplanen. Hilfreich kann
es auch sein,sich mit anderen Fami-
lien auszutauschen. Nachfolgend einige
Ideen, wie sich Kinder, Jugendliche und
Erwachsene während der Corona-Krise
zu Hause beschäftigenkönnen.


„Backen.«Ein ganz klein wenig Süsses
kann viel Bitteres verschwinden lassen»,
meinte der italienische DichterFran-
cescoPetrarca schon im14. Jahrhun-
dert.Warum also nicht einenKuchen
backen? Bei NZZ Bellevue gibt es on-
line ein einfachesRezept für eine simple
Tarte au Chocolat. Kinder liebenauch
Muffins, die sie selbst verzierenkönnen.
Aus aktuellemAnlassverweisen wir auf
den «Coronabänz», die Inspiration dazu
haben wir aufTwitter gefunden.


„Basteln.Ein Teig lässt sich auch
für Bastelwaren herstellen, zum Bei-
spiel, umTiere aus Salzteig zu formen.
Mit Schere undPapier lassen sich Flug-
zeuge oder Schiffe gestalten,die durch
die Wohnung fliegen oder in derBade-
wanne (alternativ: imWäschekorb) zum
Segeltörn starten.Mit leicht abwaschba-
ren Farben bemalt manFenster farbig;
eine Gelegenheit, um auch gleich den
Frühlingsputz in Angriff zu nehmen.


„Haushalten. Kinder freuen sich,
wenn sie im AlltagAufgaben über-
nehmen dürfen – sie helfen gerne im
Haushalt (ja, es gibt solche!). Es muss
nicht gleich der alles umfassendeFrüh-
lingsputz sein, einmal mit dem Staub-
wedel über Simse undRegale wischen
reicht. Die vielen Sockenkönnen auf
dem Boden zu einem Memory ausge-
legt werden, und der Karton, der ent-
sorgt gehört, dient alsBaumaterial für
ein Häuschen. Auf demBalkon lassen
sich Blumenbeete anlegen oder Kräuter
setzen (wereine rasche Ernte will, kann
Kresse pflanzen). Auch auf denDach-


boden zu steigen oder in denKeller zu
gehen,lohnt sich,nicht nur zum Entrüm-
peln.Vergessenes Spielzeug findet neue
Verwendung. Oder die Kinder finden in
Mamis Sonnenhut oderPapis altemAn-
zug Inspiration fürRollenspiele. Lehr-
personen einer Stadtzürcher Primar-
klasse haben Eltern ein Merkblatt mit
verschiedenen Ideen zukommen lassen.
Darauf findet sich auch eine «Putzolym-
piade»: Pro erledigte Haushaltsaufgabe
erhalten dieTeilnehmer einen Punkt,
wer gewinnt, darf am Abend dasFern-
sehprogramm aussuchen.

„Heimtheater. Auch Theaterschaf-
fende sind derzeit an ihr Zuhause ge-
bunden.Viele von ihnen spornen derzeit
im Netz mit einfachen Mitteln zu krea-
tiver Tätigkeit an.Das Duo vom Mini-
theater Hannibal etwa bringt seit eini-
gen Tagen «Jim Knopf» in einer witzi-
gen,improvisiertenVersion viaYou-
tube oderFacebook in die hiesigen
Wohn- und Kinderzimmer. Von Mon-
tag bis Samstag, jeweils18 Uhr, erzäh-
len AndreaFischer Schulthess, künstle-
rische Leiterin desTheaters Millers, und
Adrian Schulthess aus ihrem «Dihei»

einen neuen «Schnifel» aus demRoman,
frei nach Michael Ende. Die Figurenund
Requisiten haben sie selber gebastelt.
Am Ende jeder Geschichte gibt es eine
Anleitung zum Nachmachen:Die Loko-
motive Emma kann man aus Büchsen
und Korken herstellen, der Scheinriese
Turtur wird ausPapier gefaltet.

