Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG Politik FREITAG,27. MÄRZ2020·NR.74·SEITE 3


Als Prinz Charles milde Corona-
Symptomeentwickelte,ließersich
vomNationalen Gesundheitsdienst
(NHS) inAberdeentesten und erhielt
das –positive–Ergebnis amfolgen-
den Tag. Waswie ein normalerVor-
gang wirkt,gleichtimVereinigtenKö-
nigreicheiner royalen Vorzugsbe-
handlung.Der NHSkann tr otzgro-
ßer Anstrengungen nur 6000Tests
am Tagvornehmen, und in deren Ge-
nusskommenfast ausnahmslosPa-
tienten, die mit schweren Sympto-
men ins Krankenhausgebracht wur-
den. In Deutschlandwerd en mehr als
zehnmal so viele Menschengetestet.
Die britischeTestdicht eist so gering,
dasssogarÄrzte,diemitCorona-Pa-
tienten umgehen, vergeblichum
Testsbitten.
Viele Britenstaunen in diesenTa-
gen, wi eschwachihr Gesundheitssys-
temaufges tellt is t. Plötzlichsteht ihr
NHS im direktenVergleichmit Ge-
sundheitssystemen anderer Länder,
und dieStatistiken lassen erschau-
ern. Das Königreichverfügt über
deutlichweniger Ärzteund Kranken-
hausbetten proEinwohner als viele
Länder in der EU und Asiens. Beson-
dersdrastis ch istder Unterschied bei
den Intensivbetten.Wo 100 000 Deut-
schenfast dreißig solcher Betten zur
Verfügungstehen, sindesbei de nBri-
tenkeine sieben. Der schwerfällige,
zentralgesteuerte NHS hat nicht nur
Mühe, dieTestkapazitäten auszuwei-
tenund eine annähernd ausreichen-
de Zahl an Beatmungsgeräten zu be-
schaf fen; er zeigt sichunfähig, sein
Personal mit angemessener Schutz-
kleidung auszustatten. Die Ärzte wür-
den „wie Lämmer zur Schlachtbank“
geführt, klagteder Vorsitzende der
„Doctors’Association“.
Der Realitätsschocktrifftdie Bri-
tenhart. Der NHS istnicht nur ein
Gesundheitsdienst, sondernfür viele
eine geradezureligiöse Institution.
Obwohl schonvorder Corona-Krise
kaum eineWocheohne haarsträuben-
de Engpässe undSkandale in den Pra-
xenund Krankenhäuserndes Landes
verging, stellt so gut wie niemand das
System inFrage. Mit seinen mehr als
1,5 Millionen Mitarbeitern beschäf-
tigt der NHS mehr Menschen als die
staatliche indische Eisenbahn.Aber
die Briten betrachten ihren Gesund-
heitsdienstnicht als bürokratische
Krake, sondernals soziale Errungen-
schaf t. Vordem NHS, der überwie-
gend ausSteuernund Beiträgen zur
„National Insurance“ bezahlt wird,
istjeder gleich. Er bieteteiner sozial
auseinanderstrebendenNation in ei-
ner weitgehend privatisiertenWirt-
schaf teinen Wir-Moment.
Kaum einPolitiker erwähnt den
NHS, ohne ein bekenntnishaftesAt-
tributvoranzustellen: DieRede ist
von„unseremgeschätzten NHS“,oft
von„unseremgeliebten NHS“. Nicht
seltengehen die schönenWortemit
Heuchelei einher.Wer es sichleisten
kann, lässt sichprivatbehandeln. Die
Qualifikation der NHS-Ärztesteht
nicht in Zweifel; vielerotieren zwi-
schen öffentlichem und privatem Sek-
tor. Problematischist die Ausstattung
der staatlichen Krankenhäuser,der
Mangel an Betten und Pflegern, die
langenWartezeiten für Operationen.
Vorallem die LabourPartyführt
die zumTeil skandalösenVerhältnis-
se auf das „Kaputtsparen“ des NHS
durch die konservativeRegierung zu-
rück. Laut des „Office forBudget Re-
sponsibility“steckt edie letzteLa-
bour-Regierung durchschnittlich5,
Prozentmehr in den NHS.Unterden
Konservativen, die seit 2010regie-
ren, fiel die jährliche Erhöhung auf
unter zwei Prozent und wurde erst in
den vergangenen zwei Jahren spür-
bar erhöht. Insgesamt investiertdas
Königreichetwazehn Prozent des
Bruttoinlandsprodukts in das Ge-
sundheitssystem, nur ein Prozentwe-
niger als Deutschland.
Premierminister BorisJohnson
steht unterwachsendem Druck, die
Kapazitäten des NHSrasch zu erhö-
hen. DieRegierung lässt derzeitein
VeranstaltungszentrumimOsten
Londons zu einem„Feldkranken-
haus“ mit 4000 Intensivbette num-
bauen. Ähnliche Projekte wurden in
Manchesterund Birmingham ange-
schoben. Bei derVersorgung mitme-
dizinischen Gütern hilft nicht nur
die Armee, sondernein Heervon
Freiwilligen.EinemAufruf derRe-
gierung folgten binnen 24Stunden
mehrals eine halbe Million Briten,
doppelt so viele wieerhofft.Das Ar-
beitsministeriumhat10000 Ärzte
und Pfleger zurückgerufen, die den
NHS verlassen hatten.Der medizini-
sche „Chefberater“ der Regierung
sagte voraus,dass es „knapp“ würde,
aber der NHSden in zwei bisdreiWo-
chen er warteten Ansturm „vermut-
lichmanagen“ könne.
Ärzt evor Ortsehen dasweniger
optimistisch. Sie sprechenvoneinem
„andauerndenTsunami“, der die In-
tensivstationen der besondersbetrof-
fenen Hauptstadt schon jetzt überfor-
dere, auchweilmancherorts bis zu
die Hälfte des Personals erkrankt sei.

