Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
von werner bartens

Ä


rzte haben ein besonders Verhältnis
zu Chamäleons. Damit ist nicht ge-
meint, dass sie die Schuppenkriech-
tiere gerne im heimischen Terrarium hal-
ten. Vielmehr handelt es sich um das Phä-
nomen, dass eine Krankheit extrem vielsei-
tig in ihrem Erscheinungsbild sein kann, al-
so die unterschiedlichsten Symptome da-
bei vorkommen – und diese verschieden
stark ausgeprägt sind. In der Geschichte
der Heilkunde sind Dutzende Erkrankun-
gen als „Chamäleon der Medizin“ bezeich-
net worden, darunter illustre Leiden wie
Syphilis, Sarkoidose, das Hodgkin-Lym-
phom oder auch die Zöliakie. Ähnlich wie
das erstaunliche Reptil nach dem Farb-
wechsel nicht leicht zu erkennen ist, ent-
zieht sich manche Krankheit durch Maske-
rade dem diagnostischen Blick.


Um eine Infektion mit dem neuartigen
Coronavirus zu beschreiben, wurden zu-
nächst vor allem die beiden Hauptsympto-
me Fieber und trockener Husten erwähnt.
Zwar wurde von Anfang an einschränkend
hinzugefügt, dass die Diagnose alleine an-
hand dieser klinischen Symptome nicht
hundertprozentig sicher und die Über-
schneidung mit Erkältungsleiden und an-
deren Erkrankungen womöglich groß sei.
Hieß es zu Beginn, dass Husten und Fieber
bei etwa drei Viertel der erfassten Fälle vor-
kämen, teilte RKI-Präsident Lothar Wieler
kürzlich mit, dass diese Symptome in
Deutschland nur bei 40 bis 50 Prozent der
Infizierten festgestellt werden. Schweizer
Notfallmediziner weisen jetzt darauf hin,


dass die Symptome der Erkrankung Co-
vid-19 oftmals unspezifisch seien und sie
womöglich öfter als vermutet als medizini-
sches Chamäleon auftrete.
Im FachmagazinSwiss Medical Weekly
von dieser Woche zeigen die Ärzte vom Uni-
versitätsspital Basel, dass gerade in der Ri-
sikogruppe der älteren Menschen untypi-
sche Symptome häufig zu vermuten sind.
So berichten die Autoren um Christian Ni-
ckel von einem 83-jährigen Patienten, der
nach einem Sturz in die Notaufnahme ein-
geliefert wurde. Er klagte über Schmerzen
im Bereich des Brustkorbs und wurde
daher mittels Computertomografie (CT)
untersucht. Die Aufnahme zeigte die für
Covid-19 typischen Veränderungen in bei-
den Lungenflügeln, der Test bestätigte die
Infektion. Der Patient hatte allerdings we-
der Fieber noch Husten.
Die Autoren berichten, dass sie derzeit
drei Patienten mit schwerem klinischen
Verlauf behandelten, die alle keine Sympto-
me aufgewiesen hätten, als sie in die Klinik
kamen. „Wir stehen vor der Herausforde-
rung, wie aussagekräftig die Symptome
und andere klinische Anzeichen sind“, so
Nickel. „Das ist der Eckpfeiler für alle wei-
teren Überlegungen hinsichtlich Tests und
Isolationsmaßnahmen.“ Gerade ältere Pati-
enten hätten oft „alles und nichts“, wie er-
fahrene Ärzte wissen: Für Beschwerden,
über die sie klagen, lässt sich kein krank-
hafter Befund ermitteln – umgekehrt ge-
hen Leiden, die bedrohlich sein können,
manchmal kaum mit Symptomen einher.
„Insbesondere bei älteren Patienten muss
man wohl mit sehr unspezifischen Sympto-
men rechnen“, sagt Michael Kochen, lange
Jahre Präsident der Deutschen Gesell-
schaft für Allgemeinmedizin.
In die Irre führen kann beispielsweise
auch ein weiterer Fall, den die Notfallmedi-
ziner aus Basel schildern. Eine 80-Jährige

aus einem Pflegeheim kam mit Atemnot
und Husten in die Klinik. Da zwei Mitbe-
wohner positiv auf eine Infektion mit Sars-
CoV-2 getestet waren, vermutete der Haus-
arzt, dass sie sich ebenfalls angesteckt hat-
te. Die weitere Abklärung im Krankenhaus
ergab allerdings, dass die Dame Luftnot be-
kam, weil sich ihre bereits bestehende
Herzinsuffizienz akut verschlechtert hat-
te. Mehrmalige Tests auf das neuartige Co-
ronavirus fielen bei ihr negativ aus.

