Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

SEITE 32·FREITAG,27. MÄRZ 2020·NR.74 Sport FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


Am 30. Juni endetdie Anstellung des be-
gabten FußballtorwartsAlexander Nübel
beim FC Schalke04, und niemandkann
ihm verdenken, dasserdiesen Tagherbei-
sehnt, nachall den Schmähungen, die er
fürseinengeplantenWechsel zum FC Bay-
ernMünchen erfahren hat.Was aber,
wenn die Bundesliga-Saisonwegender
derzeitigen Zwangspause zur Coronavi-
rus-Bekämpfung über den 30. Juni hinaus
verlänger twird? Dann sollten Spieler wie
Nübel entgegen ihrervertraglichen Situati-
on bis zumtatsächlichen Saisonende bei
ihrem aktuellenVerein bleiben, empfiehlt
der WeltverbandFifa.
Das geht aus einem alsvertraulic hde-
klariertenelfseitigen Arbeitspapier der
Fifa hervor, das dieserZeitung vorliegt.Öf-
fentlich hat sichdie Fifa nochnicht dazu
geäußert, wie dieProfiklubs mitden recht-
lichen Problemen umgehen sollten, die
eine Verlängerung der Saison über den 30.
Juni hinaus mit sichbringen würde. Der


  1. Juni istsolchein einschneidendes Da-


tum, weil Spielerverträge in dengroßen
Fußball-Ligen grundsätzlich an diesem
Stichtagenden.Würde die Bundesliga-Sai-
son in der derzeitigenAusnahmesituation
zum Beispiel bis 15. Juliverlängert,könn-
te theoretischein abstiegsgefährdeter
Klub vom1.Juli an für die entscheiden-
den beiden letzten Spieltagekurzfristig
mehrereProfisverpflichten, derenKon-
trakt bei derKonkur renz am 30. Juni ab-
lief. Oder ein Klub bezahltevom 1. Juli an
trotzfortlaufender Saison die Profis nicht
mehr,deren Vertrag abgelaufen ist.
In ihrem Arbeitspapierargumentiert
die Fifa,dasses„die wahreAbsicht“ eines
Profivertrags sei, einen SpielervomAn-
fang bis zum Ende einer Saisonaneinen
Klub zu binden. Deshalbsollten in diesem
Geiste die Verträgebis zum tatsächlichen
Saisonendeverlänger twerden. Die tradi-
tionell am 1. Juli beginnendeTransferperi-
ode, in der Spieler denVerein wechseln
dürfen, solltedann ebenfalls dem improvi-
sierten Saisonende angepasst werden und

„nicht länger als 16Wochen dauern“. Mit
dem geheimen Arbeitspapier will dieFifa
offenbar globale Richtlinien erarbeiten.
Denn sie fürchtet, dassessonstzuwilden
Zuständenkommt, bei denen inverschie-

denen Ligen „drastischunterschiedliche“
Regeln gelten und mancheVereine oder
Spieler dierechtliche Grauzone ausnut-
zen. Schon jetzt,warntetwader Präsident
des italienischen Drittligaklubs FC Südti-
rol, Walter Baumgartner,würdenchro-

nischschlecht wirtschaftende unterklassi-
ge Profiklubs „das Coronavirus alsVor-
wand nutzen, ihreSpieler nicht mehr zu
bezahlen“.
In dem Fifa-Papier wird allerdings
auch deutlich, dassder Weltverbandsich
nicht in der Lage sieht, rechtlichbinden-
de Sonderregeln anzuordnen.Man kön-
ne nur „Leitlinienund Empfehlungen“
aussprechen. Läuftdie Saisontatsächlich
über den30. Junihinaus, wirdesam
Ende auf den gutenWillenaller Beteilig-
tenhinauslaufen, sie nach impr ovisier-
ten, einheitlichen Regeln zu Ende zu spie-
len.Dieses Maßund dieseVernunftlas-
sendie Bundesligaspieler bereitsbei den
angedachtenGehaltskürzungen erken-
nen. Es istkein Fall bekannt, dass sich
ein Profiden Kürzungen bis zum Saison-
ende widersetzt hätte.NachInformatio-
nendieser Zeitung aus Kreisender Spie-
lerberater haben die meisten Bundesliga-
klubsmit ihren Profis Kürzungen in
Höhevon30Prozentvereinbart.

