Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
von harald freiberger,
meike schreiber, markus zydra

M


anchmal bestraft das Leben auch
jene, die zu früh dran sind. Am 16.
März konnte der Münchner Unter-
nehmer Valentin Plapp absehen, dass bei
ihm wegen der Coronakrise der Umsatz ein-
bricht. „Mehrere wichtige Kunden stopp-
ten Aufträge, ich musste mich darauf ein-
stellen, dass das Geld bald knapp wird“,
sagt er. Er rechnete aus, wie viel er braucht,
um seine Firma in den nächsten Monaten
zu erhalten; sie ist im Bereich der autono-
men Mobilität tätig und vermittelt auch IT-
Fachkräfte an Unternehmen.
Plapp kam auf eine Summe von 450 000
Euro und stellte einen Antrag auf einen ent-
sprechenden Kredit der bundeseigenen
Förderbank KfW bei seiner Hausbank, der
Postbank. „Am vergangenen Freitag kam
die für mich schockierende Nachricht,
dass die Postbank den Kredit ablehnt“,
sagt Plapp. Sie begründete es damit, dass
seine Firma „keine ausreichenden Gewin-
ne ausweist, um einen Kapitaldienst in die-
ser Größenordnung zu decken“.
Der Unternehmer ist entsetzt. „Was brin-
gen all die angekündigten staatlichen Hil-
fen, wenn sie nicht bei den Unternehmen
ankommen?“, fragt er. Die Gewinne habe
er in starkes Wachstum investiert, das wer-
de ihm nun vorgehalten. Die Postbank hält
dagegen, sein Antrag habe gar nicht in Zu-
sammenhang mit den Corona-Hilfen der
KfW gestanden, die es erst seit diesem
Montag gibt. Es habe sich um einen norma-
len Kredit gehandelt, den man nach Prü-
fung abgelehnt habe, so wie man das auch
vor der Corona-Krise schon getan hätte.
Plapp war zu früh dran mit seinem Antrag.
Er muss sich nun erneut darum kümmern,
wie er schnell an Geld kommt, ob mit ei-
nem neuen KfW-Antrag oder über die So-
forthilfe des Freistaats Bayern.


Sein Beispiel steht für viele Unterneh-
men in Deutschland, die nun händerin-
gend nach Geld suchen. Bund und Länder
haben Milliarden-Kreditprogramme ange-
kündigt, abzurufen bei der KfW und den
Landesförderbanken. Doch dazu müssen
die Unternehmer zu ihrer eigenen Bank ge-
hen, die diese Kredite vermittelt. „Haus-
bankprinzip“ nennt sich das Verfahren.
Und bei den Hausbanken hakt es an vielen
Stellen. „Schnell und unbürokratisch“ woll-
ten sie die Kredite weiterleiten, kündigten
viele an. In der Praxis aber läuft es oft lang-
sam und bürokratisch.
Die Kreditinstitute sind überfordert von
der Antragsflut, manche kennen die neuen
Regularien noch nicht, und sie müssen
nach wie vor eine Risikoprüfung machen
und entscheiden, ob ein Unternehmen we-
gen des Coronavirus in Finanznot geraten
ist oder vorher schon angeschlagen war.
„Dieses Fördergeschäft hat für die Ban-
ken in den vergangenen Jahren nur eine un-
tergeordnete Rolle gespielt“, sagt Finanzex-
perte Peter Barkow vom Analysehaus Bar-
kow Consulting. Die Sachbearbeiter seien
daher vermutlich aus der Übung.
Manchmal sind es auch sehr profane
Dinge, die verhindern, dass die Hilfe bei
den Unternehmen ankommt. Oft sind die
Kreditakten bei den Banken noch richtige,
traditionelle Akten, das heißt Ordner,
nicht digitalisiert. Viele Firmenkundenbe-
rater arbeiten aber im Home-Office, sie ha-
ben am Notebook keinen Zugriff auf die Da-
ten. Und wo Daten fehlen, wird es auch
schwierig, den Kredit einer Förderbank
weiterzuleiten.
Immerhin verdienen die Banken wohl
auch ein wenig an den Krediten. Sie tragen
zehn bis zwanzig Prozent des Kreditrisi-
kos, den Rest übernimmt die Förderbank
KfW. Laut einer Sprecherin der KfW kön-


