Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
interview: nicolas freund

A


ls die Serie angekündigt wurde, spra-
chen die meisten vor allem über ihn:
Denn am Ende des Trailers zuThe
Mandalorianraunt Werner Herzog mit sei-
nem charakteristischen deutschen Ak-
zent: „Bounty hunting is a complicated pro-
fession. Don’t you agree?“ Kopfgeldjagd ist
eine kompliziertes Geschäft. Finden Sie
nicht? In der Serie aus demStar Wars-Uni-
versum spielt er den Auftraggeber des
Titelhelden. Ein Telefongespräch mit dem
Regisseur und Buchautor über Bösewich-
te, neue revolutionäre Filmtechnologie
und Kino in Zeiten von Corona.


SZ: Herr Herzog, haben Sie sich mit der
Rolle inThe Mandalorianeinen Traum er-
füllt?
Werner Herzog: Nein, weil ich mit der Welt
vonStar Warsnicht wirklich vertraut bin.


Wie kam es dann, dass Sie mitspielen?
Jon Favreau, der sozusagen der Übervater
dieser ganzen Sache ist, hat mich eingela-
den, eine Rolle zu übernehmen. Das hatte
wohl zwei Gründe: Zum einen ist er ein au-
ßerordentlicher Fan meiner Filme und


wollte, dass ein größeres Publikum mitbe-
kommt, wie ich aussehe. Zum Zweiten
wusste er, dass ich kompetent bin, wenn es
um Figuren geht, die eher düster und ver-
dächtig sind und denen man nicht über
den Weg trauen kann.


Haben Sie inThe Mandalorianalso ein
klassisches Muster „Gut gegen Böse“ wie-
dererkannt, wie im Western?
Ja, ich hatte aber mehr das Gefühl, es sei
wie der einsame Samurai, der hinauszieht
und eine schreckliche Aufgabe erfüllen
muss.


Spielen Sie auch in den weiteren geplan-
ten Folgen und Staffeln mit?
Keine Ahnung. Ich habe bisher nur die ers-
ten drei Folgen gesehen und spiele auch
nur in zwei oder so mit.


Sie sagten über die Dreharbeiten und die


neue Tricktechnik, die eingesetzt wurde,
das sei Filmemachen, wie es sein sollte.
Wie meinen Sie das?
Die großen Action-Blockbuster und Fanta-
sy-Filme können nur mit Greenscreen ge-
macht werden. Wie irgendeine galakti-
sche, ferne Welt oder inGladiator, wo das
antike Rom nachträglich eingeblendet
wird. Jetzt gibt es eine neu entwickelte
Technologie mit einem Rundhorizont, in
dem sie als Darsteller ihre gesamte Um-
welt sehen. Sie sehen das Raumschiff rund
um sich oder den fernen Planeten. Früher
musste man vor einer grünen Wand so tun,
als sähe man die Gladiatorenarena in Rom.
Jetzt sieht der Darsteller seine Umgebung,
so wie die Kamera auch, und man kann das
direkt filmen. Fast wie ein Amateur kann
man mit der Kamera auf der Schulter in
die Szene hineinmarschieren, sie herumbe-
wegen, eine Choreografie machen. Die Ka-
mera würde immer die Umwelt sehen, wie
wir sie normalerweise sehen. Den Himmel,
den Boden, der Planet, auf dem wir uns be-
wegen. Alles. Das ist ein riesiger Schritt vor-
wärts. Dahin, wo Kino schon immer war.
Die Kamera und die Darsteller nehmen
wahr, wo sie sind.

Würden Sie diese Technologie in einem
Ihrer Filme einsetzen?
Im Prinzip schließe ich das nicht aus. Aber
nach wie vor würde ich lieber einen Film
wieFitzcarraldodrehen, mit einem wirkli-
chen Dampfschiff und einem wirklichen
Hügel im Urwald und nicht mit einer digita-
len Fantasiewelt.

Sie haben angeblich auch darauf bestan-
den, dass die Figur des Baby Yoda am Set
eine Puppe sei und nicht durch einen Com-
putereffekt ersetzt wird. Wahrheit oder
Mythos?
Nein, ich habe nicht darauf bestanden. Die-
ser Baby Yoda, oder wie das Ding heißt, ist
herzzerreißend gut gemacht. Es ist eine an-
fassbare Puppe, die außergewöhnlich fei-
ne Gesichtsausdrücke hat. Das ist so präzi-
se, dass zwei hochspezialisierte Leute per

Fernbedienung die Augen und das Gesicht
steuern. Es gab dann Gerede, ob man zur Si-
cherheit noch mal mit Greenscreen drehen
solle. Ich stand gerade zufällig dabei und
sagte: „Um Gottes willen, ihr seid die Vor-
reiter, die eine neue Technologie entwi-
ckelt haben. Jetzt dürft ihr nicht feige sein.
Traut euch, das ist doch unglaublich, was
man hier sieht. Das kann man gar nicht bes-
ser machen. Steht zu eurer Technologie
und zeigt der Welt: Hier pflügen wir vor-
wärts in die Zukunft des Kinos.“ Dann
schluckten die ein bisschen und fanden,
dass ich eigentlich recht habe. Ich habe sie
nur ermutigt, zu dem zu stehen, was sie ent-
wickelt haben.

