Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Wirtschaft FREITAG,27. MÄRZ 2020·NR.74·SEITE 17


Seite13SSeite23 eite

ZumInfektionsschutz bleiben


die Menschen zu Hause. Dochauch


das kann sehr ungesund sein.


AaronLevie fühlt sichmitten im


Geschehen, obwohl er das


UnternehmenvonzuHause führt.


DerFlughafenbetreiber


Frapor trechnetmit anhaltenden


Folgen der Corona-Krise.


INBEWEGUNGBLEIBEN CHEF IMHOMEOFFICE LÄNGER ALSALLE ANDERENKRISEN

N

achder Finanzkrisevorzehn
Jahren versammelten sich
Gewerkschaf terhinter derPa-
role: „Wir zahlen nicht für eureKri-
se!“ Das sollteklarmachen, dassdie
sogenannten kleinen Leutenichts mit
den Banken und derenRettung zu tun
hätten.UnddassstaatlicheStützungs-
maßnahmen in derFinanzwelt daher
nicht dieAusgabenspielräume sozial-
staatlicher Umverteilung schmälern
dürften –imGegenteil, esgebe damit
eine zusätzliche Anspruchsgrundlage
für mehrUmverteilungspolitik.Min-
destens im Ansatz prägtedieses Denk-
musterdann bald auchden sozialpoli-
tischenKurs der großen Koalition.
Wasaber fängt man damit heute
an? „Wessen Krise“ istCorona?Und
werdürftebeanspruchen, nicht dafür
zu zahlen? Die Schablonen passen
schlechter denn je, sie sind aber nicht
verschwunden. Dies spiegelt sichgera-
de beispielhaftineiner Auseinander-
setzung um das InstrumentKurzar-
beit.Sie handelt davon, ob Staatshilfe
für Krisenbetriebe nun eine politisch-
moralische Verpflichtung erzeuge,
den vonKurzarbeit betroffenen Ar-
beitnehmernmehr Lohnersatz zu zah-
len –mehr als die seit jeher im Sozial-
gesetzbuchvorgesehenen 60 bis 67
Prozent des ausfallendenNettolohns.
Die Gewerkschaf tenstreitenvehe-
ment fürZuschlägeaus denUnterneh-
menskassen, auf mindestens 80,
wenn nichtgar100 Prozentdes Netto-
lohns.Undsie tun dies nicht nur auf
tarifpolitischer Ebene, sie erzeugen
auchhohen politischen Druck, damit
die Regierung dies rechtlicher-
zwingt.„100 Prozent für die Betriebe
–nur 60 Prozent für die Beschäftig-
ten, das istkrassungerecht“, poltert
Verdi. Noch hat dieRegierung diesen
Tönen nicht nachgegeben.Noch.
An diesem Punkt wirdsichbald zei-
gen, wie langedie Regierungkonzen-
trier timDienstder Seuchenbekämp-
fung arbeitet und wann sie in altepar-
tei- undverteilungspolitische Muster
zurückfällt.Denn politisch-taktisch
wirkt es natürlichattraktiv,Kurzarbei-
tern mehr Geld zuversprechen.Nur
wäre eine staatlich verordnet eZu-
schlagsregelung zugleichdie Abkehr
vombisherigenKurs,die Stabilisie-
rung vonBetrieben und Arbeitsplät-
zen an ersteStelle zu setzen.Undes
wäre eine Kehrtwendewegvon der
vielgepriesenen Sozialpartnerschaft.
Befeuertwirdder Streit dadurch,
dassdie Koalition diesmal gleich zu
Beginn der Kriseentschieden hat,Be-
triebe inKurzarbeitvonSozialabga-
ben zu entlasten: vonjenen, die sonst
auchauf ausgefallenen (und durch
Kurzarbeitergeld ersetzten) Lohn er-
hobenwerden. Neben demKurzarbei-
tergeld für die Mitarbeiter erstattet
die Arbeitsagentur dem Betrieb auch
diese Abgaben. Wasdie Ge werkschaf-
tenbesondersärgert :Esgibt keine

