Neue Zürcher Zeitung - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

Freitag, 27. März 2020 WIRTSCHAFT 19


Ein Banken-Stresstest in Realzeit


Wie stark werden sich Europas Geldhäuser m it dem Coronavirus infizieren?


MICHAEL RASCH, FRANKFURT


Für dieWelt wäre es katastrophal, wenn
sich zurWirtschafts- auch noch eine
Bankenkrise gesellen würde, denn die
Kreditinstitute spielen eine Schlüssel-
rolle in der Notlage. Das ist eine Chance
für dieBanken, ihr Image zu polieren.
Doch sie sind selber stark von denFol-
gen der Virusausbreitung betroffen.
Werden sie durchhalten?
Europas Bankenaufseher haben
den für 2020 geplanten Stresstest letzte
Woche abgesagt und aufs nächsteJahr
verschoben.Warum sollte man die Kre-
ditinstitute zusätzlich noch mitTests be-
lasten, wenn derreale Stress imBanken-
system wohl bald deutlich grösser ist,
als er bei den branchenüblichen Check-
ups jeweils simuliert wird? ZwölfJa hre
nach derFinanz- und achtJahre nach
der Staatsschuldenkrise sind die voraus-
sichtlich sehr weitreichendenFolgen der
Ausbreitung des Coronavirus derLack-
mustest für Europas Kreditinstitute.
Es wäre derzeit katastrophal, wenn
zurWirtschafts- noch eineBankenkrise
hinzukäme. Während die Kreditinsti-
tute in früheren Krisen oft Mitverursa-
cher vonTurbulenzen waren,gehören
sie diesmal zu den Betroffenen. Es ist
nun auch eine Chance für die Branche,
dem Publikum ihren gesellschaftlichen
Nutzen einmal plastisch vorAugen zu
führen.


Bankensturmsta tt Bank-Run


Das Coronavirus greift die Gesundheit
derBanken gleich an mehreren Stellen
an: Erstens dürfte durch die heraufzie-
hende globaleRezession,deren Schwere
sich bis jetzt nur erahnen lässt, die Ge-
schäftstätigkeit in etlichen Unterneh-
mensbereichen nachlassen.Das gilt vor-
aussichtlichvor allemfür das Provisions-
geschäft.Das Kreditgeschäft dürfte hin-
gegen boomen.Wie aus Instituten zu
hören ist, haben viele Unternehmen da-
mit begonnen, ihre bestehenden Kre-
ditlinien zu ziehen und neue Kredite zu
beantragen. Es findet derzeit also quasi
ein Sturm auf dieBank statt, um Kre-
ditevon ihnen zu ergattern – statt eines
Bank-Run, wo panikartig Gelder vom


eigenenKonto abgehoben werden. Häu-
fig handelt es sich dabei zunächst aber
noch um eineVerschiebung von Liqui-
di tät, da dieFirmen die neuen Gelder
vorerst wieder auf denKonten beiihren
Banken parkieren.
Zweitens birgt der voraussichtliche
Anstieg der Kreditvergabe für dieBan-
ken die Gefahr, dass die Quote der
ausfallgefährdeten Kredite nach oben
schiesst. Sie war in der Euro-Zone in den
letztenJahren immerhinkontinuierlich
gesunken und betrug im Herbst 20 19
noch 3,4%. Allerdings ist die Quote vor
allemin südeuropäischenLändern wie
etwa Italien (7%), Griechenland (37%)
undPortugal (10%) noch hoch bis sehr
hoch.LautderRating-Agentur Moody’s
droht eineVerschlechterung der Quali-
tät derBankbilanzen, da beispielsweise
zusätzlicheRücklagen für notleidende
Kredite auf die Profitabilität drücken
würden. Die Agentur änderte denAus-
blick für dieBankensysteme in Belgien,
den Niederlanden,Dänemark,Frank-
reich, Italien und Spanien auf «negativ».
Für deutsche und britischeBanken war
derAusblick bereits zuvor «negativ».
DenRating-Ausblick fürdie Banken-
systeme in der Schweiz und in Schwe-
den liess die Agentur bei «stabil».
Als weitere Herausforderung für die
Geldhäuser gilt drittens, dass sich die
Null- und Negativzinspolitik der Euro-
päischen Zentralbank (EZB) sowie von
anderen Notenbanken noch länger als
ohnehin schon befürchtet fortsetzen
dürfte.Damit fressen sich die Negativ-
zinsen immer stärker in die Bilanzen der
Banken hinein – mit unschönenFolgen
für ihre Profitabilität.

