Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

SEITE 2·FREITAG,27. MÄRZ2020·NR.74 FPM Politik FRANKFURTER ALLGEMEINEZEITUNG


„Es geht um Leben undTod.“ Worte
wie Hammerschläge. Bundesfinanzmi-
nisterOlaf Scholz äußerte sie am Don-
nerstag. Er sprachüber die Corona-Kri-
se, worüber sonst. Ob ihm nicht mul-
mig werdeangesichtsvon150 Milliar-
den EuroNeuverschuldung, wurde der
Vizekanzlergefragt. „Ja, mulmig wird
mir,wenn ichandie Pandemie denke“,
sagteerdem „Wiesbadener Kurier“.
Scholz, derVizekanzler,der sic hwegen
Halskratzen auf dasVirushatteuntersu-
chen lassen, negativgetestet wurde und
sicheigenem Bekunden nachvon einer
Erkältung erholt, hat es sonstgerne
zwei Nummernkleiner.Superlativein
die Welt zu posaunen istnicht seinStil.
In Interviews spricht er sonstleise Sät-
ze vontiefer Inhaltlichkeit.Die garniert
er gern mit einem kleinen Kichern.
Der Sozialdemokratversteht sic hgut
mit Angela Merkel, derKanzlerin mit
dem CDU-Parteibuch. Beide habenauf
ihreWeise etwa shanseatischNüchter-
nes. Sie istinHamburggeboren, in der
DDR aufgewachs en, erstammt aus Os-
nabrück, istjedochdurch seinen Le-
benslauf ein Hamburger. Nunlassen sie
alles Hanseatische ihrer Rhetorikfah-
ren. Vorgut einerWochehielt dieKanz-
lerin, die sichgerade in Corona-Qua-
rantäne befindet, es für erforderlich,
den Deutschen in einerFernsehanspra-
cheden Ernstder Lagedeutlichzuma-
chen. HatteMerkelinihren ersten öf-
fentlichenÄußerungen, andersals der
französische Präsident, nochjegliche
Kriegsvergleiche unterlassen, so nann-
te sie die Corona-Krise in ihrer Anspra-
chedie größteHerausforderung seit
dem ZweitenWeltkrieg.
DassMerkelund Scholz sovonihren
rhetorischen Gepflogenheiten abwei-
chen, hat seinen Grund.Nach dem das
Land in den zurückliegenden zehnTa-
genvollends im Corona-Ausnahmezu-
standangekommenist,befindensich
die Verantwortlichen in Politik ,Wissen-
schaf tund Medizin in einemgewalti-
genkommunikativen Balanceakt.In
der Regeltun die Deutschen,wasdie po-
litischeFührung ihnen aufträgt,wenn
es einigermaßen plausibel erscheint.
Also haben sichdie meistenvon ihnen
privat und diejenigen, denen das mög-
lichist,beruflichindie eigenen vier
Wände zurückgezogen. Dorthalten sie
so vielvomNormalleben aufrecht, wie
es ebengeht.Die Berichteder Behör-
dendeuten daraufhin, da sssich dieVer-
stöße in Grenzen halten. Sogar in Euro-
pas Party-Metropole Berlin istesruhig.
Selbst die anfangsgrassierende Angst
voreiner landesweiten Klopapierinsuf-
fizienz scheint sichberuhigt zu haben.
Die Zuversicht, dassdie Versorgungsla-
ge stabil ist,wächst.

