Süddeutsche Zeitung - 27.03.2020

(ff) #1
von tomas avenarius

Istanbul –Wenndie Ärzte ohne Grenzen
einfliegen, steht es meist schlecht. Ob bei
Kriegen, Naturkatastrophen oder Epide-
mien, die freiwilligen Ärzte und Pfleger
aus fast aller Herren Länder kommen erst,
wenn eine Regierung ihre Bürger medizi-
nisch nicht mehr versorgen kann. Verräte-
risch also, dass die Führung der Islami-
schen Republik die Médecins sans frontiè-
res (MSF) aus ihrem Corona-geplagten
Land hinauskomplimentierte, bevor die
NGO dort überhaupt mit der Arbeit anfan-
gen konnte. Und das, obwohl Iran zu den
am stärksten von der Pandemie befallenen
Staaten gehört. „Auch wenn wir MSF dan-
ken, besteht derzeit kein Bedarf an Hospitä-
lern, die von Ausländern aufgebaut wer-
den“, tweetete Alireza Vahabzadeh, Berater
des iranischen Gesundheitsministers.
Selbstgefällige Worte aus einem Land,
in dem der Vize-Gesundheitsminister sich
über die weltweit geltende Nies- und Hus-
ten-Etikette lustig machte, wenige Stun-
den später vor TV-Kameras Schweißaus-
brüche bekam und als Covid-19-Patient im
Krankenhaus landete. Ein Land, in dem ei-
ner der Berater des Geistlichen Führers am
Virus gestorben ist, so wie mindestens drei
weitere Regierungsmitglieder.
Wo religiöse Schreine nicht geschlossen
wurden, obwohl klar war, dass das gemein-
same Gebet Tausender Pilger ein Hochleis-
tungsbeschleuniger für die Verbreitung
des Erregers war, zumal die Gläubigen die
Grabmäler berührten und küssten. Und
ein Land, in dem – bei einer mit Sicherheit
extrem hohen Dunkelziffer – schon fast
2500 Menschen dem Virus zum Opfer ge-
fallen sind, sich knapp 30000 infiziert ha-
ben. Dass nahe der Pilgerstadt Ghom fuß-
ballfeldgroße Massengräber ausgehoben
wurden – das jedenfalls scheinen Satelli-
tenfotos zu belegen – spricht für sich.
Ganz egal, ob die jahrelange wirtschaftli-
che Strangulation durch die internationa-
len Sanktionen oder die Zerstrittenheit, In-
kompetenz und Korrumpiertheit der Füh-
rung der Grund sind – die Islamische Repu-
blik ist zusammen mit Spanien, China, den
USA und Italien eines der am härtesten von
der Pandemie getroffenen Länder. Auf wel-
chem Rang der Negativliste Iran steht,
lässt sich angesichts der anzunehmenden
Dunkelziffer nicht sagen.
Umso fragwürdiger handelt die Füh-
rung. Der Oberste Geistliche Führer, Aya-
tollah Ali Khamenei, redete Covid-19 als
„keine so große Tragödie“ klein, um später
den USA vorzuwerfen, sie hätten Corona
als Bio-Waffe „speziell gegen Iran“ in die
Welt gesetzt und bei der Entwicklung „ge-
netisches Material der Iraner“ benutzt.
Von den Amerikanern angebotene Medika-
mente lehnte der 80-Jährige ab: „Vielleicht
sollen diese Präparate das Virus weiterver-
breiten.“
In ihren 41 Jahren hat die Islamische Re-
publik unzählige Krisen überlebt. In
schwierigen Phasen haben reale und her-
aufbeschworene Feinde von außen das
Land immer aufs Neue zusammenge-

schweißt. Aber Covid-19 lässt sich nicht als
„großer Satan“ geißeln, hat keine Flagge,
die sich beim Freitagsgebet verbrennen
lässt wie die amerikanische. Doch auch der
Kampf gegen einen unsichtbaren Feind er-
fordert ein erkennbares Gesicht. Deshalb
wohl greift Khamenei auf Verschwörungs-
theorien zurück: Corona soll den Iranern
das Gesicht von Donald Trump zeigen.
Denn Khamenei weiß, dass die Pande-
mie das religiös legitimierte Herrschafts-
system gefährden kann. Die schiitische
Theokratie ist durch die internationale Iso-
lation, eine katastrophale Wirtschaftslage,
die niedergeschlagenen Proteste der ver-
gangenen Jahre und ungezügelte Korrupti-
on erschüttert. Auf baldigen Kollaps hof-
fen nicht nur die Gegner der Khomeini-
Theokraten, allen voran die Trump-Regie-
rung oder die Auslandsopposition. Im
Land selbst ist es die immer schlechtere
Wirtschaftslage, die die Bürger ebenso ver-
zweifeln lässt wie der politische Reformun-
willen der Hardliner. „Corona hat in kürzes-

