Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

SEITE 12·FREITAG,27. MÄRZ2020·NR.74 Neue Sachbücher FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Der ErsteWeltkriegwarnicht nur ein
entscheidender Schritt militärischer
Technisierung, sondernsetzteauch
neueMaßstäbebeiderEntwicklung
vonFeindbildern. In Deutschland und
Frankreichkonnteman da aufdieVor-
arbeitvon1870/71 zählen, die schon
zu einigen schrillen Beschwörungen
des „Erzfeindes“geführthatte. Aber
sie wareninsgesamt nur ein schwa-
cher Vorschein dessen,wasdann von
1914anauf breiter Heimatfront an po-
lemischenKontrastierungen der eige-
nen nationalenVorzügegegenüber
dem nur allzu offensichtlichmangel-
haftenNationalcharakter desFeindes
in Stellung gebracht wurde. Intellektu-
elle undWissenschaftler auf beiden
Seiten ließen sich, viele Darstell un-
genhaben das im Detail nachgezeich-
net, bereitwillig für solche nationale
Selbstdarstellungen im Kontrastver-
fahren einspannen.
Nunist das wohl grellsteZeugnis
solcherFeindbildarbeitauf französi-
scher Seite nachmehr als hundertJah-
renauf Deutscherschienen. Der zwar
akademischnicht in der ersten Reihe
stehende, aber durchaus etablierte
und auchüber die Grenzen seines
Fachshinaus überrespektable Publi-
kationsmöglichkeitenverfügende Psy-
chologeEdgar Bérillon packteseinen
vonJugend an–hier kamder Krieg
von1870/71 ins Spiel–tiefsitzenden
Deutschenhassindie „Theorie“ eines
rassischen Gegensatzes zwischen
Franzosen und Deutschen.Wasdabei
herauskam,wareine schrille Schmäh-
rede im Gewand einer auf solideEm-
pirie pochendenWissenschaft: Deut-
sche, oder vielmehr die „boches“, als
plattfüßige, plumpe, intellektuell ein-
geschränkte, physiognomisch, anato-
mischund physiologisch depravierte
Rasse, derVielfresserei hingegeben,
welche zu ungeheuren Quantitäten an
Ausscheidung führt, und sofort.
Der skurrile Text, den aus demVer-
kehr zu ziehensichder Autor nach
dem Krieg bemühte, zeigt eindrucks-
voll, wieweit es damals mit einerVer-
unglimpfung des Gegnersimakade-
misch-intellektuellen Milieu gehen
konnte. Auchein Dokument,wenn
auchkein erfreuliches, zur Geschich-
te der deutsch-französischen Bezie-
hungen. hmay

A


llgemeinhistoriker pflegen im
Verhältnis zu denNaturwissen-
schaftenmeistDistanz.Doch
gabesauchbis weit ins zwan-
zigste JahrhundertimmerwiederVersu-
che, zumal in derVogelschau auf diehisto-
rische Entwicklungder Menschheit,Stu-
fenoder quasinaturwissenschaftlicheGe-
setzmäßigkeiten zu identifizieren,um jen-
seitsder individualisierendenhistorischen
Hermeneutikauchimgroßen Maßstab
zwingendeDeutungen zu entwickeln –am
bestennochsolche mit Prognosekraft. Die-
senomologischenBemühungen führtenal-
lerdingsletztlic hineine Sackgasse.
Dochauchdie viel jüngere,vonmehre-
ren„turns“gespeiste kulturalistische Be-
wegung erweistsichallmählich alssteril:
Historische Katastrophen undAbbrüche
sind nicht lediglichsprachliche Kenn-
zeichnungen oderKonstruktionen,und in-
humanverfährt, werexistentielle Erfah-
rungen vonvergangenen Akteuren zu blo-
ßen Diskursen banalisiert. „Facts on the
ground“,sod ie Praktiken desWirtschaf-
tens oder Kriegführens, spielen wieder
einegrößereRolle.Hinzu kommt: Wirha-
ben heute aus den Archiven derNatur ein-
fach viel mehr Daten als nochvor zwei,

