Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
von markus balser, karoline
meta beisel, constanze von
bullion und kristiana ludwig

Berlin/Brüssel– Bei derBekämpfung der
Corona-Krise bemüht sich die Bundesre-
gierung um eine konsequente Linie. Aller-
dings wachsen in Deutschland und Europa
die Differenzen darüber, unter welchen Be-
dingungen die Einschränkungen des öf-
fentlichen Lebens wieder aufgehoben wer-
den können. Wirtschaftsverbände warn-
ten vor einem langfristigen Stillstand in
Unternehmen. Auch in Brüssel gibt es in-
zwischen Überlegungen, wie eine soge-
nannte Exit-Strategie aussehen könnte.
Am Donnerstagabend forderte Nordrhein-
Westfalens Ministerpräsident Armin La-
schet (CDU), die Einschränkungen von
Grundrechten wegen der Corona-Epide-
mie auch wieder zu überprüfen. „Wir kön-
nen nicht ein halbes oder dreiviertel Jahr
mit einer solchen Art Notstandsgesetzge-
bung leben“, sagte Laschet.
Innenminister Horst Seehofer (CSU)
hingegen erteilte allen Erwägungen eine
Absage, die Sicherheitsmaßnahmen aus
ökonomischem Interesse vorzeitig zu lo-
ckern. „Solange das Virus so wütet, ist der
Schutz der Menschen alternativlos“, sagte
er derSüddeutschen Zeitung. „Die Funkti-
onsfähigkeit wiederherzustellen unter In-
kaufnahme von vielen Toten oder auch
Kranken, die geheilt werden, aber bleiben-
de Schäden haben, scheidet für mich aus.“
Für solche Maßnahmen stehe er nicht zur
Verfügung: „Nicht mit mir.“
Abzulehnen seien auch Vorschläge ei-
ner schrittweisen Lockerung der Ausgangs-
beschränkungen. „Es ist eine Illusion zu
glauben, man könne ein Virus schrittweise
steuern, sodass nur die 90-Jährigen oder
80-Jährigen oder 70-Jährigen betroffen
sind“, so der Minister. „Ich halte nichts da-

von, solche Parolen in die Welt zu setzen:
Die Wirtschaft muss bald wieder flottge-
macht werden. Das ist alles schönes Ge-
brüll.“ Er plädiere für „die strengsten Maß-
stäbe, wenn es um die Unterbrechung der
Infektionsketten geht“. Nötig sei „große
Disziplin etwa bis zur Osterzeit“.
Nach der Schließung von Geschäften
und Ausgangsbeschränkungen waren die
Stimmen lauter geworden, bald eine „Exit-
Strategie“ zu finden. „Langfristig können
wir nicht das gesamte Land lahmlegen“,
sagte der Hauptgeschäftsführer des Städ-
te- und Gemeindebunds, Gerd Landsberg,
den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Auch die Präsidentin des Verbandes der Au-
tomobilindustrie, Hildegard Müller, warn-
te vor den Folgen eines dauerhaften Lock-
downs: „Wir können das öffentliche Leben
in Deutschland und die Produktion der In-