Die Spielerberater selbstwerdenwohl
vonder drohendenFinanzkrise des Profi-
fußballs mitamheftigstengetroffen wer-
den. 590 Millionen Euroverdienten Bera-
ternachAngabender Fifa im Jahr 2019
weltweit,inder Öffentlichkeit werden
sie gernepauschal al süberbezahltabge-
wertet.Die Honorarefür die Beraterwer-
deninder Regelvon denBundesliga-
klubsinhalbjährlichenTranchen ange-
wiesen, im Märzwäredie nächste Zah-
lung fällig.Fastalle Klubsverschieben
dieseÜberweisungen auf unbestimmte
Zeit un dkündig tenan, nur mitAbschlag
zahlen zukönnen.Gemessen daran, da ss
sichdie großen Gewinne in derBerater-
branche aufwenigeAgenturenkonzen-
trieren und mindestens die Hälfteder
400 deutschen Berater nichtmehrver-
dientals lei tende Angestellte, istmit ei-
nem absurd anmu tenden,aber ernsten
Szenario zu rechnen: Spielerberater,die
staatliche Hilfefür Kleinstunternehmer
beantragen.

Muss
AlexanderNübel
bis zum
tatsächlichen
Saisonende
bei Schalke04
bleiben?
Foto Reuters

S


ind 20 Millionen EuroSolida-
ritätsabgabe der vier deut-
schen Champions-League-
Klubs viel? Oder sind gut 1,25Pro-
zentdes Jahresumsatzesvonmehr
als 1,6 Milliarden Euro, den Bayern
München, Borussia Dortmund, RB
Leipzig und BayerLeverkusen kumu-
liert erwirtschaften, wenig? Das
durch die Einnahmen aus der Cham-
pions League begünstigte Quartett
hat am Mittwochein Zeichen ge-
setzt.Eswill7,5MillionenEuroSo-
forthilfenotleidenden Klubsder ers-
tenund zweiten Bundesligazur Ver-
fügungstellen sowie auf die ihnen zu-
sammen zustehenden 12,5 Millionen
EuroanEinnahmen aus den ausste-
henden nationalen Medienerlösen
dieser Spielzeit zugunstendieser Ver-
eineverzi chten—so die Saison denn
fortgesetzt wird.
Istdieser Beitrag derStärkstenin

derLiganun einegroße Wohltat?
1,25Prozent des Jahresumsatzes wir-
kenauf den ersten Blickein wenig
mickrig. Aber auchBayernMünchen
oder BorussiaDortmund, derenAk-
tiesichlangsam wiedererholt nach
tagelangemKurssturz, leiden unter
derCorona-Kriseund müssenmit
Verlustenrechnen, die selbs tden
Liga-Riesen zusetzenwerden. Die
umsatzstärkstenKlubs erleiden die
größtenUmsatzverluste.Deshalb ist
die Solidaritätsaktion ein bemer-
kenswertesZeichen, nachdem in
denerstenTagen Aussagen von
BVB-Geschäftsführer Watzkenoch
denEindruck hinterlassen hatten,
alsobden Branchenführern die Mit-
bewerber reichli ch egal wären.
Bei den 34 Klubs der Ersten und
Zweiten Bundesligadürftedas Zei-
chen der Solidaritätvom Mittwoch
angekommen sein. Es geht also
doch. Siewerden auf denvonallen
Größender Branche beschworenen
Zusammenhalt als Kitt des Ligabe-
triebs nachder Krise zurückkom-
men, auf ein länger schwelendes The-
ma: Die Bundesligavereine unter-
halb derStammgäste in der Eliteklas-
se fordernschon seitgeraumerZeit,
dasssie stärkeranteiligvonden enor-
men Gewinnen profitierenwollen,
die der internationaleWettbewerb
Bayern München und Co. in dieKas-
sen spült.Ihr Argument:Ohne die
Bundesligawären dieVereine dort
garnicht konkur renzfähig. Bayern,
BVBund RB Leipzig müssten des-
halbauchein Eigeninteresse daran
haben, dass die Bundesliga-Gegner
nochals Sparringspartner taugen
vorden Duellen auf dergroßen Büh-
ne mit Liverpool,Real Madrid oder
ParisSaint-Germain. DieKonkur-
renzfähigkeit istimmerstärkerin Ge-
fahr,dadie Einnahmenscherezu-
letzt immerweiter auseinanderging.
Das Hilfspaket in Höhevon20Millio-
nen Eurokönnteinden kommenden
Wochen fü rmanchen Klubexistenz-
sichernd wirken. Er st nachder Krise
aberwirdsichweisen, ob der Solida-
ritätsgedanke überlebt.

