Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Feuilleton FREITAG,27. MÄRZ 2020·NR.74·SEITE 11


Ichlebe am Meer,und zwarwortwörtlich:
Ichlebe direkt amWasser.Ich kann von
meinem Schreibzimmer einenSteinhin-
einwerfen –und tue es oft. Ichkann von
meinem Strand aus nackt schwimmenge-
hen, undkeiner sieht mich. Ichkönntemit-
tenimWinter auf denfernen Horizont zu-
schwimmen–der endgültigeGriff nach
der Einsamkeit –, undkeiner würde es so
schnell merken. Ic hlebe an demglückli-
chen Ort, der all meine irdischen Bedürf-
nisse erfüllt, und dazugehörtvermutlich
auchmein Übergang ins nächste Leben.
In unsererZeit der Seuche–nein, das
klingt zu dramatisch: In unsererZeit der
erzwungenen Isolationkommt man sich
an derKüstevon Maine,wo ichlebe (Bos-
tonliegt dreiStunden südlich),relativ we-
nig betroffenvor.Die Geschäfte sind zu,
die Restaurants,die Schulen, der YMCA.
Aber „Quarantäne“, im übertragenen Sin-
ne, beschreibt sowieso, wie wir in Maine
miteinander auskommen.Wirsitzen hier
ganz oben,wo es RichtungKanada geht,
sonstnirgendwohin. Alles andereliegt
weiter unten. Soziale Distanz is tunsere
Vorstellungvoneiner Gemeinschaft, die
zusammenhält.Darüber hat unser Lieb-
lingsdichter RobertFrostgeschrieben:
„GuteZäune machen guteNachbarn.“
Marxhat gesagt, Geld sei „das allgemeine
Scheidungsmittel“.Unddadas Geld den
Amerikanernmehr bedeutet als Gott,
könnteman sagen, wir haben einganzes
Land aus „Scheidungen“, aus Distanzie-
rungen, ausFormen der Separationge-
schaf fen. 50 separate,rivalisierende klei-

ne Herzogtümer,die wirStaaten nennen
und vondenen jedes eifersüchtig über sei-
ne Vorrecht eund Eigenheitenwacht. Un-
sereWirtschaftskraftberuht historisch
darauf, dasswir aus der Separation der
Rassen, aus SklavereiProfitschlugen. Ein
Geschlecht–nicht meins–wurde kom-
plett vonder Gleichberechtigung ausge-
schlossen.Undsoweiter und sofort,bis
hin zu unserer derzeitigenFremdenfeind-
lichkeit imZusammenhang mit Handels-
fragen und... mit einer ansteckenden
Krankheit.Wir Amerikaner haben Separa-
tion drauf.Wirernähren uns davon. Wir

nennen sie Einzigartigkeit.„Ichkümmere
michummich. Kümmer du dichumdich.“
Manche Leutesind der Meinung, das wür-
de Amerikawiedergroß machen. Auch
hier kann ic hnur sagen: nicht meins.
Hier in Mainegehören meineFrau und
ichmit 74 und 76 ziemlichgenau zur Risi-
kogruppe (aber wir sind, soweit wir wis-
sen, ohne Vorerk rankungen). Kristina
hat irgendwelche desinfizierenden
„Wischtücher“gekauft, und ichhabe den
Innenraumvonmeinem SUV ziemlich
gründlichdurchgeputzt (nochletztes Wo-
chenende hatteich den Parkdienstvon ei-
nem gutenFischrestaurant in Anspruch
genommen,deshalb dachteich,das Lenk-