In der deutschen Fassung sprechen Sie
sich nicht selbst. Wieso?
Ich wurde einfach nie darum gebeten, mei-
ne eigene Stimme zu sprechen.

Warum denken Sie, istStar Warsgerade
wieder so präsent?
Das spiegelt ein kulturelles Klima unserer
Zeit. Die kollektive Fantasie, die aus unse-
ren Begrenzungen heraustritt, die sich so-
zusagen im Andromeda-Nebel und auf fer-
nen Planeten bewegen kann. Reine Fanta-
sie wird mit einer neuen Mythologie ge-
paart, neuen Heroenfiguren. Das passiert
meist in Zeiten von massiven Umbrüchen,
wenn alles, was uns umgibt, neu und nie zu-
vor da gewesen ist. In diesen Brüchen von
Zeiten entwickelt sich dann eine neue My-
thologie, und neue heroische Figuren tau-
chen auf.

Die Zeiten ändern sich auch für den Film:
Zu sehen istThe Mandalorianbei dem
neuen Streamingdienst Disney Plus. Wä-
ren Sie lieber im Kino aufgetreten?
Dass sich die Filme aus dem Kino wegbewe-
gen und ins Streaming hinübergehen, das
ist etwas, das zu den ganz großen Verände-
rungen gehört. Wir müssen anerkennen,
wohin sich diese Entwicklung bewegt. Das
betrifft ja auch die Kinobesucher. Ich habe
neulich mit der 14 Jahre alten Tochter der
Darstellerin aus einem meiner Filme ge-
sprochen. Sie sagte, die Filme ihrer Mutter
habe sie nicht im Kino gesehen, und sie ge-
he auch nicht ins Kino, sie streame nur.
Warum geht sie nicht ins Kino? Weil es dun-
kel ist, weil sie sonst niemanden kennt, der
neben ihr im Kino sitzt. Das ist eine wichti-
ge Aussage. Die muss man ernst nehmen.

Gerade hat ja vor allem das Coronavirus
Einfluss auf Kino und andere kulturelle
Veranstaltungen.
Moment, das ist keine große kulturelle Um-
wälzung, da kommt nur ein kulturelles Ge-
dächtnis gerade ganz rapide zutage, näm-
lich die Erinnerung an Jahrhunderte und
Jahrtausende von Pestepidemien. Auf ein-
mal ist so etwas wieder da. Wobei die Pest
natürlich viel tödlicher war. Aber wir ha-
ben ein kulturelles Gedächtnis, und das
schafft gerade diese Alarmsituation.

Werden Sie sich die anderenStar Wars-
Filme anschauen, nachdem Sie jetzt selbst
ein Teil der Mythologie geworden sind?
Ich glaube nicht. Ich schaue im Grunde
genommen wenig Filme. Ich lese eigent-
lich mehr. Ich war nie ein großer Kino-
geher.

„Dieser Baby Yoda,
oder wiedas Ding heißt,
ist herzzerreißend
gut gemacht.“

„Steht zu eurer Technologie
und zeigt der Welt: Hier
pflügen wir vorwärts
in die Zukunft des Kinos.“