„Singen und mitmachen.Gesang und
tanzen hebt die Laune. Die Zürcher Sän-
gerin Nelly Gyimesi, deren Musigzwer-
gli-Kurse und Mini-Discos aufgrund des
Coronavirus abgesagt wurden, präsen-
tiert online einenregelrechten Sing-und-
Tanz-Stundenplan für Kinder zwischen
zwei und achtJahren.Von Montag bis
Freitag streamt sie um 10 Uhr aufFace-
book und um16 Uhr 30 auf Instagram
live ihre Mitmachstunde, um 19 Uhr
gibt es ein Bettmümpfeli. EinYoutube-
Channel existiert ebenfalls.
Der Kinderliedermacher Andrew
Bond ausWädenswil hat auf seinerWeb-
site die interaktive Mitmachgeschichte
«Daheim mit dem Hamster» aufgeschal-
tet. Sie handelt davon, wie eineFamilie
mit der Krise umgeht. Jeden Werktag um
9 Uhr findet sich dort eine neue Episode,
die man anhören oder lesen kann. Kin-
der sind eingeladen, das Erzählte wei-
terzuschreiben und Zeichnungen oder
Fotos von Gebasteltem einzusenden.

„Sport treiben. Damit Bewegung
ohne schulischen Sportunterricht nicht
zu kurzkommt, stellt das Sportamt der
Stadt Zürich einenYoutube-Kanal mit
Videos für Schülerinnen und Schüler
zumTurnen in den eigenen vierWänden
bereit. Ab sofort stehen 40Videos zum
Nachmachen zurVerfügung. Das Ange-
bot wird laufend erweitert,Trainerinnen
und Sportler könnenVideos einsenden
(es gibt sogar einTutorial, wie man am
besten filmt).EinRedaktionsteam sorge
dafür, dass Kondition, Koordination und
Beweglichkeit abgedeckt würden,heisst
es in einem Communiqué.
An die frische Luft zu gehen, bleibt
trotzdem wichtig. In vielen Gemeinden
gibt esVitaparcours-Angebote. Auch
Velofahren oder Skateboarden bie-
tet Abwechslung. Zu beachten gilt es
bei den Outdoor-Aktivitäten, dass man
sich in kleinen Gruppen aufhält (maxi-
mal fünfPersonen) und dieRegeln des
Bundesamtes für Gesundheit betreffend
ausreichend Distanz zu anderen Men-
schen befolgt.

„Postkarten schreiben.Ein Tipp für
all e, die Freunde oder Grosseltern arg
ve rmissen: Die SchweizerischePost er-

hält ihren Betrieb aufrecht. Mittels
Smartphone-App kann täglich eine digi-
tale Gratispostkarte verschickt werden.
Über eine von Hand geschriebene Karte
oder ein Couvert, in dem ausnahms-
weise einmalkeine Rechnung steckt,
freut sich jede und jeder.
Drei Künstlerinnen aus einem Zür-
cher Atelier, genannt Neumarkt, bieten
einen besonderen Service. Sie gestalten
unentgeltlich künstlerischePostkarten.
Es gilt, ein SMS mitText «MARKE»
an die Nummer 414 derPost zu senden.
Daraufhin erhält man einen SMS-Code,
den man in ein Internet-Formular auf
derWebsite desAteliers eintragen kann.
Bald wird sich ein kleinesKunstwerk auf
den Weg zu einem selber machen oder
zu einer ausgewähltenPerson.