Auch solche „Nachahmer-Erkrankun-
gen“ müssten bei Verdacht auf Covid-19 in
Betracht gezogen werden. „Wir brauchen
dringend Werkzeuge oder eine Art Proto-
koll, um Patienten mit unspezifischen wie
auch mit spezifischen Beschwerden besser
zu erkennen“, fordert Nickel und betont,
dass unklare Symptome keineswegs nur
bei älteren Infizierten vorkommen.
Aus anderen Quellen kommen ähnliche
Hinweise. So zeigt sich in mehreren Einzel-
fallberichten, dass manche Patienten
zunächst kaum Symptome hatten, von
denen sie beeinträchtigt waren. Die an-
schließend dominierenden – und manch-
mal einzigen – Beschwerden waren Glie-
derschmerzen, diese allerdings begrenzt
auf den Brustkorb sowie Schultergürtel
und Nacken. Lungenärzte wissen, dass die-
se Symptome bei einer untypischen Lun-
genentzündung vorkommen können.
Auch eine Analyse der Infektionen und
Erkrankungen auf dem Kreuzfahrtschiff
Diamond Princess, auf dem sich etwa 700
der 3711 Passagiere und Crew-Mitglieder
angesteckt hatten, bestätigt den oftmals
ungewöhnlichen klinischen Verlauf nach

einer Infektion mit Sars-CoV-2. Fast alle
Fahrgäste auf dem Schiff wurden getestet,
manche mehrmals. Doch obwohl sich vor
allem ältere Menschen an Bord befanden
und in dieser Gruppe schwere Verläufe häu-
figer sind, wurden bei 18 Prozent der Infi-
zierten keine Symptome festgestellt, wie
das FachmagazinNatureberichtet. „Das
ist ein erheblicher Anteil“, sagt der Epide-
miologe Gerardo Chowell von der Universi-
tät Atlanta, der an der Studie beteiligt war.
Werde die Altersverteilung auf dem Schiff
berücksichtigt, könne dies bedeuten, dass
der Prozentsatz der Infizierten ohne Sym-
ptome in der Allgemeinbevölkerung weit-
aus höher liegt.
Da das Schiff am 5. Februar für zwei
Wochen im Hafen von Yokohama unter
Quarantäne gestellt wurde, gilt die Analy-
se von Passagieren und Crew als unfreiwil-
liges Experiment unter nahezu geschlosse-
nen Bedingungen und daher als sehr aussa-
gekräftig. Es gab schließlich 14 Tage lang
kaum Kontakt mit der Außenwelt, zudem
wurden – anders als in der Bevölkerung –
nahezu alle Menschen an Bord getestet.
Eine Analyse von Japanern, die nach
dem Corona-Ausbruch in Wuhan in ihr
Land zurückgeholt wurden, ergab sogar ei-
nen Anteil von 33 Prozent Infizierten, die
keine Symptome aufwiesen. Angesichts
der Tatsache, dass sich die Virenmenge in
den oberen Atemwegen offenbar kaum
zwischen Infizierten mit Symptomen und
solchen ohne unterscheidet, wie dasNew
England Journal of Medicinezuletzt gemel-
det hat, wäre es hilfreich, verstärkt auf un-
typische Verläufe zu achten. Die Suche
nach dem medizinischen Chamäleon Co-
vid-19 würde also nicht nur zu kuriosen
Fallberichten führen – was früher meist
die einzige Folge war, wenn Krankheiten
exotisch verliefen – sondern zum besseren
Schutz der Bevölkerung beitragen.