ter Zeit einen härteren Schlag gegen Irans
Wirtschaft geführt als die US-Sanktionen“,
sagte Saeed Laylaz, einer der bekanntes-
ten regierungskritischen Ökonomen Irans,
jüngst derFinancial Times. Und das, ob-
wohl Trump seit der Kündigung des Atom-
abkommens mit Iran 2019 die „härtesten
Sanktionen denn je“ umgesetzt hat.

Auch wenn Irans Öl- und Gasvorkom-
men zu den größten weltweit gehören,
muss Teheran wegen Corona um Hilfe bet-
teln. Es will einen Kredit des Internationa-
len Währungsfonds (IWF) in Höhe von fünf
Milliarden Dollar. Den bekommt es nicht,
weil das Parlament den Beitritt zum FATF-
Zusatzabkommen über den Kampf gegen
Terrorfinanzierung und Geldwäsche abge-
lehnt hat; bei der Finanzierung militanter

Gruppen wie der libanesischen Hisbollah
legt Teheran auf Transparenz wenig Wert.
So steht das Land in der Corona-Krise weit-
gehend alleine da: Irans Pharmaindustrie
liefert 70 Prozent des heimischen Bedarfs,
kann aber komplexe Produkte wie Krebs-
medikamente wegen der US- und EU-
Sanktionen weder produzieren noch im-
portieren. Dabei hätte Teheran das Geld:
Um die 100 Milliarden Dollar liegen auf
Auslandskonten. Die Devisen können
nicht abgehoben werden, wegen der Sank-
tionen. Nach wie vor verkauft Iran trotz
Strafmaßnahmen weiter kleine Mengen
an Öl, aber die Käufer zahlen wegen der
Sanktionen auf Konten in China oder am
Golf ein. Nach wie vor exportiert das Land
auch andere Güter als Öl, aber die Kunden
begleichen das bei ausländischen Banken.
Und die Verbindungslinien zu den weni-
gen Handelspartnern – allen voran China


  • sind wegen Corona blockiert. Die Rou-
    ten, auf denen Irans Im- und Exportscouts
    Millionen Dollar in Aktenkoffern an den


Sanktionswächtern vorbei um die Welt tra-
gen, sind zu. Einige internationale Herstel-
ler seien bereit, Corona-Test-Kits zu lie-
fern, erklärte die Importeur-Union für Me-
dizinprodukte: „Aber sie bestehen darauf,
dass das Geld über Banken fließen muss.“
Wer allein dem Sanktionsregime Schuld
gibt, springt aber zu kurz. Die Hauptbedro-
hung Irans sei die Korruption, so der irani-
sche Analyst Bijan Khajepour. Diese erklär-
te die langsame Reaktion der Behörden auf
die Pandemie: Die Verantwortlichen seien
„total demotiviert wegen Korruption und
Missmanagement, so Khajepour gegen-
überAl-Monitor.
Wer aber wegen Corona auf den Kollaps
des Systems hofft, könnte enttäuscht wer-
den. Die Theokratie muss die Macht längst
mit paramilitärischen Sicherheitskräften
teilen, vor allen den Revolutionsgarden.
Die haben die Wirtschaft unterwandert,
profitieren von der Schattenwirtschaft un-
ter dem Sanktionsregime. Sie könnten
dann die Macht einfach übernehmen.