Ein Zeichen


der Großen


VonDaniel Meuren

E


swirdviel gezockt in diesenTa-
gen. Seit im echten Leben auf-
grund derPandemiekein Ball
mehrrollt und jedeTurnhalle
verschlossen bleibt,flüchten sichhierzu-
lande immer mehr Sportlerinnen und
Sportler sowie ihreAnhänger in virtuelle
Welten undfahren digitaleRennen, schie-
ßen in animiertenStadien aufTore oder
tauchen direkt inFantasy-Szenarien mit
Zauberern, Gnomen und Drachen ab. Seit
mehr als einerWochemeldenStreaming-
dienste,Gaming-Plattformen undVeran-
stalter sogenannter „E-Sport“-Turniere
Tagfür Tagneue Teilnehmer-und Zu-
schauerrekorde–und nun beteiligen sich
auchinsgesamt 26 Klubs der Ersten und
ZweitenFußball-Bundesligamit einigen
ihrer Starsamneuen Gaming-Boom. An
den kommenden beiden Wochenenden
veranstaltet die Deutsche Fußball Liga
(DFL) die sogenannte„BundesligaHome
Challenge“, bei der an den Samstagenund
Sonntagen jeweils von15.30 Uhr an je ein
Fußballprofisowie zumeistein Gamer
des Klubs in derFußball-Simulation „Fifa
20“ gemeinsamgege ndie beidenVertre-
tereines anderenVereins an der Spielkon-
sole antreten. So spielen beiWerder Bre-
men BundesligaprofiMaxi Eggestein und
der aktuelle deutsche „Fifa“-MeisterMi-
chael Bittner zusammen. Zweitliga-Tabel-
lenführer Arminia Bielefeld schickt dage-
genmit AndreasVoglsammer und Marcel
Hartelgleichzwei„echte“Fußballspieler
auf den virtuellenRasen. Undbei Borus-
sia Dortmund hatteMats Hummels schon
voreinigenTagenvia Twitter großes Inter-
esse an einerTeilnahme bekundet, ob-
wohl er eigentlich„kein guterZocker“ sei.

Übertragenwerden die insgesamt drei-
zehn und jeweils 25 Minuten dauernden
Partien an diesem Samstagund Sonntag
kostenlos auf demYoutube-Kanal dervon
der DFL ausgerichteten „Virtual Bundesli-
ga“, deren ursprünglichfür diesesWo-
chenendevor„realen“ Zuschauerngeplan-
tesFinale schonvordreiWochen abge-
sagt worden is t.
Zwar dürften die Zuschauerzahlenbei
den virtuellenPartien sehr vielgeringer
sein als an einem üblichen Bundesliga-
Spieltag, doch istesl aut denAussagen des

Sportpsychologen Oliver Stoll in der
„Frankfurter Allgemeinen Sonntagszei-
tung“ (22. März) in der derzeitigenAus-
nahmesituation nur normal und allzuver-
ständlich, dasssichSportler und Sportfans
aller Couleur nun zum Gaming hingezo-
genfühlten. Zwar ermüde durch exzessi-
vesGaming das Gehirndeutlichschneller,
und auf Dauerverkra mpften vorallem bei
Amateuren Oberkörper,Nackenund Un-
terarme. Dochkönnten sicheben auchin
der virtuellen Arena echteEmotionen er-
lebenlassen undAdre nalin und Endorphi-

ne ausgeschüttet werden. „Games sind in
dieser herausforderndenZeit besonders
wertvoll“, sagt auchFelix Falk,der Ge-
schäftsführer des Branchenverbandes
„Game“.AusgefalleneFußballspiele oder
Formel-1-Rennen virtuell nachzuholen,
böte die Möglichkeit, „mitFamilien und
Freunden den Alltag hinter sichzulassen,
in Kontakt zu bleiben und einfachgemein-
sam Spaß zu haben“.
Das ausgeweitete Gaming-Engagement
istdabei längst nicht aufFußballvereine be-
grenzt: Au ch derBasketball-Bundesliga-
klub RatiopharmUlm ha tangekündigt, je-
desausgef allen eSpiel deraktuellenSaison
zumgleichen Zeitpunktander Konsolezu
simulierenund liv eimInternetzuübertra-
gen. Undinder Formel 1–inder jedes
Team bereitsseit 2017 dazuverpfl icht et
ist, Gaming-Profis unterVertragzu haben
–wirdschon seit demvergangenenWo-
chenende jederGrand Prix, dernicht auf
demAsphal tausgetragenwerden kann,
aufder virtuellenRennstreck egefah ren–
mitsamtLive- Kommentar auseinemei-
gens dafür hergeri chtetenStudio in Lon-
donsowie Schalten zuregelmäßigteilneh-
mendenFormel-1-F ahrernwie MaxVer-
stappen oderLando Norris.Dazu kommt
eineonline ausgetragene MotoGP-WMder
Motorradrennfahrer sowieein weltweit
übertragenesBox-Turnier,bei de msich
Zeit undRaum soverdichten, dass sogar
dieanimie rten BoxlegendenMuhammad
Aliund EvanderHolyfieldimdigitalen
Ring gegeneinanderantrete nkönnen.Im
virtuelle nRaum istebenfastallesmögli ch.
Dochbei allerFreude über hoheZu-
schauerzahlen im Livestream und deut-
lichgestiegeneTeilnehmerzahlenbei On-

