Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

Freitag, 27. März 2020 WIRTSCHAFT 17


Seine Videokonferenz-S oftware hat den Zo om-Gründer


Eric Yuan zum Milliardär gemacht SEITE 18


Die Corona-Krise sc hlägt mit voller Wucht


auf den amerikanischen Arbeitsmarkt durch SEITE 19


Gezielter Schulden erlass für Härtefalle


Das Konzept des Bundesrats mit Notkrediten für KMU ist weit günstiger als die von Kritikern geforderte Subvention per Giesskanne


HANSUELI SCHÖCHLI


BeimFeuerlöschen denkt man kaum an
möglicheWasserschäden. Ähnlich läuft
es derzeit mit dem Hilfsprogramm des
Bundes für Angestellte, Selbständige
und Betriebe. Der Bund hat sozusagen
die Rezession verordnet und will dafür
mit einer grossflächigen Geldflut die
Einbrüche der Einkommen zu erheb-
lichenTeilen kompensieren.


Weiterer Ausbauin Diskussion


Die Hilfsinstrumente sind im Zusam-
menspiel zu sehen. Die Löhne der
meisten Angestellten sind vorderhand
dankKurzarbeitsentschädigungen und
Arbeitslosengeldern grossenteils ge-
sichert. Der Bundesrat hat die Arbeits-
losenversicherung (ALV) nun innert
drei Wochen schondreimal ausgebaut;
weitereAusbauschritte sind in Diskus-
sion. Bis diesen Donnerstag sind be-
reits von 42000UnternehmenAnträge
auf Kurzarbeitsentschädigung für total
570 000 An gestellte eingetroffen. Lan-
desweit sind laut Bund schon 11% aller
Erwerbstätigen betroffen, imTessin ist
es bereits etwa ein Drittel.Für Co rona-
geschädigte Selbständige, die von der


ALV nicht erfasst sind, bringt derweil
die neugeschaffene Erwerbsersatzleis-
tung Linderung. Manche Betroffene
kritisieren, dass dies nichtreiche. So
gilt die neue Sozialleistung für Selb-
ständige nur für Direktbetroffene staat-
licher Entscheide etwa wegenLaden-
schliessungen.
Nicht abgedeckt sind die Opfer von
«Sekundäreff ekten» der Corona-Krise.
Indirekt betroffen sind breiteTeile der
rund 330 000 Einzelunternehmen in
der Schweiz:Taxifahrer, Grafiker, Bera-
ter , Drucker und, und, und. Der Bund
schätzt grob, dassrund 60 000 Selb-
ständige die neue Sozialleistung bean-
spruchen dürften, was pro Monat etwa
270 Mio. Fr. kosten könne. Fo rderun-
gen nach einemAusbau auf indirekt be-
troffene Unternehmen sind oft zu hören
und beim Bund in Diskussion. Ein sol-
cher Ausbaukönnte dasVolumen der
neuen Sozialleistung vervielfachen.
Massive Kritik ist auch von Ge-
schäftsinhabern von Aktiengesellschaf-
ten oder anderen juristischenPerso-
nen zu hören. Sie haben zwar neu eben-
falls Anspruch aufKurzarbeitsentschä-
digung, doch die festgelegtePauschale
von netto 3320Fr. pro Monat ist laut Be-
troffenen viel zu tief.

Hinter solchen Ausbauforderun-
gen steckt der Gedanke, dass der
Bund den Unternehmen quasi flächen-
deckend ohneRücksicht auf dieKos-
ten Einkommenseinbussenkompensie-
ren solle. Doch Betroffene haben auch
noch Zugang zu anderen Unterstüt-
zungskanälen.Dazu gehören nicht nur
die Hilfsprogramme von Kantonen und
Gemeinden, sondern auch der diesen
Mittwoch vom Bundesrat beschlossene
Zugang für Corona-geschädigte KMU
mit Liquiditätsengpässen zu günstigen
Bürgschaftskrediten bei denBanken.
Mit Ausnahme gewisserJungunter-
nehmen ist diese Liquiditätsüberbrü-
ckung auf 10% desJahresumsatzes des
betroffenen Betriebs beschränkt. Die
Idee hinter dieserLimite ist laut Bun-
desangaben, dass betroffene Betriebe
unter gewissen Annahmen mit diesem
Kredit etwa drei Monate überbrücken
können. Dies würde dann etwa zutref-
fen, wenn rund zwei Drittel der bisheri-
gen Betriebskosten nun durch Sozial-
leistungen gedeckt sind (Lohnersatz)
oder wegfallen, etwa weil vorderhand
keine Einkäufe mehr nötig sind oder die
Geschäftsmietereduziert wird.
Das Kreditprogramm soll zusammen
mit den beschlossenen Sozialleistun-

gen eineKonkurswelle vonFirmen ver-
hindern, die an sich ein tragfähiges Ge-
schäftsmodell haben, aber durch den
nicht voraussehbaren Corona-Schock
unverschuldet in Liquiditätsnöte geraten.

AufgeschobeneKonkurse?