Alles bestens vorbereitet?
Der Aufbau des Schreckensszenarios
durch die Bundesregierungwarnur Teil
eins dergroßenAufgabe. SeitWochen
wachen die Deutschen in Quarantäne
und Homeoffice beikaltem, aber sonni-
gemFrühlingswetter auf .Gleichnach
dem Wachwerden gilt der erste Blick
dem Smartphone. DieZahl der Infizier-
teninDeutschlandsteigt zwarexponen-
tiell, wie es angekündigtworden war.
Auch sind mehrTote zu beklagen.Aber
die Zahl derTodesfälle isterstvor kur-
zem über die hundertgestiegen.Voral-
lem in Italien und Spanienliegt sie
längst bei mehrerentausend,ebenso in
Frankreich.
Berichte überdie Zustände in italieni-
schen Klinikenoder spanischen Alten-
heimenlassen die Leserschaudern.Aus
deutschen Krankenhäusernist aller-
dings ganz anderes zu hören. DieVerant-
wortlich en berichten, man sei bestens
vorbereitet.Zuhören ist, dassOperatio-
nenverschobenwerden m üssten, weil
alle Betten für Corona-Patienten freige-
halten würden. Am Donnerstagmittag
trat Bundesgesundheitsminister Jens
Spahn in Berlinvor die Bundespresse-
konferenz.Begleit et wurde ervonhoch-
karätigen Wissenschaftlern, Medizinern
und Verbandschefs, die vielPositives

und Optimistisches über das deutsche
Gesundheitssystem zu berichten hatten
und dieVorbereitung auf diegroße Wel-
le vonCorona-Fällenals gut darstellten.
DieKapazität derTestskönntenvonder-
zeit einerViertelmillioninder Woche
auf 360 000 erhöhtwerden. Schon jetzt
stündeninDeutschland mehr Intensiv-
betten bereit als inganzItalien. Dasdeut-
sche sei eines derwenigen Gesundheits-
systeme, das auf diegesamteBevölke-
rung eingerichtetsei. Sowarendie Bot-
schaf tender Fachleute. Spahn machteal-
lerdingskeinen Hehl daraus, dassdie flä-
chendeckende Versorgung mit Schutz-
kleidungnoch nicht so sei, wie er sie sich
vorstellt.Der Markt sei sehr umkämpft.
Er werdeerstvon Zahlen sprechen,
wenn diese „gelandet“ seien, sagteder
Minister.Das warein Hinweis auf in
jüngster Zeit erhoffteLieferungen, die
dochnicht gekommenwaren.