München– Eswar ein Überraschungs-
coup, der den Weg zu einer großen Koaliti-
on in Israel ebnen könnte: Oppositionsfüh-
rer Benny Gantz stellte sich am Donners-
tag als Kandidat für die Position des Parla-
mentspräsidenten zur Wahl. Damit setzte
er sein bisheriges Parteienbündnis Blau-
Weiß auf Spiel. Zwei Parteien – die von Jair
Lapid geführte Zukunftspartei und die Te-
lem-Fraktion des ehemaligen Verteidi-
gungsministers Mosche Jaalon – verließen
daraufhin die Allianz.
Mit diesem Manöver versuchte Gantz,
die Chancen zur Bildung einer Einheitsre-
gierung mit dem rechtsnationalen Likud
von Ministerpräsident Benjamin Netanja-
hu zu wahren. Laut Medienberichten will
Gantz auf den Vorschlag von Netanjahu ein-
gehen, angesichts der Corona-Krise eine
Notstandsregierung zu bilden – und zwar
gleich für drei Jahre. Gantz begründete
sein Vorgehen damit, dass Israel seit mehr
als einem Jahr nach drei Wahlen keine sta-
bile Regierung habe. Für ihn stehe „Israel
über allem“. Die Abgeordneten von Netan-
jahus Koalition aus rechten und religiösen
Parteien stimmten geschlossen für Gantz,
der 74 der 120 Stimmen in der Knesset er-
hielt. 18 Abgeordnete votierten gegen ihn,
ein Teil enthielt sich – darunter Gantz’ bis-
heriger Partner von der Zukunftspartei.
Demnach könnte Netanjahu weitere 18
Monate Regierungschef bleiben, Gantz
würde in dieser Zeit als Außenminister am-

tieren und dann im September 2021 Minis-
terpräsident werden. Gantz hatte bisher
versichert, er wolle wegen der Anklagen ge-
gen Netanjahu nicht mit diesem in einer Re-
gierung sitzen. Seine bisherigen Partner
im blau-weißen Bündnis, Lapid und Jaa-
lon, hatten Gantz wegen ihrer schlechten
Erfahrung als Minister vor einer Koalition

mit Netanjahu gewarnt. Als Verteidigungs-
minister in einer Notstandsregierung wur-
de Gabi Aschkenasi gehandelt, der wie
Gantz ehemaliger Generalstabschef der Ar-
mee ist. Gantz’ Partei soll auch die Minister
für Justiz und Wirtschaft stellen.
Es wird vermutet, dass Netanjahu Mitte
nächsten Jahres als Nachfolger von Präsi-
dent Reuven Rivlin kandidiert – was dem
wegen Korruptionsdelikten Angeklagten
Immunität verschaffen würde. Trotz der
Anklagen kann Netanjahu als Premier im
Amt bleiben, als Minister müsste er zurück-
treten. Der Prozessauftakt gegen Netanja-
hu, der wegen Bestechlichkeit, Betrug und
Untreue angeklagt ist, wurde wegen der Co-
ronakrise auf Mitte Mai verschoben.
Bei der dritten Parlamentswahl binnen
eines Jahres am 2. März hatte weder Netan-
jahus rechter Block noch das von Gantz ge-

führte Lager eine Mehrheit errungen. Ne-
tanjahu regiert seit Dezember 2018 mit ei-
ner Übergangsregierung und dürfte eigent-
lich keine weitreichenden Entscheidungen
treffen, was er aber angesichts der rigoro-
sen Maßnahmen zur Bekämpfung der Co-
ronakrise getan hat.
Bis zu Gantz’ überraschender Bewer-
bung galt die Nominierung von Meir Co-
hen als blau-weißem Kandidaten für den
Knesset-Sprecher als sicher. Netanjahus Li-
kud-Partei hatte im Falle einer Wahl dieses
Kandidaten Gantz mit dem Ende von Koali-
tionsverhandlungen gedroht. Cohen
kommt von Lapids Zukunftspartei. Seiner
Fraktion sagte Lapid, Gantz habe sich ent-
schieden, „Blau-Weiß zu sprengen und in
Bibis Regierung zu kriechen“ – Bibi ist Ne-
tanjahus Spitzname. Lapid warf Gantz vor,
mehr als eine Million Wählerstimmen ge-
stohlen und Netanjahu als Geschenk über-
reicht zu haben. Lapid und Jaalon wollen
weiter als Bündnis agieren und beanspru-
chen den Namen Blau-Weiß.
Laut Medienberichten soll Gantz die
Funktion des Parlamentspräsidenten nur
bis zur Bildung einer Einheitsregierung
ausüben. Danach soll wieder der Likud die
Position besetzen können. Die Neuwahl ei-
nes Sprechers der Knesset, wie in Israel die
Funktion des Parlamentspräsidenten be-
zeichnet wird, war kurz nach Mitternacht
am Donnerstag vom Obersten Gericht an-
geordnet worden. Der bisherige Parla-
mentspräsident Juli Edelstein vom Likud
wurde von seinen Aufgaben entbunden.
Seine Kompetenzen wurden vorüberge-
hend an den am längsten dienenden Abge-
ordneten, Arbeitsparteichef Amir Peretz,
übertragen. So versuchte das Oberste Ge-
richt, die Verfassungskrise zu lösen.
Edelstein hatte sich zuvor geweigert,
das Parlament und Ausschüsse zur Kon-
trolle der Regierungsarbeit einzuberufen.
Er wollte auch verhindern, dass die Opposi-
tion ihn als Knesset-Sprecher abwählen
kann. Edelstein verweigerte auch die Ab-
stimmung über einen Gesetzesantrag der
Oppositionsparteien, der gegen Netanjahu
gerichtet war. Demnach sollte per Gesetz
untersagt werden, dass ein Angeklagter ei-
ne Regierung bilden darf. Tamar Zandberg
von der Meretz-Partei griff Gantz scharf
an: „Wir stehen alle unter Schock. Was hast
Du gemacht, Benny Gantz?“
alexandra föderl-schmid Seite 4

