Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
von lillian ikulumet

E


s ist die Zeit gekommen, ein Ele-
ment dieses Landes zu thematisie-
ren, das ich mit den Menschen hier
verbinde wie ihre Brotzeitdosen, Regen-
schirme und Hundeleinen. Es ist Zeit für
den Staubsauger. Der Moment, in dem er
in mein Leben trat, ist Jahre her, aber un-
vergessen. Es war nicht gerade Liebe auf
den ersten Blick, weil mir zunächst nur
die negative Eigenschaft dieses kleinen
Ungetüms auffiel. Ein Sound, als stünde
man neben einer Autobahn, nur eben mit-
ten in einem Münchner Wohnhaus.
Sieben Jahre sind seither vergangen –
und der Staubsauger ist in dieser Zeit
zum Wesenskern meines Haushalts ge-
worden. Verstärkt durch meine 18 Mona-
te alte Tochter Taliah, die ein Alter er-
reicht hat, in dem sie sich zur Aufgabe
macht, sämtliche Quadratzentimeter un-
seres Wohnungsbodens mit Dingen zu
übersähen. Es ist Teil ihrer täglichen Rou-
tine. Sobald sie aber sieht, wie ich den
Staubsauger aufhebe, um ihr Chaos zu
entfernen, rennt sie schreiend durchs
Zimmer und klettert auf den höchsten


Punkt der Couch. Aus der größten Ferne
dieser Einzimmerwohnung beobachtet
sie mich dann genau, bis ich mit der Reini-
gung fertig bin. Sie stellt sicher, dass ich
den Sauger weggepackt habe, ehe sie zu-
rück auf den Boden tritt und ihn aber-
mals kreativ bedeckt.
Taliahs Schreck vor dem Staubsauger
erinnert mich an meine eigene Reaktion,
als ich zum ersten Mal ein solches Gerät
benutzte. Ich war damals erwachsen, wes-
wegen ich versuchte, den Krach souverän
zu ertragen, um nicht als primitiv angese-
hen zu werden. Aber: Hätte es damals ei-
ne Chance gegeben, wäre ich auch auf
den höchsten Punkt im Raum geklettert.
Taliah wächst mit dem Staubsauger
auf und wird sich wohl daran gewöhnen.
Wo ich groß wurde, wusste ich lange
nicht, dass so etwas existiert. Warum
auch? Wenn man in einem Dorf in Ugan-
da lebt, wo der Wind Erde und Staub ins
Haus bläst, käme man kaum mehr hinter-
her mit dem Wechseln von Staubsauger-
beuteln. Ich bin mit Besen aufgewachsen.
Und wenn wir eine Pause vom Kehren
brauchten, beschmierten wir den Boden
mit Kuhdung. Der verlieh dem Raum ei-
nen angenehmen Geruch und wirkte als
Pestizid gegen kriechende Insekten wie
Ameisen und Kakerlaken.
In München habe ich nun in ein hoch-
wertiges Gerät investiert, um Taliahs Ver-
wüstungen Herr zu werden. Gott sei
Dank benötigen die neuen Versionen kei-
nen Staubsaugerbeutel mehr. So wird es
im Wechselspiel des Saugers mit Taliah
noch viele weitere Runden geben.


TYPISCH DEUTSCH


Lillian Ikulumets Staubsau-
ger stelltdie Beziehung zu
ihrer Tochter auf die Probe.

München– Ursula Wurzer-Faßnacht kam
als Quereinsteigerin zum Münchner Stu-
dentenwerk. Sie ist Agrarwissenschaft-
lerin, hat am Lehrstuhl für Phytopatholo-
gie der TU promoviert. Als sie 2005 beim
Studentenwerk anfing, leitete sie zunächst
die Abteilung „Verpflegungsbetriebe“,
kümmerte sich also um die Mensen und Ca-
feterien an den Hochschulen. Zwei Jahre
später wurde sie Geschäftsführerin. Nun
geht sie mit 64Jahren in den Ruhestand.