drei Jahrzehnten, um auchfür ferneVer-
gangenheiten zu ergründen,wie viele
Menschenwann wo gelebt haben, wie sie
sichernährthaben undworansie in wel-
chem Altergestorben sind. Dieser empiri-
sche Fortschritt mag in manchenFällen
problematische Folgen zeitigen, wenn
etwa über DNA-Untersuchungen angro-
ßen Mengen menschlicherÜberresteauf
einmal wieder ein essentialistischer
Volksbegriff buchs täblichdem Grab ent-
steigt.Dochsollen deswegen Erkenntnis-
möglichkeiten gleichganz ausgeschlos-
sen werden? Oder nur deshalb,weil die
Daten im Detail strittig sind und nicht
exakt zu bestimmen ist,welchen Einfluss
genau Klimaveränderungen und Seuchen
auf den überauskomplexenGroßprozess
hatten, den wir seit Gibbon den „Unter-
gang desRömischenReiches“ nennen?
Man mussbeileibe kein Greta-Jünger
sein, um dieUmwelt als einenveränderli-
chen, unter den Bedingungen einervor-
modernen Knappheitsökonomie zugleich
einflussreichenFaktor vonGeschichtezu
sehen.UndStreit umFakten und Gewich-
tungengehörtinjede Wissenschaft.
Der AlthistorikerKyle Harper jeden-
falls bettet in seiner vieldiskutiertenRe-
konstruktionder Krisen undTransforma-
tionen, dieinder langen SpätantikeinEu-
ropa und imVorderen Orient abliefen,
den Klimawandel sowie die dreigroßen
Pandemien des zweiten, dritten und sechs-
ten Jahrhunderts in ein breitesPanorama

ein. Fern voneinemgern beargwöhnten
szientifischen Determinismus, sieht er
das Ende des ImperiumRomanumkeines-
falls als einenkontinuierlichen, zwangs-
weise zumRuin führenden Niedergang,
sondernals „eine lange,verschlungene
und durch vielerleiUms tände bedingte
Geschichte, bei der einresilienter politi-
scherVerband zunächststandhielt und
sichneu or ganisierte,bis er ,zuerst im
Westen, dann auchimOsten, zerfiel“. Im
Rückblickzeigesichein „extrem durchZu-
fälle bedingtesWechselspielvonNatur,
Demographie,Wirtschaftund Politik“,
wobei nicht zuletzt die Glaubenssysteme,
die wiederholt erschüttertund neufor-
miertwurden, eineRolle spielten.Wenn
Harpervorsichtig, mit Hilfemultikausa-
ler Klimamodelle argumentiertoder die
EvolutionvonSeuchenerregern in Nage-
tierpopulationen nachzeichnet, wird das
Buchstreckenweise zu einer anspruchs-
vollen Lektüre, freilichbalanciertdurch –
bisweilen allzugriffige –Metaphernund
Merksätze wie „Bakterien sind nochweit-
aus tödlicher als Barbaren“.
In denvierCentennien bis150 nach
Christus hattedas –zunächstmit bruta-
ler Gewalt geschmiedete–Impe rium
vonkluger Politi kund sicherenHandels-
wegenprofitiert, dochdie Blüte der
Landwirtschaftund der Städtewäre
ohnebesondersgünstigeklimatische Be-
dingungen nichtmögli ch gewesen.Das
sogenannte„Roman ClimateOptimum“
istinder Forschungals Faktumunstrit-
tig.ZwarherrschtenimMittelmeerraum
scho ndamals zahlreiche, oftauf klei-
nem Raum sehr unterschiedlicheMikro-
klimata, doch insgesamt begünstigte
mehrWärme bei höhererFeuchtigkeit
die landwirtschaftlicheProduktion,und
die durch eine steigende Geburtenrat e–
bei anhaltendhoherSterbli chkeit –ver-
ursachteBevölkerungszunahmesetzte
die ansonstenfür dieVormoderne typi-
schen krisenha ften Kontraktionenaus.
Dochmit de mgeschenkten Glück bau-
tendie Menscheneine Umwelt,die auch
besondersanfälligwar: Über di eVerbin-
dungswegeder pr otoglobalenÖkonomie
sowie i nden di chtbevölkerten Städten
konnten ausMittelasien unddem Raum
desIndischen Ozeans eingeschleppte Er-
regernunm ehr Pandemienauslösen,von
derenverheerenderWirkung so wohl die
li terarischen Zeugnisseder Zeitgenos-
sen wie neuerdings untersuch te Massen-
gräber zeugen.
Wielangedie günstigen Klimabedin-
gungen andauerten, is tunter Experten
umstritten. Harper nimmt für 150 bis 450
nachChristus einewechselvolle Über-
gangsperiode mitkür zeren undregiona-
len Ausschlägen an. Historischist diese
Phase die interessanteste,weil die Akteu-
re in ihremVerlauf die miteinanderver-
flochtenenRückschlägedurch Seuchen,
Krieg und wirtschaftlich-demographi-
schenRückgang nochauffangen konnten
und dabei eine hohe Kreativität entfalte-
ten, wie sichamEnde des dritten Jahrhun-
derts unter denKaisernDiokletian und
Konstantin zeigen sollte. Dochdie Res-
sourcenwarenknappergeworden, und

