Frankfurter Allgemeine Zeitung - 27.03.2020

(Greg DeLong) #1

SEITE 6·FREITAG,27. MÄRZ2020·NR.74 Politik FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG


In Iranflacht sichzwardie Kurveder In-
fektionen mit dem neuartigen Coronavi-
rusund derTodeszahlen ab. Dennoch
gibt dieFührung des Landeskeine Ent-
warnung. Präsident HasanRohaniwarnt
seine LandsleuteimGegenteilvoreiner
zweiten Infektionswelle. Denn zum irani-
schenNeujahrsfestam21. März,Nouruz,
sind viele Iraner trotzder Epidemie im
ganzen Landverreist. Nichtgefruchtet
ha ttedie Warnung der Gesundheitsbehör-
den, in diesem Jahr aufReisen, die sie
eine „Einladung an denTod“ nannten,
dochzuverzichten. Gegenwärtig kehren
daheretwa vier Millionen Menschen aus
den Regionen mit den höchstenInfekti-
onszahlen in dieStädte zurück, in denen
sie wohnen.Zudem sind viele Iraner,die
zum 21. Märznicht verreistsind, wie in je-
de mJahr erst eine Wochenachdem Feier-
taginihren Neujahrsurlaubgestartet. Da-
her forderte die Regierung nun alle, die
anlässlichdes Neujahrsfeiertags verreist
sind, eindringlichauf, umgehend in ihre
Städte zurückkehren und auf demRück-
wegkeinen Halt einzulegen.
Um vonder er warteten zweiten Infekti-
onswelle nicht überrollt zuwerden, hat
die Regierung zudem angeordnet, dass
niemand mehrTeheranverlassen darf.
Der Verkehr zwischen denStädten soll
eingestellt werden.Einwohnerder Haupt-
stadt begrüßen die Entscheidung, kritisie-
renaber,dasssie zu spät erfolge. DieRe-
gierung appelliertanalle, zu Hause zu
bleiben. Kritisiertwirddie Regierung je-
dochdafür,dasssie besondersbetroffene
Städte wie Qomweiterhin nicht unter
Quarantänestelle und auchnicht den
Ausfall vonEinnahmenund Einkommen
kompensiere. PräsidentRohani sagt, der
Staat verfügenicht über die Mittel und In-
strumente, um eineStadt zuversorgen,
die unter Quarantänesteht.
Die Regierung hatteeslangeabgelehnt,
die Schließung der Einkaufszentren und
Bürokomplexe anzuordnen. Seit Dienstag
sind sie nungeschlossen, nicht alle halten
sichjedochdaran. Ohne Einnahmenkönn-
tensie ihr eMieten nicht bezahlen und
ihreFamilien nicht ernähren, sagen die Be-
treiber.Denn nur diewenigstenIraner ver-
fügen über Ersparnisse ,umeinen vorüber-