B


ill Borchertist den Umgang mit
Krisensituationen gewohnt.
Dochdie letzten zweiWochen
sind für den Leiter der Berliner
JugendstrafanstaltPlötzensee eine beson-
dereHerausforderung. Fast alles dreht
sichumdie Corona-Krise,genauergesagt
darum, dasssie nicht in der „Plötze“ an-
kommt.Und darum,waszutun ist,wenn
es dochdazu kommt.„Ein Gefängnis ist
einfragilesGebilde, in dem viele Dingege-
regelt werden müssen, fastwie ein Kran-
kenhaus“, sagt Borchert.Etwa: Werdarf
nochrein, wernochraus? Welche Be-
schränkungenkann man Gefangenen auf-
erlegen?Undwas tun,wenn es zum Infek-
tionsfallkommt?Kein Wunder,dasssich
mittlerweilederganze Tagdes An staltslei-
ters um „Corona“ dreht.
Stay home–für Häftlingeist das Ge-
fängnis sowieso dasZuhause, sie haben
keine Wahl. Gleichzeitig gibt eskein Ent-
rinnen.Wiesoll man in einer Zweierzelle
dauerhaftanderthalb MeterAbstand hal-
ten? Oder zu denVollzugsbeamten, die
die Gefangenen auf Schritt undTritt be-
gleiten? EngeFlure,kleine Höfe,gerade
in den alten Gefängnissen. Die Justizvoll-
zugsanstalt Fuhlsbü ttel in Hamburgwur-
de 1879 in Betriebgenommen, die fünf
Flügel des Backsteinbaus sind in traditio-
neller Bauweisesternförmig angeordnet.
Hier wurde Anfang derWocheDeutsch-
lands ersterCoronafall imgeschlossenen
Strafvollzugfestgestellt.Ein 34 Jahreal-
terInsasse der Sozialtherapeutischen An-
stalt sei an Covid-19erkrankt, teilteHam-
burgs JustizsenatorTill Steffen(Grüne)
am Dienstagmit.Der Mann habe nur
leicht eSymptome und sei in der Einrich-
tung isoliertworden.Kontaktpersonen
wurden identifiziert. Schon ein paarTage
vorher gabeseinen Fall im offenen Voll-
zug. In der Justizvollzugsanstalt Glas-
moor inNorderstedt wurde ein 20 Jahre
alter Gefangener positiv getestet.Zu-
nächs tzeigteerkeine Symptome, er istin
seinem Haftraum in Quarantäne.Auchin
Berlin sollen sichzunächstdie Ärzteund
Pfleger in den Anstalten selbstumVer-
dachtsfälle und Infizierte in eigenen Iso-
lierstationenkümmern. Erst wenn es zu
einem schwerenVerlauf kommt, würde
man einen Infizierteninein allgemeines
Krankenhaus bringen.
AufwelchemWegdas VirusinHam-
burghinter die Mauerngekommen ist,
weiß man nochnicht, vielleichtwirdman
es nie wissen. Gefängnisse sind mit der
Außenwelt verbunden, jedenTagöffnen
sichdie Tore hundertfach. Beamtekom-
men zur Arbeit,gehen wieder,Lieferan-
tenfahren auf das Gelände, Therapeuten
und Seelsorgerkommen,Rechtsanwälte
und Besucher.„Wirsind sehrvorsorglich,
da wir nicht wissen, inwelcher Intensität

