Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
Nürnberg– AmMittwoch hob noch eine
Maschine der Air France nach Paris ab, am
Sonntag will Laudamotion noch einmal
nach Mallorca und zurück fliegen. Als letz-
te Airline am Nürnberger Albrecht-Dürer-
Flughafen bedient der Billigflieger Wizz-
Air noch plangemäß Ziele in Rumänien
und Bulgarien. In wenigen Tagen aber ist
auch damit Schluss. „Wir müssen damit
rechnen, dass wir ab kommender Woche
keinen regelmäßigen Flugverkehr mehr
haben werden“, sagt Airport-Chef Michael
Hupe. Wie lange dieser Zustand andauern
wird vermag er nicht zu prognostizieren.
Dessen ungeachtet bleibt der Nürnber-
ger Flughafen offen, was bedeutet, dass
beispielsweise der von der Deutschen Flug-
sicherung betriebene Tower, aber auch die
Feuerwehr und ein Kernteam für prakti-
sche Tätigkeiten vor Starts und nach Lan-
dungen rund um die Uhr an sieben Tagen
in der Woche zur Verfügung stehen wer-
den. Zum einen für etwaige Notlandungen,
aber in erster Linie für Rettungsflieger und
Rückholflüge, mit denen die Bundesregie-
rung im Zuge der Corona-Krise gestrande-
te Urlauber nach Hause bringen lässt.
Auch Frachtverkehr wird es weiter ge-
ben. Galgenhumor schwang mit, als Hupe
am Donnerstag in einer Videokonferenz
mit Journalisten meinte, man könne den-
noch „mehr oder weniger das Licht und die
Heizung“ des Airports ausschalten.
Die Entwicklung kommt nicht überra-
schend; bekanntlich ist der Flug- und Rei-
severkehr im Zuge der Corona-Krise auf
ein vor kurzem noch unvorstellbares Min-
destmaß heruntergefahren worden. Viele
Airlines haben ihre Tätigkeit vorerst einge-

stellt. Am Nürnberger Flughafen ging in
dieser Woche der Betrieb rapide zurück;
neun von zehn Verbindungen fielen aus.
Der wirtschaftliche Schaden aus alledem
sei enorm und lasse sich derzeit nicht seri-
ös vorhersagen, so Flughafenchef Hupe.
Zumal niemand weiß, wie schnell die Wirt-
schaft insgesamt nach der erzwungenen
Pause in vielen Bereichen wieder Fahrt auf-
nehmen wird. Auffangen werde man die
Ausfälle in diesem Jahr ganz sicher nicht
mehr können, so der Airport-Chef.

Michael Hupe geht es bei alledem wie
vielen Topmanagern und Unternehmern
derzeit, die plötzlich in ein schwarzes Loch
blicken, wo doch das abgelaufene Jahr gut,
im konkreten Fall zumindest ordentlich
lief. So verzeichnete der Albrecht-Dürer-
Flughafen 2019 zwar einen Fluggastrück-
gang um acht Prozent auf 4,1 Millionen Pas-
sagiere; doch unter dem Strich blieb ein Ge-
winn nach Abzug von Steuern von drei Mil-
lionen Euro übrig. Es ist das fünfte positive
Ergebnis hintereinander. Das Minus bei