dustrie nicht über viele Monate vollkom-
men runterfahren und zum Stillstand brin-
gen“, sagte sie. Ähnlich sah das der Bundes-
verband mittelständische Wirtschaft.
Forschungsministerin Anja Karliczek
(CDU) verwies auf die Nationalakademie
Leopoldina in Halle, die derzeit verschiede-
nen Ausstiegsstrategien untersuche. Man
brauche jetzt „solide Grundlagen“. Gesund-
heitsminister Jens Spahn (CDU) hatte zeit-
weilig sogar den Eindruck erweckt, die Re-
gierung bereite die Rückkehr zur Normali-
tät bereits vor. Die Frage, „wie wir diesen
Krisenmodus verlassen, wird jeden Tag
wichtiger“, sagte er in einem Interview mit
derZeit. „Bis spätestens Ostern will ich dar-
auf eine gute Antwort geben können.“
Denkbar sei, dass man Ältere bitten werde,
über mehrere Monat zu Hause zu bleiben.
Am Donnerstag, nach Seehofers Interventi-
on, war von einer Strategie bis Ostern aller-
dings keine Rede mehr.
Die Bürger erlebten die stärksten
Einschnitte in die bürgerlichen Freiheits-
rechte in der Geschichte der Bundesrepu-
blik, sagte Spahn in Berlin. „Aber noch ist
das die Ruhe vor dem Sturm.“ Es gehe dar-
um, „das, was Länder und Kommunen an
Maßnahmen beschlossen haben und
durchsetzen, jetzt auch durchzuhalten“.
Wenn „bis Ostern alle miteinander konse-
quent“ seien, könne man nach Ostern mög-
licherweise über eine Veränderung reden.
Dies hänge davon ab, ob die Ausbreitung
des Coronavirus sich verlangsame. Dies
wisse man aber erst in etwa 14 Tagen.
Die Frage, wie der Weg aus der Krise aus-
sehen könnte, beschäftigte auch die
Staats- und Regierungschefs der EU bei ih-
rer Videokonferenz am Donnerstagnach-
mittag. Ratspräsident Charles Michel hat-
te vorab angekündigt, die EU-Kommission
mit der Ausarbeitung einer „Exit-Strate-
gie“ zu beauftragen.  Seiten 4 und 8

Diskussion über „Exit-Strategie“


Erste Stimmen inBerlin und Brüssel fordern eine baldige Lockerung der Maßnahmen zur


Eindämmung des Coronavirus. Doch wann und wie dies geschehen soll, ist noch völlig offen


München– Kommissionspräsidentin Ur-
sula von der Leyen hat scharfe Kritik an Al-
leingängen der EU-Staaten in der Corona-
Krise geübt. Europa stehe an einer Wegga-
bel, „die Geschichte schaut auf uns“, appel-
lierte sie an die Staats- und Regierungs-
chefs. „Lassen Sie uns gemeinsam das
Richtige tun: mit einem großen Herzen
und nicht mit 27 kleinen“.dpa  Seite 8

München– Der Mangel an Schutzausrüs-
tung macht sich in der Altenpflege zuneh-
mend bemerkbar. Patientenschützer, Pfle-
geheimbetreiber und Pflegeverbände for-
dern angesichts der steigenden Zahl von
Corona-Infektionen daher weitaus stärke-
re Anstrengungen der Politik, für eine an-
gemessene Schutzausstattung auch in Pfle-
geheimen zu sorgen.sz  Seiten 4 und 7

Washington– Die wirtschaftlichenFolgen
der Corona-Pandemie schlagen voll auf
den amerikanischen Arbeitsmarkt durch.
In der vergangenen Woche stellten beina-
he 3,3 Millionen Amerikaner einen Erstan-
trag auf Arbeitslosenhilfe, wie das Arbeits-
ministerium in Washington am Donners-
tag mitteilte. Der bisherige Höchststand
wurde im Jahr 1982 mit 695 000 Erstanträ-
gen registriert. Die Coronavirus-Krise
könnte nach Ansicht des US-Währungs-
hüters James Bullard kurzfristig beinahe
50 Millionen Amerikaner ihren Arbeits-
platz kosten.dpa  Wirtschaft

Ungehört:War die Pandemie vermeidbar?
Wie die Warnungen seriöser Akteure miss-
achtet wurden  Thema des Tages

Von allem zu wenig:Die Briten brauchten
zu lange, um auf Krise zu schalten. Jetzt ha-
ben sie massive Probleme  Meinung

Mittendrin:Worauf sich das Land vorbe-
reitet, ist in Heinsberg längst Realität. Kri-
sen-Gespräch mit dem Landrat  Politik

Vernetzung der Welt:Manche fordern ei-
ne Abkehr von der Globalisierung. Warum
das ein fataler Fehler wäre  Wirtschaft