Pflicht, dasserdiese Erstattung hälf-
tig an dieKurzarbeiterweiterreicht.
Zwingende Gründe dafür bestehen
insofernnicht, als dieKurzarbeiter ja
nicht ihremit den Beiträgenfinan-
ziertenAnsprüche an die Sozialkas-
sen verlieren.Zugleichstärktdie Er-
stattung an den Betrieb so involler
Höhe dessen Liquidität.Müsstedie-
ser nun zwingendTeile davonden
Kurzarbeiternzahlen,wäre das zwar
für Verdiweniger „krassungerecht“.
Nurwürde dieWirksamkeit der Hilfe
sinken, die GefahrvonInsolvenz und
Arbeitsplatzverlusterhöht (außer im
öffentlichen Dienst). Nichts spricht
dagegen, dassBetriebe Zuschlägezah-

len, wenn esgeht.Dochschre ibt man
dies allenvor, gilt es eben auchdort,
wo der Betriebvorder Existenzfrage
steht.Warum es also nicht der Sozial-
partnerschaftüberlassen, derenPara-
dedisziplin branchen- und betriebs-
spezifischer Interessensausgleichist?
Oftwirdbehauptet, dies funktionie-
re leider nur in Betrieben mitTarif-
vertragund Betriebsrat–inallen an-
deren seien die Beschäftigten macht-
los. Das trifft aber in diesemFall gar
nicht zu. Denn: Ob überhauptKurzar-
beit eingeführtwird, kann der Arbeit-
geber nie alleinentscheiden. Er benö-
tigt dazu dieZustimmung der Beleg-
schaft.Undwoeskeine kollektiveIn-
teressenvertretung gibt, musserdie
Mitarbeiter einzeln überzeugen.Fin-
den die aber,dassdie Betriebskasse
nochZuschlägehergibt,können sie
ihr Votum davonabhängig machen.
Sonstgibt es ebenkeine Kurzarbeit –
und der Betrieb mussvollen Lohn
zahlen, solangeerdas kann.
Wiestarkder Hebel ist, zeigt nun
die Systemgastronomie: IhreArbeit-
geber ließen sichplötzlichauf einen
Tarifvertrag ein, der den Lohnersatz
auf 90 Prozent aufstockt .Sie taten
das nicht allein ausFreundlichkeit –
sondernweil in der Branche viele Be-
triebekeinen Betriebsrat haben. Mit
dem Wegüber Einzelvereinbarungen
wäre diesen zumindestein schneller
Zugang zuKurzarbeitverwehrt.
Die bestehendenRegeln stärkenso-
zialpartnerschaftlichenAusgleichso-
gardort, wo er nicht eingeübt ist. Poli-
tik solltedas nun nicht plötzlicher-
schweren. Sie solltesichdaraufkon-
zentrieren, dassder Sozialstaat –von
Wohngeld bis Hartz IV–zielgenau
diejenigen unterstützt, die objektiv hil-
febedürftig sind.Fürverteilungspoliti-
sche Machtproben imStil der Vergan-
genheit istjetzt nicht dieZeit.