nen die Banken prinzipiell den kompletten
Zins vereinnahmen. Die Konditionen rei-
chen je nach Firmengröße von 1 Prozent
bis 2,12 Prozent der Kreditsumme. Zinsen
sind grundsätzlich notwendig, weil das Pro-
gramm andernfalls in Brüssel als verbote-
ne staatliche Beihilfe gewertet würde. Bei
Krediten bis 125 000 Euro zahlt die KfW
den Banken zudem eine einmalige Bearbei-
tungsgebühr von einem Prozent des Darle-
hens als Extra-Anreiz. „Das klingt erst ein-
mal recht attraktiv aus Sicht der Banken“,
sagt Barkow. Zumal die Institute keine Refi-
nanzierungskosten haben.
Gerade Skandal-Institute wie die Deut-
sche Bank wittern nun ihre Chance, mit ra-
scher Kreditvergabe ihre Daseinsberechti-
gung zu unterstreichen. „Wir können Teil
der Lösung sein“, schrieb Konzernchef
Christian Sewing. Andererseits: Wie viele
Ausfälle kann man sich leisten? „Wir wer-
den reihenweise KfW-Kredite ablehnen
müssen, wenn die Bonität nicht stimmt“,
sagt ein Deutsche-Bank-Mitarbeiter hin-
ter vorgehaltener Hand. Auch Herbert
Hans Grüntker, Chef der Landesbank Hes-
sen-Thüringen, sagt: „Die Sparkassen in
Hessen und Thüringen stehen bereit, die
dringend notwendigen Gelder auszuzah-
len, aber wir können nicht jedem helfen.“

Der Princeton-Ökonom Markus Brun-
nermeier schlägt daher vor, die Banken bei
der Liquiditätsversorgung der europäi-
schen Wirtschaft ganz außen vor zu lassen.
Seine Idee: Die Europäische Investment-
bank EIB solle das Geld für die Kredite auf-
bringen und die Beträge über die nationa-
len Finanzämter auszahlen lassen. Da-
durch umgehe man die Gefahr, dass Ban-
ken womöglich eher zögerlich die notwen-
digen Krisenkredite ausreichten. Umge-
kehrt könnte es genauso laufen: Die Fir-
men bezahlen über ihr Finanzamt ihre
Schulden gestreckt auf viele Jahre zurück.
Das Finanzamt habe einen starken Hebel,
die Tilgung durchzusetzen. Der Banken-
sektor wäre damit entlastet, sich in dieser
Krisensituation neue Risiken aufzuladen.
Doch in all dem Durcheinander gibt es
auch positive Nachrichten. Manche Stellen
lösen das Hilfs-Versprechen wirklich zügig
ein. Die Landeshauptstadt München über-
wies bedürftigen Kleinunternehmern zum
Beispiel schon am Montag die vom Frei-
staat versprochenen Soforthilfen von
5000 bis 30 000 Euro auf ihr Konto.
Und auch die Banken lernen mit jedem
Tag dazu: Martin Klindtworth, ein selb-
ständiger Fotograf in Leipzig, gehört eben-
falls zu den Unternehmern, die zu früh ka-
men. Vor vier Wochen wurde die Internatio-
nale Tourismus Börse in Berlin abgesagt,
danach täglich weitere Messen, für ihn zen-
trale Einnahmequellen. Da konnte er be-
reits absehen, dass er am 1. April in Finanz-
not geraten würde, wenn die Miete für die
Büroräume fällig wird. Er kümmerte sich
sofort um einen Kredit bei der zuständigen
Landesförderbank, der Sächsischen Auf-
baubank. „Doch dort sagte man mir, sie
wüssten noch nichts über die Konditio-
nen“, erzählt er. Anfang der Woche wurden
sie schließlich bekannt, er stellte gleich ei-
nen Antrag über 35 000 Euro Soforthilfe-
Darlehen. Neun Seiten füllte er aus. Zwi-
schendrin erhielt er noch die Nachricht, er
möge von Nachfragen über den Stand der
Dinge absehen. Am Donnerstagmittag
schließlich die erlösende Post im Briefkas-
ten: Sein Antrag ist genehmigt, die 35 000
Euro gehen auf sein Konto. „In vier Tagen
hätte ich sonst meinen Kontokorrent teuer
überziehen müssen“, sagt Klindtworth.
Jetzt muss er nur noch sein Finanzamt
überzeugen, dass es die Vorauszahlung der
Umsatzsteuer auf Null setzt. Den Antrag
stellte er vor einer Woche. Am Mittwoch
aber erhielt er noch einmal eine Mahnung.