Meinung


Manche Amerikanersetzen


Sozialstaat und Sozialismus


gleich – das rächt sich jetzt 4


Politik


KeinBett mehr frei: Weltweit


müssen Ärzte über Leben


und Tod entscheiden 8


Panorama


Ja-Wort im Wohnzimmer: Warum


ein dänisches Paar nicht mit der


Hochzeit warten konnte 10


Wirtschaft


„Die Würde des Menschen ist


altersabhängig“ – ein Gespräch


mit Pflegerin Eva Ohlerth 20


Medien


WernerHerzog ist kein Fan von


„Star Wars“. Trotzdem spielt er


in „The Mandalorian“ mit 31


TV-/Radioprogramm 32
Kinder- und Jugendliteratur 14
Rätsel 31
Traueranzeigen 16


Fünf Seiten SZ-Spezial mit den
SchwerpunktenStudierenim Ausland
undMBA & Executive MBA.

Von der Leyen kritisiert


Egoismus der EU-Staaten


Berlin– Die Ausbreitung des Coronavirus
hat zunehmend Folgen für die Ernährungs-
wirtschaft. So zeichneten sich wegen Perso-
nalmangels Engpässe in Schlacht- und Zer-
legbetrieben oder Molkereien ab, sagte
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia
Klöckner (CDU) am Donnerstag in Berlin.
Teils fielen Berufspendler in Grenznähe
weg, teils Beschäftigte aus Osteuropa. Erst
am Mittwoch hatte das Bundesinnenminis-
terium einen Einreisestopp für osteuropäi-
sche Erntehelfer verhängt. Sie fehlen jetzt
in Betrieben, die mit Ernten oder Pflanzun-
gen beginnen. Es gehe nun darum, „Logis-
tik und Personal vom Acker bis auf den Tel-
ler sicherzustellen“.
Man wolle jetzt Studenten zur Mitarbeit
motivieren. Innenminister Horst Seehofer
prüfe zudem, ob das Arbeitsverbot für Asyl-
bewerber aufgehoben werden könne. Eng-
pässe bei den Grundnahrungsmitteln droh-

ten allerdings nicht, sagte Klöckner. „Wir
werden nicht verhungern. Es ist wichtig,
dass wir die Kirche im Dorf lassen.“
Auch in der Logistik, vor allem beim
Lkw-Verkehr, tauchen neue Probleme auf.
So müssen polnische Fahrer, die nach
Polen einreisen, dort mit Quarantäne rech-
nen. Diese Fahrer fehlten dann, sagte
Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU).
Nötig sei ein „Gütertransportpakt“, um ei-
ne stabile Versorgung mit Waren zu garan-
tieren. „Alle strengen sich noch ein wenig
mehr an“, sagte Scheuer. „Ich weiß, was die
Lkw-Fahrer leisten: Extremes.“
Zuletzt hatten sie auch Extremes leisten
müssen, weil Verbraucher die Regale in Su-
permärkten leer kauften. Am Mittwoch
hatte das Statistische Bundesamt Zahlen
über die Hamsterkäufe der vergangenen
Wochen vorgelegt. Danach hatte sich die
Nachfrage nach Produkten wie Seife, Mehl

und Klopapier teils vervielfacht. Der Be-
darf an Toilettenpapier dürfte jetzt für eini-
ge Zeit gedeckt sein, spottete Klöckner.
Helfen sollen Bürgern und Wirtschaft
nun flexible Lösungen, und das in verschie-
denster Hinsicht. Scheuer kündigte etwa
Kulanz bei TÜV-Prüfungen an. „Niemand
muss derzeit in die Prüfstellen“, sagte
Scheuer. Jeder Verbraucher solle die Mög-
lichkeit haben, seine auslaufende Prüf-
plakette erst nach der Corona-Krise zu
erneuern. Die Regierung will zudem Ange-
bote ermöglichen, die den Leidtragenden
der Pandemie helfen. So will Scheuer die
Idee des notleidenden Taxigewerbes unter-
stützen, für Corona-Erkrankte den Trans-
port von Medizin von der Apotheke nach
Hause zu übernehmen. Die Branche arbei-
te an einer Lösung per App, sagte Scheuer.
Zudem gebe es Gespräche über die Lang-
fristvermietung von Autos durch Vermie-