radkönnte suspektsein). Ichhabe meine
Hanteln imFitnessstudio abgewischt, be-
vordas dichtmachte .Wir haben beher-
zigt, dassechteSeifedem wenigen uns
verbliebenen Handdesinfektionsmittel
vorzuziehen ist(ein Freund hat mir ein
Rezeptgeschickt, wie man selberwelches
machenkann, mit...was weiß ic h...
Aloe vera und Alkohol aus kleinen Sprüh-
flaschen, die es jetzt nicht mehr gibt).Wir
sind bei allem dabei,was jetzt angesagt
ist. Aber da wir die meiste Zeit zu Hause
sind, hier am Meer,spüren wir–bis auf
den Lebensmittelladenund denWeinhan-
del –keine großen Veränderungen.
Unddoch. Alsichmichletztes Wochen-
endeauf den Markt traute(mit weißen Plas-
tikhandschuhen,ummit unerwarteten,po-
tentiell verseuchten Oberfläche nundKorb-
griffenklarzu kommen),traf ichzufällig auf
meinenFreund, denstämmigenStellvertre-
terdes Sheriffs,der im YMCAimmer auf
dem Fitnessradneben mirsitzt (i ch nenne
es dasRadnachNirgendwo). „Plastikhand-
schuh ebistduwahrscheinlic hvon derPoli-
zeiarbeitgewohnt“,sagteich.„Nee“, sagte
er,griff miteinergroßen bloßen Pranke in
die Plastik-Käseboxund schenktemir sein
bekümmertes Cop-Lächeln. „Nurwenn ich
Körperteile anfassen muss, weißtdu.
Schei ßdrauf,sag ich. Das Lebenist zu
kurz.“ „Aha. Wenn du meinst“,sagteich
und kammir mi tmeinenHands chuhen,
die an Leichenhände erinnerten, etwasal-
bernvor.Späterging mir auf, dassergenau-
so gu thättesagen können „Das Leben ist
zu lang“,es lie fauf da sselb ehinaus.Schon

sei teinigerZeit glaube ich, unserLandist
praktischunregierbargeworden.Und nicht
erstseit Trump,zu dessen vielenPflichtver-
letzungen esgehört, diemeisten vonuns,
die nicht ir re sind, zu derimmerfesteren
Überzeugungzubringen ,dassdas Landzu-
mindest vonden falschenLeutenregiert
wir dund anarchischen Zustä nden immer
nähe rkommt–das wäre wohl di eäußer ste
„Scheidung“.Ich sehe das seit Jahrzehnten
soun dbindamit bestimmtnicht allein.Un-
sere Gründerväterwussten, dassunsere De-
mokratie immer im Flusssein würde,eine
gewisse, heikleDynamikwaralso gewollt.
Epluribusunum und soweiter .Wahr-
scheinlichkonnt eman Amerikanernnoch
nie sagen, wassie tu nsollen ,und dann er-
warten, dasssie es auch taten.
Dochdie Menschen scheinen allgemein
nicht mehr vielgesundenVerstandzuha-
ben. Wirhalten es für unserverfassungs-
mäßigesRecht, nac hBelieben alles Mögli-
chezuvermasseln und das in Ordnung zu
finden –als wäre j eder vonuns sein eige-
ner kleiner separaterStaat.Wir mögenkei-
ne Regierung (ichpersönlichhabe nichts
dagegen).Aber jeder will natürlich, dass
die Regierung Sachen in Ordnung bringt,
die wir durcheinandergebracht haben.Wir
oder dieNatur –wie durch diese Krank-
heit, die über uns hinwegfegt und unsere
Mitbürgerumbringt:Menschen, die viel-
leicht nocheine Überlebenschancegehabt
hätten,wärendanicht dieseLumpen ge-
wesen, ein paar jungeLeute, die unbe-
dingt einenAufkäuferring für Purell (die
Herstellerfirmafür Desinfektionsmittel)