E


sist eine Frage, die sichviele
Menschen in diesemLand noch
nie stell en mussten: Könntesich
Deutschland notfalls selbstmit
Lebensmitteln versorgen? Als entwickelte
Industrienation haben wir uns darange-
wöhnt, so gut wie jedes erdenklichePro-
duktzujeder Jahreszeit im Supermarktre-
galzufinden. Der Gedanke, dassdas ein-
mal nicht mehr so seinkönnte, warvor we-
nigenTagennochabsurd. Dochdas Coro-
navirus hat viele scheinbar undenkbare
SzenarienWirklichkeitwerden lassen.
Bundeslandwirtschaftsministerin Julia
Klöckner (CDU)machte am Donnerstag
in Berlinkeinen Hehl daraus, dassdie Lie-
ferket ten nicht mehr einwandfrei funktio-
nieren. „Mit heimischenNahrungsmitteln
sind wir gutversorgt“, sagtesie –mit der
Betonung auf „heimisch“. Länder wieViet-
nam,der drittgrößteReisexporteur, haben
für landwirtschaftliche ProdukteExport-
beschränkungenverhäng t. In Spanien,wo-
her DeutschlandingewöhnlichenZeiten
viel Obstund Gemüse bezieht, bleiben vie-
le Erntehelferwegender weitgehenden
Ausgangssperre zu Hause. Hinzukommen
die logistischen Hürden, die durch ge-
schlosseneGrenzen und Quarantänebe-
stimmungen entstehen. Das alleskönne
aber aucheine Chancesein, sagteKlöck-
ner.Die Verbraucher bekämen wiederein
anderes Bewusstsein für Lebensmittel aus
Deutschland.„Wir sehen, dassdie Nach-
frag enach Kartoffeln steigt. “Die Versor-
gungmit Grundlebensmitteln seigesi-
chert–das betontesie mehrfach .„Wirwer-
den nichtverhungern.“
BundesverkehrsministerAndreas Scheu-
er (CSU)will mit einem „Gütertransport-
pakt für Deutschland“versuchen, zumin-
dest einenTeil der logistischen Probleme
zu lösen.Allerdings sei das angesichts der
GrenzpolitikvonDeutschlandsNachbar-
ländernzuweilen schwierig.Kaum sei ein
LastwagenstaunachzähenVerhandlun-
genaufgelöst,kämen schon wiederneue
Regeln und Probleme. „Das istrecht über-
raschend und nicht lösungsorientiert“, sag-
te Scheuer.Andie Verbraucher appellierte
er,flexibel zu sein.„Wenn Müsli einsmal
aus ist, gibt’sauch nochMüsli zwei.“
SchonvordreiJahren und damitlange
vorder Corona-Krise hatteBundeskanzle-
rinAngela Merkel(CDU)der Landwirt-
schaf teine zentraleRolle beigemessen:
„EinLand wie Deutschland musssich
selbs tmit Lebensmittelnversorgenkön-
nen.“ Anders als in der Arzneimittelpro-
duktionistDeutschlandimLebensmittel-
bereichrecht gut aufgestellt.Die Bundes-
republikexportiertmehr Nahrungsmittel,
als sie importiert, im Jahr 2019 standen
Importen imWert von49Milliarden Euro
Exporte in Höhevon 56 Milliarden Euro
gegenüber.Nachden Zahlender Bundes-
anstalt für Landwirtschaftund Ernährung
lag der Selbstversorgungsgrad bei Fleisch
und Frischmilcherzeugnissen zuletzt bei
jeweils 116 Prozent, bei Getreidewarenes
107 Prozent, beiKartoffeln sogar 148 Pro-
zent. Allerdings gibt esTücken im Detail:
So exportiertDeutschland die hierunbe-
liebten Schweineohren und -füße,voral-
lem nachChina. „Von denTeilen, die wir
essen, liegt der Selbstversorgungsanteil
nur bei 85 Prozent“,rechnetBauernpräsi-
dent JoachimRukwied vor.
Insbesonderemit Blic kauf Obstund Ge-
müse würde es DeutschlandvorHerausfor-
derungenstellen,wenn die Importe voral-
lem aus Südeuropa und den Niederlanden
längerfristigwegbrächen. Hierbeträgt der
Selbstversorgungsgradnur 13 beziehungs-
weise 38 Prozent.Erschwerend kommt ak-
tuell hinzu, dassosteuropäischeSaisonar-
beitskräfte, die hierzulande für die Spar-
gel- und Erdbeerernteund das Pflanzen
neuer Gemüsesetzlingegebraucht wer-
den, seit Mittwochnicht mehr nach
Deutschland einreisen dürfen, also auch