den Fluggastzahlen lag begründet in der
Pleite der Germania im vergangenen Jahr,
die bis dahin den größten Anteil von Touris-
tikflügen von und nach Nürnberg hatte.
Umso bemerkenswerter ist der Gewinn bei
einem um 6,3 auf 103,3 Millionen Euro ge-
sunkenen Umsatz. 2019 starteten und lan-
deten 61 456 Maschinen in Nürnberg.
Die aktuelle Krise bedeutet bereits für
die meisten der knapp 1000 Flughafenmit-
arbeiter Kurzarbeit. Der Airport will das
staatliche Kurzarbeitergeld aus eigener Ta-
sche auf bis zu 90 Prozent des Nettogehalts
anheben. Unklar sind die wirtschaftlichen
Folgewirkungen auf weitere etwa 3000
Menschen, die bei Unternehmen am Air-
port arbeiten.
Aktuell herrscht überall das Prinzip
Hoffnung. Darauf, dass die Corona-Krise
zumindest schnell genug überwunden
wird, damit nicht nur bald wieder das Li-
nien-, sondern vor allem das touristische
Sommerfluggeschäft anspringt. Damit ein-
her setzen die Nürnberger Luftverkehrs-
manager darauf, dass auch das ebenfalls
brachliegende Messegeschäft wieder auf-
genommen werden kann.
Doch das Covid-19-Virus ist nicht der
einzige Risikofaktor für den Airport im Nor-
den der Stadt. Da sind auch eine zuletzt
schwächelnde Konjunktur und die Han-
delskonflikte, die vor allem Geschäftsflie-
ger bremsen. Und da ist das anhaltende
Flugverbot für die als unsicher eingestufte
Boeing 737 Max, die vor allem Ryanair be-
nutzt, der Hauptkunde des Dürer-Air-
ports. Der irische Billigflieger hatte deswe-
gen bereits seine Aktivitäten in Nürnberg
eingeschränkt. uwe ritzer

von katja auer, maximilian gerl
und christiansebald

München– WirtschaftsministerHubert
Aiwanger ist für klare Ansagen bekannt,
auch wenn es deswegen manchmal den An-
schein hat, dass er schneller redet als über-
legt. Als er zum Beispiel von den Messern
sprach: Die solle jeder „anständige Mann
und jede anständige Frau“ weiterhin mit-
führen dürfen. Nun hat Aiwanger mal eben
ein Ende der massiven Einschränkungen
wegen der Corona-Krise angedeutet – wo-
von bislang noch keine Rede war. „Wir hal-
ten das natürlich nicht monatelang durch,
sondern meine Einschätzung ist, irgend-
wann ab Mitte April müssen wir die Kurve
gekratzt haben“, sagte der stellvertretende
Ministerpräsident im Bayerischen Fernse-
hen – vor allem mit Blick auf die Wirt-
schaft. Er malte ein düsteres Bild: Zu lange
dürfe der Stillstand nicht anhalten, „weil
das die Wirtschaft so abwürgt, dass wir am
Ende mehr Tote hätten, weil die Grundver-
sorgung nicht mehr funktioniert, als wenn
wir sagen, irgendwann ab Mitte April müs-
sen wir raus aus der Nummer“.
Mit Ministerpräsident Markus Söder
(CSU) war Aiwangers Einlassung offenbar
nicht abgesprochen, entsprechend schmal-
lippig ist zunächst die Reaktion aus der
Staatskanzlei. „Es gibt den bekannten
Fahrplan“, so ein Sprecher. Am Abend sag-
te Söder dann in einer Videobotschaft:
„Wenn wir erfolgreich sein wollen, und
wenn wir aus dieser Krise herauskommen
wollen, müssen wir diesen Weg, den wir
jetzt beschritten haben, weitergehen. Des-
wegen mein Tipp: Noch nicht vorzeitig dar-
über spekulieren, wann und wie Maßnah-
men gelockert werden können.“

Der bisherige Fahrplan sieht Ausgangs-
beschränkungen für 14 Tage vor, also bis
zum Beginn der Osterferien. Ob es tatsäch-
lich Mitte April vorbei sein wird mit den
Einschränkungen, ist bisher nicht abzuse-
hen. Klar ist, dass der jetzige Zustand kein
dauerhafter sein kann. Der sogenannte
Shutdown der Wirtschaft bedroht Existen-
zen. Bis zum Mittwochmittag gingen mehr
als 150 000 Anträge für das Förderpro-
gramm „Soforthilfe Corona“ der Staatsre-
gierung ein, das die Liquidität von Freibe-
ruflern, Selbständigen sowie kleinen und
mittleren Unternehmen sichern soll. Laut
einer Umfrage der Industrie- und Handels-
kammern erwarten nur vier Prozent der Be-
triebe steigende oder unveränderte Umsät-
ze für dieses Jahr. Auch der Bayerische
Handwerkstag (BHT) meldet, dass etliche
Handwerksbetriebe wegen Corona unter
Nachfragerückgängen litten; in der Indus-
trie herrscht vielerorts Kurzarbeit.