die Großregionendes Reiches hielten po-
litischnicht mehr sofest zusammen, als
sich –vielleichtwegeneiner massiven Kli-
maveränderung in der EurasischenStep-
pe –die als „Hunnen“ bezeichnetenVer-
bände in Bewegung setzten undweiträu-
migeMigrationen auslösten.
Welche Rolle in der FolgeKontingenz
und politischesVermögen spielten, zeig-
te sichimlangen fünftenJahrhundert,
als dierömischeZentralgewalt imWes-
tenerlosch,während sich das Ostreich
um Konstantinopel behauptenund zeit-
weisesogar Teile desWestens zurücker-
obernkonnte.Danachsind indesfast
nur nochLeiden und Betenzuverzeich-
nen. Nachdem bereits um450 die „Spät-
antikeKleine Eiszeit“ eingesetzt hatte,
machtengewaltigeVulkanausbrüche die
Jahrevon 536 bis 545 zurkältesten Deka-
de der letzten zweitausend Jahre, und da-
nachrafftedie sogenannte Justiniani-

sche Pest etwa die Hälfte der Bevölke-
rung dahin–umdann nochfür etwa
zweihundertJahreendemisch zu blei-
ben. Dochebenso ausführlichkommen
die großen lokalen undregionalenUn-
terschiede in Artund Umfang derKata-
strophen zur Sprache
Der Überzeugungskraftvon Erklärun-
genfür zeitlichentferntehistorische Vor-
gängeschadet es gewissnicht, wenn da-
für auchdiejenigen Instrumenteeinge-
setzt werden, vondenen wir angesichts
der ökologischen Probleme unsererTage
Aufschlusserwarten. Kyle Harper erzählt
Roms Schwanken zwischen Fragilität
und Resilienzmit wissenschaftlicher
Kühle, zugleichjedochals implizit he-
roischen Hymnus auf den schaffenden,
ausgesetzten und leidenden Menschen.
Hinter das hiervorgeführte Niveau wird
die weiter eDiskussion nicht mehr zurück-
fallen dürfen. UWE WALTER