Mehr als 220 Todesfälle verzeichnet die ak-
tuelle Covid-19-Statistik für Deutschland.
Das sind mehr als 220 Tragödien. Und
doch ist diese Zahl gemessen an den rund
40000 gemeldeten Infizierten erstaunlich
klein. Rein rechnerisch ergibt dies eine Le-
talität – so der Fachbegriff für die Sterbera-
te – von etwa 0,5 Prozent; der Wert ist deut-
lich kleiner als in vielen anderen Ländern.
Mittlerweile fragt man sich auch außer-
halb der Bundesrepublik: Was ist in
Deutschland anders als beispielsweise im
schwer betroffenen Italien?
Tatsächlich kommt man auf enorme Un-
terschiede, wenn man die Zahl der Gestor-
benen durch die Zahl der Fälle teilt. Bangla-
desch und San Marino weisen nach dieser
Kalkulation eine Letalität von mehr als
zehn Prozent auf, Italien liegt nur knapp
unter zehn Prozent. Dagegen ergibt die
Rechnung für Australien, Tschechien und
Israel eine Sterberate von weniger als 0,
Prozent.
Ein Teil des Phänomens ist, dass die
simple Division kein sehr zuverlässiges
Verfahren ist. Zu berücksichtigen ist, wie
lange der Ausbruch schon anhält, dass Er-
krankung und Tod nicht gleichzeitig eintre-
ten, und wie sicher die Todesfälle und Infi-
zierten erfasst werden. Insbesondere bei
der Registrierung der Infektionen gibt es
große – und vor allem: unterschiedlich gro-
ße – Dunkelziffern.
In Deutschland dürfte die Zahl der nicht
entdeckten Fälle niedriger sein als in etli-
chen anderen Ländern. Hier werden ver-
gleichsweise viele Menschen getestet, wie
Lothar Wieler, Präsident der Robert-Koch-
Instituts, regelmäßig betont. Auch viele In-
fizierte mit leichten oder gar keinen Sym-
ptomen würden erfasst. Italien dagegen
testet zwar auch sehr viel, aber überwie-
gend in Kliniken, wo die schwer Erkrank-
ten um Atem ringen. Leichte Fälle werden
kaum mehr registriert, schrieben Wissen-
schaftler aus Rom vor wenigen Tagen im
FachblattJama.
Doch auch jenseits statistischer Verzer-
rungen gibt es Erklärungsansätze für die
geografischen Unterschiede. Dazu gehört
das Alter der Erkrankten. In Deutschland
hat Sars-CoV-2 bisher eher jüngere Men-

schen getroffen, in Italien und Spanien da-
gegen die älteren, die ein größeres Sterberi-
siko haben (siehe Grafik).
Als weiterer Faktor wird Rauchen ver-
mutet. Die geschädigten Lungen der Ziga-
rettenkonsumenten könnten schwere Ver-
läufe von Covid-19 begünstigen. Dieser Zu-
sammenhang könnte erklären, warum
sich Männer, unter denen das Rauchen ver-
breiteter ist, öfter anstecken und auch häu-
figer versterben als Frauen. Unterschiede
zwischen Italien und Deutschland lassen
sich damit allerdings nicht pauschal erklä-
ren, die Raucherquoten in beiden Ländern
sind ungefähr gleich hoch.

Diskutiert wird außerdem der Einfluss
der Luftverschmutzung. In Norditalien ist
die Feinstaubkonzentration besonders
hoch. Die Schmutzteilchen können chroni-
sche Lungenerkrankungen verschlim-
mern, so dass die Patienten Lungenentzün-
dungen schwerer bekämpfen können, sagt
Sara De Matteis, Umweltmedizinerin der
Universität Cagliari: „Dies ist wahrschein-
lich auch der Fall bei Covid-19“.
Wissenschaftler der Universität Oxford
werfen zudem die Hypothese auf, dass An-
tibiotika-Resistenzen einen Teil der Todes-
fälle in Italien erklären könnten. Antibioti-
ka helfen zwar nicht gegen das Coronavi-
rus, werden aber bei jenen Patienten einge-
setzt, die zusätzlich noch eine bakterielle
Begleitinfektion entwickeln. Italien aber
kämpft schon seit Jahren in besonderem
Maße mit resistent gewordenen Erregern.
Auch Unterschiede in der Kapazität und
Qualität des Gesundheitssystems können
ein Einflussfaktor sein. Er dürfte vor allem
in ärmeren Ländern zum Tragen kommen.
Welcher dieser Faktoren letztlich welchen
Einfluss hat, ist derzeit überaus ungewiss.
Sicher ist, dass Deutschland trotz seines gu-
ten Gesundheitssystems nicht gefeit vor
dramatischeren Entwicklungen ist. „Wir
stehen erst am Anfang der Epidemie“, sagt
Wieler. berit uhlmann

Auf Leben und Tod


Warumist die Sterblichkeit in Deutschland so gering?


Covid-19, das Chamäleon


Längst nicht immer Husten und Fieber: Der Anteil der Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus,


die ohne Symptome oder untypisch verlaufen, ist offenbar noch höher als angenommen


Ein 83-Jähriger kam mit


Schmerzen im Brustkorb in die


Klinik. Er wurde positiv getestet


Unter Japanern, die aus Wuhan
heimkehrten, war jeder dritte
Infizierte symptomfrei

Neben der Altersstruktur könnten
auch Luftverschmutzung und
Resistenzen eine Rolle spielen

Ein unfreiwilliges, aber sehr aussagekräftiges Experiment: Auf dem KreuzfahrtschiffDiamond Princesswurdennahezu alle Menschen getestet.FOTO: A. PERAWONGMETHA/REUTERS