Irgendwann wird die Wirtschaft wieder
anlaufen müssen. Fragt sich nur, ob jetzt
schon der passende Zeitpunkt ist, um ver-
klausuliert ein Ende der Einschränkungen
anzukündigen. Selbst bei Aiwangers Frei-
en Wählern stößt seine Aussage auf Irritati-
on. „Das ist vielleicht die Meinung des Wirt-
schaftsministers, dass wir all die Maßnah-
men, die wir jetzt getroffen haben, Mitte
April wieder lockern können“, sagt FW-
Fraktionschef Florian Streibl. „Aber das ist
Kaffeesatzleserei, keiner kann jetzt seriö-
serweise einen Zeitpunkt dafür nennen.“

Zumal die Pandemie ja nicht nur den Frei-
staat betrifft. „Deshalb werden wir in Bay-
ern sicher nicht losgelöst von den anderen
Bundesländern und Nachbarstaaten wie
Österreich oder Italien agieren können.“
Streibl teilt ausdrücklich die Einschät-
zung des Robert-Koch-Instituts (RKI),
dass „wir erst am Anfang der Pandemie ste-
hen“, wie RKI-Chef Lothar Wieler dieser Ta-
ge unablässig wiederholt. Es sei völlig of-
fen, wie sich die Pandemie entwickelt.
„Wir müssen abwarten, um zu sehen, ob
die Maßnahmen greifen“, sagte der RKI-
Präsident erst am Mittwoch in Berlin. Im
Moment sei es noch zu früh, um dies einzu-
schätzen. Wieler lehnte deshalb eine jede
Aussage ab, wann die Einschränkungen
des gesellschaftlichen Lebens wieder gelo-
ckert werden könnten. Die Fachbehörden
in Bayern, allen voran das Landesamt für
Gesundheit und Lebensmittelsicherheit,
dürften sich dem anschließen.
Auch Kultusminister Michael Piazolo
übt deshalb Kritik an seinem Parteichef Ai-
wanger. „Natürlich muss man sich Gedan-
ken machen, wie man einmal die Ein-
schränkungen des gesellschaftlichen Le-
bens wieder zurücknimmt“, sagt er. „Aber
jetzt einen Zeitrahmen oder einen Zeit-
punkt zu nennen, das geht nicht.“ Noch
könne man überhaupt nicht sagen, ob die
bisherigen Maßnahmen gegen die Pande-
mie auch wirken, sagt Piazolo, „auch wenn
wir das natürlich alle sehr hoffen“.
Besonders groß ist die Verärgerung
über Aiwangers Spruch, dass der Stillstand
nicht zu lange anhalten dürfe, „weil das die
Wirtschaft so abwürgt, dass wir am Ende
mehr Tote hätten, weil die Grundversor-
gung nicht mehr funktioniert“. Das sei völ-
lig unverantwortlich. „Damit schürt man