In der voraussichtlich schlimmsten Wirt-
schaftskriseseit Jahrzehnten denken auch
die deutschen Geldhäuser über Kurzarbeit
nach. Die Deutsche Bank prüfe, ob und wo
diese Maßnahme sinnvoll sein könne, erklär-
te das größte deutsche Geldhaus auf eine
Anfrage der Nachrichtenagentur Reuters.
„Auf der operativen Ebene bereitet die Bank
sich für solche Szenarien vor.“ Stand heute
gebe es aber keine Kurzarbeit innerhalb des
Instituts. Derzeit hätten die Mitarbeiter alle
Hände voll zu tun. Auch einzelne Volks- und
Raiffeisenbanken ziehen die Maßnahme in
Betracht. „Dort, wo es sich nicht vermeiden
lässt, gehen Genossenschaftsbanken die-
sen Schritt, um Arbeitsplätze zu erhalten“,
sagte eine Sprecherin des Bundesverbands
der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Der

Arbeitgeberverband des privaten Bankge-
werbes erklärte, bislang gebe es nach sei-
nen Kenntnissen noch keine Kurzarbeit.
„Selbstverständlich müssen sich die Unter-
nehmen darauf vorbereiten, dass in be-
stimmten Bereichen auch Kurzarbeit not-
wendig werden könnte“, heißt es.
Für die Bankenbranche wäre der Schritt
indes ein Novum. „Kurzarbeit ist für Banken
etwas völlig Neues und Unbekanntes. Mir
sind jedenfalls in meiner 35-jährigen Berufs-
erfahrung keine Fälle bekannt“, sagte Ste-
phan Szukalski, Bundesvorsitzender der
Bankgewerkschaft DBV. Kurzarbeit wird in
der Regel von Unternehmen wie Autoher-
stellern oder Maschinenbauern genutzt,
um einen wirtschaftlichen Abschwung zu
überstehen, ohne Mitarbeiter gleich entlas-

sen zu müssen. Kurzarbeitergeld ist eine
Leistung aus der Arbeitslosenversicherung.
Sollte ausgerechnet die Deutsche Bank ei-
nen solchen Antrag stellen, wäre das wohl
auch ein Politikum: Für das Geschäftsjahr
2019 hat das Institut gerade 1,5 Milliarden
Euro Boni an die Mitarbeiter bezahlt, ob-
wohl das Institut wegen der Kosten für den
laufenden Umbau Verlust gemacht hat.
Die Commerzbank hat keine entspre-
chenden Pläne. „Wir sehen einen riesigen
Beratungsbedarf unserer Kunden. Daher
stellt sich die Frage nach Kurzarbeit aktuell
nicht“, sagt Privatkundenvorstand Michael
Mandel. Auch bei den Sparkassen gibt es
nach Angaben eines Sprechers des Dachver-
bandes DSGV noch keine Überlegungen,
Kurzarbeit zu beantragen. MESC/REUTERS