Corona-Infizierte in ausgewählten Ländern nach Alter
Angaben in Prozent, Abweichungen von 100 Prozent rundungsbedingt

*Die Letalität beschreibt das Verhältnis der Verstorbenen zu den bekannten Fällen. Tatsächliche Sterblichkeit könnte abweichen
SZ-Grafik; Quelle: RKI, KCDC, Gesundheitsministerien von Spanien und Italien, Imperial College COVID-19 Response Team

0-59 Jahre

60-79 Jahre

über 80 Jahre

Letalität*

0-59 Jahre

60-79 Jahre

über 80 Jahre

Letalität*

SPANIEN SÜDKOREA

DEUTSCHLAND ITALIEN
80,

16,

3,

0,

44,

38,

18,

8,

52,

32,

16,

4,

76,

19,

4,

1,

0-
Jahre

10-
Jahre

20-
Jahre

30-
Jahre

40-
Jahre

50-
Jahre

60-
Jahre

70-
Jahre

über 80
Jahre

Krankheitsverlauf in
verschiedenen Altersgruppen

Anteil der Infizierten in Prozent,
Modellrechnungbasierend auf Daten aus China
Krankenhaus, normale Station
Krankenhaus, Intensivstation
verstorben

0,60,

9,09,
0,60,

0,00,

0,10,
0,00,
0,00,

0,30,
0,00,
0,00,

1,11,
0,00,0 0,10,

3,03,
0,10,1 0,20,

4,64,
0,20,

2,

12,

2,3 5,

13,

5,
9,

7,

10,

(^16) WISSEN Freitag, 27. März 2020, Nr. 73 DEFGH
Wenn wirverstehen,
dass wir mit allen Lebewesenverbunden sind,
verlieren wir die Angst.
Buddhistische Quelle.
Abschied nehmen von einem geliebten Menschen ist
schmerzlich und braucht Zeit.
Das Trauerportal der Süddeutschen Zeitung,
SZ Gedenken, hilft Ihnen dabei und bietet die
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Alle Traueranzeigen aus der Zeitung erscheinen
zugleich in einer persönlichen Gedenkseite.
Die Gedenkseite hilft, das Andenken an den
Verstorbenen zu bewahren. Hier können Sie
virtuelle Gedenkkerzen anzünden, kondolieren
und persönliche Fotos und Erinnerungen mit
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Zudem können Sie im Trauerportal nach den
Traueranzeigen aus der Süddeutschen Zeitung suchen.
Kontakt:
[email protected] oder http://www.sz-gedenken.de
Gerhard A. Schneider Online kondolieren
Steuerberater in München







      1. 1938 † 19. 3. 2020
        Die Bestattung musste im engsten Familienkreis stattfnden.
        Sobald es möglich ist, wird es eine Gedenkfeier geben.
        Mein lieber Ehemann, unser lieber Vater,
        Schwiegervater und Opa
        Als Pfadfnder hatte er versprochen, den Menschen zu
        dienen – das hat er auf vielfältigste Weise getan. Er hatte
        ein erfülltes Leben und war bereit immer wieder Neues in
        sein Leben zu lassen. Jetzt ist er in Frieden und bei klarem
        Bewusstsein aus unserer Welt geschieden. Wir sind traurig
        und unsere Seelen sind aufgewühlt. Wir sind dankbar, dass
        wir so viele Jahre das Leben mit ihm teilen durften.
        Du bleibst immer in unseren Herzen:
        Deine Frau Martha,
        deine Kinder, Schwiegerkinder
        und deine 7 Enkel
        Ulrich Kirchmaier
        Studiendirektor a. D.
        geb. 28. 2. 1929 in Ebersberg
        gest. 23. 3. 2020 in Garching
        Die Erdbestattung fndet im engsten Familienkreis
        im Parkfriedhof in Garching statt.
        Ein Gottesdienst erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.
        Allmächtiger, Dir sei Preis!
        Groß sind die Wunder
        Deiner Gnade!
        R ichard Wagner
        In Liebe und Dankbarkeit nehmen wir Abschied
        von meinem treusorgenden Ehemann, Vater,
        Schwiegervater und Großvater
        In stiller Trauer:
        Hildegard Kirchmaier
        Ulrich und Birgit Kirchmaier
        mit Anna und Elisabeth
        Annemarie Rein
        Lehrerin und bis zuletzt kreative Künstlerin
        * 18. 7. 
        in Amonsgrün
        Sudetenland
        † 14. 3. 
        in München
        Augustinum
        Die Trauerfeier erfolgt zu einem späteren Zeitpunkt.
        In stillem Gedenken:
        Ursula und Dr. Friedrich Hans Rein
        im Namen aller Angehörigen





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