SZ: Frau Wurzer-Faßnacht, derzeit gibt es
130000 Studierende in München – so vie-
le wie nie zuvor. Wo sehen Sie die Grenzen
des Studentenwerks?
Ursula Wurzer-Faßnacht: Auch 30000 Stu-
dierende mehr wären für uns kein Pro-
blem, aber eine Herausforderung. Allein
während meiner Zeit ist die Zahl um
50 000 gestiegen.


11000 Wohnheimplätze, davon 9000 in
München, bietet das Studentenwerk. Wie
reagieren Sie auf den steigenden Bedarf?
Bauen, bauen, bauen – das würden wir ger-
ne, aber wir werden ausgebremst. Der
Druck auf unsere Bauabteilung ist riesig.
30Bauvorhaben beschäftigen uns derzeit.
Das sind Neubauten, aber auch größere
und kleinere Sanierungen.


Wo liegt das Problem?
Vor allem bei den Behörden. Wir müssen
ewig auf Genehmigungen warten. Es ist
ein ständiger Kampf um Ausnahmen. Ein
großes Thema sind die Stellplätze für Au-
tos, die wir nachweisen müssen, obwohl
wir gar nicht viele brauchen für die Studis.


Fahrradstellplätze wären wohl deutlich
wichtiger.
Vermitteln Sie das mal den Behörden. Wir
haben Tiefgaragen, deren Bau wir uns ger-
ne gespart hätten. Manche sind gerade mal
zu 20 Prozent von den Studierenden be-
legt. Den Rest müssen wir privat vermie-
ten, weil die Plätze Unterhalt kosten. Wir
sind schließlich zur Wirtschaftlichkeit ver-
pflichtet. In den Wohnheimen leben etwa
50 Prozent Studierende aus dem Ausland,
die können gar kein Auto mitbringen.

Wäre es nicht sinnvoll, Aufgaben abzuge-
ben etwa an die Städte und Gemeinden?
Es ist effizienter, sich zentral um die Bedar-
fe zu kümmern. Es geht ja auch um mög-
lichst gleiche Bedingungen. Unsere Aufga-
be ist es, die Infrastruktur bereit zu stellen,

um den Studierenden ein möglichst sor-
genfreies Studium zu ermöglichen und sie
zu fördern, damit sie einen guten Ab-
schluss bekommen. Wir sehen uns als Part-
ner der Hochschulen.

Die Hochschulen Sie auch?
Ich denke schon. Die Frage, warum es über-
haupt die Studentenwerke gibt, wird heute
eigentlich nicht mehr gestellt. Man ist sich

sehr viel nähergekommen, die Schnittstel-
len funktionieren. So gibt es etwa von Sei-
ten der Hochschulen eine große Bereit-
schaft, die Studierenden gut zu verpflegen.
Da hat sich viel verbessert. Die Mensen
sind Liegenschaften der Hochschulen, wir
sorgen für den Betrieb und das Essen.

Könnte man nicht das Bauen von Studen-
tenwohnheimen anderen überlassen?
Investoren? Unsere Zimmer kosten durch-
schnittlich 290 Euro warm, inklusive Inter-
net. Das ist wirtschaftlich, aber nicht ge-
winnorientiert kalkuliert. Auf dem freien
Mietmarkt finden Sie in München kaum
Zimmer zu solchen Preisen.

Was sind heute die dringendsten Proble-
me von Studierenden?
Die Finanzierung. Die Studentenschaft ist
in dem Punkt zweigeteilt: Etwa die Hälfte
hat wenig Mittel zur Verfügung, die andere
Hälfte kann finanziell sorglos leben. Ein
Riesenproblem in München ist, dass die
BAföG-Sätze nicht entsprechend an die
Einkommensentwicklung angepasst wer-
den. Die Freibeträge für die Eltern müss-
ten angehoben werden. Um die Mieten und
Lebenshaltungskosten zu decken, braucht
man hier ein gewisses Einkommen. Des-
halb arbeiten oft beide Eltern und kom-
men über die Einkommensgrenze, so dass
die Kinder nicht BAföG berechtigt sind.
Das heißt aber nicht unbedingt, dass die El-
tern ihnen viel Geld geben können.

