Die Welt - 27.03.2020

(Jeff_L) #1

Coronavirus-Tests in Europa


Quelle: Politico


Spanien


Portugal


Frankreich


Belgien


Luxemburg


Lettland


Italien


Großbritannien


Österreich


Polen


Schweden


Tschechien


Irland


Slowenien


Dänemark


Rumänien


Finnland


Griechenland


Ungarn


Estland


Slowakei


Malta


Litauen


Bulgarien


Kroatien


Niederlande


Zypern


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Zahl der Tests pro Tag


Zahl der Tests pro Woche


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m Kampf gegen das neuartige Co-
ronavirus ist vor allem eines ent-
scheidend: wie oft getestet wird.
Die Weltgesundheitsorganisation
(WHO) rät allen Ländern die Bür-
ger so breit wie möglich zu untersu-
chen. Nicht nur Menschen mit schwe-
ren Symptomen sollen erfasst werden,
sondern auch jene mit leichten und je-
ne mit überhaupt keinen Symptomen.
Von diesen gibt es nämlich sehr viele,
was das Virus besonders gefährlich
macht. Diese symptomlosen Infizierten
fühlen sich nicht krank – und verbrei-
ten das Virus arglos weiter.

VON CAROLINA DRÜTEN UND CARMEN PAUN
AUS BERLIN UND BRÜSSEL

„In jedem Stadium ist es wirklich,
wirklich wichtig, dass man Fälle schnell
findet, sie untersucht, testet, isoliert,
die Kontakte identifiziert, die Kontakte
unter Quarantäne stellt, diese ebenfalls
testet – und so versucht, eine weitere
Ausbreitung zu verhindern“, sagte der
Leiter des WHO-Europa-Teams für
hochgefährliche Krankheitserreger, Ri-
chard Pebody. Wie viel getestet wird,
unterscheidet sich aber in Europa von
Staat zu Staat enorm, wie eine Recher-
che des europäischen Politmagazins
„Politico“ ergab, einer Partnerpublika-
tion von WELT.
Und der europaweite Vergleich zeigt
einen anderen hoch relevanten Befund:
In Deutschland wird weit mehr getes-
tet als irgendwo sonst auf dem Konti-
nent. Hierzulande werden pro Woche
mehr als 200.000 Menschen getestet,
wie das Bundesgesundheitsministeri-
um unter Berufung auf Zahlen des Ro-
bert-Koch-Instituts gegenüber „Politi-
co“ sagte. Der bekannte Virologe der
Berliner Charité, Christian Drosten,
sagte am Donnerstag, dass die Zahl der
wöchentlichen Tests in Deutschland
sogar bei etwa 500.000 liege. Die Dis-
krepanzzwischen den beiden Zahlen
wurzelt wohl in der Tatsache, dass
Tests sowie Fallzahlen in Deutschland
dezentral erfasst werden und nachträg-
lich an das RKI übermittelt werden, al-
so nie ganz aktuell sind. Virologe Dros-
ten wies am Donnerstag zudem darauf
hin, dass man die Zahlen nur schätzen
könne, weil die Tests regional vorge-
nommen werden.
Egal ob 200.000 pro Woche oder
500.000 pro Woche, beide Zahlen über-
steigen die Testzahlen anderer Länder
teils um ein Vielfaches. Nur im schwer
betroffenen Spanien werden laut „Poli-
tico“-Umfrage derzeit rund bis zu
20.000 Menschen pro Tag getestet.
Umgerechnet auf die Einwohnerzahl
von Deutschland wären das hierzulan-
de rund 260.000 Tests pro Woche. Der
Grund für die hohe deutsche Testzahl:
In Deutschland werden zwar – im Ge-
gensatz etwa zu Südkorea – keine
symptomfreien Menschen getestet,
aber zumindest auch solche mit leichte-
ren Symptomen. Bei einem Coronatest,
dem sogenannten PCR-Test, werden
Abstriche aus Nase oder Rachen ge-
nommen und im Labor auf Viren-Erb-
gut untersucht.
Die meisten europäischen Länder
aber testen nur die schwersten Fälle.
Das sind oft jene Patienten, die in ein
Krankenhaus eingeliefert werden. Für
das medizinische Personal ist es wich-
tig die Diagnose zu kennen, um zu wis-
sen, wie die Patienten behandelt wer-