die Infektionswelle auf denVollzug durch-
schlagen wird“, sagt SteffenimGespräch.
Die Angstist da. In Hamburgspricht man
sehr offendarüber.Damit die Lageruhig
bleibt, hatteman in Hessen sogar erwo-
gen, über Infektionsfälle im Gefängnis
nicht öffentlich zu berichten. Dochdie
Häftling emachenmittlerweile eine Artei-
gene Pressearbeit, dasweiß man auchin
den Justizministerien. Bevoralso Gerüch-
te ins Kraut schießen, will man doch lie-
ber selbstkommunizieren.
Für diedeutschlandweitrund 66 000
Häftlingebedeutet die Corona-Krise eine
Einschränkung jenerFreiheiten, die es
auchinnerhalb des Gefängnisses gibt. Es
geht in erster Linie um den Schutz ihrer
Gesundheit.Schließlichhaben überdurch-
schnittlichviele Strafgefangene Vorer-
krankungen, eine Suchtvergangenheit
oder ausanderenGründe nein geschwäch-
tesImmunsystem. Selbstbei denrund
300 Gefangenen in der Jugendhaftanstalt
Berlingelten 15 jungeMänner als Risiko-
patienten. Ziel sei es, dieWege,auf denen
das Virusins Gefängnisgelangenkann,
zu reduzieren, sagt JustizsenatorSteffen.
Hier wurden in denvergangenenWochen
die Schrauben angezogen. In den meisten
Bundesländernwaren Besuche bis vor
kurz em nocherlaubt, allerdings seltener
und unter strengen Voraussetzungen.
Dochmit denFreiheitseinschränkungen
für alle Bürgergab es auchinden Gefäng-
nissen neueRegeln. Nundürfendie Häft-
lingeinganz Deutschland praktischkeine
Besucher mehrempfangen –weder Fami-
lienangehörigenochFreunde. In Berlin
gilt seit Mittwochein Besuchsverbotfür
alle Haftanstalten. Die Gefangenen hät-
tendas mitVerständnis aufgenommen,
sagt Anstaltsleiter Borchert.

In dringendenFällen können die An-
staltsleitungen eineAusnahme machen.
Wann ein solcherFall vorliegt, will man in
den Justizbehörden lieber nicht öffentlich
sagen. Das würde die falschen Anreize
schaf fen, heißt es.Rechtsanwältedürfen
ihreMandanten aberweiter besuchen.Vie-
le Gefängnisse haben dafür in den Be-
suchsräumen Trennscheiben aufgestellt.
Auch Freigängeund andereVollzugslocke-
rungensindderzeitnichterlaubt,einher-
ber Einschnitt für die Gefangenen.Von
den jungen Männern, die im offenen Voll-
zug sind, dürfeninder Jugendhaftanstalt
Berlin nur nochjene die Einrichtungver-
lassen, die nocheinen Ausbildungs- oder
Arbeitsplatz haben. Bei mehr als der Hälf-
te haben aber die Betriebewegender Co-
rona-Krise schon dichtgemacht.Hinter
den Mauernkönnen die Gefangenen noch
alle zweiTage zur Arbeitgehen, die Grup-
pen in den Werkbetrieben wurden auf
acht Mannverkleinert.
Diegrößt eGefahr,das Coronavi rus
einzuschleppen,stellen aber die Bediens-
teten in denGefängnissendar.Dienstbe-
sprechungenfinden deshalbseltenerund
in derRegelnur zu zweitstatt, vieles
wirdüber E-Mailsgeklär t. Zudembauen
Anstalten Personalreservenauf, für den
Fall, dass Bediensteteinfiziertwerden.
Da einigeTätigkeiten wieetwa Besucher-
kontrollenwegfallen, seiesmöglich,
dass einTeil der MitarbeiterÜberstun-
den abbaue oderUrlaub nehme,aber für
den Notfall bereitstehe, sagt der Berliner
Anstaltslei terBorchert.
Damitdie Stimmung den Gefängnis-
sen nicht kippt, bemühensichviele An-
stalten,den Häftlingen das Leben an an-
dererStellezuerleichtern. Die Bilder
vonden gewaltsamen Ausschreitungen
in 27 italienischen Haftanstalten sind