Kurzarbeit womöglich auch bei den Geldhäusern


V


iel wird spekuliert, woher das Coro-
navirus komme. Schuldige suchen:
Es liegt in der menschlichen Natur.
Wahrscheinlich ist, dass irgendein exoti-
sches Tier in China, wo viele Seltenes jeder
Art gern essen, weil es unter anderem der
Manneskraft zuträglich sein soll, diesen Vi-
rus auf einen Menschen übertragen hat.
Anstatt sich vordringlich mit der Bekämp-
fung der Krankheit zu befassen, hat Do-
nald Trump China beschimpft. Vonseiten
Pekings wurde postwendend zurückgenör-
gelt: Amerikanische Soldaten hätten das
Virus auf militärische Stützpunkte in Süd-
ostasien getragen.
Tatsächlich waren es Soldaten, deut-
sche Soldaten, die 1629 mit Flöhen im Pelz
die Pest nach Italien brachten. Norditalien
war durchseucht, dann machte die Epide-
mie für eine Weile halt: Über die Gebirgszü-
ge des Apennin kletterten Menschen und
Flöhe nicht ohne Weiteres. Das gab den
Stadtvätern von Florenz die Zeit, ihr Ge-
meinwesen zu wappnen. Sie verhängten ei-
ne totale Ausgangssperre für fast alle. Sie
organisierten die Lieferung von Lebensmit-
teln. Priester durften in den Straßen den
Gläubigen, die sich aus den Fenstern lehn-
ten, Segen spenden. Wer ohne Erlaubnis
das Haus verließ, kam ins Gefängnis. Am
Ende waren zwölf Prozent der Florentiner
an der Pest gestorben, viel weniger als in
anderen Städten.
Die Pest in Florenz konnte eingedämmt
werden, weil damals nicht so viel gereist
wurde wie heute. Der Shutdown der floren-
tinischen Wirtschaft währte 40 Tage.
40 Jahre lang lief in der Bibel das Volk


Israel durch die ägyptische Wüste ins Ge-
lobte Land, daher vermutlich die Terminie-
rung. Heute, wie damals in Florenz,
kommt in Italien ins Gefängnis, wer ohne
Legitimation auf die Straße geht. Die pro-
zentuale Rate der Toten wird glücklicher-
weise die damals sagenhaft niedrigen
zwölf Prozent in Florenz nirgends errei-
chen. Das Wirtschaftsgeschehen weltweit
liegt derzeit ziemlich platt. Mit vierzig Ta-
gen freilich werden die Regierenden sich
vermutlich nicht bescheiden. Das ist
schlimm für die Wirtschaft.
Die Stadtväter von Florenz wussten im


  1. Jahrhundert nicht, woher die Pest kam;
    so weit war die Medizin damals noch nicht.
    Was sie aber wussten: Arme Menschen wa-
    ren besonders anfällig. Deshalb trugen sie
    Sorge, dass auch arme Menschen mit Le-
    bensmitteln versorgt wurden. Und wie
    sieht das heute aus, global gesehen?
    Es mag für Deutsche im Home-Office
    nervtötend sein, dass sie ihre kleinen Kin-
    der besser kennenlernen, als sie lustig fin-
    den. Anderswo sieht es aber schlimmer
    aus. So zum Beispiel: Viele deutsche und ös-
    terreichische Gaststätten und Hotels in
    der Nähe von Tschechien, Slowenien und
    der Slowakei beschäftigen Leute von dort,
    diese Menschen sind nicht angestellt, son-
    dern „freischaffend“. Jetzt sind Gaststät-
    ten und Hotels geschlossen. Ein Hotelier
    sagte, es tue ihm furchtbar leid, aber mehr
    als einen weiteren Monat Lohn könne er
    nicht zahlen, seitdem sein Haus zumachen
    musste: Von dem Geld, das seine Leute bei
    ihm verdienten, würden viele ihre ganze
    Familie ernähren. Wenn er könnte, der


Hotelier würde gern länger den Lohn zah-
len, aber er kann nicht.
Der deutsche Staat will Milliarden aus-
geben, um die Wirtschaft zu unterstützen.
Das Geld wird bei großen Unternehmen
schnell ankommen. Diesbezüglich ziehen
die deutschen Konzerne und die Gewerk-
schaften an einem Strang. Das Zimmer-
mädchen aus Tschechien, das in einem
deutschen Hotel gearbeitet hat: Die Frau
muss sehen, wo sie ihr Brot herbekommt.
In Asien und Afrika ist alles noch viel
schlimmer. Viele, die nicht mehr arbeiten
dürfen, weil es keine Arbeit gibt, werden
hungern. Bekanntlich ist Hunger ganz
schlecht für das Immunsystem. Es bleiben
abzuwarten die Studien, denen zu entneh-
men sein wird, wie grauenhaft nicht das Vi-
rus, sondern Mangel an bezahlter Arbeit
den Menschen zusetzt.