Ein Dilemma, das die Politik lösen müss-
te.
Wissenschaftsminister Sibler sieht das Pro-

blem, aber eine bayerische Sonderrege-
lung widerspräche der Gleichbehandlung.
Ein Segen für die Studierenden wäre we-
nigstens ein höherer Wohnzuschuss.

Sie haben viel bei der Verpflegung be-
wegt. Was war Ihr Ansatz?
In die Mensa zu gehen, war lange nicht be-
liebt, das hat mir sehr zu denken gegeben.
Das Angebot stimmte offensichtlich nicht.
Heute gibt es Salatbuffets und die Selbstbe-

dienung, außerdem längst eine Auswahl
an vegetarischen und veganen Gerichten.

Von Ihnen stammt die Idee des Ein-Euro-
Essens. Funktioniert das heute noch?
Ja, es gibt Essen für 33Cent pro
100Gramm, so bekommt man eine gute
Portion für einen Euro. Mir ist wichtig,
dass sich jeder Student ein warmes Essen
leisten kann. Anfangs war das oft ein
Schweinsbratl (Bauchfleisch vom Schwein,

Anm. d. Red.), heute ist es meist ein Eintopf
ohne Fleisch, weil das eher gefragt ist. Be-
sonders am Monatsende, wenn den Leuten
das Geld ausgeht, ist das eine gute Option.

Warum darf man sein eigenes Essen in die
Mensen und Cafeterien mitbringen?
Weil sie Orte sein sollen, wo man sich trifft,
egal ob man etwas konsumiert oder nicht.
Es sind Räume, in denen man allein oder
gemeinsam lernen kann. Deshalb haben
sie mitunter bis 22 Uhr geöffnet.

Weshalb vermitteltdas Studentenwerk ei-
gentlich keine Jobs mehr?
Das übernehmen seit 20 Jahren die soge-
nannten Jobportale. Wir haben immerhin
50Werkstudenten bei uns beschäftigt, bei-
spielsweise in den Mensen. Viele Studen-
ten finden aber kaum noch Zeit, während
der Vorlesungszeit zu arbeiten.

Wie sehen Sie die Zukunft des Studenten-
werks?
Beratung ist ein großes Thema. Die Studie-
renden sind heute viel jünger als früher
und brauchen mehr Unterstützung. Wir
müssen unsere Beratungsstellen aus eige-
nen Mitteln finanzieren, das heißt aus
dem Grundbeitrag von 62 Euro, die jeder
pro Semester zahlt. Wir fordern schon lan-
ge Unterstützung dafür. Der Bereich
deckt ganz viel ab – von der Stipendien-
und psychotherapeutischen Beratung bis
hin zum Coaching. Ein bisschen stolz bin
ich schon, dass wir das alles in den vergan-
genen Jahren so weit ausbauen konnten.