das einheimische Angebotschrumpfen
könnte. Wieeskünftiggelingensoll, Pro-
dukte wie Rosinen,Nüsseund Gewürze
nachDeutschland zu bekommen, die aus
weiter entferntenLändernkommen,ver-
mag derzeitkaum einer zu sagen. „Je län-
gerdie Krise dauert, desto schwererkom-
menwir daran“, sagt ChristianvonBoetti-
cher,stellvertretender Vorsitzender der
Bundesvereinigung der Deutschen Ernäh-
rungsindustrie. Fürdas Hamsternvon
Goji-Beerenaus China hätteerdeshalb
Verständnis–aber deutsches Mehl? Dafür
bestehe wirklichkeine Notwendigkeit.
Klöckner berichtete am Donnerstag, die
Verkaufszahlenfür Reis, Teigwaren und
Mehlseienimmer nochmehr als doppelt
so hoch wiegewöhnlich.
Die Corona-bedingten Importprobleme
sind das eine. Ob daraus aber ein langfris-
tiger Trend hin zu mehr regionalenLe-
bensmitteln wird, istnochnicht gesagt.
Die meisten deutschen Supermärktewei-
sen zwar inzwischenexplizit aufregionale
Produktehin. Rewe vermarktet eigenen
Angabenzufolgemehr als 20 000 Produk-
te vonregionalen Anbietern–wegender
„wiederauflebenden Erzeugerkultur“, wie
das Unternehmen sagt.Laut einerreprä-
sentativen Umfrag eder Marktforscher
vonIpsosausdemJahr 201 8wollen 69
Prozent der Konsumentenkünftig ein
nochumfangreicheres Angebotanregio-
nale nProdukten sehen. EinenHaken hat
die Sache allerdings: Ähnlich wie bei dem
Wunsch nach mehrTierwohl wollen die
meistenKundenfür dieregionaleWare
nicht mehr zahlen.Weniger als viervon
zehnBefragten sind dazu bereit.
Fürden Geschäftsführer desRegional-
fenster-Siegels,das auffast 5000 Produk-
tenimSortiment fast allerdeutschen Su-
permärkteprangt, istdas ei ngroßes Pro-
blem:„Wir beobachten aufgrund des Preis-
druc ks und der steigenden regulatori-
schen Auflagen einen massivenKonzen-
trationsprozess“, sagt Peter Klingmann
und verweistauf die Fleischerzeugung:
„KleineSchlachts tätten sind nicht mehr
wirtschaftlich. Deshalbwerden dieTiere
überweiteStrec kentransportiert. Dawird
dann dasSchwein aus Bayern zur Schlach-
tungnach Sachsengebracht, in Berlin
wirdeszerlegt und in München zurWurst
verarbeitet.Mit Regionalität hat das nicht
mehrviel zu tun.“Jetzt sei derZeitpunkt,
das zu überdenken.
EntsprechendeInitiativen gibt es durch-
aus schon.Wochenmärkte ,Hofläden und
Abo-Kisten erfreuen sichwachsender Be-
liebtheit.Auf 30 000 bis 40 000 schätzt
das Bundeslandwirtschaftsministerium
die Zahl der Bauern,die ih re Produktedi-
rekt an dieKunden liefern.Auch soge-
nannteErzeuger -Verbraucher-Gemein-
schaf ten, die es schon seit den achtziger
Jahren gibt, sind wiederimKommen.
Nicht zuvergessen dasKonzept der solida-
rischen Landwirtschaf t: Hier finanzieren
die Verbraucher mitregelmäßigenBeiträ-
geneinen oder mehrereLandwirte und er-
haltenimGegenzug die Ernte.Rund 100
solcher Netzwer ke soll es inzwischen in
Deutschlandgeben.
Vielleichtkönnteeine prominente Gali-
onsfigurdem Ganzen nochweiter Auf-
trieb verschaffen. ZurÜberraschung vie-
lerFeinschmeckerkrönteder Gourmetfüh-
rerGuide Michelinkürzlic hdas Berliner
Restaurant „Rutz“ mit seinemdritten
Stern.Eshat mit Marco Müller einenKü-
chenchef,der in der DDR aufwuchs. Da-
mals blieb ihm nicht anderes übrig, als mit
regionalenZutaten zu kochen, h eute
macht er das ausÜberzeugung. Nichtsge-
genfranzösischeBressehühner–die aus
der Prignitz seien besser,schwärmter.
Jetzt mussder Verfechter derregionalen
Küchenur nochdaraufwarten, dassdie
Corona-Krisevorübergeht und er seinRe-
staurant wieder öffnen darf.