ter an medizinisches Personal. Der Bund
prüfe, dafür die Kosten zu tragen. Eine
Vereinbarung mit der Lufthansa soll die
Ansteckungsgefahr für Passagiere senken.
Künftig solle deshalb der mittlere Platz in
Sitzreihen leer bleiben.
Die Bundesregierung rüstet sich der-
weil auch für mögliche wirtschaftliche Ver-
werfungen nach der Krise. Es gebe Initiati-
ven, um die europäische Infrastruktur zu
schützen, sagte Scheuer. Gefährdet sei et-
wa die Zukunft von Fluggesellschaften.
„Schauen Sie sich an, welche Airlines kom-
plett am Boden stehen. Wir werden eine
Neuordnung des Luftverkehrs erleben“,
sagte Scheuer. Er werde zudem alles daran-
setzen, dass die Autobranche erhalten blei-
be. „Wir müssen eine Wagenburg entwi-
ckeln zum Schutz der deutschen Wirt-
schaft“, forderte Scheuer.
m arkus balser, michael bauchmüller

Xetra Schluss
10001 Punkte

N.Y. Schluss
22552 Punkte

22 Uhr
1,1042 US-$

Die SZ gibt es als App
für Tablet und Smart-
phone: sz.de/zeitungsapp

Es ist meistens wechselnd bewölkt, bleibt
aber überwiegendtrocken. Dabei ist es im
Norden noch am sonnigsten. Die Tempera-
turen erreichen Höchstwerte zwischen elf
und 17 Grad. An den Küsten bei Seewind
kühler.  Seite 14 und Bayern

Folgenschwer Eine US-Amerikanerin
wird in Uganda verklagt: Sie soll als ver-
meintliche Ärztin unterernährte Kinder zu
Tode behandelt haben. Der Fall rüttelt am
System westlicher Hilfsorganisationen.
NachtragendSobald unsere Autorin et-
was kauft, ist es längst aus der Mode.
VielsagendDie Künstlerin Katharina Sie-
verding über Einsamkeit, Joseph Beuys
und die Suche nach einer Wohnung ohne
rechte Winkel.
Liegt nicht der gesamten Auslandsauflage bei

FOTO: STEPHAN RUMPF

Personalmangel in der Lebensmittelbranche


Um Engpässe bei der Versorgung zu verhindern, sollen auch Studenten und Asylbewerber in Betrieben mithelfen


Pflegeverbände fordern


Schutzausrüstung


USA: Ansturm auf


Arbeitslosengeld


Beinahe 3,3 Millionen Amerikaner
stellen Erstantrag auf Staatshilfen

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dieser Ausgabe


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Dann kam das Coronavirus.


Was der Stillstand der Welt für


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LERNEN


Bestätigte Corona-Fälle in Deutschland Nach Bundesländern

SZ-Grafik; Quellen: Gesamt: Johns Hopkins University, Bundesländer:RKI/Landesbehörden/SZ; Stand: 26.3., 20 Uhr
Durch Verzögerungen in der Meldekette kann der Deutschland-Wertvon der Summe der Fallzahlen in den Bundesländern abweichen.

43 646Infizierte 260 Tote NRW
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27.1. 26.3.