Washington– Die USA klagen Venezue-
las Staatschef Nicolás Maduro und
14seiner Vertrauten wegen Drogenhan-
dels und Geldwäsche an. Sie hätten das
Land gleichsam in eine kriminelle Orga-
nisation für Drogenschmuggler und
Terroristen verwandelt und Venezuela
Milliarden Dollar gestohlen. US-Justiz-
minister William Barr erläuterte die
Anklage am Donnerstag. Das Außenmi-
nisterium lobte 15 Millionen Dollar für
Informationen aus, die zu Maduros
Festnahme führen. Die US-Regierung
hat Oppositionsführer Juan Guaidó als
legitimen Interimspräsidenten aner-
kannt und fordert einen Machtwechsel
in Caracas. Guaidó kann sich bisher


aber nicht durchsetzen. Die Ermittlun-
gen gegen Maduro (FOTO: DPA)liefen seit
mindestens zehn Jahren, sagte Barr.
Der Justizminister setzte Kopfgelder
von zehn Millionen Dollar auch aus auf
den Vorsitzenden der Verfassungsge-
benden Versammlung, Diosdado Cabel-
lo, den Ex-Chef des Militärgeheimdiens-
tes und Venezuelas Industrieminister.
Viele Militärs und Politiker im Land
sollen in illegalen Bergbau, Drogen-
und Waffenhandel verwickelt sein. Bei
Verurteilung würden Maduro mindes-
tens 50 Jahre Haft drohen. dpa, sz


Wien– Der kosovarische Ministerpräsi-
dent Albin Kurti von der linksnationalen
Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung)
ist nach nur sieben Wochen im Amt per
Misstrauensvotum im Parlament gestürzt
worden. Formaler Grund war ein Zerwürf-
nis mit seinem konservativen Koalitions-
partner LDK über den Kurs in der Corona-
Krise. Doch dahinter steht ein Macht-
kampf des Premiers mit Präsident Hashim
Thaçi. Als Strippenzieher nur halb im Hin-
tergrund erscheint dabei der von US-Präsi-
dent Donald Trump zu seinem Sonderge-
sandten für Serbien und Kosovo ernannte
Richard Grenell, der zugleich US-Botschaf-
ter in Berlin und Washingtons oberster Ge-
heimdienstkoordinator ist.
Ausgelöst wurde der Koalitionsstreit,
als Kurti den von der LDK gestellten Innen-
minister Agim Veliu entließ. Der hatte die
Ausrufung des Ausnahmezustands ver-
langt, was Präsident Thaçi weitreichende
Durchgriffsrechte eingeräumt hätte. Die al-
ten Kräfte in der LDK bliesen daraufhin ge-
meinsam mit der Opposition zum Sturz
des Regierungschefs. Einige Jüngere LDK-
Politiker wie die erfolgreiche Spitzenkandi-
datin bei der jüngsten Parlamentswahl,
Vjosa Osmani, stemmten sich zwar dage-
gen. Sie konnten aber nicht verhindern,
dass das Misstrauensvotum im Parlament
am späten Mittwochabend von 82 der ins-
gesamt 120 Abgeordneten unterstützt wur-
de. Als lautes Zeichen des Protests in Zei-
ten der Ausgangssperre trommelten in der
Hauptstadt Pristina zeitgleich zur Parla-
mentssitzung Tausende Menschen in ih-
ren Wohnungen auf Töpfen und eisernen
Balkonstangen.