interview: sabine buchwald

von bernd kastner

D


a sitzt kein Resignierter, auch wenn
er verloren hat. Da sitzt kein geschla-
gener Mann, auch wenn er verletzt
wurde. Da sitzt Marian Offman und sagt:
„Es ist ein Gefühl der Leere. Es macht mich
traurig. Aber ich empfinde es nicht als de-
mütigend, weil es ein demokratischer Vor-
gang war.“ Die Münchner haben entschie-
den, dass Offman dem künftigen Stadtrat
nicht mehr angehört. 18 Jahre lang saß er
im Rathaus, 17 davon für die CSU. Jetzt, im
Jahr nach seinem Wechsel zur SPD, ist er
draußen. Er, der nicht nur einer der profi-
liertesten Lokalpolitiker ist, sondern auch
der einzige jüdische Stadtrat.
„Es geht mir gut“, sagt Offman. Er sitzt
in seinem Büro in der Müllerstraße, dort be-
treibt er eine Hausverwaltung. Der Raum
ist groß, vor seinem Schreibtisch steht ein
Besprechungstisch in Hufeisenform, der
Corona-Abstand ist gewahrt. Es geht gut?
Er meint seine Gesundheit. Den Wahl-
kampf habe er mit seinen 72 Jahren ge-
sund überstanden, trotz vieler Stunden in
der Kälte, und das Virus hat ihn bislang
auch verschont. Corona, die Angst und das
Leid vieler Menschen beschäftige ihn gera-
de mehr als sein politisches Schicksal, das
ist ihm wichtig rüberzubringen. Es gebe
wesentlich Schlimmeres als den 15. März.
Jener Sonntag ist der Tag seiner Nieder-
lage. Zwar haben ihn die Wähler von Platz
23 auf 20 vorgehäufelt, aber die SPD ist ab-
gestürzt, weshalb diese seit Ewigkeiten
München regierende Partei nur noch 18 Sit-
ze hat. Wenn Dieter Reiter am Sonntag die
Stichwahl gewinnt und Oberbürgermeis-
ter bleibt, wird der erste SPD-Nachrücker,
Nikolaus Gradl, ins Rathaus einziehen. Der
nächste ist Marian Offman. Dass er rein
darf, wenn einer ausscheidet, das kann im
nächsten Monat so weit sein, darauf kann
er in fünf Jahren aber immer noch warten
müssen.
„Was hätte ich anders machen sollen?“
Offman weiß keine Antwort. Er hat seinen
Wahlkampf als Jude, als Sozialpolitiker
und als Kämpfer gegen Rassismus ge-
führt. Das würde er wieder so machen. Er

habe ja auch einen Erfolg erzielt, der
Rechtsextremist Karl Richter wurde nicht
mehr gewählt. Richter hatte mit seiner Lis-
te BIA ein übles Plakat geklebt, das dazu
aufruft, bestimmte Stadträte mit dem Be-
sen aus dem Rathaus zu fegen, darunter
Offman.
Münchens einziger jüdischer Stadtrat
hat es nicht mehr geschafft. Und das in ei-
ner Zeit, da der Antisemitismus um sich
greift, da rechtsextreme Übergriffe Angst
unter Juden und anderen Minderheiten
verbreiten und die AfD Einfluss gewinnt,
ob sie nun viele Mandate erringt oder, wie
in München, lediglich drei.
Draußen also. Weil er Jude ist? „Ich
weiß es nicht.“ Natürlich seien ihm solche
Fragen gekommen, sagt Offman, aber dass
hinter seiner Rauswahl Antisemitismus
stecke, nein, das glaube er nicht.
Irgendwann im Laufe des Gesprächs, in
dem er laut nachdenkt über sich und ande-
re, in dem er seine politischen Erfolge skiz-
ziert und an seinen Einsatz für das NS-Do-
kuzentrum und das Jüdische Museum erin-
nert und an seine Vermittlung im Streit um
die Stolpersteine für NS-Opfer, irgend-
wann sagt Offman, dass sich das Reden
über sein politisches Leben „fast schon wie
eine Therapie“ anfühle. Das stellt er fest,
als er gerade sein Verhältnis zur CSU be-
schrieben hat. So, wie er es empfindet.