den müssen – und um Vorsichtsmaß-
nahmen zu treffen, damit sich die In-
fektion nicht ausbreitet. Frankreich et-
wa testet lediglich 5000 Menschen pro
Tag, das sind 35.000 pro Woche, weni-
ger als ein Fünftel der deutschen Tests.
In Italien, das seit rund einem Monat
so schwer wie kein anderes Land der
Welt von der Epidemie betroffen ist,
sind bisher insgesamt 300.000 Men-
schen getestet worden. Das sind rech-
nerisch rund 75.000 Tests pro Woche,
wenn man davon ausgeht, dass die
Tests zeitgleich mit dem Ausbruch des
Virus begannen.
In vielen Ländern Europas ist nicht
fehlender Wille der Grund für die we-
nigen Tests, sondern ein Mangel an
Ressourcen. Eine Anfang März gestar-
tete Umfrage des Europäischen Zen-
trums für die Prävention und Kontrolle
von Krankheiten (ECDC) zeigte, dass
den Labors bereits jetzt Testkits, Rea-
genzien, Personal und persönliche
Schutzausrüstung ausgehen; die Her-
steller kommen derweil nicht mit der
Produktion hinterher. Deshalb müssen
die Regierungen priorisieren, welche
Menschen auf das Virus untersucht
werden und welche nicht – eine Frage,
die oft über Leben und Tod entschei-

det. Deutschland ist hier im Vorteil.
Schon im Januar informierte die Berli-
ner Charité Unikliniken in Deutsch-
land darüber, wie Tests aufzubauen
sind. Labore im ganzen Land sind in
der Lage, Coronatests durchzuführen.
In der Bundesrepublik kann daher auch
bei leichten Atemwegserkrankungen
getestet werden.
Die hohe Zahl der Tests dürfte auch
die Erklärung für die erstaunlich nied-
rige Corona-Sterblichkeit in Deutsch-
land sein. In Deutschland sind laut Da-
ten der Johns-Hopkins-Universität
von Donnerstagnachmittag bei 39.
Infizierten bisher 229 Menschen ge-
storben (0,6 Prozent), in Frankreich
sind es bei 25.604 nachweislich Infi-
zierten 1331 Tote (5,2 Prozent). In Spa-
nien liegt die Sterblichkeitsrate bei 7,
Prozent, in Italien bei 10,1 Prozent. Das
bedeutet nicht zwangsläufig, dass in
diesen Ländern im Verhältnis tatsäch-
lich mehr Menschen an Corona ster-
ben – sondern kann schlicht bedeuten,
dass dort nur die schwersten Fälle ge-
testet wurden, von denen entspre-
chend mehr gestorben sind als in Län-
dern, die breiter testen.
Außerdem gilt: Je weniger getestet
wird, desto höher die Dunkelziffer. So

dürfte in Italien die Zahl der tatsächlich
Infizierten sehr viel höher liegen. Auf
jeden positiv getesteten Fall könnten
dort zehn Menschen mit unentdeckter
Corona-Infektion kommen, sagte der
Leiter der italienischen Katastrophen-
schutzbehörde, Angelo Borrelli, gegen-
über der Zeitung „La Repubblica“. In
Italien waren bis 23. März von etwa
275.000 Tests 64.000 positiv. Nach
Borrellis Vermutung könnte es in Ita-
lien also in Wahrheit bis zu 640.
Corona-Fälle geben. In Deutschland,
wo durch mehr Tests mehr Infizierte
ausgemacht werden, dürfte die Dunkel-
ziffer der Infizierten im Moment ent-
sprechend geringer sein. Würden in
Deutschland nur schwere Fälle getes-
tet, gäbe es ebenfalls weniger Infizierte,
von denen deutlich mehr sterben wür-
den. Zugleich wäre die Dunkelziffer
wohl viel höher als im Moment.
Die Folge aus diesen Überlegungen
ist auch: Die Infizierten-Zahlen aus
Ländern mit geringer Testhäufigkeit
sind kaum mit jenen aus den Ländern
mit vielen Tests vergleichbar. Italieni-
sche oder französische Infizierte sind
häufiger schwer krank – und hinter je-
dem von ihnen stehen im Zweifel sehr
viele nicht diagnostizierte Infizierte.
Somit ist davon auszugehen, dass die
Gesamtzahl der Infizierten in Deutsch-
land deutlich niedriger ist als etwa in
Italien oder Frankreich. Deutschland
hat wie die anderen europäischen Län-
der weitreichende Schutzmaßnahmen
erlassen. Dazu gab es keine Alternative,
denn auch in Deutschland war es nicht
möglich, alle Coronafälle zu identifizie-
ren und zu isolieren, um die restliche
Bevölkerung zu schützen.
Diese Ungewissheit über das tatsäch-
liche Ausmaß der Krankheit – egal ob in
Deutschland oder anderswo – führt im
Moment dazu, dass die Behörden im
Blindflug agieren müssen und Maßnah-
men nicht so zielgerichtet erlassen
werden, wie es im Kampf gegen das Vi-
rus nötig wäre. Pauschale Kontaktver-
bote werden aber erst enden können,
wenn massiv getestet wird, so der Prä-
sident des Wissenschaftlichen Corona-
virus-Ausschusses in Frankreich, Jean-
François Delfraissy. „In 30, 40 Tagen,
wenn die Isolationsmaßnahmen gelo-
ckert werden, muss die Bevölkerung
umfassend getestet werden“, sagte der
Franzose. Alle Infizierten müssten
dann systematisch behandelt werden.
Und hier könnte Deutschland nun
womöglich tatsächlich zeitlich im Vor-
teil sein. Weil mehr getestet wird,
könnte es hierzulande schneller ein kla-
res Gesamtbild geben. So könnte die
Bundesrepublik denn auch dem Mo-
ment, an dem gezielte Isolierung von
Infizierten an die Stelle des aktuellen
Social Distancing treten können, näher
sein als viele andere Länder.
Eine große Unbekannte ist allerdings
auch, wo sich die Epidemie Deutsch-
land zeitlich befindet im Vergleich zu
Italien oder Spanien. Sollte die Epide-
mie in Deutschland noch stärker am
Anfang stehen, könnte die Zahl der Infi-
zierten in der nächsten Zeit deutlich
ansteigen.