DrohendeHerabstufungswelle


Hinzukommen, viertens, Bewertungs-
änderungen, denn die Kreditwürdigkeit
derKunden dürfte in denkommenden
Quartalen imDurchschnittstarkab-
nehmen. So erwarten die Experten von
Bank of America Securities den Beginn
eines signifikanten Herabstufungszyk-
lus im Anleihemarkt. Allein in Europa
existierten Anleihen mit dem rela-
tiv mässigenRating «BBB» über rund
900 Mrd. €. Dieses Segment, das gerade

noch als anlagewürdig gilt, ist viermal
grösser als das Segment der spekulati-
ven «BB»-Anleihen. Viele Anleger dür-
fen aufgrund ihrer Richtlinien jedoch
nur in Bonds der Investitionsklasse
(«BBB» und besser) investieren.Wer-
den diese Anleihenauf«spekulativ»
herabgestuft, müssen sich zumTeil neue
Käufer finden, was angesichts desVolu-
mens schwierig werdenkönnte. In den
vergangenenJahren waren Obligationen
günstiger alsBankkredite und benötig-
ten weniger Offenlegungen, Kreditver-
einbarungsklauseln und Besicherungen.
DieserTr end dürfte sich nun umkehren,
so die US-Experten.
Immerhin, und das ist positiv, dürfte
vorerst die Gefahr gebannt sein, dass
das grosse Portfolio an heimischen
Staatsanleihen in den eigenen Büchern
viele südosteuropäischeBanken in die

Bredouille bringt.Dafür müssen sie
der EZB danken, die bereits hat durch-
blicken lassen, dass sie nötigenfalls im
grossenVolumen Government-Bonds
von kriselnden Euro-Staaten kaufen
wird, um derenRefinanzierungskosten
in Grenzen zu halten.Lagarde hatte
davor während einer Pressekonferenz
mit einer gegenteiligenAussage kurz-
zeitig für erhebliche Marktturbulenzen
gesorgt. Der Kauf von Staatsanleihen
geschieht nun unterdemDeckmantel
einer angeblichen Sicherung des geld-
politischenTr ansmissionsmechanismus.
Darüber hinaus hatte die EZB bereits
am 12. März nach derRatssitzung ange-
kündigt, denBanken der Euro-Zone zu-
sätzliche subventionierte Kredite anzu-
bieten sowie die für den ZeitraumJuni

2020 bisJuni 2021 bereits geplanten ziel-
gerichtetenlangfristigen Kredite gemes-
sen an den Bedingungen nochmals deut-
lich günstiger zu gestalten.

EZB gewährt Erleichterung


Damit die europäischenBanken so-
wohl ihren Privat- als vor allem auch
ihrenFirmenkunden beistehenkönnen,
haben sie inzwischen die volleRücken-
deckung der EZB erhalten. Die Kredit-
institute dürfen laut der Notenbank ihre
in den letztenJa hren aufgebauten Ka-
pital- und Liquiditätspuffer einschliess-
lich der sogenannten Empfehlungen für
die Säule 2 vollständig nutzen.Das ist
vernünftig, denn die Kapitalpuffer wur-
den ja gerade zu dem Zweck eingeführt,
möglicheVerluste in Stresssituationen
abzufedern und denBanken Hand-
lungsspielräume zu verschaffen.
Die Institute erhalten darüber hinaus
Erleichterungen bei der Zusammenset-
zung des Kapitals für die Anforderun-
gen in der Säule 2.Dadurch verbrei-
tert sich der Aktionsraum derBanken
zusätzlich. Die Kapitalerleichterungen
belaufen sich laut EZB insgesamt auf
120 Mrd. € undkönnen zurVerlustab-
sorption oder zurFinanzierung poten-
ziellerKredite von bis zu 1900 Mrd. €
verwendet werden.Darüber hinaus
haben dieAufseher zugesichert,den
Banken weitere Flexibilität bei der Be-
handlung von notleidenden Krediten
zu gewähren, die durch staatliche Hilfs-
massnahmen abgesichert sind.
Zugutekommt denBanken ferner,
dass sie heutzutage imVergleich mit
dem Beginn derFinanzkrise sehr viel
solider aufgestellt sind, weisen sie doch
in Europa imDurchschnitt eine harte
Kernkapitalquote von rund14% auf.
Der exogene Schock durch dieAusbrei-
tung des Coronavirus, die man auch als
eine Art Naturkatastrophe bezeichnen
könnte, trifft dieBanken allerdings in
einer Situation, in der ihreFitness den-
noch zu wünschen übrig lässt. So kämp-
fen die Kreditinstitute in verschiedenen
Ländern mit unterschiedlichen Proble-
men: In Deutschland ist die Gewinn-
situation vielerBanken unbefriedigend,
da dieKosten zu hoch und die Erträge