D


ie Nachrichtkommt überra-
schend: Boschhat einen
Schnelltestfür Covid-19 ent-
wickelt.Bosch, denNamen bringen
die meistenmit Akkuschraubernin
Verbindung, mitKühlschränken oder
Autoteilen. Ganz unbemerkt bleibt
meist, dassesi ndem Konzernmit sei-
nen mehr als 400000 Mitarbeitern
aucheine kleine Medizintechnikspar-
te gibt.Das Thema Gesundheitwar
schonRobertBoschein Herzensanlie-
gen, nicht andersist es beim derzeiti-
genBosch-Chef Volkmar Denner.
Sein Traum sei es, dassBoschden
Krebs besiege, sagteerkurznachsei-
nem Amtsantritt 2012 anlässlichder
Grundsteinlegung für das heutigeFor-
schungszentrum. Wersolche Visio-
nenhegt, musseinePandemieals Her-
ausforderun gsehen, die eigenen Kom-
petenzen auszutestenund zustärken.
Glückfür Bosch: Das Analysegerät
wargerade marktreif, und für die be-
sondersflinkeEntwicklung des spe-
ziellen Corona-Testshat Boscheinen
Partner aus dem Diagnosebereichge-
funden.Wieimmer zeigt sich, dasses
auf denrichtigen Moment ankommt,
um etwasNeues voranzubringen.Und
nicht nur Boschzeigt in diesenTagen,
wie kreativ deutsche Unternehmen
auf die Krisereagierenkönnen.

itz. BERLIN.Die Corona-Krise hat eine
neue Diskussionüber dieAbwägung von
Sicherheit undFreiheit in eineroffenen
Gesellschaftentfacht.NachAnsichtvon
Gesundheitsökonomen kann Deutsch-
land eine medizinische und wirtschaftli-
cheKatastrophenur ab wenden,wenn es
mehr Menschen auf dasVirustestet, die
Infiziertenisoliert und den Datenschutz
aufweicht.AuchBundesgesundheitsminis-
terJens Spahn(CDU)denktweiter über
das „Handy-Tracking“von Infizierten und
derenKontaktpersonen nach. Zur Aufhe-
bung des öffentlichen „Lockdowns“ sagte
er am Donnerstag, nochseien die Ein-
schränkungen nötig, aber esgelte: „Wir
können nachOsternüber eineVerände-
rung reden, wenn wir bis Ostern alle kon-
sequent sind. Ob die Maßnahmengegrif-
fenhaben, wirdman er st in den nächsten
Tagensehen.“ Hoffnung macht, dassdas
Unternehmen BoscheinenSchnelltestauf
Corona-Infektion entwickelt hat.Aller-
dingswarnen die deutschen Laborärzte

vorTestengpässen schon in denkommen-
den Tagen. Bisher gibt esetwa eine halbe
MillionTestsinder Woche.
In einer Empfehlung des Leibniz-Insti-
tuts fürWirtschaftsforschungRWIheißt
es, es gehe jetzt darum, die„Ansteckungs-
dynamik“ zu brechen und zugleichdie Ge-
sellschaft„zurüc kauf Normalbetrieb“ zu
bringen. DieWissenschaftler haltendie
Eingriffeins öf fentliche Lebenprinz ipiell
für richtig. Ohnediese Beschränkungen
wäre das Gesundheitssystem völlig über-
fordert: Innerhalbvonsechs bis achtWo-
chen müssten andernfalls80Prozen tder
Patienten mit intensivmedizinischem Be-
darfabgewiesenwerden. „Dann hätten
sichmehrer ehunderttausendTodesfälle
aufgrund vonCovid-19 in Deutschland
nichtvermeidenlassen.“ Die angeordne-
tenKontaktverbote seiengeboten, da sie
dazu führten, das sdie Krankenhäuser Hil-
fesuchendebisher nicht abweisen müss-
ten.Modellrechnungen desRWIhaben un-
terdiesenUmständen eineZahl von„nur