MITARBEIT: BARBARA MOENS, LILI BAYER,
ASHLEIGH FURLONG, CRISTINA GALLARDO, ELISA
BRAUN, SILVIA SCIORILLI BORRELLI, EDDY WAX,
JAN CIENSKI UND ANDREW GRAY

In ganz Deutschland können Labore Tests auf Covid-19 durchführen – ein Vorteil im Kampf gegen das Virus


REUTERS

/ AXEL SCHMIDT

Die BESONDERHEIT, die


Deutschland Hoffnung macht


Hierzulande werden deutlich mehr Menschen


auf das Coronavirus getestet als in anderen


EU-Ländern. Das ergab eine Recherche


der WELT-Partnerpublikation „Politico“


In Zusammenarbeit mit


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8 POLITIK DIE WELT FREITAG,27.MÄRZ


E


s sind Bilder, die die New Yor-
ker nicht mehr gesehen haben
seit den Anschlägen vom 11.
September. Wie damals werden nun
vor dem Bellevue Hospital im Osten
des Stadtteils Manhattan Zelte aufge-
baut, weil die Leichenschauhäuser der
Stadt voll sind.

VON HANNES STEIN
AUS NEW YORK

In Militärschutzkleidung errichten
Arbeiter die behelfsmäßigen Räume, in
denen die Leichen der Corona-Toten
aufgebahrt werden sollen. Normaler-
weise hat die Stadt New York Kapazitä-
ten für 800 bis 900 Tote. Nun wird
Platz geschaffen für rund 3500 Leichen.
In New York herrscht der Ausnahme-
zustand, Bürgermeister Bill de Blasio
hatte erst kürzlich eine Notstandserklä-
rung für die Metropole unterzeichnet.
Die Stadt verzeichnet aktuell 17.856 Co-
rona-Fälle, darunter 192 Todesopfer. Die
Zahlen steigen rasant an, die Weltge-
sundheitsorganisation WHO warnt
schon davor, die USA könnten bald das
neue weltweite Zentrum der Pandemie
werden. „Wir sehen jetzt eine sehr star-
ke Beschleunigung der Fallzahlen“, sag-

te WHO-Sprecherin Margaret Harris
für das ganze Land. Die Metropole New
York entwickelt sich zunehmend zum
Brandherd in der Coronakrise. Inzwi-
schen kämen 60 Prozent aller neuen
Fälle in den USA aus dem Großraum
New York, sagte US-Vizepräsident Mike
Pence im Weißen Haus.
Kein Wunder also, dass die Verzweif-
lung bei New Yorks Gouverneur An-
drew Cuomo wächst. „Wir haben die
Kurve nicht abgeflacht, die Kurve
wächst an“, bilanzierte er in einem

Konferenzzentrum, das derzeit in ein
Not-Krankenhaus umgewandelt wird.
Die Pandemie rolle nicht wie von ei-
nem Experten vorhergesagt wie ein
„Güterzug“ durch das Land, sondern
wie ein „Hochgeschwindigkeitszug“.
Er warnte, die benötigte Zahl der Kran-
kenhausbetten für Intensivpatienten
könne zum Höhepunkt der Pandemie
auf 40.000 ansteigen. Bislang standen
in dem Bundesstaat aber nur 3000 sol-
cher Betten zur Verfügung. Cuomo rief
die US-Regierung deswegen auf, Tau-