nur Ängste in der Bevölkerung“, sagt ein
führender FW-Mann. „Und zwar völlig un-
begründete.“ Die Versorgung der Bevölke-
rung sowohl mit Lebensmitteln als auch
mit allen anderen Dingen des täglichen Be-
darfs sei gesichert. Darüber herrsche Einig-
keit im Kabinett. „Ich weiß nicht, was Ai-
wanger zu solchen Aussagen verleitet“,
sagt ein Mitglied der Staatsregierung, „das
sind Stammtischparolen, die durch nichts
gedeckt sind“. Bei anderen sitzt die Verär-
gerung so tief, dass sie Aiwangers Progno-
sen nicht kommentieren wollen. „Wir ha-
ben alle Hände voll zu tun, die Krise zu be-
wältigen“, sagt einer. „Da befasse ich mich
nicht noch mit so was.“ Dann legt er auf.
Doch die Frage ist nicht nur, wann man
offiziell wieder arbeiten und produzieren
darf, sondern auch kann. Bayerns Wirt-
schaft ist in den deutschen und europäi-
schen Binnenmarkt sowie in den Welthan-
del eingebettet. Ein theoretisches Beispiel:
Es könnte passieren, dass ein bayerischer
Industriebetrieb zwar Mitte April die Bän-
der wieder anlaufen lassen dürfte – er es
aber nicht kann, weil sein italienischer Zu-
lieferer noch unter Quarantäne steht.
Wahrscheinlich lässt sich die Wirtschaft
nicht so einfach wieder hochfahren. „Die
langfristige Entwicklung ist derzeit nicht
abschätzbar“, sagt Bertram Brossardt, Ge-
schäftsführer der Vereinigung der Bayeri-
schen Wirtschaft. Mittelfristig ließen sich
erhebliche Beeinträchtigungen nicht ver-
meiden. BHT-Präsident Franz Xaver Pete-
randerl zeigt verhaltenen Optimismus:
Man hoffe, „dass die Wirtschaft in absehba-
rer Zeit schrittweise wieder auf Normalbe-
trieb schalten kann“. Bis dahin garantier-
ten die Handwerker und Dienstleister „die
Versorgung der Menschen in Bayern“.

München– Bayerns Universitäten und
Hochschulen planen mit einem Vorlesungs-
beginn am 20. April – trotz des Coronavi-
rus. „Ein Ausfall des gesamten Sommerse-
mesters ist für uns keine Option“, sagte
Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU).
Das Coronavirus stelle jeden vor bislang
unbekannte, große Herausforderungen.
„Dennoch müssen wir in dieser Extremsi-
tuation einen möglichst kühlen Kopf be-
wahren und klug und verantwortungsvoll
handeln.“ Unter den Hochschulen herr-
sche Konsens, dass das Sommersemester
2020 stattfinden soll. Die Hochschulen
setzten alles daran, den Vorlesungsbetrieb
im Sommersemester 2020 am 20. April
starten zu können – wohl aber unter verän-
derten Rahmenbedingungen: Online-An-
gebote würden täglich erweitert und alter-
native Lehrkonzepte entwickelt. An den
Hochschulen für angewandte Wissenschaf-
ten laufen die digitalen Vorlesungen be-
reits seit einer Woche. Am 16. März hätte
dort das Sommersemester begonnen, wur-
de aber wegen Corona verschoben. angu

Prag– Tschechien lenkt bei der strittigen
Frage der grenznahen Berufspendler teil-
weise ein. Wer im Gesundheits- und Ret-
tungswesen sowie in sozialen Diensten ar-
beitet, aber in Tschechien lebt, darf die
Grenze nun doch weiter täglich überschrei-
ten. Das habe Innenminister Jan Hamáček
auf Grundlage entsprechender Wünsche
aus den beiden Nachbarstaaten entschie-
den, teilte seine Sprecherin am Mittwoch-
abend in Prag mit. Diesen Berufen komme
eine Schlüsselaufgabe bei der Bekämp-
fung der Corona-Pandemie zu, hieß es zur
Begründung. Für alle anderen tschechi-
schen Berufspendler gilt, dass sie ab Don-
nerstag in den jeweiligen Nachbarländern
für einen längeren – empfohlen wird ein
dreiwöchiger – Zeitraum arbeiten müssen.
Nach ihrer Rückkehr nach Tschechien kom-
men sie in eine zweiwöchige häusliche Qua-
rantäne. Wegen dieser Regelung waren vie-
le bayerische Kliniken besorgt. Vor allem
die Kliniken nahe der bayerisch-tschechi-
schen Grenze hatten befürchtet, künftig
ohne ihre Ärzte aus dem Nachbarland aus-
kommen zu müssen. gla, dpa