Kurti war Anfang Februar als Regie-
rungschef mit dem Versprechen angetre-
ten, die Korruption und die organisierte
Kriminalität in Kosovo zu bekämpfen. Da-
mit störte er ganz bewusst die Kreise jener
Kräfte aus der früheren sogenannte Befrei-
ungsarmee Kosovos (UÇK), die in der 2008
für unabhängig erklärten ehemaligen ser-
bischen Provinz immer tonangebend gewe-
sen waren. Auch Thaçi entstammt der
UÇK. Nach der Entlassung des Innenminis-

ters hatte er die Polizei aufgefordert, Kur-
tis Maßnahmen gegen das Coronavirus
nicht zu befolgen.
Im Kern geht es in diesem Machtkampf
aber vor allem darum, welcher Kurs in den
Verhandlungen mit Serbien über die Aner-
kennung der Unabhängigkeit eingeschla-
gen wird. Kurti setzte auf mehr Mitsprache
des Parlaments. Bislang waren die Gesprä-
che von Präsident Thaçi geführt worden,
der gemeinsam mit dem serbischen Präsi-
denten Aleksander Vučić schon vor zwei
Jahren die Idee eines Landtauschs nach
ethnischen Gesichtspunkten ventiliert hat-
te. Dies war von Deutschland und anderen
EU-Partnern vehement abgelehnt worden
mit dem Argument, dass eine solche Grenz-
veränderung auf dem Balkan andere Staa-
ten wie Bosnien oder Nordmazedonien in
neue Konflikte stürzen könnten.
Konterkariert wird dieser europäische
Kurs jedoch aus Washington. Dort beauf-
tragte Trump im vorigen Herbst seine ver-
meintliche Allzweckwaffe Grenell damit,
einen „Deal“ zwischen Serbien und Kosovo
herbeizuführen, der im Präsidentschafts-
wahlkampf hilfreich sein könnte. Vermu-
tet wird, dass dabei auch die Grenzverände-
rungen wieder auf den Verhandlungstisch
kommen sollen. Grenell übte gleich nach
Kurtis Amtsantritt enormen Druck aus
und forderte, dass der neue Regierungs-
chef als Geste gegenüber Belgrad die 2018
verhängten Strafzölle von 100Prozent auf
serbische Güter aufheben solle. Kurti zeig-
te sich jedoch lediglich bereit, einen Teil
der Zölle zurückzunehmen und alles Weite-
re von serbischen Schritten in Richtung An-
erkennung abhängig zu machen.
Mit dieser Haltung brachte Kurti die
Amerikaner gegen sich auf. Grenell twitter-
te erbost: „Die Zölle müssen vollständig fal-
len. Herr Kurti macht einen ernsthaften
Fehler.“ Gedroht wurde mit dem Entzug
von Wirtschaftshilfen. Der Präsidenten-
sohn Donald Trump Jr. malte gar eine
Schließung des US-Militärstützpunkts in
Kosovo an die Wand. Als nun das Misstrau-
ensvotum angesetzt wurde, stellten sich
die Botschafter Deutschlands und Frank-
reichs in Pristina auf Kurtis Seite und rie-
fen gemeinsam dazu auf, in diesen ange-
spannten Zeiten auf den Regierungssturz
zu verzichten. Der US-Botschafter dage-
gen erklärte, er sei „erfreut“ über das Miss-
trauensvotum. peter münch Seite 4

Benny Gantz könnte bald Außenminister werden. Bislang hatte er versichert, er
wollenichtmit Netanjahu in einer Regierung sitzen. FOTO: AHMAD GHARABLI/AFP

Corona war der Anlass. Dahinter
steht ein Machtkampf, der auch
die EU und die USA betrifft

