Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

18 WIRTSCHAFT Freitag, 27. März 2020


Dank Videokonferenzen zum Millia rdär

Zoom-Gründer Eric Yuan ist nicht erstseit dem Home-Office-Boomein gemachter Mann – doch seine Software hat Tücken


STEFAN BETSCHON


Video-Conferencingboomt. Der durch
das Coronavirus erzwungeneRückzug
ins Home-Office hat die Nachfrage nach
internetbasierten, multimedialenTele-
kommunikationslösungen explodie-
ren lassen. Microsoft und Cisco haben
seitAusbruch derPandemie in einigen
Märkten bei derDauer derVideokonfe-
renzen eine Zunahme im hohen dreistel-
ligen Prozentbereich beobachtet.Auch
die Zahl der Neuanmeldungen hat sich
stark erhöht, Cisco beispielsweise nennt
hier für dasWebex genannte Produkt
ein Wachstum von rund 700 Prozent.


PlötzlichePopularität


Die meisten Anbieter vonVideokon-
ferenz-Software vermarkten ihre Pro-
dukte auf derBasis eines «Freemium»-
Geschäftsmodells: EinfachereFormen
der Nutzung sind gratis, anspruchsvol-
lere Zusatzfunktionen müssen bezahlt
werden. Sowohl Cisco wie auch Micro-
soft haben dieserTage aus aktuellem
Anlass den Leistungsumfang ihrer Gra-
tisangebote erweitert.
Von der zunehmenden Nachfrage
nachKommunikationssoftware profi-
tiert auch das kalifornische Unterneh-
men Zoom Video Communications.
Das Unternehmen wurde 2011 von
ehemaligen Cisco-Mitarbeitern gegrün-
det und 2019 mit grossem Erfolg an die
Börse gebracht.Durch diesen Börsen-
gang wurde EricYuan, der Gründer und
CEO des Unternehmens, mit 49Jahren
zum Milliardär.
Yuan hatte in China Mathematik
und Informatik studiert. Fasziniert von
Unternehmerpersönlichkeiten wie Bill
Gat es, bemühte er sich um eine Mög-
lichkeit, im SiliconValley zu arbeiten.
1997 konnte er bei derJungfirmaWebex
anheuern, die 2007 von Cisco übernom-
men wurde. Yuan machte innerhalb von
Cisco Karriere, leitete bald ein grosses
Team von Entwicklern. Doch er fühlte
sich eingeengt,er glaubte, sein e Ideen
für eine neuartigeVideo-Conferencing-
Software bei Cisco nicht umsetzen zu
können. 2011 machte er sich selbständig.
Ein gewagter Schritt: Denn in dem
Markt, denYuan anvisierte, hatten glo-
bal tätige Computerunternehmen wie
Cisco oder Hewlett-Packard die zah-


lungskräftigenFirmenanwender an sich
gebunden, ausserdem hatten agileJung-
firmen – allen voran Skype – mit Gra-
tisangeboten die Privaten für sich ein-
genommen. 2010 lancierte Apple mit
Facetime eine Gratis-Software, Skype
wurde2011 von Microsoft übernom-
men, 2013 kam Google mit Hangouts
auf den Markt. Skype soll längerfristig
in MicrosoftTeams aufgehen.
Zoom erlebte in jüngsterVergangen-
heit einen steilenAufstieg. Im Apple-
App-Store gehört die Software von
weltweit zu den populärsten Anwen-
dungen.Allein am vergangenen Sonntag
haben mehr als eine halbe Million Men-
schen die Zoom-Smartphone-App her-
untergeladen.In der Schweiz liegt diese
App auf Platz eins. Das ist nicht zu-
letzt auch deshalb bemerkenswert, weil
Apple auf allen seinen Mobilcomputern
und SmartphonesFacetime vorinstal-