„Übriges.Kulturelle Programme blei-
ben in virtuellerForm bestehen, ob-
wohl die bekannten Häuser längst ge-
schlossen sind. Bibliotheken machen
ihre Medien im Internet zugänglich,
der Zürcher Kinderbuchladen bedient
seineKunden online oder viaWhatsapp.
Es gibt Museumstouren, auf Google
Arts and Culture sind auch Schweizer
Museen wie dieFondation Beyeler ver-
treten.Künstler, unterihnen der Schrift-
stellerThomas Meyer, lesen aus ihren
Wohnzimmern. Hauskonzerte bietet
der russisch-deutsche Pianist Igor Levit.
Man muss nicht Starpianist werden,
aber die Zeit lässt sich nutzen, um ein
neues Instrument zu lernen.Firmen
wie Musik Hug liefern zum Beispiel
E-Pianos nach Hause, Applikationen
auf dem Smartphone ersetzen den Leh-
rer. Bei Youtube findet man Anleitun-
gen, wie man eine neue Sprache lernen
kann, wie man den Einstieg in dieWelt
des Programmierens findet oder selbst
ein Stofftier strickt – die Möglichkeiten
sind grenzenlos. Bildung lässt sich über
den Bildschirm abholen.Das Schwei-
zer Fernsehen SRF hat sein Angebot
für Schülerinnen und Schüler ausgebaut.
Es ist wichtig, das Sozialleben auch in
dies en Zeiten bewusst zu pflegen. Nur
wie? Eine Möglichkeit ist, mobileTele-
fondienste wie Facetime oder Skype
samt Videoübertragung in Echtzeit
zu nutzen oderFotos undVideos mit
dem Mobiltelefon hin- und herzuschi-
cken.Auch Aufenthalte auf dem Spiel-
platz sind noch erlaubt – sofern ausrei-
chend Distanz vor allem zwischen den
Erwachsenen eingehalten bleibt.Versu-
chen Sie, Kinder zu sensibilisieren. Sie
lernen auch durch Beobachten, und das
kann aus sicherer Entfernungebenfalls
spannend sein.

Endlich Zeit, um dieFenster im Kinderzimmer zu bemalen. ANNICK RAMP / NZZ

Als Lastwagenchauffeur für Risikogruppen unterwegs


Im Kanton boomt die Freiwilligenarbeit – das spontane Engagement hat aber eine Kehrseite


DOROTHEEVÖGELI, RETO FLURY


Wer zu einer Risikogruppe gehört,sollte
nicht mehr aus dem Haus gehen. Insbe-
sondere der älteren Bevölkerung bie-
te n deshalb viele Zürcher Gemeinden
Unterstützung und Beratung bei der Be-
schaffung von Lebensmitteln, Medika-
menten und Artikeln des täglichen Be-
darfs an. Bereits letzteWoche hat die
Stadt Zürich Seniorinnen und Senio-
ren aufgerufen, sich unter derTelefon-
nummer 044 41200 60 Hilfe zu holen.
Thalwil hat ebenfalls eine Hotline
eingerichtet (044 723 2419). Verwal-
tungsangestelltekoordinieren die An-
fragen von Hilfesuchenden mit freiwil-
ligen Gruppen, wie die Gemeinde mit-
geteilt hat. Mit dem neuen Angebot will
Thalwil über 65-Jährigen sowie Men-
schen mit Vorerkrankungen ermög-
lichen, zu Hause zu bleiben. Die Schul-
sozialarbeit betreibt zudem einenTele-
fondienst, um Familien zu entlasten.
Kantonsweit haben sich viele Grup-
pierungenund Vereine formiert, die sich
für Spaziergänge mit dem Hund, Boten-
gänge und Einkäufe zurVerfügung stel-
len. In denTreppenhäusern von Mehr-


familienhäusern haben Private Zettel
aufgehängt,auf denen sie Hilfe anbie-
ten.Auch aufFacebook werden die Men-
schen aktiv: Der StadtzürcherSVP-Ge-
meinderat Emanuel Eugster zum Bei-
spielbiete t seine Dienste als Chauffeur
von Lastwagen oderRettungswagen an–
ohne Entlöhnung, wie er festhält.
Bei den offiziellen Nachbarschafts-
hilfen melden sich viele neueFreiwil-
lige, wie die Nachbarschaftshilfe Zürich
schreibt. Damit sich Helfende und
Unterstützte nicht gegenseitig anste-
cken, hat sie für dieFreiwilligenVor-
sichtsmassnahmen ins Netz gestellt.