Im Prinzip kann das neue Kreditpro-
gramm dafür ein zielgerichtetes Instru-
ment sein. Wer ein tragfähiges Ge-
schäftsmodell hat, hat gute Chancen,
einen solchen Kredit in den folgenden
fünf bis maximal siebenJahren wie-
der zurückzahlen zukönnen.Kritiker
befürchten allerdings, dass viele KMU
dazu nicht in derLage sein werden.
Demnach leben viele kleinere Betriebe
von der Hand in den Mund – die Ein-
nahmenreichen knapp für die Betriebs-
kosten und für den Lebensunterhalt
des Eigentümers. Die Liquiditätshilfe
schiebe in solchenFällen den Konkurs
nur auf und führe zur Überschuldung.
Dieskönne Betriebe davon abhalten,
di e Liquiditätshilfe überhaupt in An-
spruch zu nehmen. In dieser Lesart ist
es wenig sinnvoll, auf derRückzahlung
von Liquiditätshilfen zu beharren und
damit die Betroffenen in denKonkurs
und die Sozialhilfe zu treiben.

Diese Botschaft hört man zumTeil
von Unternehmensvertretern undPoli-
tikern. Mehr oder weniger offen wird in
Bundesbern auch schon inAussicht ge-
stellt, dass der Bundin H ärtefällen die
Kreditschuld erlassenkönnte. Eine von
Kritikern oft genannte Alternative zum
vorliegenden Programm wäre der Ersatz
von Darlehen durch nicht rückzahlbare
Direktzahlungen.Dies schlagen gewisse
KMU-Vertreter und in einem neuen
Papier auch sechsWirtschaftsprofesso-
ren der Universität Zürich vor. Die Idee
ist hier imWesentlichen die Deckung
der Fixkosten von Corona-geschädig-
ten KMU über die schon abgedeckten
Lohnkosten hinaus.
Eine solche Giesskannensubvention
käme jedoch weit teurer als ein gezielter
Schuldenerlass inHärtefällen.Allerdings
hat auch das vom Bundesrat beschlos-
sene Konzept der Bürgschaftskredite mit
Aussicht aufAusnahmen seine Nach-
teile:Für Firmen mit geringenRück-
zahlungschancen ist die Unsicherheit
erheblich, und die unterschiedliche Be-
handlung von Härtefällen und anderen
Kreditnehmern kann man als ungerecht
empfinden. Was in jedemPolitikbereich
gilt, gilt auch hier: DerFünfer und das
Weggli sind nicht gleichzeitig zu haben.

Tristesse allenthalben: eingewickelte Stühlevor einemRestaurant an de r Zürcher Langstrasse. ANNICK RAMP / NZZ

Banken vergeben Firmenkredite im Akkord


Inhaber gewisser KMU haben nun zum erst en Mal Schulden


ERMESGALLAROTTI, DANIEL IMWINKELRIED


Das Kreditprogramm für Corona-ge-
schädigte kleine und mittlere Unter-
nehmen ist am Donnerstagmorgen er-
folgreich gestartet.Tausende von Unter-
nehmen haben online Anträge für Kre-
di te der erstenFazilität (bis 500000 Fr.)
ausgefüllt, und das Geld ist umgehend
ihremKonto gutgeschrieben worden.
Weil diese zu 0% verzinstenDarle-
hen vollumfänglich vom Bund garan-
tiert werden, verzichten dieBanken
weitgehend auf eine Prüfung der Boni-
tät des Schuldners. Ziel ist es, Betriebe
unbürokratisch und schnell mit Liquidi-
tät zu versorgen. Die Instituterechnen
damit, dass die Nachfrage nach Krediten
der zweitenFazilität (über 500 000 Fr.)
erst in denkommendenWochen richtig
einsetzen wird.Weil dieBanken15%
des Ausfallrisikos übernehmen müssen,
benötigt die Überprüfung der Anträge
mehr Zeit,so dass es einigeTage dauern
wird, bis das Geld verfügbar ist.
Allgemein gehen die Institute davon
aus, dass dieKurve der Kreditanfragen
einen ähnlichenVerlauf nehmen wird
wie jene der Corona-Erkrankungen.
Sie rechnen mit einem Anstieg in den
nächstenTagen, bis in einer nicht näher
abgrenzbaren Zukunft der Gipfel er-
reicht sein wird.Danach werden die Ge-
suche für «kleine» Kredite, so das Szena-
rio, sukzessive zurückgehen.