liert hat. Doch weil sich diese Apple-
Software nur auf Apple-Hardware nut-
zen lässt, ist der Nutzerkreis begrenzt.
Während CiscoWebex und Micro-
soft Teams eher auf die Bedürfnisse von
Firmenanwendern ausgerichtet sind, ist
Zoom auch im Privatbereich populär.
Viele Schulenund Universitäten nut-
zen Zoom für den Unterricht, so dass
diese Software unter jüngeren An-
wendern grosse Bekanntheit geniesst.
Gegenüber Microsoft Teams oder Cisco
Webex soll sie sich durch eine bessere
Bildqualität und eine hohe Benutzer-
freundlichkeit auszeichnen; imVer-
gleich mitKonkurrenzprodukten wie
Google Hangoutsoder Facebook Mes-
senger kann Zoom mit fortgeschrit-
tenenFunktionen punkten.Dazu ge-
hört etwa die Erweiterbarkeit oder die
Fähigkeit, mit wichtigen Business-An-
wendungen zukooperieren. Zoom er-

laubt etwa auch dieAufzeichnung von
Konferenzen oder die Übertragung von
Bil dschirminhalten.

Virtuelle Randalierer


Der Erfolg von Zoom hat auch seine
Schattenseiten. Es häufen sich Berichte
über gezielte Störungen von Zoom-
Konferenzen. Solche Aktionen werden
«Zoombombing» genannt. Beispiels-
weise mussten die prominenten ame-
rikanischenJournalistinnen KaraSwi-
sher undJessica Lessin Anfang März
eine öffentliche Zoom-Konferenz für
Firmengründerinnen nach nur fünfzehn
Minuten stoppen, weil jemand angefan-
gen hatte, pornografische Inhalte auf
die Bildschirme derTeilnehmerinnen
zu bringen. Es ist bei grossen, öffentlich
zugänglichenVideokonferenzen schwie-
rig herauszufinden, wer genau dieKom-

munikation mit unangemessenen Inhal-
ten stört. So bleibt demVeranstalter mit-
unter nichts anderes übrig, als dieKon-
ferenz vorzeitig abzubrechen.
Es fehlt nicht an Kritik an Zoom.
Vor einemJahr hatte ein Sicherheitsfor-
scher behauptet, eine Lücke entdeckt zu
haben, dankder erauf dieVideokame-
ras zugreifenkönne. Die Sicherheits-
lücke wurde rasch geschlossen, veran-
lasste aber das Electronic Privacy Infor-
mation Center (Epic), eine Beschwerde
gegen Zoom bei der US-Handelskom-
mission einzureichen.Wegen Beschwer-
den von Epic musstenFacebook und
Google hohe Bussen bezahlen.

Angstvor Überwachung


Es ist vor allem ein «attention tra-
cking» genanntes Funktionsmerkmal
von Zoom, das dieDatenschützer är-
gert. DieseFunktion ermöglichtes dem
Organisator einerVideokonferenz, zu
überprüfen, ob auf den Bildschirmen
der anderenTeilnehmer dasFenster der
Zoom-Software aktiv ist. Der Chef oder
der Lehrer kann also feststellen, wenn
der Mitarbeiter oder der Schüler sich
mit anderen Programmen abgibt.
Zoom bestreitet, dass dadurch die Pri-
vatsphäre der Zoom-Anwender beein-
trächtigt würde. Und wer sich als Organi-
sator einerKonferenz durch diesesFunk-
tionsmerkmal gestört fühle, könne es de-
aktivieren. Die amerikanischeElectronic
FrontierFoundation, die sich für Grund-
rechte im Informationszeitalter einsetzt,
weist darauf hin, dass auch andere inter-
netbasierteKommunikationswerkzeuge


  • beispielsweise Slack – die Privatsphäre
    ihrer Anwender bedrohten. Die gemein-
    nützige Organisation fordert Schulen
    und Unternehmen auf, den Anwendern
    einenAusstieg zu erlauben.
    Als Alternative zu Zoom hat sich die
    junge norwegische SoftwarefirmaWhe-
    reby ins Gespräch gebracht. Die Gratis-
    version dieser Software lässt sich ohne
    Anmeldung benutzen. DerVerkauf von
    Benutzerdaten anWerbetreibende sei
    nichtTeil des Geschäftsmodells, sagte die
    Firmengründerin Ingrid Ødegaard gegen-
    über der dänischen DenkfabrikData-
    ethics. Datenschutz sei ihr ein Anliegen,
    man habe grosse Anstrengungen unter-
    nommen, um die europäische Daten-
    schutz-Grundverordnung umzusetzen.