Es gibt die „Zeit danach“

Diese Gesamtlagegepaartmit den sor-
genvollen Botschaftenaus einerWirt-
schaftswelt, die sichvor einem länge-
remShutdown fürchtet, führen zu einer
kuriosen Debatte.Noch bevoreine gro-
ße Welle vonernsten odergartödlichen
Corona-Verläufen Deutschland erreicht
hat, hebt eine Diskussion darüber an,
wann denn nun Schlusssei mit den Ein-
schränkungen des öffentlichen Lebens.
Diese wirdkeineswegs nurvonbesorg-
tenWirtschaftslobbyistengeführt. Eini-
ge der politischVerantwortlichen befeu-
ernsie durchihreÄußerungen.
GleichzuBeginn seinesAuftritts am
Donnerstag hatteSpahn zwargesagt,
Ärzt eund Pflegekräfte bereiteten sich
auf die „größteHerausforderung der
letzten 75 Jahre“vor. Wasman jetzt er-
lebe, sei die „Ruhevordem Sturm“.
DochwenigeSätze später äußerte er un-
gefragt, man mögenicht vergessen,
dasseseine „Zeit nachCorona“geben
werde. In einem Interviewmit derWo-
chenzeitung „DieZeit“ hatteergesagt,
die Einschränkungen „mögen jetzt
nochbreit mitgetragenwerden“. Aber
die „Frage der Verhältnismäßigkeit“
müsse immer wieder neugestellt wer-
den. „In einem freiheitlichenRechts-
staat werden diese Einschränkungen
auf Dauer nicht hingenommen.“Wer
alle Kräfte auf das Jetztkonzentrieren
will, verkneiftsichsolche Sätze.
Spahn istnicht allein.Der Chef des
Bundeskanzleramts, HelgeBraun,
machtesichinder Social-Media-App Jo-
del, die überwiegendvonjungen Men-
schengenutzt wird, schonkonkrete Ge-
danken über dieZeit danach. DieKon-
taktbeschränkungen sollten nachder
Corona-Krise zunächstfür jungeund
gesunde Menschen wieder gelockert
werden. „Die nächste Phase lautetna-
türlich: JungeMenschen, die nicht zu
den Risikogruppengehören, dürfenwie-
der mehr auf dieStraße.“ In den nächs-
ten„zwei Wochen“ zeigesich, ob es mit
den beschlossenen Maßnahmengelin-
ge,die Kurveder Infektionenflachzu
halten, sagteCDU-Mann Braun.
Auch der sozialdemokratische Bun-
destagsvizepräsident Thomas Opper-
mann machtemit.ImFerns ehsender
RTLforder te er,man müsse sichjetzt
schon Gedanken darüber machen, wie
nachder Krise dieWirtschaf tangekur-
belt werde. „Wir dür fenuns jetzt nicht
in einer völlig trostlosen Das-bleibt-
jetzt-monatelang-so-Perspektiveein-
richten.“Bei mehreren Monaten des
Stillstands „würden wirFirmen unum-
kehrbar verlieren“, warnte Opper-
mann. Soweit dür fe es nichtkommen.
SpahnversuchteamDonnerstag, die
Debattezumindestein bisschen wieder
einzufangen.Wenn man bis Ostern die
beschlossenen Maßnahmen einhalte,
könne man nachOsterneventuell über
Veränderungen reden. Ausgerechnet
BundesinnenministerHorst Seehofer
(CSU)versuchte, die Diskussion zu be-
enden. „Eine Exit-Strategiekann man
aus meiner Sicht erst dann angehen,
wenn man dieses schnelle und aggressi-
ve Verbreiten desVirusimGriff hat“,
teilteerüber Twitter mit.

Frau Kommissarin,nach Angabeneiner
Hilfsorganisation werdenimgrie-
chischen Flüchtlingslager Moriadie
Wasser- und Lebensmittelrationen ge-
kürzt, die Krätze istausgebrochen. Die
Menschen hättenkeine Chance, sich
dort auf einen Ausbruch des Coronavi-
rus vorzubereiten. Sind dieseSorgenbe-
rechtigt?
Ichmache mir selbstgroße Sorgen, weil
die Lager auf den Inseln überfüllt sind.
Wirhaben deshalb in den letztenTagen
eng mit dergriechischenRegierung, mit
dem UN-Flüchtlingshilfswerkund Hilfsor-
ganisationen an einem Aktionsplangear-
beitet.Esgeht darum, dieVersorgung der
Menschen und den Schutz ihrer Gesund-
heit zuverbessern.Wirwollen diejenigen,
die voneiner Corona-Infektion amstärks-
tenbetroffen wären, isolieren. Das betrifft
Älter eund Kranke, in Moria sind dasge-
schätzt 500 bis 600 Menschen. Außerdem
werden wir mit derUmsiedlungvon unbe-
gleiteten Minderjährigen beginnen.

Wiesoll es möglich sein,ein Lagerzu
schützen, dasfür 3000 Menschen gebaut
wurdeund nun von20000 belegt wird?
Müssen dieLeute nicht aufs Festlandge-
bracht werden?
Glücklicherweise is tdas Virusnochnicht
auf den Inseln angekommen,auf dem
griechischenFestland schon. Esstellt sich
momentan dieFrage, ob sichdas Risiko

für die Menschen erhöht,wenn wir sie in
großer Zahl dorthin bringen.

Kommennoch Migrantenmit Booten
au sder Türkeiauf den Inseln an?
Nurganz wenige. Dietürkischen Be-
hörden scheinen die
Menschen davonab-
zuhal ten, in Bootezu
steigen. Daskann sich
aber auchwieder
ändern. Diewenigen,
die es trotzdem schaf-
fen, werden nicht in
die Lage rgela ssen,
um zu verhindern,
dasssie Viren einschleppen unddort
verbreiten.