line-Turnieren für Gaming-Amateure
mussOrganisatoren undUnterstützern
des „E-Sports“ klar sein, dassdas digitale
Duell für viele Menschen derzeit zwar
willkommene Zerstreuung bietet, aber
kein dauerhafterErsatz für den Besuch
im Stadion oder den eigenenVersuch, am
Wochenende als Handball-Kreisläufer,
Eishockey-Torwartoder Leichtathletik-
Zehnkämpfer zuglänzen, seinkann. Um
mit etwa smehr als nur demZeitvertreib
zu dienen,gehen dieFußballklubs Hanno-
ver96und Waldhof Mannheim daher
nocheinen Schrittweiter .Soverans taltet
der Zweitligaklub Hannover96andiesem
Freitag mit dem „#Stayathome-Cup“ ein
Online-Turnier,andem Fans für eine Ge-
bühr vonfünf Euroteilnehmen undgegen
einigeder Fußball- und Gaming-Profis
der Hannoveraner antreten können, und
spendetden Erlös desTurniersandie Ca-
ritas. Unddie „E-Sportler“ des Drittliga-
vereins aus Mannheim wollen gardie
komplette Saison online zu Ende spielen
und Fans dazu animieren, sichdafür Ein-
trittskarteninHöhe vomsymbolischen
Eurobis zu Vip-Tick etsfür 100 Eurozu
kaufen. Die Einnahmen sollen zu je ei-
nem Drittel auf das eigeneKontoder
Mannheimer,andie übrigenVereine der
dritten Ligasowie als Spende an dieWelt-
gesundheitsorganisationWHO gehen.
„Das isteine symbolische Geschichte, da
geht es um Solidarität“, sagteWaldhof-
Geschäftsführer Markus Komppder Deut-
schen Presse-Agentur. Denn bei aller
Freude, über die digitalen Möglichkeiten
mit seinenFans in Kontakt zu bleiben: Es
istund bleibt für viele Klubsvorersteine
sehr schwierigeund prekäreSituation.

Der Ball rollt wieder –virtuell

Fastwie im richtigen Leben–die „Virtual Bundesliga“ Fotos PictureAlliance

EinStar des E-Gamings:
Michael „MegaBit“ Bittner

sid. FRANKFURT. DieDeutsche
Fußball-Liga(DFL) hat mitgroßer
Dankbarkeit auf diegemeinsame Soli-
daraktionvonBayernMünchen, Bo-
russia Dortmund, RB Leipzig und
BayerLeverkusen reagiert. „Diese
Aktion unterstreicht, dassSolidarität
in der Bundesligaund Zweiten Bun-
desligakein Lippenbekenntnis ist“,
sagteDFL-Chef Christian Seifert:
„Das DFL-Präsidium istden vier
Champions-League-Teilnehmern
sehr dankbar imSinne der Gemein-
schaf taller Klubs.“ Das Quartett
zahlt insgesamt 20 Millionen Euroin
einenTopf ein, der „invonder Coro-
na-Krise ausgelösten Härtefällen
Klubs der Bundesligaund Zweiten
Bundesliga“ helfen soll. 12,5 Millio-
nen Eurodavonsind noch nichtver-
teilteMedienerlöse, auf dieverzich-
tetwird. 7,5 Millionen Eurosteuern
die Klubs selbstbei. Über dieVertei-
lung entscheidetdas DFL-Präsidium.

VirusbedingteVerlängerung


Die Fifa will Spielerverträgebis zumrealen Saisonendeweiterlaufen lassen /VonRonaldReng, München


DFL „dankbar“


fürSolidarität


Anstoßum15.30Uhr:


Auch echteFußballstars


beteiligen sicham


Gaming-Boom. Die


digitalen Duelle sind für


viele Menschen eine


willkommene


Zerstreuung,aber kein


Ersatz für den Besuch


im Stadion.


VonSebastianReuter,


Frankfurt


Die Solidaritätsleistung
der großen Bundesliga-
klubs wirkt auf den
ersten Blickmickrig.
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