Der Wirtschaftsprofessor Rudolf Hickel
gehört zu jenen, die frühzeitig, nämlich An-
fang Februar, gesagt haben: Da, schaut ein-
mal her, was die Globalisierung gebracht
hat! Das Zauberwort ist „Lieferketten“. Es
gibt keine Atemschutzmasken, es gibt kei-
ne Autozubehörteile, es gibt vieles nicht
mehr, was in weiter Ferne produziert wird.
Hickels Argument: Klüger wäre gewesen,
nicht aus Sucht nach billigen Arbeitern alle
mögliche Produktion in ferne Länder zu
verlagern, sondern stattdessen die Produk-

tion in Europa vonstatten gehen zu lassen:
unter annehmbaren Verhältnissen für die
Arbeiter. Etliche grundsolide, auf Profit er-
pichte Kapitalisten sind mittlerweile auch
dieser Ansicht.
Die Florentiner des 17. Jahrhunderts
wussten nicht, dass ihr wirtschaftliches
System eines Tages „Kapitalismus“ ge-
nannt werden würde. Heute ist klar: Der
Kapitalismus ist die Lebensform der Wirt-
schaft. Kapitalismus heißt: Religion und
andere Werte zählen nicht. Es kommt dar-
auf an, viel Geld zu haben, und wenn man
es hat, will man es vermehren. Geld ist –
mit Karl Marx gesagt – ein Fetisch. Prak-
tisch und mit Bertolt Brecht gesagt: „Geld
macht sinnlich.“ Nicht zufällig hat seit un-
gefähr zwanzig Jahren der Finanzkapitalis-
mus Oberwasser, der Kasino-Kapitalis-
mus, bei dem virtuelles Geld per Compu-
ter auf Derivate gesetzt wird, von denen
auch Experten nicht wissen, was da alles
an Anleihen, Krediten und weiteren Deriva-
ten reingeschaufelt ist. Das rein virtuelle
Geld kreist und kreist. Auch das ist die
Wirtschaft.
Heute wird gesagt: Die Corona-Epide-
mie werde alle Mores lehren, werde die
besitzgierigen Menschen zur Besinnung
bringen. Derlei Hoffnungen zu hegen ist
sinnlos, sie würden enttäuscht werden. Zu
hoffen ist aber: 40 Tage Quarantäne sind
genug, wir sind nicht schlauer als die Flo-
rentiner des 17. Jahrhunderts.
franziska augstein

Auf die lange Bank


Kreditinstituteversprechen, die staatliche Hilfe für Unternehmen wegen Corona „schnell und unbürokratisch“ weiterzuleiten.
Betroffene erzählen jedoch, wie langsam und bürokratisch es manchmal abläuft. Immerhin gibt es einige Lichtblicke

Ralph Dommermuth, 56, Angreifer,
kommt mit dem Bau eines neuen Mobil-
funknetzes in Deutschland nur langsam
voran. „Da sind wir ein Stück aus dem
Zeitplan rausgefallen“, sagt der Chef des
Konzerns United Internet mit Marken
wie 1&1 oder Yourfone. Bislang nutzt das
Unternehmen Mobilfunkfrequenzen der
großen Betreiber Telefónica („O2“) und
Vodafone mit. Im vorigen Sommer hat
seine Tochterfirma Drillisch jedoch erste
eigene Frequenzen ersteigert, die für
den schnellen Mobilfunkstandard 5G
geeignet sind. Während Dommermuth
(FOTO: REUTERS)in ersten Gegenden eigene
Antennen aufstellen will, möchte er
anderswo wenigstens für einige Jahre
eines der bestehenden Netze mitnutzen.
Doch die Verhandlungen darüber „gestal-
ten sich nicht leicht“,
konstatiert der Wes-
terwälder, der 1&
im Jahr 1988 gegrün-
det hatte. Er hoffe
nun, die Vorbereitun-
gen für das geplante
5G-Netz in diesem
Jahr abschließen zu
können. ikt