gehenden Einnahmeausfall zu überste-
hen. IhrerFrustration über dieRegierung
lassen sie amTelefon freien Lauf.
Verbittertberichten sie auchdarüber,
wie schwierig es ist, sichtestenzulassen,
selbstwenn die Symptome einer Infekti-
on vorliegen und eineUntersuchung der
Lungeden Verdacht erhärtet. Viele Pa-
tienten würden mit der Auflagenach
Hausgeschickt, sichdortinQuarantäne
zu begeben.Als gesichertgilt daher,dass
die tatsächlichenZahlen weit über denen
liegen, die dieRegierung inTeheran be-
kanntgibt.Demnachwären bislang ledig-
lich29406 Personen mit demVirusinfi-
ziertund 2234 Menschenander Lungen-
krankheit Covid-19gestorben. Diesen of-
fiziellenZahlen zufolgeist Iran das nach
Italien, Chinaund Spanien amstärksten
betroffene Land.
Aber auchdas Misstrauengegenüber
Krankenhäusernist groß. NachAngaben
der Regierung haben sich40Prozent aller
Infizierteninden Krankenhäusernange-
steckt .Vor allem in den ersten beidenWo-
chen der Krise, also MitteFebruar,wur-
den in den KrankenhäusernÄrzte und
Krankenschwestern aus Mangel an
Schutzkleidung infiziertund starben. Be-
reits nachwenigenTagenseien in Kran-
kenhäusernDesinfektionsmittel, Schutz-
kleidung, notwendigeGeräteund Medika-
menteausgegangen. Iran produziert zwar
70 Prozent der benötigten Arzneimittel
selbst. Der Rest mussimportier twerden,
wasaufgrund der amerikanischen Sank-
tionen jedochschwierigoder garnicht
möglichist.
Für den Zustand des Gesundheitssys-
tems macht dasRegime die Sanktionen
verantwortlich.Viele Iraner halten das
für glaubwürdig, da sie dieFolgen der
Sanktionen selbstspüren. So istdie irani-
sche Wirtschaftsleistung imvergangenen
Jahr nachAngaben des IWF um zehn Pro-
zent geschrumpft, der Rial hat 50 Prozent
an Wert verloren, und die Inflationstieg
auf mehr als 40 Prozent.Kaum verändert
haben sichjedochdie Gehälter.Wenn das
Virusheutedie Iraner trifft,sind sie
schlechter ernährt, ihr Immunsystem ist
schwächer,und für viele istzu teuer ge-
worden, sichmedizinischbehandeln zu
lassen.
Rohani äußertesichamDonnerstag po-
sitiv über dieAussicht, dassdie Sanktio-
nen gelockert werden könnten, um das
Coronavirus zu bekämpfen. Die amerika-
nischeRegierung behauptet, die Sanktio-
nen erlaubten die Lieferung medizini-
scher und humanitärer Güter.Die Ban-
kensind jedochaus Furcht vornegativen
Folgen auf dem amerikanischen Markt
dennochnicht bereit, solche Lieferungen
zu finanzieren,waszueiner Knappheit
bei Gerätengeführthat, die nun zur Be-
kämpfung desVirusbenötigtwerden.
Auch auf andereArthabendie Sanktio-
nen zurAusbreitung desVirusinIranbei-
getragen. EineFolgeder Strafmaßnah-
men ist, dassIranmit keinen anderen
Land so engverbunden istwie mit China.
Die meistenPassagierflügehat Iran mit
China.Zu Beginn der Corona-Krise nah-
men chinesischeTeams nochanSport-
wettbewerben in Iranteil, etwa in Rascht
am Kaspischen Meer.Rascht isteine der
am stärkstenbetroffenen Städte. Ihre Be-
wohner machen für dieVerbreitung auch
zurückkehrende Pilger aus dem Wall-
fahrtsortQom und dieParlamentswahl
am 14.Februarverantwortlich. An jenem
Taggab dieRegierung, die dasVirusnoch
bis zumVortag geleugnethatte, den ers-
tenCorona-Totenaus Qom bekannt.
Auch an diesemFreitag finden in Irankei-
ne Freitagsgebete st att, selbstnicht an
den beiden wichtigstenWallfahrtsorten
Qom und Maschhad.

Corona-Helden
Die Berufswelt ordnetsichneu:nach
Relevanz –und Infektionsgefahr

MORGEN IN


BERUF UND CHANCE


Nur30Stunden zur Ausreise
Wiedas neueVirusStudienpläne im
Auslandverhagelt

Für Malis PremierministerBoubou Cissé
geht es um nichts weniger als „dasÜberle-
bender Nation“. Am Sonntag soll in dem
westafrikanischenStaat mit seinen knapp
20 Millionen Einwohnernein neuesParla-
mentgewä hlt werden. Businessas usual
trotzTerrorund Corona? Zweifel am
Sinn wischen Präsident und Premier bei-
seite. Dabei deutenUmfragen auf eine
Wahlbeteiligungvongerade einmal 20
Prozent hin.
Die Menschen haben Angstvor den Isla-
misten, und sie haben Angstvor dem Coro-
navirus. Lange Zeit warMali eines derwe-
nigen Länderweltweit ohne einen einzi-
genbestätigtenFall vonSars-CoV-2. Am
vergangenen Mittwochwurden die ersten
beidenFälle gemeldet. Auchwenn dieoffi-
ziellenZahlenin Afrik aimmer nochnied-
rigsind –auf demgesamtenKontinent
wurden bislangrund 2700Fälle registriert
–, wirkendie apokalyptischen Bilder aus
Europa.Wenn am Sonntag in Malige-
wählt wird,werden die meistenMenschen
wohl in ihren Häusernbleiben.
Wieviele andere afrikanische Länder
hat Mali imKampfgegen das Coronavirus
nun eine nächtlicheAusgangssperre ver-
hängt .Das Wirtschaftslebenindem bitter-
armenStaat is tzum Erliegengekommen.
Die Bevölkerung treffendie Maßnahmen
hart. Das Durchschnittseinkommen liegt
bei etwasmehr als 900 Dollar im Jahr.