EineniederländischeKontorszene,ge-
zeichnet1885:Hagere, bebrillteGestal-
teninKitteln beugen sichüber dieSteh-
pulte, man hörtihreFeder nförmlich
über dasPapier kratzen.Das Bild aus
LenaZeises Buchüber die Geschichte
und Gegenwart der Schreibschriften
heißt„De Pennelikkers“.Das Wort,das
es auchimPlattdeutschen gibt,findet
sichimGrimmschenWörterbuchals
„Federlecker“ verzeichn et.Esgehörtwie
„Tintenkleckser“,„Federfuchser“ oder
„Blackscheißer“ indie Reihe der Schimpf-
wörter,mit denen einst der Beruf des
Schreibensverunglimpftwurde. Siegehö-
renebenso derVergangenheit an wie das
Schreiben als Handwerk mit seinenFe-
derkielen, Tintenfässernund Streusand-
büchsen.
Als Kulturtechnik wirddie Handschrift
zwar immer nochgelehrtund praktiziert.
Dochals Selbstverständlichkeit gilt auch
das nicht mehr.Pädagogen,Politiker und
Digital-Lobbyistenstellen ihreschulische
Notwendigkeit zunehmend inFrage. Ein-
zuüben, wie man Buchstaben eigenhän-
dig zuPapier bringt und dortzuWörtern
verbindet, erscheint angesichts der Allge-
genwartdigitalerTastaturen als unnötige
Zeitverschwendung. Dassdas eineFehl-
einschätzung ist,weil das Schreibenvon
Hand eine zivilisatorische Errungen-
schaf tdarstellt, die auchinden Zeiten

vonComputer und Smartphone eine fun-
damentale Bedeutunghat, macht Lena
Zeise deutlich.
Ihr lebendig und laienfreundlichge-
schriebenesBuchkonzentriertsichauf
die Schreibschriftendes lateinischen Al-
phabets. E sspannt einenweiten Bogen,
der kulturgeschichtliche und handwerkli-
che,politische,pädagogische,psychomo-

torische und ästhetische Aspekteum-
fasst. Als Grafikerin mit einem Blickfür
die visuellen Qualitäten des Themas hat
die Autorineine Fülle schöner und infor-
mativerAbbildungenzusammengetra-
gen: Schriftproben, Prachturkunden, Sei-
tenaus Schulheftenund Poesiealben, his-
torische Darstellungen unterschiedlicher
Schreibsituationen machen diese Schrift-
geschichteauchzueinem ästhetischen
Vergnügen. Selbstgezeichnethat Lena
Zeise eineReihe vonSchreib utensilien.
Anschaulichwerden Herstellung und

HandhabungvonGriffeln, Federnund
Stiften, vonPapyrus undPergament,Tin-
tenund Tintenfässern,Wachs- und Schie-
fertafeln geschildert.
Viel Raum erhält dieverzweigteGe-
schichteder Schriftarten und Schreibtech-
niken,wobei immer wieder deutlichwird,
welchharte Arbeit dahintersteckte: „Drei
Finger schreiben, derganze Leib leidet“,
seufzt der Mönchimmittelalterlichen
Skrip torium, der den Armnicht aufstüt-
zen darf, damit dasPergament nichtver-
schmutzt.DassGutenbergs Drucktechnik
mit beweglichen Metallletternum
das handschriftlicheKopierenvonBü-
chern„fast über Nach t“ überflüssig mach-
te,trifftallerdings nicht zu.Noch jahr-
zehntelangwarensolche in Manufaktu-
renerstellten Kopien billiger alsgedruck-
te Bücher,die zunächstals teureLuxus-
artikel auf den Marktkamen.
Ausführlichwidmetsichdie Autorin
der „deutschen“ und der „lateinischen“
Schrift. Dabei behandelt sie neben der
Schreibschriftauchdie his torischund kul-
turpolitischmit ihrverknüpften„gebro-
chenen“ Druckschriften, die landläufig
„Fraktur“genanntwerden. Fürdie meis-
tenheute lebenden Deutschen istdie
Handschriftder Großelterngeneration
nur nochein Geheimcode,der obendrein
im Ruch steht, eine „Nazischrift“ zu sein.
Tatsächlichist das Gegenteil derFall:

1941 ordnetendie Nationalsozialistendie
Abschaffung der deutschen Schreib-
schrif tsowie der „Fraktur“ an, die jetzt
als „jüdisch“galt.Das Frakturverbotent-
sprang allerdings nicht nur,wie Zeise
meint, demWunsch, nachKriegsbeginn
die Auslandspropaganda durch die inter-
nationalgebräuchliche Antiqua effekti-
verzumachen.Vielmehr spiegeltesichin
der wechselhaftenSchriftpolitik derNa-
tionalsozialistenauchihreambivalente
Haltung zur Moderne. Hitler hatteschon
1934 „jeneRückwärtse“ kritisiert, die im
ZeitaltervonStahl, Glas und Beton„Stra-
ßenbenennungen und Maschinenschrift
in echt gotischen Lettern“ anstrebten.
Der Name „Sütterlin“, unter dem heut-
zutag edie deutsche Schreibschriftfir-
miert, bezeichneteigentlichnur eine ih-
rerUnterarten: eine Lernschriftfür Schul-
anfänger,die der GrafikerLudwig Sütter-
lin 1911 entwickelte. Dassdie Schreib-
schrif tnicht nur einenkulturgeschichtli-
chen, sondernaucheinen immensenko-
gnitivenWert hat, machtZeise an vielen
Stellen des Buches deutlich. Indem Schul-
anfänger die Buchstaben eigenhändig zu
Papier bringen und zu„Wortbildern“ver-
binden,entwi ckeln sie ein Gefühl für das
Verhältnis zwischen dem Flussder Laute,
dem Bau derWörter und denZeichen auf
dem Papier.Sie verinnerlichen so das
Funktionsprinzip der Schriftsprache.Stu-

dien zeigen zudem, dassInhaltebesser
durchdrungen und nachhaltiger memo-
riertwerden,wenn man sievonHand no-
tiert, statt sie in den Computer zu tippen.
Wegenall dieserVorzügesieht Lena
Zeise die Handschriftauchzukünftig
nicht in Gefahr.Dassviele Schulkinder
statt echter Schreibschriften, die die Buch-
staben flüssig verbinden, nur nochDruck-
buchstaben lernen, hält sie für zweitran-
gig.Wichtig sei, dassKinder überhaupt üb-
ten, mit der Hand zu schreiben, denn auf
dieserBasis würden sie dann eine indivi-
duelleund funktionierende Handschrift
entwickeln. Aktuelle Studien zu den
SchreibfähigkeitenvonSchülernund Er-
fahrungen aus der pädagogischen Praxis
stimmen skeptischgegenübersolchemOp-
timismus. EineUntersuchung des Deut-
schen Lehrerverbandes ergab, dassüber
die Hälfte der Jungen und fastein Drittel
der Mädchen anweiterführenden Schulen
Probleme mit der Handschrifthatten.
Es sp richtviel dafür, dass dieUrsachen
nicht nurineinemÜbermaßan digitaler
Kommunikation, sondernauch in einem
falschkonzipiertenUnter richtliegen, der
dieBedeutungderHandschriftunddieVor-
aussetzungen fürihren erfolgreiche nEr-
werb verkennt .Aber vielleichthilf tLena
ZeisesBuchja, den einmaligenWertdieser
Kulturtechni kwieder stärkerins Bewusst-
seinzurufen. WOLFGANGKRISCHKE

MatthiasPolityckiund Andreas
UrsSommer: „Haltungfinden“.
Weshalb wir sie brauchen und
trotzdem nie habenwerden.
J. B. MetzlerVerlag, Berlin 2019.
106 S., br., 14,99€.