bilden mussten. Bestimmtkamihnen das
wie eine echtgroßartigeamerikanische
Geschäftsideevor, bis jemand ihreNamen
in die „New York Times“stellte.
Sonnenlichtkann einstarkesDesinfek-
tionsmittelsein. Aber haben wirgenug
Sonnenlicht dafür?Können wir dasraus-
finden?Wie vielevonuns würden,wenn
siedie Chancebekämen, das letzteFläsch-
chen Desinfektionsmittelzuergattern,von
denen wir schon ein Dutzend haben,an
den armen Mitmenschen denken, der als
Näch ster kommt?Würde ich an ihn den-
ken? Ich möchtegernannehmen, dassich
das täte.Darüberzuschreiben heißt natür-
lichnochnicht, unsereNotlage,die schnell
zu einerKatastrophe wird, ernstzuneh-
men.Ernst genug zu nehmen. Jetzt müsste
unter uns mit allunserenfadenscheinigen
Absichtenirgendetwas zirkulieren (wie
zum Beispiel Qi, diekosmische Lebens-
energie) .Seien wir einfachnur guteBür-
gerund Mitbürger: Wiralle, vonBillings
bis BocaRaton, sitzen zusammen in dieser
Patsche, mit der es vielleicht aufwärtsge-
hen wird, vielleicht abwärts. Nehmen wir
nicht das letzteHanddesinfektionsmittel,
bringen wir nichtdie Gesundheit der ande-
reninGefahr ,weil wir unbedingtvorlau-
terHüttenkoller nochschnell schick essen
gehen müssen.Darauf zu hoffen, halteich
nicht fürNaivität meinerseits. Nurfür ge-
sunden Menschenverstand.

Ausdem amerikanischen EnglischvonFrank
Heibert.VonRichardFord,Jahrgang 1944,
erschien zuletzt „Zwischen ihnen“ (2017).

M

änner mögenBlondinen
bevorzugen, so will es
uns jedenfalls der Titel
der Filmkomödie vonHoward
Hawksglaube nmachen,Brünette
habenes aber leichte r, wenn die
Strähnchenrauswachsenund kein
Friseur zur Hand ist, behauptetdie
„Times“ auf einer Doppelseitemit
Ratschlägenfür di eHaarpflege in
Zeiten der räumlichen Distanzie-
rung. DieThese wirdzwarnicht
überzeugend belegt. Denn Brünette
dürften ni chtweniger besorgt sein
überden grauen Ansatz, der sich
schnellandenSchläfenzeigt,wenn
nicht nachgefärbt wird. Doch steht
die „Times“ auchfür si emit Rat-
schlägen bereit.Vom Selberschnei-
den bis zum Selberfärben gibt das
Blatt eineFülle vonAnleitungen,
die daswachsende Schönheitsange-
botimInternetergänzen–nachder
Deviseder scharfzüngigenamerika-
nischen SchriftstellerinFran Lebo-
witz, wir alle seiennur so gut wie un-
ser letzter Haarschnitt.Die „Times“
istnicht dieeinzig ebritischeZei-
tung, dieihreLifestyle-Seitenauf
die neuenVerhältnisse anpasst.Die
Druckmedienüberschlagensichmit
Tippszur Überbrückung derAus-
gangssperre.Wer wissen will, wie
man sichfür das Heimbüro kleidet,
welche physischen Übungen für die
beengteWohnung geeignetsind,
wie man Kleinkinder beschäftigt, de-
nen die Decke auf denKopf fällt,
wirdreichlichbedient.Eine andere
Lebensweisheitvon Fran Lebowitz,
wonachdas Telefon ein guterWeg
sei,mit Menschen zu sprechen,
ohneihnen einenDrink anbieten zu
müssen,bekam eine neueWendung
durch die virtuellenCocktail-und
Dinnerparties,die Video-Chat-An-
wendungen Hochkonjunktur besche-
ren. Auch für diese neueForm der
gesellschaftli chen Interaktiongibt
es Benimmregeln. DasThema Sex
in Zeiten des Coronaviruskommt
nicht zukurz.Die Regierunghat
nicht zusammenlebenden Paaren,
die wissenwollten, ob sie sich trotz
der Ausgangssperre noch tref fen
könnten, mitgeteilt,sie müssten sich
zwischen alles odernichts entschei-
den und entwederzusammenziehen
oder auf den physischenKontaktver-
zichten. In derZeitungfinden sie
Hinweise auf virtuelle Auswei ch-
möglichkeiten. Dem„Telegraph“ge-
langessogar ,diesen Lifestyle-Emp-
fehlungen ei nen patriotischenDrall
zu verleihen, der an dieaus der vikto-
rianischen Zeiten überliefertenEr-
mahnung an sexunwilligeverheirate-
te Frauenerinnert, dieAugen zu
schließen und an England zu den-
ken. Da sBlatt bündeltseineBeiträ-
ge auf sechsSeiten unter demTitel
„You arenot alone“. Unterti tel:
„BringingBritain together“ .Neben
Erfahrungsberichtenvon derHeim-
front, Lesetipps, Lehnstuhlrezensio-
nen und einem erweitertenRätselan-
gebotwartetdas Blatt auchmit ei-
ner Rubrik auf, in der Prominente
danachbefragtwerden,wiesiemit
ihrer „splendid isolation“ zurecht-
kommen.

