Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Tornado-Nachfolge

Auftrag für Airbus


und Boeing


Deutschland wird wohl zwei
neue Kampfflugzeug-Typen
als Ersatz für den betagten
Tornado bestellen.

Markus Fasse, Donata Riedel
München, Berlin

I


n der jahrelangen Debatte über
die Beschaffung neuer Kampf-
flugzeuge wird sich das Verteidi-
gungsministerium wahrscheinlich da-
für entscheiden, den Auftrag zwi-
schen Airbus und Boeing aufzuteilen.
Die internen Pläne, denen Ministerin
Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)
aber noch nicht zugestimmt hat, se-
hen den Kauf von bis zu 90 Euro-
fightern und 45 Boeing F-18 vor, hieß
es im Ministerium. Die Kampfflugzeu-
ge sollen die veralteten Tornados ab
2025 ersetzen. Es geht dabei um ei-
nen Auftrag in zweistelliger Milliar-
denhöhe. Ab 2040 planen Deutsch-
land und Frankreich das komplett
neu entwickelte Kampfflugzeugsys-
tem FCAS. Wie weiter zu hören war,
will Kramp-Karrenbauer ihre Pläne
noch vor Ostern vorlegen.
Noch ihre Vorgängerin Ursula von
der Leyen (CDU) hatte die Auswahl
auf den Eurofighter und die F-18 ein-
gegrenzt. Seit Monaten ging es da-
rum, entweder nur Eurofighter oder
nur Boeings zu bestellen oder den
Auftrag zu splitten. Fest steht nun
wohl, dass für jene Tornados, die im
Rahmen der nuklearen Teilhabe der
Nato US-Atombomben tragen, F-
von Boeing bestellt werden sollen: Im
Ministerium geht man davon aus,
dass die dafür notwendige Zertifizie-
rung in den USA für ein US-Flugzeug
schneller möglich sein dürfte.
Heftig umstritten ist aber, ob für die
Funktion „elektronischer Luftkampf “
Boeing oder Airbus den Auftrag be-
kommen sollen. Offenbar neigt das
Ministerium inzwischen dazu, für die-
se Fähigkeit F-18-„Growler“ zu bestel-
len. Die Luftwaffe hatte darauf ge-
drängt, auch in der CDU gibt es Befür-
worter.
„Der militärische Bedarf der Luft-
waffe muss bei der Entscheidung im
Vordergrund stehen“, forderte am
Donnerstag Unionsfraktionsvize
Johann Wadephul. Hintergrund ist,
dass einige Experten es Airbus nicht
zutrauen, in kurzer Zeit den Euro-
fighter für den elektronischen Kampf-
einsatz aufzurüsten. Andere Indus -
trie-Experten widersprechen: So
würden etwa die Briten gerade Euro-
fighter mit Radar und Bewaffnung für
den elektronischen Kampf beschaf-
fen.

Die nach den Anforderungen der
Bundeswehr noch fehlenden „Pods“
könnte Saab liefern. Der industriepoli-
tische Vorteil wäre, Airbus auf dem
Weg zum FCAS für die Entwicklung
elektronischer Steuerungssysteme zu
stärken – und mit Saab womöglich
Schweden ebenfalls ins europäische
Boot zu holen.
Ein Airbus-Sprecher betonte, dass
der Eurofighter alle Fähigkeiten habe,
den Tornado zu ersetzen. „Die Weiter-
entwicklung des Eurofighter-Pro-
gramms ist für die deutsche Industrie
von zentraler Bedeutung“, sagte er.
Auch für die Rolle der „nuklearen
Teilhabe“ könne der Eurofighter zerti-
fiziert werden.
Die SPD-Fraktion wiederum erwar-
tet, dass Kramp-Karrenbauer ihre Ent-
scheidung mit allen Prüfkriterien zu-
nächst dem Verteidigungsausschuss
erläutert: Dies habe ihre Vorgängerin
zugesagt, so der verteidigungspoliti-
sche Sprecher der SPD-Fraktion, Fritz
Felgentreu, gegenüber dem Handels-
blatt. Für ihn seien drei Kriterien
wichtig: „zum einen die Kosten, zum
anderen die Fähigkeiten der Flugzeu-
ge im Hinblick auf Deutschlands Bei-
trag im Rahmen der Nato und drit-
tens industriepolitische Gründe, auch
mit Blick auf die gemeinsame Ent-
wicklung des FCAS mit Frankreich“.
In Industriekreisen hieß es, das ge-
plante Aufsplitten des Auftrags in Eu-
rofighter und F-18 sei weder für Airbus
noch für die Bundeswehr eine gute
Lösung. Zwar bekäme Airbus den Auf-
trag für rund 90 neue Maschinen. Die
Hälfte davon aber sei ohnehin geplan-
ter Ersatz für Eurofighter der ersten
Baureihe. Auf der anderen Seite müss-
te mit der Einführung der F-18 bei der
Bundeswehr für eine kleine Stückzahl
von Maschinen eine neue Infrastruk-
tur geschaffen werden, von neuen
Hangars bis zur Pilotenausbildung.
Die Kosten für den Steuerzahler wä-
ren umso größer, wenn ab 2040 auch
noch das geplante deutsch-französi-
sche Kampfflugzeug FCAS eingeführt
würde und die deutsche Luftwaffe
dann drei unterschiedliche Kampf-
flugzeuge betreiben würde. Kaufe
man nun die F-18, würden der deut-
schen Industrie und ihren Zulieferern
rund vier Milliarden Euro entzogen.
Zudem sieht Airbus die Exportfä-
higkeit des Eurofighters gefährdet. Bei
Ausschreibungen in der Schweiz, in
Finnland und Spanien tritt der Euro-
fighter gegen die F-18 an. Sollte der
Eurofighter in seinem Heimatland ge-
gen die F-18 verlieren, sei das ein
schlechtes Signal an mögliche Käufer.