Es ist ein merkwürdiger Fernsehmoment.
Ein, zwei Sekunden lang herrscht Stille im
ARD-Studio vonHart aber Fair. Die Kran-
kenschwester Stefanie Büll hat gerade er-
zählt, dass in ihrer Uniklinik in Düsseldorf
zwar derzeit genug Schutzausrüstung für
das Personal da ist, um die mit dem Corona-
virus infizierten Patienten zu betreuen.
Noch. Aus anderen Krankenhäusern höre
sie, dass sich Kollegen Einmal-Schutzkittel
teilten. Moderator Frank Plasberg bedankt
sich für die Worte.
Dann: Schweigen im Talkshow-Studio.
Kein Klatschen, kein Räuspern, nichts,
das Publikum ist wegen der Pandemie
längst aus den Studios verbannt. Bis Plas-
berg sagt: „Manchmal ist man ein bisschen
sprachlos.“ Sein Format heißt „politische
Talkshow“, Plasberg verstand darunter bis-
lang immer, sein Publikum auch zu unter-
halten. Doch von einer „Show“ ist im Zei-
chen des Virus wenig übrig geblieben, poli-
tisch wird es angesichts einer einvernehmli-
chen oder schweigenden Opposition kaum.
Und selbst der Talk versiegt bisweilen ange-
sichts der Lage. In all den Abendrunden von
ARD und ZDF gewinnt man derzeit den Ein-
druck: Wo sonst gern populistisch verkürzt
und übertönt wird, hört man sich jetzt fast
andächtig zu. Die Talkshows sind zu Sprech-
stunden der Nation geworden.
Die Unsicherheit ist groß, das Bedürfnis
nach Information auch. Und so landet ein
großer Teil des Landes momentan abends
beim Talk: Mehr als vier Millionen Men-
schen sahen bei Plasberg an diesem Mon-
tag zu, Maybrit Illner kam vergangene Wo-
che auf mehr als 3,8 Millionen, Quotenkö-
nigin Anne Will auf zuletzt 5,75 Millionen.
Das sind Zahlen, wie sie nur in spektakulä-
ren Zeiten erzielt werden – oder in Ausnah-
mefällen nach großen Fußballspielen.
Das ZDF produzierte zwei Sondersen-
dungen mit Maybrit Illner zu Corona, das
Erste dehnteHart aber Fairauf zwei Stun-
den aus und sendete zur Primetime um
20.15 Uhr, die Fragen der Zuschauer spiel-
ten eine größere Rolle als sonst. Aufklä-
rungsarbeit in der Praxis Plasberg.
Zur veränderten Atmosphäre in den Stu-
dios sagt Moderatorin Anne Will der SZ:
„Das große Interesse der Zuschauerinnen
und Zuschauer zeigt uns, dass das Informa-
tionsbedürfnis immens ist – das wissen
auch unsere Gäste im Studio und konzen-
trieren sich auf die inhaltliche Debatte.“
Doch welche Debatte eigentlich?
Ein Großteil der Gäste ist in diesen Ta-
gen mit dem Mitteilen von Erkenntnissen
beschäftigt. Virologen etwa, die neuen
Stars des Landes. Ohne die Expertise von
Christian Drosten, Alexander Kekulé, Mela-
nie Brinkmann oder Jonas Schmidt-Chana-
sit kommt keine Sendung mehr aus. Da-
neben sitzen Krankenpfleger, Kliniklei-
terinnen, Vertreter von Gesundheitsäm-
tern oder Ärzteverbänden, geben Einblicke,
stellen Prognosen vor.

Für Diskussionen wären eigentlich Politi-
ker zuständig. Allerdings hat von denen der-
zeit offensichtlich keiner Lust, sich öffent-
lich zu streiten. Als Anne Will den bayeri-
schen Ministerpräsidenten Markus Söder
gerade befragte, wie sehr er sich mit seinem
nordrhein-westfälischen Amtskollegen Ar-
min Laschet bei der Frage über Ausgangs-
oder Kontaktsperren zerstritten habe, ant-
wortete der eigentlich keineswegs konflikt-
scheue Söder: „Gar nicht. Es geht doch jetzt
um eine ganz tiefernste Sache. Es geht um
Leben und Tod.“ Ob sich Laschet nicht doch
durchgesetzt habe in der Ausgestaltung der
neuen Anordnungen? Auf die Nachfrage rüf-
felte Söder: Ob sie es „wirklich angemes-
sen“ finde zu fragen, „wer an welche Stelle
setzt sich mehr oder weniger durch?“ Ähn-
lich erging es kaum eine Stunde später ZDF-
Moderatorin Maybrit Illner in einer Corona-
Sondersendung mit Laschet. Auch der CDU-
Politiker ließ sich zu einem Streit kein schar-
fes Wort entlocken.

Neben der Dramatik der Umstände wird
die sachliche Atmosphäre der Sendungen
getragen von dem Umstand, dass kein Pu-
blikum mehr zugelassen ist. Neben leeren
Fußballstadien waren leere Fernsehstudios
ein erstes Zeichen für das Ausmaß der Kri-
se. Moderatorin Sandra Maischberger sagt
dazu: „Natürlich geben die Menschen, die
im Studio dabei sind, der Sendung eine emo-
tionale Dichte. Durch ihre Reaktionen,
manchmal auch durch Applaus.“
Noch Mitte März wurde Anne Will live in
der Sendung von der Ärztlichen Leiterin
des Charité Centrums, Claudia Spies, aufge-
klärt, dass ihre Gäste viel zu nah aufeinan-
dersäßen. Seitdem ist Abstand angesagt, et-
wa zwei Meter, in allen Shows. Ob etwas da-
von bleiben wird, von der Sachlichkeit, der
Friedfertigkeit? Maischberger sagt: „Wir
blenden die Debatte keineswegs aus, wenn
nötig, wird bei uns auch gestritten.“ Auch
Anne Will meint, dass rund um die Richtli-
nien der Bundes- und Landesregierungen
sowie die Belastbarkeit des Gesundheitssys-
tems kontrovers argumentiert werden kön-
ne. Bleibt abzuwarten, wann sich der Erste
darauf einlässt. thomas hummel