MEIN FENSTER

Alles odernichts


VonGina Thomas

ZUR WELT

D


er Streit um die Veröffentli-
chungis tvorbei, dieAutobiogra-
phievon Woody Allenist er-
schienen, seitAnfang derWo-
cheinden VereinigtenStaaten und nun
auchbei un s(„Ganz nebenbei“,Rowohlt
Verlag). Vier Übersetzer (Stefa nieJacobs,
HainerKober,Andrea O’Brian und Jan
Schönherr) habendarangearbeitet,umdie-
ses Tempound den typischen Woody-Al-
len-Soundhinzubekommen, der hieraller-
dingsnach einerausgeleierten Pose klingt,
aus der heraus sichFrauen wie „Sahne-
schnittchen“ ausmachen lassen und „lang-
beinigeSchnuckelchen“ die Barsund„Mie-
zen im Minirock“ dieStraßen bevölkern.
Am Anfang liestsichdas wie das
Voice-overeiner Kopie eines derNew-
York-Filme desKomödianten, der esvon
Brooklyn nachManhattangeschaf ft hat,
wie er es sichseit seinem ersten Besuch
des Times Squareerträumte. Dawarer
sieben und schonganz bei sich: „Für man-
cheLeuteist das Glas halb leer,für ande-
re halb voll. Fürmich warstets der Sarg
halb voll.“ Dochesgab Lichtblicke.Vor al-
lem im Kino und bei 0den „Champagner-
Komödien“, die dortspielten,wohin er
wollte: „InPenthouses mit Privataufzug,
in denenKorken knallten undcharmante
Männer ingeschlif fenen Dialogen wun-
derschöneFrauen umgarnten, die wie da-
hingegossen auf dem Sofa lagen, in Garde-
robe wie für eine Hochzeit im Bucking-
ham Palace.“ Bis es soweit warund er tat-
sächlich in einPenthouse mit phantasti-
schem Blicküber dieStadt einzog und
fünfunddreißig Jahredarin wohnen blieb,
obwohl es reinregnete,wie überall in
NewYork, dauerte es noch eineWeile. Im
BuchetwazweihundertSeiten.
Aber werwirddieses Buchlesen, umet-
wasüber Cousine Ritazuerfahren, mit
der Woody Allen, der da nochAllen Ko-
nigsberghieß, als Jungegernins Kino
ging, etwasvon Tanten und Onkeln, die
zu Familienfeiernantanzten, oder über
die gestohlene Schreibmaschine, auf der
er als Schüler anfing, sein früh erkanntes
Talent fürsKomische auszuleben?Woo-
dy Allenist 84. Da istdie Lis te vonNeben-
sächlichkeiten, die das Leben ausmachen,
lang. Undsoliestsichauchdieses Buch.
Wobei die Familiengeschichten die
amüsanterenTeile hergeben, bis sie über-
lager twerdenvonAufzählungen der Mit-
tagessen mit berühmten Leuten oder der
Auftr itte mit anderen oder denselben be-
rühmten Leuten. Das liestsichinder holp-
rigenÜbersetzung dann so: „Im Blue An-
geltrat ic hzusammen mit Nina Simone
auf, und dortlernt eich auchPaddy
Chayefsky,Frank Loesser,BillyRose und
Harpo Marxkennen.Natürlic hkamen sie
alle, um in der LoungeBobbyShortzuse-
hen. Aber ic hwar durchaus einRenner
und kamdortauchmit DickCavettin
Kontakt, den derFernsehsender,bei dem