WeiteTeile des Landeswerden vonBandi-
ten, Stammesmilizen oder Dschihadisten
kontrolliert. Mehr als 215 000 Binnen-
flüchtlingeirren durch das Land. Gerade
in letzterZeit häufen sichislamistische
Angriffe. EinZusammenbruchder ohne-
hin schwachen Wirtschaf tkönntedas
Land vollends in denAbgrund stürzen, be-
fürchtenBeobachter.
Aufgrund mangelnderTestskönntedas
Coronavirus in Afrikaschon weiter ver-
breit et sein, als die offiziellenZahlen es na-
helegen. Dennochschrieb der Südafrika-
ner Seán Mfundza Muller in einem vielbe-
acht eten Aufsatzüberdie Maßnahmen,
die jetztgetroffen werden :„DieMedizin
könnteverheerender seinals die Krank-
heit.“Muller istDozent am Publicand En-
vironmental EconomicsResearch Centre
der Universität Johannesburg. „Die Ge-
schichtezeigt, dassErschütterungen der
Wirtschaf tdie Sterblichkeitsrat enach
oben treiben“, so derÖkonom. Erwarnt
vorgewaltsamen sozialenUnruhen und
Hunger undsagt: „AuchArmut tötet.“
In Südafrika,mit 709 bestätigtenCoro-
na-Fällen dasamstärksten betroffene afri-
kanische Land, sollteder „t otale Lock-
down“ um Mitternacht an diesemFreitag
beginnen. Bis zum 16. April dürfendie
Menschen praktischnur nochfür Arztbe-
suche oderEinkäufeauf dieStraße. Mili-
tärpatrouilliert.Die kommendenTagesei-

en entscheidend, sagtePräsident Cyril Ra-
maphosa imFernsehen: „Ohne einschnei-
dendeMaßnahmen wirddie Zahl der Infi-
ziertenschnellsteigen: voneinigen hun-
dertauf Zehntausende,und innerhalbvon
ein paarWochen werdeesHunderttausen-
de sein.“ Das sei „extremgefährlich“ insbe-
sonderefür ein Land wie Südafrika, „in
dem viele Menschen ein durch Tuberkulo-
se und HIV,Armut undUnterernährung
geschwächtes Immunsystem“ hätten.
Auch andereafrikanische Länderrea-
gierten auf die drohende Gefahr heftig. In
Nigeria, einem Land mit 200 Millionen
Einwohnernund bislang 51 bestätigten
Corona-Fällen, breitetsichderzeit das Mi-
litär daraufvor, zur NotInfiziertegewalt-
sam in die Krankenhäuserzut ransportie-
ren. In Vergessenheitgerät, das sder west-
afrikanischeStaat seit Jahren unter einer
Ausbreitung des hämorrhagischen Lassa-
Fiebersleidet. Zwischen 2015 und 2019
stieg dieZahl der mit demtodbringenden
VirusInfizierten starkan, von56imJahr
2015 auf 810 imvergangenen Jahr.Und al-
lein bis MitteMärz2020 wurden bereits
774 neue Lassa-Fällegemeldet, 132 Men-
schenstarben. Mit der Einschränkung des
internationalenReiseverkehrserreichen
nun auchimmerweniger dringend benö-
tigteMedikamenteund Mediziner das
Land. Selbstdie Nothilfe-Expertender
Weltgesundheitsorganisationsitzeninih-

remAfrika-Hauptquartierin Kongo-Braz-
zavillefest.Labormaterialienund Schutz-
kleidungkönnen nichtverteilt werden.
In Ruanda wurde bereits am 22. März
eine Ausgangssperre verhängt.Die Si cher-
heitskräfte in dem diktatorischregierten
Kleinstaat in Ostafrik anehmen die An-
weisungenvonPräsidentPaul Kagame
erns t: Am Mittwochwurden Medienbe-
richten zufolgezweiMenschen erschos-
sen, weil sie dieAusgangssperre verletz-
tenund sichinder Öf fentlichkeit prügel-
ten. Geschlossen hatRuanda auchdie
Grenzen zu denNach barländern. Insbe-
sondereKongo istdavon betroffen. Im Os-
tendes Landes wüten Milizen,gerade
erst konnte eine Ebola-Epidemie beendet
werden. Die Millionenstädte Bukavuund
Goma, die direkt an der Grenze zuRuan-
da liegen, sind abhängigvonLieferungen
aus demNach barland. Dochnun liegt al-
les still. Die Maßnahmen, dieverhängt
wurden, um eineAusbreitung des Corona-
virus einzudämmen, übersteigen jene, die
gegendas weitaus tödlichereEbola-Virus
ergriffenwurden, beiweitem.
Nicht viel besser sieht es inKenia aus.
Derzeitkämpft das ostafrikanische Land
mit einer Heuschreckenplage. Riesige
Schwärme zogen durch das Landund ver-
nichteten die Ernte. Im Moment brüten
die Tieredie dritteGeneration aus. Zu ih-
rerBekämpfung benötigtKenia dringend