> Kommentar Seite 13

Asylpolitik

„Geschacher um Kinder“


Die Regierung ist uneins, wie
viele minderjährige
Flüchtlinge sie aus
Griechenland aufnehmen will.

T. Hoppe, M. Koch Brüssel, Berlin

H


orst Seehofer (CSU) hat sein
Wort gegeben: Deutschland
werde sich an der Umsied-
lung von Flüchtlingskindern aus den
Elendscamps in Griechenland beteili-
gen; die Coronakrise ändere daran
nichts. „Wir haben zugesagt, dass wir
uns bei der Aufnahme beteiligen“, sag-
te der Bundesinnenminister vergange-
ne Woche dem „Spiegel“. „Dazu ste-
hen wir.“ Doch in welchem Umfang
dies geschieht, ist innerhalb der Bun-
desregierung weiter umstritten.
Nach Informationen des Handels-
blatts sprechen sich Kanzleramt und
Außenministerium für die Aufnahme
von 500 Kindern aus. Das Innenmi-
nisterium will die Zahl dagegen auf
350 begrenzen. Deutschland solle
nicht deutlich mehr Flüchtlingskinder
aufnehmen als Frankreich.
Die Umsiedlung war diese Woche
auch Thema im Kabinett. Doch die
Differenzen konnten nicht ausge-
räumt werden. Scharfe Kritik kommt
von der SPD: „Gerade angesichts der
drohenden Coronagefahr darf es jetzt
kein menschenunwürdiges Gescha-
cher auf dem Rücken der Kinder ge-
ben“, sagte Frank Schwabe, Sprecher
der Bundestagsfraktion für Menschen-
rechte, dem Handelsblatt. „Deutsch-
land muss vorbildhaft vorangehen,

um eine europäische Dynamik zu un-
terstützen.“
Das Innenministerium sieht Brüssel
am Zug. Schließlich habe die EU-Kom-
mission die Zuständigkeit für die Ko-
ordination der Aufnahme übernom-
men. „In dieser Woche wird die Kom-
mission auf Deutschland und die
weiteren aufnahmebereiten Mitglied-
staaten zugehen, um den Abstim-
mungsprozess zu finalisieren“, hieß es
aus Seehofers Ressort.
Mehrere EU-Staaten hatten sich An-
fang März bereit erklärt, insgesamt
1 600 Flüchtlinge aus griechischen La-
gern aufzunehmen, vor allem Kinder.
Dass die Umsiedlung nicht in Gang
kommt, liegt EU-Innenkommissarin
Ylva Johansson zufolge zum einen da-
ran, dass die griechischen Behörden
die Betroffenen nicht ausgewählt ha-
ben. Zum anderen zögerten die Auf-
nahmeländer wegen der Corona-Pan-
demie: Sie befürchteten, sich weitere
Fälle von Infizierten ins Land zu ho-
len. „Ich hoffe, dass wir mit der Um-
siedlung in den nächsten Wochen be-
ginnen können“, sagte Johansson zu-
letzt.
Sorge bereitet der Kommission
auch die Verbreitung des Coronavirus
in den überfüllten Lagern auf den
griechischen Inseln. Johansson spricht
derzeit mit den griechischen Behör-
den darüber, besonders anfällige
Menschen anderswo auf den Inseln
unterzubringen. Der Innenausschuss
des Europaparlaments warnte, ohne
sofortige Maßnahmen werde die Si-
tuation in den Lagern außer Kontrolle
geraten, es drohten „viele Tote“.

Kampfflugzeug-Modell: Europa will neue Maschinen.

© Dassault Aviation - M. Douhaire


1 600


FLÜCHTLINGE
aus Griechenland
sollen in der EU
verteilt werden.
Mehr als 40 000
leben dort
in den Lagern.

 
 
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Wirtschaft & Politik
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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