Der Gründer und CEO vonZoom Video Communications, Eric Yuan, fürchtet die Grossen der Branche nicht. MICHAEL SHORT / BLOOMBERG

Stockholms Prestige-Spital hat zu wenige Intensivbetten


Obwohl das Gesundheitswesen v on Schweden zu den teuerstender EUgehört, ist es schlech t für die Corona-Krise gerüstet


INGRID MEISSL ÅREBO,STOCKHOLM


«Der Sturm ist hier», verkündete Stock-
holms Gesundheitsdirektor Björn Eriks-
sonam Mittwochabend. An der mittäg-
lichen Corona-Pressekonferenz war
noch von einer stabilenLage dieRede,
doch imTagesverlauf starben in der
Hauptstadt18 Personen an denFol-
ge n des Coronavirus. Bis Donnerstag-
mittag entfielen zwei Drittel der total
66 schwedischenTodesfälleauf Stock-
holm. Die Spitäler derRegion behandel-
ten 333 Erkrankte, weitere 69 benötigten
Intensivpflege. Steigen die Zahlen wei-
ter, muss in der Hauptstadt die Katastro-
phenlage ausgerufen werden. Eriksson
bat Gesundheitspersonal inAusbildung,
Teilzeitarbeitende sowie frischPensio-
nierteum Hilfe, um die Krise bewälti-
gen zukönnen.


Von ScheinundSein


Dass Schwedens Intensivpflege schlecht
für einePandemie gerüstet ist,kommt
nicht überraschend. Ärzteschaft und
Gesundheitsorganisationen warnen
seitJahren vor den gravierendenFol-
gen desPersonalmangels in den Inten-
sivabteilungen.Dazu kommen mate-
rielle Engpässe:Landesweit gibt es 530
Intensivbetten, 90 davon in Stockholm.
Derzeit wird mit allen Kräftendie Ver-
doppelung der Kapazitäten vorberei-


tet; in der Hauptstadt ist einFeldlaza-
rettfür Corona-Patienten imBau. Ob-
wohl Schwedens Gesundheitskosten pro
Kopf der Bevölkerung zu den höchsten
in der Union gehören, zählte dasLand
2012 nur halb so viele Intensivplätze wie
der EU-Durchschnitt.1993 waren lan-
desweit 4300 Beatmungsmaschinen vor-
handen, 900 davon in Militärspitälern
und 2100 inVorratslagern; Letztere sind
aufgelöst worden, während die Armee
40 Respiratoren behielt.
So ernst dieLage im Stockholmer
Gesundheitswesen heute ist, so ausge-
lassen war die Stimmung vor zweiJah-
ren: Fanfaren ertönten, und 650 Gäste
applaudierten, alsKönig Carl XVI. Gus-
taf im Mai 2018 das Neue Karolinska-
Krankenhaus (Nya Karolinska i Solna,
NKS) imVorort Solna eröffnete – nicht
irgendein Spital, sondern ein hoch-
spezialisiertes «Spital derWeltklasse».
Schwedens grösstesBauprojekt mit 630
Einzelzimmern, 36 Operationssälen und
37 Intensivbetten ist den allerschwers-
ten Fällen gewidmet: DerFokus liegt auf
Krebs- und Herzerkrankungen, akuter
Unfallchirurgie und Kindermedizin.
Hinter den Superlativen verbirgt sich
jedoch eine andereRealität. Kritiker,
und dies sind nichtwenige, sprechen von
einemPrunkbau und einemFass ohne
Boden.Auf Wikipedias Liste der teuers-
ten Gebäude derWelt nimmt das NKS
Rang 14 ein – vor dem LondonerWem-