Pestizide. Dochnun geht derNachschub
aus. Aufdem Flughafeninder Hauptstadt
Nairobi stehen die MaschinenvonKenya
Airwaysin Reih und Glied. Nichtsgeht
mehr.Nur dann undwann hebt nocheine
Maschinezueinem Inlandsflug ab.
Die TaxifahrerinTriza Mukami, 38 Jah-
re alt, hat ihrenStammplatz am Flughafen
und seitTagenkeinenUmsatz mehr.Es
gibt streng eGesetze inKenia. Demjeni-
gen, der andere mit dem Coronavirus infi-
ziert, drohen umgerechnetrund 260 Euro
Strafeoder drei JahreGefängnis.Fahrer
müssen ihreWagen desinfizieren, sonst
zahlensie umgerechnetrund 350 Euro
Strafe. Doch es gibt keine Kundschaft
mehr.Reisende aus Hochrisikoländern
wie Deutschland dürfenschon seit zwei
Wochen nicht mehr ins Land.Nunhat Ke-
niaseine Bestimmungen auf sämtliche Be-
sucher aus Ländern, in denen es bisher Co-
rona-Fällegab, ausgeweitet.Auchdie Tou-
ristenhotels in denNationalparksoder ent-
lang derKüstesind verwaist.
Nunweiß diealleinerziehendeMutter
Mukami nicht, wie sie ihresieben Jahre
alteTochter ernähren soll.Wenn es gut
läuft,verdientsie im Monat umgerechnet
rund 450 Euro, ungefährdie Hälfte davon
benötigt si efür Miete,Strom undWasser.
„Wir be gehen Selbstmordaus Angst vor
dem Tod“, sagtsie,„hoffentlic hhat dieser
Albtraum baldein Ende.“InKenia istdie

durchschnittlicheLebenserwartung zwi-
sche n1950 und heutevon 41 Jahren auf 67
Jahregestieg en. „Diese Entwicklung ha-
benwir Wohlstand undWachstum zuver-
danken“,sagtMukami, „das alles setzen
wir gerade aufs Spiel.“
Afrik abenötigeeinenStimulusvon 100
Milliarden Dollar,umdie wirtschaftlichen
Folgen derCorona-Pandemie abzufedern,
schätzen dieVereintenNationen.Längst
rufenLänder wieÄthiopien nach einem
Schuldenschnitt. Dassder Kontinent, Hei-
matvon rund zwei Dritteln aller Armen
dieserWelt, in dieRezessiongleitet,gilt
alssicher .ErstAnfang des Monatswardie
Wachstumsprognosevon 3, 2Prozent auf
1,8Prozentnach untenkorrigiertworden.
AfrikasWirtschaf tdürftenoch deutlichtie-
ferfallen.
Im Kampfgebi et Malis haltensichim-
mer nochmehr als 1000 deutsche Soldaten
auf. Sie sindTeil einer UN-Friedensmissi-
on. Im April sollteeigentlichder alle vier
MonatestattfindendeWechsel des Bundes-
wehrkontingentsstattfinden.Erwirdsich
voraussichtlichverzö gern.„Alle Soldaten,
dieneu in Malilanden,verbringen die ers-
tenzweiWochen in Quarantäne“,soder
Bundeswehrsprecher Alexander Gott-
schalk,„dafürziehensie in Chaletsge-
nanntefranzösischeLanghäuser.“ Eine
Aussetzung der Mission sei, immerhin,
nochnicht beabsichtigt.