Wie vieleunbegleitete Minderjährige le-
ben auf denfünf Ägäis-Inseln? Es gibt
da sehr unterschiedliche Zahlen.
Das istschwerzusagen, weil bei den meis-
tendas Alter nicht ermitteltword en is t.
Das istSache dergriechischenRegierung.
Wirrechnen mit ungefähr 1500Personen.

Acht Mitgliedstaaten haben schon vor
zwei Wochen zugesagt, dass sie 1600
Kinderund Jugendliche aufnehmen wol-
len. Warumist seither nichts passiert?
Doch,es is tviel passiert!Wir habeninten-
siv mit dengriechis chen Behörden,mit der
EU-Asylbehörde undder zu ständigen Ge-

neraldirektion zusammengearbeit et,um
alle praktischenFragen zu lösen.Ich hoffe
jetzt, dassdie er sten Kindernächs te Wo-
cheinAufnahmeländergebrachtwerd en
können.Luxembur gund Deutschland sind
mitihren Vorbereitungenamweitesten.
Wirwerdennich talle1600 Plätzeauf ei-
nenSchlag füllenkönnen ,aberangesichts
derPandemiemüsse nwir uns sputen.

Werden die Kindervorhermedizinisch
untersucht?
Das besprechenwir mit jedem Mitglied-
staat.Teilweise wirdesinGriechenland
geschehen, teilweise in den Aufnahmelän-
dern. Es hängt auchvon der jeweiligen
Gruppe ab. Die Corona-Krise hat zwar
alle Planungen kompliziertergemacht,
aber dieStaaten halten sichanihreZusa-
gen. Es gibt sogar vierweiter eStaaten,
die sichanunserenAbstimmungenbeteili-
genund inZukunftauchKinder aufneh-
men könnten.

Gibtesnicht gerade eine Tendenz der
Staaten,sich nach innenzu wendenund
weniger Solidaritätzuzeigen?
Ja und nein. DennRegierungen wissen,
wie wichtig es ist, dasswir die Kinder
schnell in Sicherheit bringen. Das istein
wichtiger Akt der Solidarität, und ichbin
zuversichtlich, dasswir das schaffen.
Aber natürlichverändertdie Corona-Kri-
se gerade alles in Europa.Vieles in unse-

rerGesellschaftkommtgerade zumSte-
hen. Kinderkönnen nicht in die Schulege-
hen, viele Menschenkönnen nicht arbei-
ten, und all dieseUms tände haben natür-
lichauchAuswirkungen auf Migration.
Aber ic hkann nicht sagen, dassdie euro-
päische Solidarität zumStillstand kommt.

DieKommissionerwartet,dass Einreise-
beschränkungenanden Außengrenzen
dazu führen, dass die Staaten im Schen-
gen-Raum ihre Grenzkontrollenwieder
aufheben. Wasist die Logikdahinter?
Wirkönnen das VirusimSchengen-
Raum nicht mehrstoppen, es istschon
da, in jedem Land.Wirkönnen aber die
soziale Interaktion begrenzen, deshalb
sollen die Menschen nicht notwendige
Reisen unterlassen. Ichbin mir sicher,
dassdie Binnengrenzen auchwiederge-
öffne twerden. Soweit sind wir aber noch
nicht .Eshängt davonab, wann die Infek-
tionskurve ihren Höhepunkt erreicht und
wie wir sie danachunter Kontrolle halten
können.

WasratenSie Menschen, diejetzt ihren
Sommerurlaubplanen?
Ichkann da leidergarkeinenRatgeben.
Niemandweiß, wie sichdas Virusweiter
ausbreitet und wie unsereGesundheits-
systeme damit klarkommen.

DieFragenstellteThomas Gutschker.