„Zwei Dinge nur gab mir das Schicksal: ein
paar Kontenbücher – und die Gabe zum
Träumen“, schreibt Fernando Pessoa. Der
portugiesische Literat hat in seinen Texten
die eigene Person in mehrere Figuren auf-
gespalten. Die schickt der Hörspielregis-
seur Kai Grehn 85 Jahre nach Pessoas Tod
nun los zum Traumwandeln, durch die
Straßen und Gassen Lissabons. InTapere-
cordings eines metaphysischen Ingenieurs
inszeniert er Pessoas Kurztexte als Sprach-
nachrichten, mit Robert Gwisdeks Stim-
me, die gleichzeitig klar und traumtrun-
ken klingt. Und eingebettet in den Sound
der heutigen Stadt, vor dem Stillstand des
öffentlichen Leben: das Klappern in Cafés,
das Kreischen der Straßenbahnen, Regen–
vertraute Geräusche des Alltags, die der-
zeit fehlen, in Lissabon und anderswo.
Doch dabei belässt Grehn es nicht, viele Ge-

räusche verfremdet er. Klänge eines Got-
tesdienstes wehen heran, Kindertrubel,
beinahe gespenstisch verzerrt. Hinzu kom-
men elektronische Kompositionen, mit de-
nen Grehn die Imaginationskraft des Fan-
tasten Pessoa ins Akustische überträgt.
Der ist ein Autor der Stunde, denn er setzt
seine Welt weniger aus Realitäten zusam-
men als aus Erinnerungen und Einbildun-
gen. Eine Bordüre auf einem Kleid genügt
ihm, um sich in das Leben der Näherin zu
versenken. „Ich bin eine Figur aus einem
noch zu schreibenden Roman“, heißt es ein-
mal. Poetischer und trotzdem hellsichtig
kann man im Geiste kaum durch eine
Stadt flanieren. stefan fischer

Taperecordings eines metaphysischen Ingenieurs,
Bayern 2, Samstag, 15.05 Uhr. Bremen Zwei, Oster-
montag, 21.05Uhr.

Fantastische Klänge


Ein Hörspiel inszeniert Fernando Pessoas Texte


Sprechstunden der Nation


Wie das Fehlen des Publikums Talkshows verändert


„Eine neue


Mythologie“


Der Regisseur Werner Herzog


spielt in der US-Serie


„The Mandalorian“ mit.


Dabei mag er die „Star Wars“-Saga


nicht einmal sonderlich.


Ein Gespräch über Yoda,


Kino und Corona


DEFGH Nr. 73, Freitag, 27. März 2020 (^) MEDIEN 31
Mit der Welt von Star Wars „nicht wirklich vertraut“:
Schauspieler und Regisseur Werner Herzog, der inThe Mandalorian
zu sehen ist.FOTOS: MATT SAYLES/INVISION/AP, DISNEY PLUS
Ort der neuen Sachlichkeit: Das Studio
von Anne Will in Berlin. FOTO: BORRS/NDR
39
6
4
2
82
9
3 5 2 1 9 6
Lösungen vom Donnerstag
SZ-RÄTSEL
89 12
549782136
32 89 45
231 65 4
453 7689
56 78
64523 8
872314569
78 43 65
6
7
2
43
9
4621 5 7938
87536 9142
13984 2576
2547813 69
6 9 75234 81
38 14967 25
7239 1 8654
94863 5217
5162 7 4893
Die Ziffern 1 bis 9 dürfen pro Spalte und Zeile
nur einmalvorkommen. Zusammenhängende
weiße Felder sind so auszufüllen, dass sie nur
aufeinanderfolgende Zahlen enthalten (Stra-
ße), deren Reihenfolge ist aber beliebig. Weiße
Ziffern in schwarzen Feldern gehören zu kei-
ner Straße, sie blockieren diese Zahlen aber in
der Spalte und Zeile (www.sz-shop.de/str8ts).
© 2010 Syndicated Puzzles Inc. 27.3.2020
Schwedenrätsel Sudokumittelschwer
2 6
5
6 1 7 8
9 1
8 4 9
2 5
9 4 6
5 8 6 4 1
3
Str8ts: So geht’s
Str8tsschwer

Free download pdf