Warnung genug. EinheitlicheVorgaben
gibt es hier nicht.Häftlin ge dürfenöfter
telefonieren,teils auchVideotelefoniebe-
nutzen, um ihreAngehörigen zu sehen.
In der Jugendstrafanstalt Berlinetwa wer-
denvier Skype-Plätze eingerichtet. Auch
wird dortderzeit davonabgesehen,Ver-
stöße gegendie Anstaltsregeln mitFern-
sehverbotzuahnden.Zum Teil werden
die Gefangenengroßzügiger mit Zigaret-
tenund anderenLuxusgüternversorgt.
Das kann auchhelfen ,einenVerdienst-
ausfall zukompensieren: In vielen Anstal-
tenwirddie Arbeit inden Werkbetrieben
herunter gefahren, dennauchWerkleiter
undAusbilderkönnten das Virus hinter
die Gefängnismauern bringen. Nicht
überall erhaltendie Gefangenenweiter
ihrenMonatslohn.InBerli nwirderden
Inhaftierten allerdingsvollausgezahlt,
auch wenn sie nicht arbeitengehen kön-
nen. Fürdie 15 0und 300 Euro–fürVoll-
zeit –können sie sich dannweiter Ziga-
rettenoder Süßigkeiten kaufen, die ih-
nensonstauch vonBesuchernmitge-
bracht oderfinanziertwurden.
Die angespannteLagebringt für man-
cheverurteilteStraftäterauch Vorteile.
DieAnstalten brauchen Platz, um Infi-
zier te undVerda chtsfälle isolieren zu
können. Daher haben die meisten Bun-
desländer entschieden, dassTäter ,die zu
kürzeren Freiheitsstrafenverurteiltwur-
den, vorerstauf freiemFußbleibendür-
fen. In Hamburg wirdder Ha ftantritt für
Männer undFrauen, diewegenEigen-
tums- undVermögensdeliktenzuStrafen
biszudrei Jahren Haftverurteiltwurden,
um drei Monate aufgeschoben. Das sind
etwa 50 Fälle.Wer wegenGewalt-,Waf-
fen- und Sexualdelikten oder Organisier-
terKriminalität verurteilt wird, profi-
tier taber nichtvon dieserRegel. Ersatz-

freiheitsstrafen werden vorerstnicht
mehrvollstreckt.Berlin hatsogar 271 In-
haftierte, diewegenErsatzfreiheitsstra-
feneinsaßen, einstweilen auf freienFuß
gesetzt .Oft sin desWohnungslose,die
wegenkörperlicherund psychischer Er-
krankungeneiner hohen medizinischen
Fürsorge bedürfen. Sie wirdjetzt für die
zu er wartenden Corona-Fälle benötigt.
Auch der Jugendarrest wird bis aufweite-
resnicht mehrvollzogen. In Hamburg
wurde zudem bei einemTeil derFreigän-
gerdie Haftstrafeunterbrochen. In Bay-
ernist die Rege letwas strenger: Hier gibt
es den Aufschub nur fürPersonen,die
eine Ersatzfreiheitsstrafe,einen Jugend-
arrest oder eineFreiheitsstrafe bis zu
sechs Monatenverbüßen müssen.
Manches istimGefängnis derzeit sogar
freier als draußen: In der Jugendhaftan-
stalt Berlin hat man daraufverzichtet, den
Sportfür die Gefangenenzuverbieten. An-
staltsleiter Borchert häl tdas fürvertret-
bar,weil immer überprüfbar sei,weranwe-
send war. „Eine Haftanstalt is teine Art
Kosmos für sich.Wirkönnen hier deshalb
gut nachvollziehen,wermit wemKontakt
hatte“. Ein paar positiveMomentefür den
Alltag der Anstalt sieht er bei aller An-
spannung.Sowird, weil keine Besucher
mehrkommen,weniger Rauschgiftins Ge-
fängnisgeschmuggelt.Und auchdie Zahl
der „Überwürfe“, wenn vondraußenetwa
Drogenpäckchen über die Gefängnismau-
erngeworfenwerden, habestarkabge-
nommen, sagt der Anstaltsleiter.
Borchertversucht trotzdes Krisenma-
nagements Präsenz in der Anstalt zu zei-
gen,besuchtWerkbetriebeundWohngrup-
pen. DieInhaftierten solle nsehen, die Lei-
tung istnochdaund kümmertsich. Er
sagt: „DasWichtigste ist, ein Klima derZu-
versicht aufrechtzuerhalten“.