sende zusätzliche Beatmungsgeräte
zur Verfügung zu stellen.
In der Metropole sind die meisten
Geschäfte und viele Restaurants ge-
schlossen, die Krankenhäuser sagen alle
nicht notwendigen Eingriffe ab. Um
sich auf den erwarteten Ansturm mit
Schwerkranken vorzubereiten, versu-
chen Krankenhäuser nun, Betten auszu-
lagern. Ein Kongresszentrum am Hud-
son River in Manhattan wird derzeit in
eine Klinik mit 1000 Betten umfunktio-
niert, ein Klinikschiff der Marine, die
„USNS Comfort“, wird in zwei Wochen
im Hafen von New York erwartet, mit
Platz für weitere 1000 Betten. Dort sol-
len aber explizit nicht Corona-Patien-
ten behandelt werden, sondern andere,
um die Kliniken zu entlasten.
In der Stadt, die angeblich niemals
schläft, herrscht derzeit gespenstische
Stille. Ein leerer Times Square, ein
dunkler Broadway, wo sonst kaum
Asphalt zu sehen ist vor lauter Men-
schen. Die Börse an der Wall Street ist
längst geschlossen, die Banker versu-
chen ihre Geschäfte verzweifelt von zu
Hause aus zu retten. Als Bürger dieser
Stadt, der sich ebenfalls verschanzt hat
in seinem Haus vor dem Virus, fällt ei-
nem vor allem die Stille auf. Öffnet man

die Terrassentür, so sind die Vögel über-
laut zu hören. Ihr Tschilpen, Pfeifen,
Rufen und Singen übertönt das Nichts.
Kein Auto. Auch kein Flugzeug, das
übers Haus hinwegfliegt. Es ist, als wäre
die Welt eingeschlafen. Nur hin und
wieder die Sirene eines Rettungswagens
als Memento mori.
Die täglichen Pressekonferenzen mit
Cuomo sind mittlerweile Pflichttermi-
ne. Der Gouverneur sitzt mit seinen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hin-
ter einem langen Tisch; sie sitzen meh-
rere Meter voneinander entfernt. Cuo-
mo spricht bedächtig, ruhig. Er redet
nichts schön. Er hört auf das, was ihm
die Experten, die Ärzte sagen. In seiner
jüngsten Pressekonferenz hatte Cuomo
gute Nachrichten: Die Kurve jener Leu-
te, die sich am Virus angesteckt haben
und ins Krankenhaus mussten, weise
weiterhin nach oben – aber nicht mehr
ganz so steil.
Die Zahl der Neueinweisungen ver-
doppelte sich alle zwei Tage, dann alle
drei Tage, mittlerweile verdoppelt sie
sich nur mehr alle vier Tage. Das heißt:
Der Befehl des Gouverneurs, zu Hause
zu bleiben und das Virus zu verlangsa-
men, hat sich ausgezahlt. „Aber wir
sind noch weit vom Scheitelpunkt der

Ansteckungskurve entfernt. Und wir
haben immer noch nur einen Bruchteil
der Krankenhausbetten in Intensivsta-
tionen, die wir bald brauchen werden,
und nur einen Bruchteil der Beat-
mungsgeräte“, warnt Cuomo eindring-
lich. Trotzdem verspricht er: „Wenn
wir hier in New York über den Berg
sind, werden wir die Beatmungsgeräte
dorthin schicken, wo sie als Nächstes
gebraucht werden.“ Er sagt: „Wir hier
in New York werden dem ganzen Land
ein Beispiel geben, wie man mit dieser
Krise umgehen soll.“
Der Präsident spricht unterdessen
davon, dass er gern sähe, wenn Amerika
schon in wenigen Wochen wieder an-
fangen würde so zu tun, als ob es Co-
vid-19 nicht gäbe: Er will zu Ostern volle
Kirchen sehen. Nach Ansicht aller me-
dizinischen Fachleute wäre das Wahn-
sinn. Es würde eine gewaltige Welle von
Neuinfektionen auslösen—zumal kein
Mensch wissen kann, wie weit das Virus
sich ohnehin schon im ganzen Land ver-
breitet hat. Die Parteigänger des Präsi-
denten scheint das nicht zu stören. Un-
terdessen basteln sich Krankenschwes-
tern in New Yorks Krankenhäusern Ge-
sichtsmasken aus Mülltüten. Gerade
eben ist die erste von ihnen gestorben.

New York, ein gespenstisch stilles Katastrophengebiet


Zelte, die als Leichenhallen dienen. Kriegsschiffe, die zu schwimmenden Krankenhäusern umfunktioniert werden – in der Metropole herrscht der Ausnahmezustand


Soldaten errichten vor einem Krankenhaus eine behelfsmäßige Leichenhalle


AFP

/ EDUARDO MUNOZ ALVAREZ

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