Im Juli 2019 hatte er die Partei verlas-
sen. Ein Fehler? Nein, sagt er. Er habe ge-
spürt, nicht mehr gewollt zu sein. Weil er
vielen lästig geworden sei, weil er in der
CSU als Linker gegolten habe. Einer der
obersten Christsozialen habe ihn mal
„linksradikal“ genannt, und das sei keine
neckische Bemerkung gewesen. Als er sei-
nen Namen vor ein paar Jahren auf zwei To-
deslisten von Neonazis las, habe er ein paar
CSU-Spitzenleute um Solidarität gebeten,
vergeblich. Ein prominenter Parteikollege
habe ihm geraten, sich eine Waffe zuzule-
gen. Er, Offman, habe beim Sicherheits-
dienst der Israelitischen Kultusgemeinde
(IKG) angefragt, was die davon halten. Und
sie haben ihm gesagt, eine Waffe mache
nur Sinn, so erinnert sich Offman, wenn er
bereit sei, auf einen Menschen zu schie-
ßen, ihn zu töten. Also keine Waffe. Dafür
ein Fluchtreflex, raus aus der CSU.

An dieser Stelle geht Offman Jahrzehnte
zurück, in eine Zeit, da er sich noch nicht
habe vorstellen können, in die deutsche Po-
litik zu gehen. Lange Zeit sei es für sehr vie-
le Juden unvorstellbar gewesen, sich im
Land der Täter politisch zu engagieren. Er,
der in der Jugend Pazifist und ganz links ge-
wesen sei, trat Mitte der Neunzigerjahre in
die christliche Partei ein, weil sich die
christlichen nicht von den jüdischen Wer-
ten unterscheiden, sagt er. Es sei ihm ge-
lungen, die frühere Distanz zwischen CSU
und jüdischer Gemeinde zu verringern.
Kaum war Offman in der CSU, kam die
Wehrmachtsausstellung nach München,
und seine Parteioberen agitierten dage-
gen. Versuchten, den Anteil der Wehr-
macht an der Vernichtung der Juden klein-
zureden. Offman war in der Partei gelan-
det, die sich auf die Seite von Tätern stellte,
so habe es sich für ihn angefühlt. Ihm sei

gar nicht wohl gewesen, erzählt er. Immer-
hin, sein großes Ziel hat er erreicht: die Un-
terstützung der CSU für das jüdische Ge-
meindezentrum am Jakobsplatz, eines der
herausragendsten Bauwerke der Stadt.
Auch wenn er einige Unterstützer gefun-
den habe, wie er sagt, in der Partei blieb er
der Außenseiter vom linken Rand. Immer-
hin, er zog als Sozialpolitiker Wähler an,
auch deshalb, weil er über Jahre die SPD-
dominierten Stadtwerke wegen ihrer Preis-
politik kritisierte. Da hat seine spätere Par-
tei, die SPD, erlebt, wie unbequem dieser
Mann sein kann, wenn er von etwas über-
zeugt ist. Und er ist oft überzeugt.
Am Ende einer wachsenden Entfrem-
dung war es, so sagt er, vor allem die Asyl-
politik und die damit verbundene Rheto-
rik, die Offman von der CSU entfremdete.
Und das alles in einer Atmosphäre, in der
er Grundlegendes vermisst habe: Solidari-
tät zu einem angefeindeten und bedrohten
Juden. Er habe keine Unterstützung mehr
gespürt, stattdessen Nadelstiche, auch, als
es darum ging, ob ihn die CSU nochmals
für die Kommunalwahl aufstellt. „Die woll-
ten den linken Exoten Offman loswerden.“