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10000

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25 000
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35 000

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45 000

Verdopplung
der Infektionen
alle 5,5 Tage

10 872
8842
8441
2726
2170
1873
1656
1614
1275
685
579
512
500
466
245
212

82
52
76
10
6 8 4 1 7 4 1 3 2 3 0 1

FOTO: KAI PFAFFENBACH/REUTERS

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089/2183-1030 (Stellenmarkt, weitere Märkte).
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A, B, F, GR, I, L, NL, SLO: € 3,90;
ES (Kanaren): € 4,00; dkr. 31; £ 3,50; kn 34; SFr. 5,

Dax▲ Dow▲ Euro▲


Bühne frei: Die Theater kämpfen um ihre Existenz Feuilleton


HEUTE


(SZ) Für die Hände, das wissen wir ja inzwi-
schen, reichen Wasser und Seife aus, damit
unser Körper zumindest kurzfristig vor
der Ansteckung geschützt ist. Wer es treu
in seinem hygienischen Schatzkästlein hü-
tet, kann sich nach dem Waschen noch ein,
zwei Spritzer Desinfektionsmittel gönnen
und ansonsten hoffen, dass er mit dieser
beinahe stündlichen Prozedur, wie Wil-
helm Busch den Vetter Franz sagen lässt,
„still erfreut die Früchte seiner Reinlich-
keit“ erntet. Was aber ist mit der Seele, in
welcher im Augenblick ein Höllenspekta-
kel aufgeführt wird, deren Hauptdarsteller
Sorge, Angst und Pessimismus allesamt ne-
gative Charaktere verkörpern, deren Spiel
einen bestenfalls durchschnittlichen Un-
terhaltungswert bietet? Für die Desinfekti-
on der Seele gibt es natürlich auch eine Rei-
he von gut gemeinten Tipps, und der im Au-
genblick interessanteste ist der Rat zum
„gesunden Fatalismus“.
Das Adjektiv „gesund“ ist ja inzwischen
ein lieb gewonnener kleiner sprachlicher
Wimpel geworden, den wir hoffnungsfroh
jedem entgegenschwenken, den wir auf ei-
nen Meter fünfzig Entfernung treffen. Den
Fatalismus hatten wir bis heute eher ver-
schrobenen Weltflüchtlingen zugeschrie-
ben. Nun aber haben wir uns die Unterla-
gen noch einmal kommen lassen, und sie-
he da: Fatalismus scheint interessante An-
lagen zur seelischen Anti-Corona-Hygiene
mitzubringen. Natürlich, oder besser:
Leider ist hier nicht der Ort, die schönsten
Ideen zum Fatalismus von Spinoza über
Nietzsche bis Spengler und Dieter Nuhr
auch nur grobkörnig zu skizzieren. Selbst
für die Definition des Fatalismus müssen
wir hier aus Platzgründen den Kölnischen
Volksmund heranziehen: „Wat kütt, dat
kütt.“ Was also geschieht, bestimmt, je
nach Glauben, entweder ein Gott oder das
Schicksal. Der kleine Mensch kann weder
mit Rettungspaketen noch mit Virenbe-
schimpfungen etwas gegen den Lauf der
Welt und ihrer mitlaufenden Putzerfische,
Elend und Verzweiflung, ausrichten.
Der Fatalismus ist eine sehr alte, aus vie-
len Richtungen beleuchtete Geistesverfas-
sung, deren Nutzwert, wie der der meisten
philosophischen Begriffe, eher gering an-
zuschlagen war. Nun aber muss alles ir-
gendwie gegen das Virus mobilisiert und
verwendbar gemacht werden, und der Fa-
talismus darf sich da nicht in die Tonne ver-
kriechen. Der Psychiater Borwin Bande-
low, der sich anschaut, was den Menschen
Angst macht, rät zu jenem gesunden Fata-
lismus, der mit dem Schlimmsten nicht
rechnet. Spinoza hätte dem Professor Ban-
delow jetzt aber kräftig auf die Finger ge-
hauen, denn der echte Fatalist schreibt
dem Verlauf des Schicksals keinen irgend-
wie versöhnlichen Ausgang zu. Aber in der
Krise müssen wir eben alle zusammenste-
hen und Eigeninteressen zurückstellen.
Das gilt auch für philosophische Begriffe.
Also, lieber Fatalismus, bleiben Sie gefäl-
ligst gesund.


DAS WETTER



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