Banken gutvorbereitet


Verzögert ist mit einem ähnlichen,
wenn auch flacherenKurvenverlauf bei
den Krediten über 500000 Fr. zu rech-
nen.Weil dieBanken vor dem Start des
Kreditprogramms ihre Prozesse auf
die neuen Erfordernisse ausgelegt und
zusätzliche Ressourcen bereitgestellt
haben,ist es lautAndreas Gerber, Leiter
des KMU-Geschäfts der Credit Suisse
(CS), zukeinen nennenswerten Fla-
schenhälsen gekommen. Der Andrang
konnte ohne gröbere Probleme bewäl-
tigt werden.
Man benötige, so sagt einVertreter
der LuzernerKantonalbank,keine Kre-


ditexperten,um die Gesuche abzuarbei-
ten.Das Institut setzt dafür neben ande-
ren Schalterangestellte ein, die derzeit
ihrer gewohntenArbeit nicht nachgehen
können. Die CS beispielsweise hat laut
eigenen Angaben bereits kurz nach 8
Uhr den ersten Kredit ausbezahlt. Bis
9 Uhr 30 hat die Zahl der Anträge auf
über 1000 zugenommen, und bis13 Uhr
hat dieBank weit über 2600 Kredit-
begehren bearbeitet, grossmehrheitlich
der erstenFazilität.
Bei der UBS, der grösstenBank der
Schweiz, waren bis zum Mittag unge-
fähr 3000 Kreditgesuche aus der ganzen
Schweiz eingetroffen,bis zumAbend hat
sich diese Zahl dann verdoppelt. Kleine
Firmen seien vor allem darauf erpicht,

mit einemDarlehen laufendeKosten zu
decken, etwaRechnungen zu begleichen
oder Löhne zu bezahlen,sagt eineVer-
treterin des Instituts. Das Hilfsprogramm
des Bundes und derFinanzbranche ist
dahergerade zur richtigen Zeit gekom-
men. In diesenTagen müssen die Unter-
nehmen die Märzlöhne bezahlen, und
das kann sich für diejenigen von ihnen als
schwierig erweisen, die einen abrupten
Einbruch der Nachfrage erlitten haben.
Allerdings fragt es sich, ob es weit-
sichtig ist, mit einem Kredit Saläre zu
bezahlen.Falls dieFirmen den Betrieb
für lange Zeit einstellen müssen, laufen
sie Gefahr, dass sie vom Liquiditätspro-
blem in einigen Monaten wieder einge-
holt werden. Offenbar dienen dieDar-

lehen des Programms aber auch dazu,
die Zeit zu überbrücken, bis dieKurz-
arbeitsentschädigung eintrifft. Schweiz-
weit gibt es dafür mittlerweile 570 000
Anträge bei den kantonalen Behörden.

Falschausgefüllte Formulare


Die CS hat von den 2600 Gesuchen
immerhin 620 vorerst abgelehnt, vor-
nehmlich weil das Antragsformu-
lar falsch oder nicht vollständig aus-
gefüllt war, die antragstellendenFir-
men inaktiv waren oder bankinterne
Compliance-Warnlampen aufleuchte-
ten. Zur Erinnerung: Die CS zählt rund
100 000Firmen zu ihrenKunden, wobei
in dieser Zahlauch ausländischeAdres-

sen enthalten sind, die nicht am Pro-
gramm teilnehmen dürfen. Der durch-
schnittlich gesprochene Kreditbetrag
stellte sich laut weiteren Angaben auf
150 000 Fr. bis 200000 Fr.
Etwas ruhiger ist es offensichtlich im
Verbund derRaiffeisenbanken geblie-
ben. Laut Urs Gauch,Firmenkunden-
chef vonRaiffeisen Schweiz, gaben die
239 Raiffeisenbanken bis um15 Uhr
rund 300 Kreditzahlungen an KMU
aus, wobei sich der zugesprochene Be-
trag zwischen 100000 Fr. und 150 000
Fr. bewegte. Die Raiffeisenbanken be-
treuen zusammen etwas über 200 000
Firmenkunden.Ein Grund für das nied-
rige re Anfangstempoist wohldie ge-
nossenschaftliche Struktur, in der jede
Bank ihre Kreditgesuche eigenhändig
bearbeitet.
Eher unter den Erwartungen hielt
sich der Andrang auch bei der Grau-
bündner Kantonalbank. GemässTho-
mas Roth, Mitglied der Geschäfts-
leitung, hattenbis 15 Uhr rund 250
KMU von potenziell 9000 bis 10 000
Betrieben ein Kreditgesuch eingereicht.
Die Anträge, die nahezu ausnahmslos
bewilligtwurden,stammen vornehmlich
aus den BranchenTourismus, Gastrono-
mie, Detailhandel und Kleingewerbe.
Mehr oder weniger aus denselben
Branchenkommen die Antragsteller
bei der ZürcherRegionalbank Areva.
«In derRegel handelt es sich um Inha-
ber von Unternehmen, die auf Geheiss
der Behörden ihren Betrieb schliessen
mussten», sagt BankchefRolf Zaugg.
Die Spanne der beantragten Kredite
liegt zwischen 7000 und 460000 Fr.,
wobei sich derDurchschnittsbetrag auf
110 000 Fr. beläuft.
Dabei fällt auf, dass 80% der Ge-
suche vonKunden stammten, die bis-
her bei derBank Areva zwar einTrans-
aktionskonto besessen, aberkeine Dar-
lehen ausstehend hatten. Vor Ausbruch
der Coronavirus-Pandemie waren sie
also ohne Kredit über dieRunden ge-
kommen. Nun plötzlich mit Schulden
dazustehen, dürfte für viele Kleinunter-
nehmereine Erfahrung sein, mit der sie
sich schwertun.

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