Ein Wechsel zu den Grünen sei keine Op-
tion für ihn gewesen, trotz ihres Aufwinds.
Das Soziale sei ihm wichtiger als das Ökolo-
gische. Für die SPD habe er sich auch als Ju-
de entschieden, waren es doch Sozialdemo-
kraten, die in der NS-Zeit zusammen mit
Juden in den Konzentrationslagern saßen
und litten. Die SPD hat ihn freudig er-
staunt empfangen, doch wirklich belohnt
hat sie ihn nicht. Offman bekam einen or-
dentlichen Listenplatz, aber keinen siche-
ren. Weil die besten Plätze schon vergeben
waren? Weil die Jüngeren nicht hinneh-
men wollten, dass ein 72-Jähriger sie über-
hole? Er wirkt, als könnte er beides verste-
hen. Und nein, er sei seiner neuen Partei
nicht gram.
Offman sagt, er würde sich freuen,
wenn er nachrücke, wann auch immer. Er
werde jedenfalls nicht trotzig hinschmei-
ßen. Nach der Wahl habe er in sich hinein-
gehört und festgestellt: „In mir ist nach
wie vor der starke Wille, den Menschen zu
helfen.“ Das wolle er jetzt außerhalb des
Stadtrats tun. Er wolle sich weiter einbrin-
gen, ob für Uiguren, für Muslime, für Sinti
und Roma, gegen Ausgrenzung. Und im
Vorstand der Kultusgemeinde ist er ohne-
hin weiter aktiv.
Schon zu Beginn des Gesprächs hat Off-
man von seiner Facebookseite erzählt. Das
sei ihm zwar fast peinlich, sagt er, aber
man merkt, er freut sich und ist stolz dar-
auf, was Dutzende Menschen an Kommen-
taren hinterlassen haben. Einer schreibt:
„Ich hab Sie trotz einiger Differenzen extra
gewählt. Bin Jude und viel weiter links als
sie. Ihre antifaschistische Stimme wird feh-
len.“ Ein anderer: „Ich hoffe sehr, dass Ihre
wichtige und unersetzliche Stimme bald
im Stadtrat zurück ist. In der Öffentlich-
keit wird sie nichts von ihrer Bedeutung
verlieren!“ Es schreibt auch Till Hofmann,
König der Kleinkunstbühnen und Organi-
sator diverser Anti-Nazi-Demos, im bayeri-
schen Hochdeutsch: „Freund Marian, Du
bist einer der mutigsten, kerzengerades-
ten Menschen in der Stadt für Demokratie,
gegen Antisemitismus und gegen Rassis-
mus, egal ob Du in Deinem jugendlichen Al-
ter grad im Stadtrat sitzt, nachrückst oder
nicht. München braucht Typen wie Dich
und München dankt Dir.“
Das alles tröstet. Das darf Marian Off-
man als das verstehen, was es ist: als Hym-
ne auf einen, der noch nicht aufgibt.

 Alle Kolumnen dieser Reihe finden
Sie untersz.de/typisch


„Unsere Zimmer
kostendurchschnittlich
290 Euro
warm.“

Ihre Flucht hat drei Journalisten
nach München geführt.
In einer wöchentlichen Kolumne
schreiben sie, welche Eigenarten
der neuen Heimat sie mittlerweile
übernommen haben

„In mir ist nach wie vor der
starke Wille, den Menschen zu
helfen“, sagt Marian Offman.
FOTOS: FLORIAN PELJAK, ROBERT HAAS

HAUSHALTSGERÄTE

Der Staubsauger


des Schreckens


„Wir werden ausgebremst“


Ursula Wurzer-Faßnacht hört als Leiterin des Studentenwerks auf zu einer Zeit, in der München 130000 Studierende hat. Für die gibt es jede Menge Herausforderungen, nicht nur beim Wohnen


Die unersetzliche Stimme


Marian Offman,einer der profiliertesten Lokalpolitiker Münchens, war 18 Jahre lang im Rathaus, 17 davon für die CSU.
Nun ist er für die SPD knapp gescheitert und wird mit Lob überhäuft. Wer glaubt, er schmeiße jetzt hin, kennt den 72-Jährigen schlecht

Ein Wechsel zu den Grünen
war keine Option. Das Soziale ist
ihm wichtiger als das Ökologische

„Die Studierenden sind heute viel jünger als früher und brauchen mehr Unterstüt-
zung“, sagt Studentenwerk-Chefin Ursula Wurzer-Faßnacht. FOTO: FLORIAN PELJAK

Der Antisemitismus greift um sich



  • und Münchens einziger
    jüdischer Stadtrat ist abgewählt


R4 (^) LEUTE Freitag, 27. März 2020, Nr. 73 DEFGH

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