er arbeitete, als Scout zu einem meiner
Auftri ttegeschickt hatte. Erwarauf An-
hieb begeistert,und wir freundetenuns
schnell an, zogen an beidenKüsten zu-
sammen um die Häuser und fröntenge-
meinsam unserer Leidenschaftfür Magie,
Groucho, S. J.Perelman,W. C. Field sund
die Wantan-Entensuppe bei SamWo.“
Ebenso zum Gähnengeht es weiter mit
denFilmen, jeder wirdabgehakt inchro-
nologischerAbfolgevon Ereignissen,de-
nen weder ein Sinn nocheine Poetologie
abzutrotzen sind. Sinnsuchewarbei ei-
nem Mann, dem bereits im Altervonfünf
Jahren „dieEndlichkeit des Seins, der er
niezugestimmt hatte“, bewusst wurde,
nichtzuerwarten. Ein AnsatzvonReflexi-
on übersein künstlerischesTunaber viel-
leicht doch.Warumsonstschreibt einer,
dersichamliebstenWitze ausdenkt
(„wenn man’skann, is tesn icht schwer“)
und dieWirklichkeit zur „Erzfeindin“ er-
klärt,eineAutobiographie?
Möglicherweise jener „Stellen“we-
gen, um derentwillen viele Leserzu

dem Buchgreif en werden: um öffentlich
zu machen,waserzuden Missbrauchs-
vorwürfenseinerTochterDylan zu sa-
genhat, zu seiner Beziehung mit Mia
Farrow und den anderen Kindernund
zu seiner Ehe mit Soon-Yi,den Skanda-
len der vergangenen achtundzwanzig
Jahrealso. AufSeite251 geht es los,
und gut fünfzig Seiten späterkann man
endlichaus demriesigen Sackschmutzi-
gerWäsche wieder auftauchen, in den
Allen einenkopfübergesteckt hatte.

W


urden die 450 Seiten ge-
schrieben, um diese gut fünf-
zig Seiten in der Mitteeinzu-
rahmen? Unendlichviele
öde Geschichten erzählt, um zu der einen
zu kommen, zu der sichWoody Allen bis-
her kaum öffentlichgeäußerthat? Mögli-
cherweise is tdas so. Jedenfalls istdiese
Geschichteunter all denNebensächlich-
keiten, die demTitelentsprechend den
Großteil des Buchs ausmachen, die
Hauptsache.Undsie infiziertalle ande-
renTeile, mal inNebensätzen, mal in ei-
nem Vorgriff aufkommende Ereignisse,
der gleichwieder zurückgenommen wird.
Vorlauter Verliebtheit, so erfahren wir,
habe Woody Allen die„Warnsignale“ in
Mia FarrowsHerkunftund Verhalten
übersehen. Die Geschichtepsychischer
Erkrankungen in derFamilie Farrow wird

ausgebreitet,missbräuchlichesVerhalten
vonMia Farrow ihrenAdoptivkindern
(vor allem Soon-Yi)gegenüber behaup-
tet, ihr everstörend engeBeziehung zuRo-
nan, der damals nochSatchel hieß, damit
belegt, sie hättemit ihrem Sohn noch
nackt im Bettgelegen, als dieser elf Jahre
alt war, und RichterWilk,der 1993 die
SorgerechtsklageAllens abwies, wirdals
unfähig diskreditiertund ihm seinerseits
unter stellt, Frauen, mit denen er beruf-
lichzutun hatte, nachgestellt zu haben.
Es is teine unangenehme Lektüre, die
in der Sache nichtweiterführt, bis zu der
Stelle, an der Alan Dershowitz, der be-
rühmteAnwalt, sicherbietet, dieganze
Angelegenheit für sieben Millionen Dol-
lar unter denTeppichzukehren. Wäre
das dochgeschehen!Aber Woody Allen
wolltedas nicht, es soll nichtwegendes
Geldesgewesen sein. Er sei unschuldig,
schreibt er,sein Rufsei ihmgleichgültig
gewesen (offenbar nahm er,ebenso wie
Mia Farrow,die seelischenStrapazen al-
ler Beteiligten inKauf).
Nachdiesem dickenBuchist,was den
Missbrauchsvorwurfangeht ,alles wievor-
her:Erist nicht zu belegen, dochdie Aus-
sagedes mutmaßlichen Opfersbleibt be-
stehen, und ihmgegenüberWoody Allens
Vorwurfgegen MiaFarrows„Rachefeld-
zug wievonKäpt’nAhab“. Die Einzelhei-
tenwerden noch einmal erzählt, ein-