Kostenloses Probeabo:
0697591-3359; http://www.faz.net/probeabo

A


ndem Tag, als dieVereinig-
tenStaaten wegender Pande-
mie den nationalenNotstand
ausriefen, beschlossen die
VereintenNationen, ihre Büropräsenz
im Hauptquartier am EastRiver in Man-
hattan massiv zureduzieren.Noch war
NewYorknicht das amerikanische Epi-
zentrum des Coronavirus-Ausbruchs,
doch eine ersteDiplomatinvonden Phil-
ippinenwarpositivgetestet worden. Die
StändigeVertretung des Landes wurde
umgehendgeschlossen.VonMitteMärz
an wardie Infektionskrankheit nicht
mehr nur Gegenstand der Beratungen
darüber,wie die UN auf dieglobale Kri-
se reagieren sollten.Nunwar die Krise
im Hauptquartier angekommen.
Ein Großteil des Mitarbeiterstabes
wurde nachHause geschickt.Schon Mit-
te Märzwar nur nochdie Hälfte der
rund 5300 Mitarbeiter im Hauptquartier
präsent.Die anderen arbeiteten im
Homeoffice. Vorallem Übersetzer und
Sicherheitspersonal sind in Bereitschaft
und müssen im Bedarfsfall antreten. Ge-
neralsekretär António Guterresgab die
Losung aus, trotzdes reduziertenMitar-
beiterstabes müssten die UN-Mandate
weiter ausgeführtwerden. Dochwas be-
deutetedas für die Arbeitsweise der UN-
Gremien?

Am Dienstaggab es eine Premiere.
Erstmals in seiner Geschichtetagteder
UN-Sicherheitsrat nicht physisch, son-
derninFormeiner Videokonferenz.Auf
der Tagesordnungstandenvertrauliche
Gespräche über die Monusco-Mission in
Kongo. Da normalerweise die 15 Bot-
schaf terder Mitgliedstaaten des wich-
tigstenUN-Gremiums mit ihren Mitar-
beiternimSitzungssaal erscheinen, sind
schnell mehr als 50 LeuteimRaum,
wenn der Sicherheitsrattagt. Zu gefähr-
lich, befand man. Während westliche
Mitgliedstaaten die Videokonferenzen
als förmliche Sitzungen betrachtenwoll-
ten, die beschlussfähigsind,kam vonrus-
sischer SeiteProtest.Eswar den Chine-
sen, die im Märzden Vorsitz innehaben,
zu verdanken, dassdie Sitzung über-
hauptzustande kam.
Üblicher weise stimmen dieVeto-
MächtePeking und Moskau ihrAbstim-
mungsverhalten ab, um westliche Be-
schlüsse zuverhindern, die sie als Ein-
mischung in innereAngelegenheiten be-
trachten. Womöglichsah sichChina
aber angesichts der Coronavirus-Krise
in besondererVerantwortung. Jedenfalls
sorgt edas Land dafür,dassdie Video-
konferenz zustande kam. Ausrussischer
Sicht handelteessichaber bloß um eine
informelle Sitzung.Wieesunter west-
lichen Diplomaten inNewYorkheißt,
fürchtetMoskauwomöglichManipula-
tionen bei denVideokonferenzen.
Hat Russ land, dem in derVergangen-
heit immer wieder Cyberangriffevorge-
worfen wurden, Angstdavor,Opfer ei-
ner Videomanipulation in einer wichti-
genAbstimmung werden zukönnen?
Oder möchteesdie Krise nur zum An-
lassnehmen, das UN-System, zu dessen
Lähmung es seit Jahren beiträgt,weiter
zu desavouieren?Wegendes russischen
Widerstandes will man nun für die Kri-
senzeit ohne SitzungenimSaal des Si-
cherheitsrates eine ArtUmlaufverfah-
renfür Papiervorlagen erarbeiten.Viele
Mandatsfragenstehen an: Dafur,Nord-
korea, Somalia.