zu niedrig sind.Zahlreiche Institute
haben es versäumt, ihreAufwendungen
an den Erträgen auszurichten.
Mit Blick auf die DeutscheBank, die
sich in einer der grössten Umbauphasen
in ihrer150-jährigen Geschichte befindet,
gehen vieleFinanzanalytiker inzwischen
davon aus, dass vor allem die Unterneh-
mens- und die Privatkundenbank unter
Kreditausfällen leiden werden. Dies
dürfte dazu führen, dass Deutschlands
grösstes Geldhaus seine Ziele für dieses
Jahr verfehlt und womöglich die geplante
Erreichung der Ziele imJahr 2022 zeit-
lich nach hinten verschieben muss.
In Südeuropa wiederum leiden viele
Institute immer noch unter einem ver-
gleichsweise hohen Anteil an not-
leidenden Krediten. In manchenLän-
dernkommen sogar verschiedene Pro-
bleme zusammen. Es verwundert daher
nicht, dass die Aktienkurse zahlreicher
Banken beim jüngsten Börsenkrach be-
sonders stark unter dieRäder gekom-
men sind. Sehrrobust sind im Schnitt da-
gegen vor allem dieBanken in Skandi-
navien aufgestellt.

Sind die Kleinenin Gefahr?


Bis jetzt gibt es zumindest aus der Bran-
che kaum Stimmen, die vor einer neuen
Bankenkrise warnen. Einzelne Zah-
lungsausfälle sollten die Banken gut
verkraftenkönnen. Zum flächendecken-
denAusfall von Krediten sollte es zu-
mindest in Deutschland durch die Stüt-
zungsmassnahmen derRegierung für
Unternehmen fast jedweder Grösse
nichtkommen.ImVergleich zurFinanz-
krisekönnten mit Blick auf die EU dies-
mal jedoch vor allem kleine und mittlere
Institute, beispielsweise aus derWelt der
Sparkassen sowie derRaiffeisenbanken,
in die Bredouillekommen. Sie haben
typischerweise viele ganz kleine und
mittelständische Unternehmen alsKun-
den, die besonders unter der Zwangs-
schliessung ihrer Geschäfte leiden.Vie-
les in der Zukunft hängt auch davon ab,
wie lange sich die Coronavirus-Krise
und der darausresultierende Shutdown
von grossenTeilen derWirtschaft hin-
ziehen werden.
«Reflexe», Seite 26

Der Schock
durch die Pandemie
trifft die europäischen
Banken in einer
Situation, in der ihre
Fitness zu wünschen
übrig lässt.

Höchst zahl von Amerikanern ohne Arbeit

Der Rekordlau f des amerikanischen Arbe itsmarkts ist beendet – er steh t unter einem bish er noch nie erlebten Schock


MARTIN LANZ,WASHINGTON


Die Corona-Krise schlägt mit voller
Wucht auf dieWirtschaft durch. Die Sta-
tistiken zeigen eine dramatische, noch
nie da gewesene Entwicklung. So wur-
den in der am 21. März endendenWoche
fast 3,3 Mio. Erstanträge auf Arbeits-
losenhilfe in den USAregistriert. Der
bisherige Höchstwert in den bis1967 zu-
rückgehenden Zahlen des Arbeitsminis-
terium war 695 000 und stammt aus dem
Oktober1982.
Die Zahlen vom Donnerstag zeigen
nicht, welche Branchen wie stark betrof-
fen sind, auch sind sie wahrscheinlich
nicht akkurat, weil die Arbeitsämter vie-
lerorts seit 2Wochen hoffnungslos über-
lastetsind.Auch diegeografischeAuf-
teilung der Erstanträge ist deshalb nur
bedingt aussagekräftig. Die Corona-Epi-
zentren der USA, NewYork und Kali-
fornien, dürften weitaus am meisten Ge-
suche zu bearbeiten haben.