Z


um dritten Mal seitdem Aus-
bruc hder Corona-Krise haben
die EU-Staats- undRegierungs-
chefsamDonnerstagnachmit-
tag perVideo über dieKonsequenzen
aus derPandemie beraten.Und es wurde
sodeutlic hwie nie zuvor, dassder Mei-
nungsaustauschder „Chefs“ ohne persön-
lichenKontakt auf Dauer erhebliche Pro-
bleme aufwirft.Die Dimensionder Krise
hätt eunter normalenUmständen Gipfel-
debatten bis spätindie Nachtzur Folge,
in un terschiedlichenFormaten, mit un-
terschiedlichenMöglichkeiten,Kompro-
misseauszuloten. Jetzterschöpfensich
die Video-Gipfel in ein bis zweistati-
sche nTischrunden; die einzigen echten
Unterhändler in Brüssel sind die nationa-
lenEU-Botschaf ter.Und Diplomaten
können diePolitik nicht ersetzen. Bis auf
weitereswerden sic hdie „Chefs“ deshalb
einmalwöchentlichper Schaltkonferenz
ber aten.
Wieschwierig der Mangel an persön-
licherKommunikation denUmgang mit
der Krise in der EU macht, zeigtesichin
den Stundenvorder Schaltkonferenz am
Donnerstag besondersklar. Es warder ers-
te Video-Gipfel, auf demerhebliche inhalt-
liche Konflikt ezutag etraten, vorallem in

der Frage, welche wirtschaftspolitische
Antwortdie Corona-Krise erfordert–
auchwenn es in der„Weisung“ der Bun-
desregierung an den deutschen Botschaf-
tervor dem Gipfel, die derF.A.Z. vorliegt,
ausdrücklichheißt:„Jetzt istnicht dieZeit
für Str eit, sonderngemeinsamesVorge-
hen undKonsensfindung.“
Vonder „Viko“ der Chefs solle ein Si-
gnal der Geschlossenheit ausgehen.Die
Gipfelerklärung konzentriertsich des-
halb auf die unumstrittenen praktischen
Aspekteder Krisenbewältigung: DerVer-
kehr an Grenzen soll besserfließen, die
Versorgung mit GüternimBinnenmarkt
siche rgestellt,gemeinsam Schutzklei-
dung undTestsangeschafft,Forschung
an Impfstoffenund Arzneienforciertwer-
den. Wiedie EU mit derWirtschaftskrise
umgehen soll, die dieGesundheitskrise
überdauerndürfte, bleibt hingegenvage.
Spätestens aberseit derkontroversver-
laufenen Videokonferenz derEurog rup-
pe am Dienstagabendwar klar, dassaus
der Euro-Krise bekannteKonfliktlinien
wieder sichtbarwerden.
Die Staats- undRegierungschefsvon
Frankreich, Italien, Spanien,Portugal,
Belgien, Irland,Luxemburg,Slowenien
und Griechenlandforder ten i neinemge-
meinsamenSchreiben vondem Gipfel
nicht nurmehrkoordinierte Hilfeinder
Gesundheitsversorgung,sondernvor al-
lem die„Aktivierung allergemeinschaft-
lichenFinanzinstrumente,umfinanziel-
le Solidaritätzusichern, speziell inner-
halb der Eurozone“.Kurz:Die Eurogrup-
pe solle möglichst schnell denEinsatz
des Euro-KrisenfondsESM beschließen.
Die Finanzministerdes Euroraums hat-
tenamDienstag zwar schonmehrheit-
lichdie Bereitstellung vorsorglicher Kre-
ditlinienaus ESM-Mittelnbefürwortet.
Doch wollen mehrereStaaten, allenvor-
an dieNiederlande,das Pulverdes Fonds
troc kenhalten und ihn nur understein-
setzen,wenn einStaat tatsächlichinfi-
nanzielle Schwierigkeiten gerät.Noch
können sichschließli ch alleEuros taaten,
auc hItalien, Spanienund Griechenland,