schließlich intimer Details vomBeginn
der Beziehung zu Soon-Yi.
Dazukommt offenbar das Bedürfnis
Woody Allens, sichinFragenzurechtfer-
tigen, die mit diesenVorwürfennichts zu
tun haben: Er hatgezählt, wie vieleFrau-
enrollen ergeschrieben hat (106 Haupt-
rollen) –und keine der Darstellerinnen
habe er je angebaggert! Nicht einmal die
Statistinnen,die Doubles.230 Frauen hät-
tenals Crewmitglieder hinter derKamera
gestanden, und sie hätten dasselbever-
dient wie ihreKollegen. Er habe immer
wieder für Bürgerrechtsorganisationenge-
spendet, aberkeine afroamerikanischen
Darsteller beschäftigenkönnen,weil sie
nicht zu seinenRollen passten, und so
weiter .Esist zum Heulen. Da schreibt ei-
ner,der garnichtsverstanden hat,von
den Verhältnissen in der Industrie, in der
er arbeitet,und vonden gesellschaftli-
chen Veränderungen, als deren Opfer er
sichsieht.
Undunter all dem begräbt Woody Al-
lenselbstseinWerk.Erschreibt,eshabe
ihm die Hingabegefehlt, die–neben dem
ungleichgrößerenTalent, wie er anmerkt
–seine ZeitgenossenSteven Spielberg
und Martin Scorsesegroß gemacht habe.
Woody Allenwolltelieber zumAbendes-
sen zu Hause sein. Man sollte das –wie al-
les andere–voneinem „zumFilmema-
cher mutiertenWitzbold“ nicht für bare
Münze nehmen. VERENA LUEKEN

Der Sargwar immer halb voll

InspirierterKunstkritiker am
Tasteninstrument:Woody
Allen in seiner Kinoliebes-
komödie „Mach’snocheinmal,
Sam“von 1972 FotoGetty

Aufdem RadnachNirgendwo


Nehmen wir unseremNachbarnnicht das letzteHanddesinfektionsmittelweg/VonRichar dFord, EastBoothbay, Maine


Nachdem sichder PianistIgor Levit
und der Geiger Daniel Hope ent-
schlossen haben,täglichHauskonzer-
te übersInternetinalle Welt zu über-
tragen,veranstaltet die Firma Deut-
sche Grammophon (DG) am Sams-
tag, den 28. März, einganzes Klavier-
festival online. Die Pianistendes
Schallplatten-Labelswerden ab 15
Uhr mitteleuropäischerZeit spielen.
Maria João Pires,Rudolf Buchbinder,
Jewgeni Kissin, VíkingurÓlafsson,
Jan Lisiecki, Joep Beving, Simon
Ghraichy,Kit Armstrong und Daniil
Trifono vhaben bereits zugesagt.Vor-
aussichtlichwerden sichweiter ePia-
nistenbeteiligen.Abrufbar istder
Livestream auf den DG-Profilen bei
YouTube undFacebook unter den
Hashtags #StayAtHome und #World-
PianoDay. Danach bleibt das Ange-
botnochfür kurzeZeit onlineverfüg-
bar.AmSonntag lädt dann der Bayeri-
sche Rundfunk auf br-klassik.de un-
terdem Motto#MusikBleibt zu klei-
nen Konzertenunter anderem in die
WohnzimmervonLang Lang und Jo-
nas Kaufmann. Ein umfangreiches
Online-Angebotschaltet zudem jetzt
auchdie Elbphilharmonie in Ham-
burgfrei. Unter#ElphiAtHome gibt
es nicht nur Konzerte und Inter-
views,sondern auchvirtuelle Haus-
führungen im Internet. jbm.

Vonberühmten


Freunden,schönen


Mittagessenund


gemeinenVorwürfen:


WaserzähltWoody


Allenin sei nen


Memoiren „Ganz


nebe nbei“?


Elbphilharmonie


undHauskonzert

Free download pdf