Stark betroffenes Gastgewerbe


In weitenTeilendesLandes steht bei-
spielsweise das Gastgewerbe praktisch
still. Die Empfehlung derRegierung,
Ansammlungen von mehr als 10Per-
sonen zu vermeiden,hat Restaurants,
Kinos, Theater- und Konzertbühnen, Fit-
nesszentren und Sportveranstaltungen
mindestens vorübergehend das Genick
gebrochen. Schätzungsweise 2,2 Mio.
Personen sind normalerweise inRestau-


rants in der Bedienung tätig. Auch das
Flugpassagieraufkommen ist weiter ein-
gebrochen. Am 25. März verzeichnete
dieTr ansportsicherheitsbehörde TSA
noch gerade einmal 240 00 0 Passagen
durch die Sicherheitskontrolle. Normal
wäre das Zehnfache.
Die Corona-Krise schafft nicht nur
deprimierende Negativrekorde, sie hat
auch abrupt den positivenRekordlauf
der amerikanischenWirtschaft beendet.

Bis und mitFebruar 2020 hatten nämlich
US-Arbeitgeber während 113 Monaten
inFolge insgesamt 22 Millionen neue
Stellen geschaffen im Zuge des längs-
tenWirtschaftsaufschwungs der ameri-
kanischen Geschichte,der2010 einge-
setzt hatte. Die offizielle Arbeitslosen-
quote hat sich jüngst bei historisch nied-
rigen 3,5% eingependelt.
Am 3. April werden die amerikani-
schen Behörden detaillierteDaten zur

Lage am Arbeitsmarkt im März ver-
öffentlichen. Die Prognosen sind düs-
ter. Es ist davon auszugehen, dass die
Quote inzwischen bereits auf über 5,5%
angestiegen ist und bald 10% erreichen
wird.Das EconomicPolicy Institute, ein
ThinkTank inWashington,rechnet mit
bis zu 14 Millionen verlorenen Stellen
bis im Sommer. Im Gegensatz zu euro-
päischenLändernkennt man in den
USA dasSystem derKurzarbeit nicht.

Und weil dieKündigungsfristen sehr
kurz sind,kommt es sehrrasch zu Ent-
lassungen.

Dringend nötigeFinanzhilfe


Ein gewisserTr ost ist das Hilfspaket,
welches vor derVerabschiedung durch
denKongress steht.WeiteTeile der Be-
völkerung werden Anspruch auf eine
einmalige Direktzahlung von 1200 $ pro
Erwachsenen haben, während die Leis-
tungen der bescheidenen Arbeitslosen-
hilfe ausgebaut werden. Bisher betrug
sie durchschnittlich 385 $ proWoche.
Besonders angewiesen auf die
Finanzhilfen sind Restaurant-Ange-
stellte: Sie verdienen im Schnitt 25 500$
(inklusiveTr inkgeld) imJahr und haben
kaumReserven. Selbst inrelativ guten
Zeiten haben vier von zehn Amerika-
nern Mühe, im Notfall 400 $ aufzubrin-
gen, wie eine Umfrage der Zentralbank
über das finanzielleWohlergehen der
PrivathaushalteJahr fürJahr zeigt.
Derzeit ist noch unklar,wann die
Gelder des Bundes fliessen. Noch ist das
Hilfspaket nicht in Kraft.Finanzminis-
ter Mnuchin will, dass die meisten Leute
ih reDirektzahlung innert dreiWochen
erhalten. Zu hoffen ist auch, dass das
Kreditprogramm für KMUrasch greift.
Den Kreditnehmern werden nämlich die
Kreditschulden erlassen, wenn sie in der
Krise ihrPersonal behalten.Das müsste
dieFirmen eigentlich davon abhalten,
Entlassungen auszusprechen.

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