Mario Draghi,72, fordert angesichts
der Corona-Krise die EU-Staaten dazu
auf, für alle Verluste und Einbußen der
Banken, Unternehmen und Privathaus-
halte in Europa geradezustehen. „Wir
müssen in dieser Krise so umdenken,
wie wir es in Kriegszeiten auch tun wür-
den“, schrieb der frühere EZB-Präsident
in einem Gastartikel für dieFinancial
Times.Ein Zögern seitens der Regierun-
gen könne „unumkehrbare Kosten“
verursachen. Die Erfahrungen aus der
Weltwirtschaftskrise der 1920er-Jahre
solle als mahnendes Beispiel dienen.
Draghi(FOTO: AP)sprach sich dafür aus,
dass Banken jegliche Kreditnachfrage
befriedigen, Kapitalregeln dürften kein
Hindernis darstellen, der Staat solle als
Garant auftreten. „Die Staatsschulden
werden ansteigen“, so Draghi, aber eine
dauerhafte Zerstö-
rung der Produkti-
onskapazitäten kä-
me viel teurer. Dass
am Ende wohl die
EZB die Schuldschei-
ne kaufen müsste,
erwähnte Draghi
hingegen mit kei-
nem Wort. zyd

Nicolai Tangen, 54, wird Chef des größ-
ten Staatsfonds der Welt. Ab September
wird der Anlageprofi über die 945 Milli-
arden Dollar des dortigen Pensionsfonds
wachen. „Das ist nicht mein Traumjob,
das ist mein Traum“, sagt er. Schon zu
Schulzeiten hat Tangen Blumen in Res-
taurants verkauft und das Geld an die
Börse geschoben. Später hat er dann
Wirtschaftswissenschaften studiert und
als Fondsmanager gearbeitet. Nebenbei
hat er auch noch zwei Masterabschlüsse


  • in Sozialpsychologie und Kunstge-
    schichte(FOTO: SHUTTERSTOCK). Nicht ohne
    Grund, denn Tangen hat eine stattliche
    Kunstsammlung aufgebaut. Mit einer
    eigenen Stiftung unterstützt er Kunst-
    und Bildungsprojekte. Warum er viel
    Geld in diese Dinge investiere? „Das
    Beste, was ich kenne, ist Pizza. Sie kostet
    200 Kronen. Ich
    kann nur eine Pizza
    am Tag essen, also
    gebe ich das Geld
    der Stiftung.“ Tan-
    gen, der in London
    lebt, will nun nach
    Norwegen ziehen.
    Um dort seine Steu-
    ern zu zahlen.gojd


Der Berater arbeitet im


Home-Office, die Akte aber


liegt in der Bank


Ein Fotograf bekam nun endlich
seinen Kredit. Jetzt muss er nur
noch mit dem Finanzamt reden

18 HF2 (^) WIRTSCHAFT Freitag,27. März 2020, Nr. 73 DEFGH
40 Tage Quarantäne
DieAusbreitung des Coronavirus stellt
die globalisierte Wirtschaft auf die Probe.
Wie lange kann sie lahmgelegt werden,
bevor der Stillstand den Menschen mehr
Unglück bringt als das Virus? Auf diese Frage
hat der Kapitalismus keine Antwort
AUGSTEINS WELT
Der Kapitalismus ist
die Lebensform
der Weltwirtschaft
Schweißarbeiten in einer Maschinenbau-Firma: Die Aufträge brechen weg,
die Kosten bleiben. Immer mehr Unternehmen geraten in Finanznot. Die Hilfe des
Staates kommt oft nur auf Umwegen bei ihnen an.FOTO: KLAUS-DIETMAR GABBERT/DPA
An dieser Stelle schreiben jeden Freitag Franziska
Augstein und Nikolaus Piper im Wechsel.
Schwierige Gespräche
VolleStaatsgarantie
Blumige Rendite
PERSONALIEN

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