Abstandzuhalten,fällt hier schwer:Die Justizvollzugsanstalt in Frankfurt-Preungesheim Fotodpa

Prinz muss


man sein


Gesundheitssystem in


Britannien überfordert


VonJochen Buchsteiner,


London


BenötigtwerdenAtemschutzmasken, Kit-
tel, Desinfektionsmittel. DieVorräterei-
chen nur einigeTage, zweiWochen viel-
leicht, höchstens drei.„Wir sindvorberei-
tet, so gut esgeht“, sagt Andreas Haupt. Er
leitet ein Pflegeheim desRotenKreuze sin
Bad Friedrichshallbei Heilbronn in Ba-
den-Württemberg, derzeitsind dort52Per-
sonen untergebracht.Bis Donnerstaghat-
te niemand in dem Heim sichmit Corona
anges teckt, kein Be wohner undkein Pfle-
ger, dochwie schnell dieVorräteschwin-
den, konnteHauptschon beobacht en.
Eine Bewohnerinkamkürzlic haus dem
Krankenhaus zurückins Heim; zweiWo-
chen lang solltesie unter Quarantänege-
stellt werden. „UnserePfleger sind nur mit
Schutzkleidung in ihr Zimmergegangen,
damit sichimFall derFälle niemand an-
stecktund dasVirus sic hnicht im Hausver-
breit et“, sagt Haupt. Dochnachwenigen
Tagenwaren in dem Heim dadurch so vie-
le Atemschutzmaskenverbraucht, dass
man eine andereLösungfinden musste.
Die hochbetagteFrauwurde vorAblauf
der Quarantäne auf dasVirusgetestet,
zum Glücknegativ ,sokonntedas Heiman
der wichtigen Schutzausrüstung sparen.
Wieschlimm eswerdenkann, wenn
sichdas Coronavirus ausgerechnetinei-
nem Pflegeheimausbreitet,also unter al-
tenund of tkranken Menschen, macht die-
ser Tage ein Fall ausWürzburgdeutlich.
Im dortigen Seniorenheim St. Nikolaus
sind schon zehnMenschen nacheinerCo-
rona-Infektiongestorben.Von149 Heim-
bewohnernseien 29 positivgetestet wor-
den, sagteWürzburgs Oberbürgermeister
Christian Schuchardt (CDU) am Mitt-
woch.Erist auchVorsitzender desStif-

tungsrates desWürzburgerBürgerspitals,
zu dem die Einrichtunggehört .Und dasVi-
rusmacht enicht bei den Bewohnernhalt.
Vonden 86 Mitarbeiternseien33positiv
getestet geworden, hieß es. Am Dienstag
habe man mitTestsbegonnen,umdie ge-
samteBelegschaftsowie alle Heimbewoh-
ner in der Einrichtung zu überprüfen, sag-
te Schuchardt.
Noch istunklar,wogenau die Infektion
in dem Heimihren Anfang nahm. In vie-
len LänderndürfenPflegebedürftigekei-
nen Besuchvon Angehörigen mehr bekom-
men, damitdie Infektionsgefahr möglichst
gering bleibt.Esliegt auf der Hand,dass
geradePfleger sichvor demVirusschüt-
zenkönnenmüssen, umes nichtversehent-
lichandie Schwächsteninder Gesell-
schaf tweiterzugeben–einenSicherheits-
abstand kann schließlich niemand einhal-
ten, dessenAufgabe es ist, einen anderen
Menschen zuwaschen und anzuziehen.

Pfleger sind zukurz gekommen
Überal limLand fehlt es an der nötigen
Schutzausrüstung, ein Verteilungskampf
deutet sichan. MehrerePflegeverbände
kritisieren, dassdie PflegeimVergleich
mit Krankenhäusernund niedergelasse-
nen Ärzten bei derAusstattung mit Mas-
ken, Handschuhen und Desinfektionsmit-
telbislang zukurz gekommen sei. Esgebe
Schwierigkeiten bei der Beschaffung und
der Verteilung des Materials, kritisierte
der DeutscheBerufsverband für Pflegebe-
rufe.„Der Schwerpunkt desNachschubs
fürSchutzausrüstung lag offenbar bisher
bei den Krankenhäusernund Arztpraxen.“
Gerade dort,wo mögliche Krankenhaus-