nochrund 200000 Covid-19-Todesfällen“
berechnet. Derzeit sind es in Deutschland
etwa ein Hundertsteldavon, schwere Grip-
pewellen töte nhierzulande bis zu 25000
Menschen im Jahr.Die relativeEinhe-
gung gelingt nachAnsicht derAutoren Bo-
risAugurzky und Christoph Schmidt aber
nur,wenn die Anordnungen sechs bis sie-
ben MonateinKraft bleiben. „Je länger
die jetzt eingeschlageneStrategie verfolgt
wird, desto desaströser wirddie Funktions-
fähigkeit unsererVolkswi rtschaf tbeschä-
digt“,warnen sie andererseits. „Dieskönn-
te unsereGesellschaftdurcheine Flutvon
Insolvenzenund Massenarbeitslosigkeit
ihrer Existenzgrundlag eberauben.“
Wasalso is tzutun? DasRWIempfiehlt,
den BeispielenvonSüdkorea oder Singa-
pur zufolgen, wasbedeute, dieTestverfah-
renmassiv auszuweiten,Infiziertekonse-
quent zu isolieren sowie mittels elektroni-
scher Verfahren Kontakt eund Aufent-
haltsorte vonAngesteckten zu ermitteln.
„Würde uns dasgelingen, ließen sich der

massiveAnstiegvonNeuinfektionenver-
hindernund zugleichWirtschaftund Ge-
sellschaftwieder in RichtungNormalbe-
trieb bewegen.“ Es bedürfe des Aufbaus
von„Drive-Through-Teststationen“, in de-
nen sichflächendeckend jeder einzelne
Bürgertestenlassenkönne –alsonicht,
wie bisher,nur dieVerdachtsfälle. Die An-
gesteckten müsste nsofor tisolier tund be-
handeltwerden. Jeder Bürgersoll den
Empfehlungen zufolgeeine App erhalten,
um fes tzustellen, ob sichanseinemAuf-
enthaltsortein Infizierterbefunden hat.
Der Krisenstabder Bundesregierung
muss demRWIzufolg estandardisierteVer-
fahren zur Informationssammlung erarbei-
ten. Fürdie Bürgergelte, sie sollten für die
Dauer der Krise „auf den Datenschutz in
Bezug auf ihreMobilitätverzichten“. Die
vorgeschlageneStrategie sei unausweich-
lichfür „eine Bundesregierung, die das me-
dizinische und das ökonomische Desaster
gleichermaßen abwenden will“.(„Das ist
der Bosch-Schnelltest“, Seite26.)

Verteilungskampf mit Kurzarbeitern


VonDietrichCreutzburg

R


ückenwind –das warinden
vergangenen Monaten ein
Lieblingswortvon Bahn-Chef
RichardLutz. ZuRecht: Er durftesich
über die Klimadiskussion freuen, die
dasAuto ausbremstund den Schienen-
verkehr als Retter feiert. Er durfte
sichüber Rekordmilliardenbeträge
freuen,die die Politik dem bundeseige-
nen Unternehmen in diesem Jahr-
zehnt zukommen lässt.Erdurftesich
über volle ICE freuen und überRe-
kordpassagierzahlen imFernverkehr.
Auch wenn der Gewinn imvergange-
nen Jahretwasgeringer ausfiel:Lutz
hätteaufderBilanzpressekonferenz
gewissseiner Freude Ausdruc kverlie-
hen und diegroßartigeZukunftge-
priesen, die demUnternehmen bevor-
stehe. Das Coronaviruswollteesan-
ders. DerTopmanager sitzt zu Hause
in Quarantäne, die Zügefahren laut
Gewerkschaftschef Weselskyindie-
sen Tagennur nochheiße Luft durch
die Gegend, und die Zukunfter-
scheint ungewisser denn je. Istsie das
wirklich? Zumindestlangfristig nicht.
Die Deutsche Bahn hält trotzig an ih-
rerExpansionsstrategie fest.Schließ-
lichsoll sie nachdem Willen der Bun-
desregierung dasVerkehrsmittel des