bley-Stadion und auch vor dem höchs-
ten Bauwerk derWelt, dem Burj Khalifa
in Dubai. Diesen Spitzenplatz verdankt
es Baukosten von 22,8 Mrd.sKr. (ca. 2,
Mrd.Fr). Die von Medien gemachte und
vonPolitikern bestätigte Schätzung liegt
weit über den offiziellen Angaben von
14,5 Mrd. sKr.
Die Planung des Neuen Karolinska
hatte um dieJahrtausendwende begon-
nen. Streitfrage war, ob das1940 eröff-
nete «alte» Karolinskarenoviertunder-
weitert oder besserkomplett neu gebaut
werden sollte. StockholmsRegionspoli-
tiker stimmten 2010 für einen Neubau.
Das neue Krankenhaus sollte imRah-
men der damals imTrend liegenden öf-
fentlich-privatenPartnerschaft (PPP)
gebaut werden: Ein privatesKonsortium
finanziert, baut und betreibt das Spital
und wird vom öffentlichen Besteller
regelmässig entschädigt.Für Stockholm
bedeutet dasKosten von total 61 Mrd.
sKr. bis 2040, wenn derVertrag ausläuft.
Kostentreiber waren zumTeil auch die
hohen Zinskosten des privatenPartners–
die öffentliche Hand hätte sich viel
günstigerrefinanzierenkönnen.Ver-
heerend war aber die fehlendeKonkur-
renz:An der öffentlichenAusschreibung
beteiligte sich nur einKonsortium. Ent-
gegen derVorgabe, die Übung abzubre-
chen, wenn nicht mindestens drei Offer-
ten eingingen, hielten diePolitiker am
Prestigeprojekt fest.

Was danachalles schieflief, fasst ein
jüngst erschienener Untersuchungs-
bericht der Universität Stockholm zu-
sammen: Die Schaffung einer eigenen
NKS-Verwaltung sorgte für Intrans-
parenz und unklareVerantwortungen.
Weder das Gesundheitsamt noch die
Ärzteschaft oder das Karolinska-Insti-
tut wurden genügend in die Planung ein-
bezogen;stattdessen trieb ein Heer von
externen Beratern, die eigene Interes-
sen verfolgten und sich ihre Dienste mit
über 1 Mrd. sKr. abgelten liessen, das
Projekt voran.

Fehlende Konkurrenz


Im PPP-Vertrag wurde ein hochspezia-
lisiertes Spital mit schmalem Ange-
bo t vereinbart. Fachleute protestier-
ten dagegen und forderten ein breite-
res Leistungsangebot, dochderVer-
trag liess sich im Nachhinein nicht mehr
ändern. Also wurden teure Zusatzver-
träge abgeschlossen. Der starkeFokus
auf das NKS erschwerte zudem die Pla-
nung in den übrigen Stockholmer Spi-
tälern und verzögerte derenAus- und
Umbau umJahre. Der Untersuchungs-
bericht brachte überdies mehrereFälle
von Vetternwirtschaft und Befangenheit
während desBauprozesses ans Licht.
Die negativen Schlagzeilen nahmen
auch nach demBau des NKSkein Ende.
BeimTestlauf des Spitalbetriebstra-

ten1400 technische Mängel auf. Auch
nachdem im November 2016 die ersten
Patienten aufgenommen worden waren,
kam es zuPannen in derTelefonie und
der Überwachung. Mehrmals wurde
der Notstand ausgerufen, Herzpatien-
ten mussten in andere Spitäler über-
führt werden. Und als der Alarm aus-
fiel,kommunizierte dasPersonal mittels
Trillerpfeifen.Dazu kamenBaumängel:
überschwemmteBadezimmer, zu kleine
Räume und mangelnde Frischluft in
Patientenzimmern machtenRenovatio-
nen nötig. Besonders schlimm war es
im OP: Probleme mit der Klimaanlage
zwangen das Personal,mehrstündige
Operationen bei 25 Grad Celsius und
75% Luftfeuchtigkeit durchzuführen.
Wegen der medizinischen Speziali-
sierung verlor das NKS staatliche Gel-
der, was, neben andernFaktoren, 2019
zu einemVerlust von etwa 1,6 Mrd. sKr.
führte. Die Leitung des Unispitals Karo-
linska, das neben dem NKS weitere Ein-
heiten umfasst, verordnete einen Anstel-
lungsstopp und die Entlassung von 250
Ärzten und 350 Krankenschwestern –
obwohl dasPersonal vieler Abteilungen
schon zuvor am Limit war. Im Februar
krebste die Spitalleitung zurück und hal-
bierte die Zahl der geplanten Entlassun-
gen. Angesichts der Corona-Krise hat
die zuständige Gewerkschaft das Karo-
linska nun aufgefordert, ganz auf den
Stellenabbau zu verzichten.

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