Edgar Bérillon: „Die Psychologie der
deutschenRasse“. Nachihren
objektiven undspezi fischen Merkmalen.
Ausdem FranzösischenvonThomas
Höpelund Ralf Pannowitsch.Vorwort
vonThomas Höpel.WallsteinVerlag,
Göttingen2020. 138S., Abb., geb., 18,–€.

Kyle Harper:„Fatum“.
Das Klima und der
Untergang desRömischen
Reiches.
Ausdem Englischenvon
Anna undWolf Heinrich
Leube. C. H. BeckVerlag,
München 2020.
567 S.,Abb., geb., 32,– €.

Lena Zeise:
„Schreibschriften“.
Eine illustrierte
Kulturgeschichte.
Haupt Verlag, Bern2020.
208 S.,Abb., geb., 36,– €.

Von150 nachChristus an wurden
die Nilschwemmen unregelmäßig,
der Kornertrag fürRomfiel
manchmalaus: Darstellung des
Nilometers vonSepphoris
auf einem Mosaik
Foto Mauritius

Tintenklecksen hat seine kognitiven Vorteile


Mit Griffeln, Federnund Stiften:Lena Zeise führtauf lebendigeArtdurch die Geschichteder Schreibschriften


Das unscheinbareWort„Haltung“ge-
hörtseiteinigenJahren in denKanon
der Trendvokabeln.PolitischePartei-
en setzen auf Haltung, Sportler be wei-
sen Haltung,Geisteswissenschaftler
wollen herausfinden,wasHaltung ei-
gentlichausmacht.ImWörterbuc hder
BrüderGrimmistnachzulesen,der Be-
griffbezeichne „dieart und weise des
sichverhaltens“,und zwar sowohl kör-
perlic hals auc hgeistig. Insofern kon-
kretisier tdie Haltung eines Menschen
dessen Bezug zurUmwelt.Einerseits
liegen i hr Überzeugungen zugrunde,
andererseits istsie wandelbar und
steht, je nachLage, zur Disposition.
Der Schriftsteller MatthiasPolity-
ckiund der Philosoph AndreasUrs
Sommer tauschen sichineinem Ge-
spräch,welches sie überwiegend in
Form eines E-Mail-Wechsels geführt
haben, über ihreHaltungen zur Hal-
tung aus.Polityckisagt, er sei ein alter
Grüner,der inzwischen mit dergesam-
tenLinken hadere, Sommer bezeich-
netsichals Anhänger des „Gegen-
wartskonservatismus“, schließlich
müsse die seit Schopenhauer und
Nietzsche vielgeschmähteJetztzeitkul-
tur gegenihreFeindeverteidigtwer-
den. DieRollen sind in der Diskussi-
on klarverteilt.Polityckiereifer tsich
und beziehtPositiongegen„betreutes
Denken“ und den „unseligen pädago-
gischen Eros“ der „neuen Linken“.
Sommer,der vonsichbehauptet, er be-
vorzuge„temperierte Empfindungen
jenseits der Extreme“, seziertalle vor-
eiligen Zuspitzungen–was sein Ge-
sprächspartner wiederum mit noch
schär ferenThesenquittiert.
Der Reiz der Erörterung liegt in ih-
rerBeweglichkeit.Statt einem syste-
matischen Argumentationsverlauf
folgt man einem sprunghaftenIdeen-
wechsel. DabeiverfeinernPolitycki
und Sommer ihrePositionen nicht aus
sichheraus, sondernan denÄußerun-
genihres Gegenübers. LetzteWahr-
heitenfinden sichdaher nicht in dem
schmalen Bändchen, provokante,ver-
kürzte und instruktiveÜberlegungen
zu Themen wie Zivilcourageoder Frei-
heit hingegen zuhauf. span

Der Preis

derV erdic htung

Haltungen


zur Haltung


Unfreundliche


Nachbarn


Roms Untergang: Kyle Harper


bett et die Krisen der Spätantike, den


Klimawandel und dreigroße Pandemien


in eingroßes Panorama ein.

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