München– Auch die Abiturprüfung an
den bayerischen Fach- und Berufsober-
schulen (Fos/Bos) könnte verschoben wer-
den. Das Kultusministerium prüfe derzeit,
ob eine Verschiebung „möglich ist“, sagte
ein Sprecher. Das Abitur an Gymnasien
wurde wie Mittlere-Reife-Prüfungen und
Übertrittszeugnis bereits verschoben. Die
Unsicherheit sei bei Fos/Bos-Abiturienten
groß, sagt Pankraz Männlein. Der Chef des
Berufsschullehrerverbands fordert Ant-
worten vor den Osterferien, von Spekulati-
onen hält er aber nichts: „Wichtiger als un-
sichere Termine sind faire Prüfungsbedin-
gungen und genug Vorlauf.“ angu


Aiwanger will „raus aus der Nummer“


Bayerns Wirtschaftsminister zieht wieder einmal Ärger auf sich, weil er behauptet: Einem Zusammenbruch
der Grundversorgung könnten mehr Menschen zum Opfer fallen als durch die Corona-Pandemie

Bestätigte Infektionen in Bayern

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SZ-Grafik; Quelle: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

Stand: 26.3., 10 Uhr

27.2. 26.3.

8842

15

München– Nun also haben sich wieder ein-
mal die Bauern durchgesetzt. Sollte der
Bundesrat an diesem Freitag den neuen,
sehr viel schärferen Regeln für das Düngen
von Äckern und Weiden zustimmen, wird
die EU-Kommission die Frist für die Umset-
zung der neuen Vorgaben bis zum 1. Januar
2021 verlängern. Das war nicht zu erwar-
ten. Die EU-Kommission ging bis vor Kur-
zem davon aus, dass die neue Düngeverord-
nung unmittelbar nach Zustimmung des
Bundesrats im April in Kraft tritt. Und
zwar ultimativ. Andernfalls hatte sie Bund
und Ländern nämlich 314 Millionen Euro
Strafzahlungen pro Jahr angedroht.
Die neue Düngeverordnung ist einer der
Hauptgründe für die massenhaften Protes-
te der Bauern in den vergangenen Mona-
ten. Auch wenn vielerorts in Deutschland
und in Bayern das Grundwasser mit dem
Schadstoff Nitrat belastet ist, wollen die
Bauern die neuen Vorgaben für dessen
Reinhaltung nicht akzeptieren. Bis zuletzt
machten sie Druck. Seit Kurzem bringen
sie für ihren Widerstand sogar die Corona-
Pandemie in Anschlag. Gerade in diesen
Zeiten sei die Sicherstellung der Lebens-
mittelversorgung besonders wichtig, er-
klärte das Netzwerk „Land schafft Verbin-
dung“ (LSV), das die Proteste organisiert.
Durch die Düngeverordnung riskiere man
nun, dass der Selbstversorgungsgrad
Deutschlands mit Lebensmitteln sinke,
sagte LSV-Sprecher Andreas Bertele kürz-
lich. Denn Deutschland sei ohnehin auf Le-
bensmittelimporte angewiesen. Derzeit lie-
ge der Selbstversorgungsgrad über alle
Produkte hinweg bei 85 bis 90 Prozent. Bei
Gemüse liege er unter 50 Prozent, bei Obst
sogar noch niedriger. Angesichts der Coro-
na-Pandemie müsse sich die Politik um
Entscheidungen zum Wohle der Bevölke-
rung kümmern, sagte Bertele. Deshalb sei
das Verfahren für die neue Düngeordnung
auszusetzen, bis sich die Lage entspannt
habe. Die bayerische Agrarministerin Mi-
chaela Kaniber (CSU) schloss sich mit eini-
gen ihrer Länderkollegen der Forderung
dieser Tage an.
Die Vermengung der Corona-Pandemie
mit dem Streit um die neue Düngeverord-
nung ist aus Sicht vieler Beobachter will-
kürlich. So zum Beispiel für den Abensber-
ger Bürgermeister und Gemeindetagsprä-
sidenten Uwe Brandl (CSU). In einem Brief
an Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
nennt es Brandl „unerträglich“, dass das
Netzwerk LSV nun „auch noch den Verbrau-
cher zum Bauernopfer“ des Düngestreits
machen wolle und gleichsam ankündige,
ihm in der Corona-Pandemie „die Nah-
rungsmittel zu verweigern“. Die Bevölke-
rung kämpfe um ihre Gesundheit, viele
bangten um ihre Existenz, die Wirtschaft
ringe ums Überleben. Deshalb dürfe die
Staatsregierung der LSV-Forderung nicht
nachgeben. Brandls Intervention hat
nichts gefruchtet. Die Bauern haben zu-
mindest einen Aufschub von einem Drei-
vierteljahr durchgesetzt. cws