Auch andereUN-Gremienverzichten
derzeit auf physische Tagungen. Die Aus-
schüsse derVollversammlungtagender-
zeit per Video.Andersals im Sicherheits-
ratgibt es hierkeinen politischenStreit.
AufinternationaleKonferenzenanden
UN-Sitzen wirdderzeitgänzlichverzich-
tet. Alle Themenwerden der Bekämp-
fung derPandemie untergeordnet–ganz
gleich, ob Klimaschutz, Frauenrechte
oder Armutsbekämpfung.
Generalsekretär Guterresrief ange-
sichts derPandemie zu einem „weltwei-
tenWaffenstillstand“ auf–ein Appell,
welcher zunächstdie Hilflosigkeit der
VereintenNationenindieser Krise zum
Ausdruc kzubringen schien.Aufden
Philippinen und im Jemengabesaller-
dings ersteSignale, die einwenig Hoff-
nung verbreit eten. DieKommunistische
Partei auf den Philippinen soll ihren be-
waffnetenArm,die „NeueVolksarmee“,
angewiesen haben,eine Feuerpause zu
befolgen.
DieWaffenruh esoll bis zum 15. April
dauern, um schnelle und ungehinderte
medizinischeund wirtschaftliche Hilfe
für die Bevölkerung zu ermöglichen.
Aufden Philippinen wurdenbis Don-
nerstag 707 Corona-In fizierte erfasst,
45 davonsind gestorben. AuchimJe-
men haben dieKonfliktparteien–die je-
menitischeRegierung, die Huthi-Rebel-
len und Saudi-Arabien–den Aufrufge-
lobt.Konkr eteVorschlägezur Befol-
gungeinerWaffenruhe machtejedoch
bisherniemand.
Am Mittwoch stellte GuterresinNew
York einenglobalenNothilfeaufrufvor.
Zielist es, Millionen bedürftigeMen-
schen in Krisenländern vorder Pande-
mie zu schützen. Die Infektionskrank-
heit Covid-19sei eineBedrohung für
die gesamteMenschheit, sagteer. Da-
her müsse diegesamteMenschheit dage-
genankämpfen. Die UN brauchten
mehrals zwei Milliarden Dollarzur Ein-
dämmung derInfektion in 51 Ländern
in Südamerika, Afrika,dem Nahen Os-

tenund Asien:VonHaiti überSüdsudan
bis Afghanistan–einekleine Summe im
Vergleich mit nationalen Hilfsprog ram-
men.
Das Geld soll an die Schwächstender
Schwachenfließen: Esgehe darum, die
Ausstattung für Labore zur Diagnose
des Virussowie medizinische Hilfsgüter
bereitzustellen und Anlagen zum Hände-
waschen in Flüchtlingslagernund Sied-
lungen zu installieren. Informationskam-
pagnen sollenstartenund Luftbrücken
und Logistikzentren in Afrika, Asien
und Lateinamerikaeingerichtet werden,
um humanitäreHelfer und Güter dort-
hin zu bringen,wo sie dringend benötigt
werden.
Rechtzeitigvordem Video-Sondergip-
felder G-20-Staaten forderte Guterres
die UN-Mitgliedsländer auf, den neuen
Corona-Fonds schnell undgroßzügig zu
füllen. Gleichzeitig sollten sie dieFinan-
zierung laufender humanitärer Hilfspro-
grammefortsetzen. UN-Nothilfekoordi-
nator MarkLowcockhob hervor: „Die
ärms tenund besondersgefährdeten
Menschen ihrem Schicksal zu überlas-
sen, wäre nicht nurgrausam, sondern
auchunklug.“Ganze Regionenwürden
ins Chaosgestürzt und dasViruskönnte
sichabermalsrund um den Globus aus-
breiten.
DieCorona-Krisewirdvon einigen
Staaten auchals Chancebetrachtet.
Russland, China, Syrien, Iran, Nord-
korea, Venezuela, Nicaragua undKuba
dringen in einem Brief an Guterresdar-
auf,Sanktionenaufzuheben. Das berich-
tete di erussischeNachrichtenagentur
Interfax. DieseStra fmaßnahmen unter-
grüben denKampfgegendas Corona-
virus, heißt es in demSchreiben. Voral-
lem die Beschaffungvonmedizinischer
Ausrüstung undMedikamentensei des-
halb schwierig. Gu terres solle sichdafür
einsetzen,dassSanktionen sofortund
vollständig aufgehobenwerden, schrie-
ben die Länder in demgemeinsamen
Brief.

Die meisten arbeitenvonzuHause:Das UN-Hauptquartier inNew York nach demAusbr uchder Corona-Pandemie FotoReuters

Istdie Medizin verheerender als die Krankheit?


Auch afrikanische Länderverhängen drastische Maßnahmengegendie Pandemie–manchewarnen vorden Folgen /VonThiloThielke,Kapstadt


Einladung an den Tod


Iran fürchtet eine neue Corona-Welle –und hofftauf


eine Lockerung der Sanktionen /VonRainer Hermann


Was passiert mitmeinem Urlaub?
Genehmigtefreie Tage lassen sich
nicht so einfachzurücknehmen

Notstand am East River


DiePandemietrif ft die


VereintenNationen


doppelt.Ihr Ha uptsitz


istimEpizentrumNew


York –und tr otzdem


müssen Gremientagen.


VonMajid Sattar,


Washington

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