problemlos anden Finanzmärktenfinan-
zieren. Die Chefsverwiesen denStreit an
dieFinanzminister z urück. Diese sollen
die n ötigen Detail sschnellstmöglichklä-
ren.
Fürhochverschuldete St aaten wie Ita-
lien und Griechenlandsind Kreditedes
ESM ohnehin ein zweischneidiges
Schwert. Denn dastreibt ihreStaats-
schuldweiter in die Höhe.Genau des-
halb plädierendie neunLänder in ihrem
Brief auchfür ein „gemeinsames Schul-
deninstrument“der EU.Damit sind „Co-
rona-Bonds“gemeint, alsoAnleihen, die
voneinereuropäischen Institution,am
ehestenwohl vonder Europäischen In-
vestitionsbank, aufgelegt würden.Letzt-
lichwären es Eurobondsinneuem Ge-
wand,die schoninder Euro-Krise immer
wiedergefordert,aber nie eingeführt
wurden–mit demUnterschied,dasssie
nur so lange aufgenommen würden, wie
die Corona-Kriseandauert.
Bis aufweiteres hatdie Forderung
nachCorona-Bondskeine Chance auf
Verwirklichung. DashatamDonnerstag
aucherstmals Bundesfinanzminister
OlafScholz (SPD) klargestell t. „DieNot-
wendigkeit, solche neuen Instrumentezu
erfinden,gibtesimAugenblicknicht“,
sagte Scholz. EU-Diplomaten fügen hin-
zu, dassdie neunStaaten immer noch
klarinder Minderheit seien.Weiter ge-
hen dürfte die Debatteüber Corona-
Bonds aberdennoch.
Uneinssind die EU-Staaten abernicht
nur überdie Frage, inwieweit sie gemein-
sam Schulden machen sollen, um dieKri-
sezubewälti gen. VoralleminBerlin,
aberauchinDen Haagwächst die Sorge,
dass sichsomanche Entscheidung, die in
der Corona-Krisegefallenist,nachdem
Endeder Ausnahmesituationnich tmehr
so einfachwiederzurücknehmen lässt.
So ha tsichdie Bundesregierungvordem
Gipfeldafür starkgemacht, eine klare ab-
gestimmteExit-Strategiefür die Zeit
nachder akuten Corona-Gesundheitskri-
se festzulegen. Nach ihrerVorstellung
soll te die nicht nurein umfassendesund

abgestimmtes Aufbauprogramm für die
europäischeWirtschaftumfassen, wie
sieRatspräsident Charles Michelgefor-
dert hat. Er sprichtvoneinem „Marshall-
plan-artigen“ Investitionsprogramm.
Die Bundesregierung forderte über-
dies, dass siezugleichaucheinen Fahr-
plan zur „schrittweisenRücknahme der
außer gewöhnlichen Maßnahmen,die er-
griffenworden sind“ enthalten solle.Das
geht aus einem derF.A.Z. vorliegenden
internen Papier vom24. Mä rz hervor, in
demdie Regierung ihreÄnderungs-
wünsche an dievonMiche lentworfenen
Schlussfolgerungen fürden Video-Gipfel
auflistet.
DieListe dieser „außergewöhnlichen
Maßnahmen“ist scho njetzt lang.Erst
am Mittwochetwahatte die Europäische
Kommission neue Vorgaben für den
Schutz europäischer Unternehmenvor
ausländischenÜbernahmen–vor allem
im Gesundheitssektor–vorgelegtund an-
gekündigt, dieneuen EU-Vorgabenfür
die ZulassungvonMedizinpr oduktenwie
Beatmungsgeräten oder Schutzkleidung
zwölf Monate auszusetzen.Zuvor hatte
die EU schondie Beihilferegeln und
Haushaltsregeln weitgehendausgesetzt.
Verstößevon StaatengegenandereEU-
Regeln werden derzeitnicht verfolgt. Zu-
dem hat dieKomm ission inzahlreichen
ande renFeldernAusnahmengeschaf fen,
zu denen es schon jetzt selbstinnerhalb
der Behörde heißt, eswerdeschwierig
sein, „manchen Geist wiederindie Fla-
sche zu bekommen“. Durchsetzen konn-
te sichdie Bundesregierung mit ihrem
Anliegen allerdings zunächstnicht.
Einen Teilerfolg jedochkonnte die
Bundesregierung erzielen. Der Vor-
schlag Michels, einneues„Europäisches
Krisenmanagement-Zentrum“,zuschaf-
fen, um besser aufkünftig eKrisen reagie-
renzukönnen, istersteinmalvom Tisch.
Auch die EuropäischeKommission hatte
darauf skeptischreagiert.„Wirbrauchen
keine neuen Institutionen, sondernmehr
Kompet enzen,umuns rechtzeitigküm-
mernzukönnen“, heißt es dort.