Plötzlich 40000 neueNutzer


Seit kurzem ist am linken Zürichseeufer
die Facebook-Gruppe «Covid-Nothilfe»
aktiv, die ebenfalls Helfende und Hilfe-
suchende miteinander verbinden will.
Wie die meisten Initiativen wendet sich
die Gruppe nicht nur an über 65-jährige
Menschen, sondern auch an Medizinal-
personen oder Eltern,die ihre Kinder zu
Hause betreuen. Die StadtWinterthur
hat ihre eigene App um einPortal für
Nachbarschaftshilfe erweitert, auf dem

man sichmit einer Mailadresseregistrie-
ren kann.
Bereits vor der Corona-Krise wurde
die App «Five up» zurKoordination
von Freiwilligenarbeit entwickelt. Mit
der kostenlosen, vom Schweizerischen
Roten Kreuz und von der Schweizeri-
schen Gemeinnützigen Gesellschaft
unterstützten AppkönnenFreiwillige
nach Anfragen von Hilfesuchenden in
ihrer Nähe suchenund diese annehmen.
Anders als bei Gruppen aufFacebook
und Whatsapp lässt sich direkt einse-
hen, wo Hilfe benötigt wird und wo sich
schonPersonen gemeldet haben.
Die Macher der App verzeichneten
letzteWoche rund 40000 neue Nut-
zerinnen und Nutzer. Nach der ersten
Welle von Downloads stieg auch dieAn-
zahl Vermittlungen von Unterstützungs-
angeboten stark an.Rund 1900 Mal
habe man Hilfe vermittelnkönnen, sagt
der Projektkoordinator Lukas Streit.
Ging es anfangs vor allem um die Kin-
derbetreuung , sind jetzt dieEinkäufe für
Risikogruppen das Hauptthema.
Dabei wenden die Nutzer die App
nicht mehr nur für den Zweck an, den
die Entwickler imAuge hatten. Ur-

sprünglich sollten hilfesuchendePerso-
nen ihr Anliegen veröffentlichen, wor-
auf sich Helfer meldenkonnten. Inzwi-
schen gibt es laut Streit aber sehr viele
Hilfsangebote, was der Übersichtlichkeit
abträglich ist. Daher sind die Entwick-
ler daran, mit zusätzlichenFiltern die
Angebote einfacher auffindbar zu ma-
chen. Streit ruft zudemTöchter, Söhne
und Grosskinder dazu auf, Angebote in
der Nähe ihrer Eltern oder Grosseltern
zu prüfen undso eine Brücke zwischen
analoger und digitalerWelt zu schlagen.
Denn älterePersonenerreiche man mit
dieserTechnologie nicht sehr gut.

Die Polizeiwarnt vor Betrügern


«Five up»rät ihren Nutzern, diePerso-
nen hinter den Hilfsangeboten zu prü-
fen, um Betrügereien zu vermeiden.
KonkreteFälle sind Streit zwar nicht
bekannt. Die Befürchtung, dass dubiose
Figuren die Krise ausnützenkönnten,
ist aber nicht aus der Luft gegriffen,
wie Medienmitteilungen der Stadtpoli-
zei Zürich zeigen. Sie rief dazu auf, Un-
bekannten den Eintritt in dieWohnung
zu verweigern und ihnenkein Bargeld

auszuhändigen.Laut Communiqué bo-
ten Unbekannte an der Haustüre älte-
ren Menschen an,für sie Einkäufe zu er-
ledigen, damit sie sich nicht unnötig in
Gefahr begeben müssten. Sie verlang-
ten einen Einkaufszettel sowieBargeld
und versprachen,bald zurück zu sein.Es
stellte sich dann rasch heraus, dass die
älteren Menschen Opfer von Betrügern
geworden waren, die sich nie mehr bli-
cken liessen. Eine andere Masche war,
dass sich Leute mit Mundschutz an der
Haustüre meldeten und angaben, dass
sie von einem Amt beauftragt worden
seien,dieWohnung zu desinfizieren.Wie
die Polizei schreibt, wurden sie glück-
licherweise nicht hineingelassen.

Mitteilung des Verlags


Aufgrund desVersammlungs-
verbots wegen des Coronavirus
verzichten wir bis mindestens


  1. April2020 darauf, kirchliche
    Veranstaltungen zu publizieren.
    Wir bitten umVerständnis.


https://myldl.biz
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