  1. Jahrhundertswerden. Unddaran
    soll auchein Virusnichts ändern.


Testen, tracken, isolieren –und langsam starten


RWI: Strategiegegen Katastrophe /BoscherfindetSchnelltest/Spahn:Nach OsternüberVeränderungenreden

Heimisches Obstund Gemüse FotoPictureAlliance

AusgerechnetSingapur,ein winziger
Stadtstaat fast ohne eigene Landwirt-
schaft, führtseit Jahren den Indexan,
der dieVersorgungssicherheit mit Le-
bensmittelnmisst.Nachdem sie die
Abhängigkeit beimTrinkwasser bit-
terspüren musste,legtedie Regie-
rung riesigeWasser reservoirsfür die
6Millionen Bewohner an, säuberte
Brauchwasser und setzteauf Entsal-
zung. Der nächste Schritt gilt derVer-
sorgung mitNahrung. Manverfolgt
dafürdie „Strategie der drei Einkaufs-
körbe“:DieVersorgungausdemAus-
land mussauf möglichstviele Länder
und Quellenverteilt werden, diever-
lässliche Überschüsse produzieren.
SingapurerFirmen sollen Lebensmit-
telimAusland anbauen.Undeine ei-
gene Industrie muss auch dank massi-

verFörderung herangezüchtet wer-
den.
Derzeit importiertSingapur aus
170 Ländern–blockiertMalaysia wie
in Corona-Zeiten die Lieferungvon
Eiern,werden si eaus der Ukraine ein-
geflogen. Der Staat hat zudemReser-
venfür drei Monateder Versorgung
mit Nudeln oderReis, zwei Monate
für Fischund Fleischingeheimen La-
gern angelegt.Eskommt aber noch
besser:Inden nächsten zehn Jahren
will Singapur 30 Prozent seinerNah-
rung selbstanbauen, „30by 30“ heißt
der Plan.Unddas aufweniger als ei-
nem Prozent seiner Landfläche. Der
Wegdahin: DerStadts taat setzt auf In-
novation undTechnik,vertikaleFar-
men und Fleischauf Pflanzenbasis,
um Wasser und Fläche zu sparen.che.

Zuschlägefür Kurzarbeit
sind nicht Sache der
Politik, sondernder
Sozialpartner.

„Wir werden nicht verhungern“


GroßernteimZwergstaat


Bosch überrascht


VonSusanne Preuß

Bahn in Quarantäne


VonThiemo Heeg

Ob Pasta, Orangen oder Goji-Beeren: Corona


ersc hwer tdie Lebensmitteleinfuhr.Jetzt zeigt sich,


ob wi runs regional ernährenkönnen –und wollen.


DieAgrarministerin gibt eineBeruhigungspille.


VonJessicavonBlazekovic und Julia Löhr


Quellen: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft; Ipsos F. A.Z.-GrafikWalter

1000 Befragte
ab 18 Jahre
imFeb.

Kann sich Deutschland selbst versorgen?


SovielProzent der inländischenNachfragenach
Lebensmittelnwirdvon deutschen Betrieben hergestellt

Regionalität gewinntan
Bedeutung (inProzent)

Befragte,die sich nochmehr
Handelsmarkenausder Region
wünschen

Befragte,die stärkerdaraufachten,
ProdukteausderRegion zu kaufen

Befragte,die beiHandelsmarken
vermehrteinenregionalenBezug
wahrnehmen

Zucker

Kartoffeln

Fleisch, Fleischerzeugnisse

Frischmilcherzeugnisse

Getreide

Eier, Eierzeugnisse

Gemüse 100%

Obst

153

69

53

41

148

116

116

107

72

38

13
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