Erlangen– Die Zahl der Corona-Infektio-
nen in Bayern ist um mehr als ein Fünftel
nach oben geschnellt. Das Landesamt für
Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
meldete am Donnerstag 8842 Fälle. Gegen-
über Mittwoch ist das ein Plus von 1553 In-
fektionen oder 21,3 Prozent. Die Zahl der
Corona-Toten erhöhte sich um elf auf 52.
Die wenigsten Infektionen gibt es mit sie-
ben in Amberg. An der Spitze bleibt mit wei-
tem Abstand München (1564). Laut Robert-
Koch-Institut (RKI) gibt es in Bayern aktu-
ell 61 Corona-Infektionen je 100 000 Ein-
wohner. Damit liegt der Freistaat im Län-
dervergleich nach Baden-Württemberg an
zweiter Stelle. Die Datenbasis des RKI ist
geringfügig anders als die des LGL. cws


Augsburg– Ein Flug von Wizz Air in die
bulgarische Hauptstadt Sofia ist noch ge-
startet am Donnerstagnachmittag,
sonst gibt es seit Mittwoch keine Bewe-
gungen am Allgäu Airport bei Memmin-
gen: Der Flughafen hat auf Notbetrieb
umgestellt, voraussichtlich am Freitag
will die Leitung des Airports entschei-
den, wie es weitergeht. Am Sonntag hät-
te eigentlich auf den Sommerflugplan
umgestellt werden sollen, doch daraus
wird nichts: Die meisten Fluggesellschaf-
ten haben ihre Aktivitäten eingestellt,
Ryanair etwa hat zunächst bis zum


  1. April alles heruntergefahren. Was da-
    nach folgt, ist unklar. Der Allgäu Airport
    hat für die Mitarbeiter auch seiner Toch-
    tergesellschaft Allgate GmbH Kurzar-
    beit beantragt – insgesamt etwa 160 An-
    gestellte.


Mehr als 50 Flugziele waren bislang
im Sommerflugplan vorgesehen. „Was
davon wann und wie realisiert werden
kann“, sagt Geschäftsführer Ralf
Schmid, „hängt von der aktuellen Ent-
wicklung rund um das Thema Corona
ab.“ Auf jeden Fall würden in den kom-
menden zwei Monaten die Airlines ihre
Kapazitäten und die Reiseveranstalter
ihre Programme reduzieren. Der Allgäu
Airport verzeichnet seit Jahren stetiges
Wachstum, im laufenden Geschäftsjahr
rechnete Schmid das erste Mal mit mehr
als zwei Millionen Passagieren. Daraus
wird nun nichts, auch wenn er betont,
dass die Krise noch keine existenziellen
Auswirkungen auf den Flughafen habe.
Man sei finanziell gut aufgestellt, um ei-
ne solche Ausnahmesituation für einige
Zeit meistern zu können. ffu