fälle verhindertwerdenkönnten, in der
ambulanten undstationärenLangzeitpfle-
ge,„lässt man die Pflegenden allein und
ohne ausreichende Schutzausstattung“,
rügteder Verband. Die Landesregierun-
genseieninder Pflicht, für ausreichend
Schutzausrüstung zu sorgen. Auch beim
Bundesverband privater Anbieter sozialer
Diensteist ähnliche Kritik zu hören. „Es
istgut und sinnvoll, dassdie Krankenhäu-
ser und die niedergelassenen Ärzte jetzt
die Aufmerksamkeit und Unterstützung
der Politik bekommen“, sagteRalf Geisel,
Landesvorsitzender desVerbands in Hes-
sen.„Wenn aber dieVersorgung der pflege-
bedürftigen und erkrankten Menschen in
den Pflegeheimenund durch die ambulan-
tenDienstezusammenbrechen würde,

wäre jedes nochsogutemedizinischeVer-
sorgungssystem sehr schnellam Ende.“

Hunderttausende in Not?
Auch für ambulanteDienste wirdeswe-
gender Corona-Epidemie immer schwe-
rer, PflegebedürftigezuHause zu betreu-
en. Weil Pflegekräfte aus Osteuropa viel-
fach nicht mehr nachDeutschlandkom-
men, rechnetder Verbandfür häuslicheBe-
treuung und Pflegedamit, dassbis zu
200 000 alteMenschen baldnicht mehr
versorgt seinkönnten. Beim Sozialver-
band VdK geht man von100 000 bis
200 000 Pflegebedürftigen aus, die baldin
Notsind. Nach Ansicht des Münchner Sozi-
alarbeitersund Pflegefachmanns Claus

Fussek is tdie Situation bei den ambulan-
tenPflegedienstennochdramatischer als
in den Heimen. „DiePfleger können sich
nochwenigervoreiner Infektion schützen,
weil sie ständig inverschiedene Haushalte
müssen“,sagt Fussek.Grundsätzlichseien
die Träger in derVerantwortung,ihrPerso-
nal zu schützen. „DabeiarbeitenvielePfle-
gerschon jetzt am Limit.“
Andreas Haupthätteinseinem Pflege-
heiminBad Friedrichshallzwardie Mög-
lichkeit,vorübergehend Alteund Kranke
aufzunehmen, die nicht mehr zu Hause be-
treut werd en können. Dochanstatt zusätz-
liche Plätze anzubieten, musserwegen
neuerrechtlicher Vorgaben sogarwelche
abbauen.„Wirhatten früher 86 Plätze und
müssen dieseetwa halbieren“, sagter. Lan-
ge Zeit warendie Be wohner inDoppelzim-
mernunter gebracht. Seit einigenMonaten
gebe es in Baden-Württembergaber die
Anforderung, dassDoppelzimmer mindes-
tens 22 Quadratmetergroßsein müssen –
dieZimmerinBad Friedrichshallsind
abernur 19 Quadratmetergroß. „Wenn es
im ambulantenBereichwegen Corona zu
einemNotstand kommt, könnten wir Pfle-
gebedürftigeübernehmen, aber wir dürf-
tenesnicht“, sagtHaupt. Zu gleichbeschäf-
tigt auch ihn und seine Mitarbeiter,dass
dieEpidemieeines Tagesindem kleinen
Heimbei Heilbronn ankommenkönnte.
„EineKollegin hat das psychisch nicht ge-
schaf ft,die haben wir erst mal nachHause
geschickt“, sagt Haupt. Das RoteKreuz im
Raum Heilbronn hat schonvoreinigenTa-
genverfügt,dassHeime keine neuenSenio-
renmehr aufnehmen dürfen; auchdie am-
bulanten DiensteimKreis schließenkeine
neuenVersorgungsverträgemehr ab.

Das Virushinter den Mauern


Besuchenverboten:Altenpflegeheim inFrankfurt FotoFrank Röth

Ein Notstand dramatischen Ausmaßes


Pflegebedürftigehaben bei einer Infektion eingroßes Risiko. Dochgerade in Heimenfehlt es oftanSchutzausrüstung /VonKim BjörnBecker


Auch Gefängnisse


kämpfenmit Co rona.


Fürdie Hä ftlinge


bedeutet das herbe


Eins chnitt e–und


manche nVorteil.


VonHelene Bubrowski


und MarkusWehner,


Berlin

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