„Die Umsiedlung vonKindernbeginnt“


EU-Innenkommissarin Ylva Johansson erklärt, wie sie diegriechischen Inseln in der Corona-Krise entlastenwill


Gipfel ohne Anwesenheit:Die EU-Staats- undRegierungschef treffensichamDonnerstaginder virtuellenWelt. FotoAFP

Vorder Krise


istnachder Krise


Politikerwollen nicht über dieNach -Corona-Zeit


reden –und tun es doch.VonEckartLohse, Berlin


©2020 The Associated Press

Zwistüber zweischneidigeSchwerter

Die Behörden inNordrhein-Westfalen
haben in den ersten Tagenseit Verhän-
gung drastischer Corona-Maßnahmen
beinahe 250Verstöße gezählt,ande-
nen rund 2000Personen beteiligt wa-
ren. „Die allermeistenhaben den Ernst
der Lageverstanden“, sagteLandes-
innenministerHerbertReul (CDU).
„Aber es gibtimmer nochLeute, dieun-
einsichtig sind, die sichnicht daran hal-
ten, dawerd en Partys gefeiert, imFit-
nesscenter wirdeinfac hweitertrai-
niert.“InDuisburgmusste die Polizei in
der Nach tzuMittwocheine Feier in ei-
ner Bar auflösen, in der sich17Gäste
aufhielten. Ein Mann diskutiertesove-
hement, dassihn die Beamtenvorüber-
gehend in Gewahrsam nahmen.
BeimgrößtenTeil derFälle handle
es si ch aber umVerstöße gegendas Kon-
taktverbotimöffentlichenRaum, sagte

Reul. Zu den drastischstenFällen gehö-
re eine Gruppevonrund zwanzigPerso-
nen, die auf einem Spielplatz in Bo-
chum Fitnessübungenmachten, so
Reul. In Oberhausen hielten sichvier
19 bis 22 JahrealtePersoneninder
Nach tzuMittwochauf einemParkplatz
auf. Als zweiZeugen sie auf dasKon-
taktverbothinwiesen, hustete ndie jun-
genLeutedie Zeugen demonstrativ an
und verspott eten sie. „Dagabesdann
Bußgeld für jeden“,beric hteteReul.
Nordrhein-Westfalen hatteAnfang
derWoche als erstesBundesland einen
Bußgeldkatalog erlassen. BeiVerstö-
ßengegen dasKontaktverbotsind 200
Euro Bußgeld proPerson vorgesehen.
In besonders schwerenFällen wirdder
Betragverdoppelt;bei Wiederholungs-
täte rn können biszu25000 Eurofällig
werden. reb.

Eigentlich will dieEU


nunEinigkeitzeigen.


Aber im Streit über


„Corona-Bonds“


brechenalteKonflikt


aus derEuro-Krise


wiederauf.


VonHendrikKafsackund


Werner Mussler,Brüssel


Verstöße inNordrh ein-Westfalen

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