Gantz’ Partei soll auch die
Minister für Justiz
und Wirtschaft stellen

Das Ende von Blau-Weiß


Israels Oppositionsführer Benny Gantz bahnt den Weg zur Einheitsregierung


Brüssel– Die EU hat sich auf ein Man-
dat für die neue Mission „Irene“ zur
Durchsetzung des UN-Waffenembargos
gegen Libyen geeinigt. Die neue Operati-
on soll das Embargo aus der Luft, per
Satellit und auf dem Meer überwachen,
wie die dpa aus Diplomatenkreisen
erfuhr. Damit kehrt die Staatengemein-
schaft nach einjähriger Abwesenheit
mit Schiffen zurück aufs Mittelmeer.
Im Grundsatz hatten sich die Außenmi-
nister bereits im Februar auf eine Nach-
folgemission für die Ende März auslau-
fende Operation „Sophia“ geeinigt.
Umstritten war jedoch zuletzt vor allem
der maritime Teil der Mission. Öster-
reich und auch Ungarn hatten Beden-
ken, ein solcher Einsatz könnte dazu
führen, dass mehr Migranten die gefähr-
liche Überfahrt von Afrika nach Europa
wagen, weil sie davon ausgehen könn-
ten, gerettet zu werden. Diesen Beden-
ken trug die Einigung der Außenminis-
ter der EU-Staaten nun Rechnung. Da-
nach sollen die Schiffe nicht im zentra-
len Mittelmeer, sondern deutlich weiter
östlich eingesetzt werden, fernab der
Fluchtrouten, etwa vor Bengasi oder
dem Suezkanal. dpa


Riad– Die G20-Staaten haben einen
Schulterschluss im Kampf gegen das
Coronavirus beschlossen. Dies sei „unse-
re absolute Priorität“, heißt es in einem
Statement der 20 größten Industrie-
und Schwellenländer nach einer Video-
konferenz der Staats- und Regierungs-
chefs am Donnerstag. Leben müssten
geschützt und die Jobs und der Wohl-
stand gesichert werden, heißt es in der
Erklärung weiter. Alle seien entschlos-
sen, wieder Vertrauen herzustellen,
finanzielle Stabilität zu sicher und die
Wirtschaft wieder anzukurbeln. Allen
Ländern müsse geholfen werden, vor
allem den schwächsten. Hintergrund ist
die Sorge, dass sich das Virus in den
kommenden Wochen auch in den ärme-
ren Staaten der Welt ohne funktionie-
rendes Gesundheitssystem ausbreitet.
Der saudische König Salman als Gastge-
ber der Videoschalte forderte zu Beginn
einen Kraftakt auch bei der Forschung-
nach einem Impfstoff. An der Konfe-
renz nahmen unter anderem US-Präsi-
dent Donald Trump, sein chinesischer
Kollege Xi Jinping und Bundeskanzle-
rin Angela Merkel teil. Saudi-Arabien
hat die einjährige G20-Präsidentschaft
inne. Das ölreiche Land ist von der Kri-
se massiv betroffen, weil der Ölpreis
abgestürzt ist. reuters


Luxemburg– Im Streit um die Justizre-
form in Polen haben polnische Richter
vor dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) einen Rückschlag erlitten. Aus
formellen Gründen wollten die Luxem-
burger Richter am Donnerstag nicht
über die polnischen Disziplinarverfah-
ren entscheiden. In einem Punkt stärk-
ten sie den polnischen Richtern den-
noch den Rücken (Rechtssachen
C-558/18 und C-563/18). Die Regierung
in Warschau sieht sich aber in ihrer
Haltung gestärkt. Ungeachtet der inter-
nationalen Kritik baut die nationalkon-
servative PiS-Regierung das Justizwe-
sen Polens seit Jahren um und setzt
Richter unter Druck. Die Reformen
landeten schon mehrmals vor dem
Europäischen Gerichtshof. Hintergrund
des aktuellen Verfahrens sind die 2017
eingeführten Regelungen für Diszipli-
narverfahren gegen Richter. In zwei
Gerichtsverfahren äußerten polnische
Gerichte die Sorge, ihre Urteile könnten
zu einem Disziplinarverfahren gegen
den jeweiligen Richter führen. dpa


Sturz nach sieben Wochen


Misstrauensvotum gegen Kosovos Regierungschef Kurti


DEFGH Nr. 73, Freitag, 27. März 2020 (^) POLITIK HMG 9
Hier gibt es nichts zu sehen
Die Corona-Pandemie bedroht die Macht des iranischen Theokraten-Regimes. Die Dunkelziffer der Infizierten ist laut Schätzungen gewaltig,
die religiöse Führung des Landes redet die Katastrophe klein – und stellt das Virus als Bio-Waffe der Amerikaner da
Ein Friedhofsmitarbeiter in Schutzkleidung hebt in der Pilgerstadt Ghom das Grab für einen Corona-Toten aus. FOTO: MORTEZANIKOUBAZL / SIPA/ ACTION PRESS
Die Devisen können von den
Auslandskonten nicht abgehoben
werden, wegen der Sanktionen
Neue EU-Mittelmeer-Mission
G20: Corona „unsere Priorität“
EuGH entscheidet nicht
USA klagen Maduro an
AUSLAND

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