von sebastian beck

D


as bayerische Ministerium für Ge-
sundheit und Pflege gehört in ru-
higen Zeiten zu jenen Einrichtun-
gen, deren Sinn sich in erster Linie den
Proporzexperten der Landespolitik er-
schließt. Die wenigen Aufgaben könnten
genauso gut von einem anderen Ministe-
rium betreut werden. Jetzt aber hat Minis-
terin Huml mehr als genug zu tun. Doch
während in Berlin Gesundheitsminister
Jens Spahn gerade zum wichtigsten Ma-
nager der Corona-Krise aufgestiegen ist,
scheint es so, als ob Huml politisch ent-
mündigt worden ist. Ministerpräsident
Markus Söder hat der Ministerin mit Win-
fried Brechmann – einem Vertrauten aus
dem Innenministerium – einen zweiten
Amtschef vor die Nase gesetzt, dazu mit
Gerhard Eck einen Staatssekretär und et-
liche Fachleute.
Das ist zwar als Nothilfe deklariert,
wirkt aber eher wie eine feindliche Über-
nahme. Daraus lässt sich der Schluss zie-
hen, was Söder vom Krisenmanagement
des Gesundheitsministeriums hält: näm-
lich nichts. Wer sich im Staatsapparat um-
hört, bekommt ebenfalls die Einschät-
zung zu hören, dass die zögerliche Huml
mit der Situation überfordert sei. Dabei
hat das Gesundheitsministerium in die-
sen Tagen erstmals echte Aufgaben zu be-
wältigen: Pflegeheime beispielsweise bit-
ten fast flehentlich um Schutzausrüstun-
gen. Die Information der Öffentlichkeit
über die Situation hat derweil fast aus-
schließlich das Landesamt für Gesund-
heit übernommen, auf dessen Homepage
sich die aktuellen Fallzahlen der Corona-
Infektionen in Bayern finden. Das sonst
eher mitteilsame Gesundheitsministeri-
um gab von Montag bis Donnerstagnach-
mittag keine einzige Presseerklärung
mehr heraus, was in solchen Zeiten eher
ungewöhnlich ist. Auf Anfragen reagiert
Humls Ministerium entweder gar nicht
oder nur mit Verzögerung. All das zusam-
men lässt erahnen, wie es dort zugeht.
Wenn die Corona-Krise in einigen Wo-
chen oder Monaten überstanden ist, wird
auch Bayern seine Gesundheitspolitik
gründlich überarbeiten und anpassen
müssen: Das betrifft Krankenhäuser
ebenso wie Pflegeheime und generell den
Seuchenschutz. Ministerpräsident Mar-
kus Söder sollte diese Aufgaben – wenn
er nicht ohnehin wieder alles an sich zieht



  • besser einem anderen als Melanie
    Huml anvertrauen.


Vorlesungen sollen


am 20. April beginnen


Bauern setzen


sich durch


EU-Kommission verschiebt
Umsetzung von Düngeverordnung

Zahl der Corona-Fälle


steigt stark an


Notbetrieb im Allgäu


Corona-Krise bremst das Wachstum am Airport


Manche Pendler dürfen


doch über die Grenze


MITTEN IN BAYERN

Überforderte


Krisenmanagerin


Abituran Fos und Bos


eventuell später


Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger beim Besuch des Autozulieferers Zettl, der jetzt Schutzmasken näht. Bereits Mitte April will Aiwanger zum normalen
Wirtschaftsleben zurückkehren. Mit diesem Vorstoß steht er allerdings alleine da. Auch Parteifreunde ärgern sich über seine Äußerungen. FOTO: TWITTER

Startbahn frei


In Nürnberg kommt der Flugverkehr fast vollständig zum Erliegen, Beschäftigte müssen kurzarbeiten


„Damit schürt man nur Ängste
in der Bevölkerung, und zwar
völlig unbegründete.“


DEFGH Nr. 73, Freitag, 27. März 2020 R11


BAYERN

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