Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1

Gerade in New York, der US-Stadt
mit der größten Wirtschaftskraft, ist
die Lage dramatisch. Alle Unterneh-
men, die nicht lebensnotwendige Pro-
dukte herstellen, sind geschlossen. 29
Prozent der Geringverdiener-Haushal-
te haben mindestens einen Job in der
Familie verloren, wie aus einer Studie
der City University of New York her-
vorgeht. Bei Haushalten, die mehr als
100 000 Dollar im Jahr verdienen, ga-
ben 16 Prozent an, dass ein Haushalts-
mitglied seinen Job verloren hat.
Eine Einzimmerwohnung kostet in
New York im Mittel knapp 3 000 Dol-
lar. Der New Yorker Senat hat einen
Gesetzesentwurf eingebracht, wonach
alle Mietzahlungen für Unternehmen
und Bürger ausgesetzt werden sollen,
die von der Krise betroffen sind. Die
Restaurantkette Cheesecake Factory
kündete am Mittwoch an, dass sie ab
dem 1. April landesweit keine Mieten
mehr bezahlen wird.
Der New Yorker Roberto Bruni hat
sich entschlossen, gleich aufzugeben.
Er hatte vor einigen Monaten mit Part-
nern eine Weinbar in Brooklyn eröff-
net. Das Geschäft war dabei, richtig an-
zulaufen. „Wir bemühen uns nicht um
die Überbrückungsgelder. Das ist zu
riskant. Wir werden das jetzt ganz auf-
geben“, sagt Bruni, der seinen richti-
gen Namen lieber nicht in der Zeitung
lesen will. Damit verlieren auch die
Kellner und Köche ihren Job.


Überall im Land gibt es Kaskadenef-
fekte: Wenn Restaurants schließen,
merken das auch die Bäckereien, Blu-
menhändler und Fischlieferanten, weil
ihnen Bestellungen wegbrechen. Miet-
ausfälle treffen Immobiliengesellschaf-
ten und Finanzinstitute. Ausbleibende
Steuereinnahmen stellen Kommunen
vor finanzielle Schwierigkeiten. Die Bo-
nität hochverschuldeter Unternehmen
wird herabgestuft, was diese in finan-
zielle Schwierigkeiten bringt.
Aber es gibt auch Unternehmen, die
einstellen: Die Apothekenkette CVS
Health hat diese Woche bekanntgege-
ben, dass sie 50 000 Mitarbeiter sucht.
Der Supermarktriese Walmart sucht
150 000 neue Mitarbeiter für seine Lä-
den und für das Onlinegeschäft, und
auch Amazon will 100 000 Menschen
einstellen.
Gerade bei Amazon war es zuletzt zu
mehreren Covid-19-Fällen in den La-
gern gekommen. Nach Medienberich-
ten haben die Arbeiter oft nicht einmal
Zeit zum Händewaschen. Das ist wohl
mit ein Grund dafür, dass sowohl Ama-
zon als auch Walmart zwei bis drei Dol-
lar mehr pro Stunde bieten als sonst.
Auch Miranda Miller überlegt, sich
auf einen dieser Jobs zu bewerben.
„Ich habe viel Schlechtes über die Ar-
beitsbedingungen gehört. Daher wollte
ich da eigentlich nie hin“, räumt sie
ein. „Aber das Geld muss ja irgendwo
herkommen.“


Krise trifft Arbeitsmarkt


Zahl der Erstanträge* auf Arbeits-
losenhilfe in den USA in Millionen


3,28 Mio.

HANDELSBLATT


*Wochenwerte


6.1.2007 21.3.
Quelle: Bloomberg,
Department of Labor

3,


2,


1,




Beschäftigung

Düstere


Jobaussichten


Das Ifo-Barometer zu den
Beschäftigungsaussichten
sinkt so stark wie nie zuvor.
Dem Handwerk brechen die
Aufträge weg.

Frank Specht Berlin

D


ie Corona-Pandemie schlägt
voll auf den Arbeitsmarkt
durch. Das Ifo-Beschäfti-
gungsbarometer ist im März deutlich
gefallen auf 93,4 Punkte, von 98,
Punkten im Februar. Das ist der größ-
te Rückgang seit Beginn der Aufzeich-
nungen im Jahr 2002. Es ist zudem
der niedrigste Wert seit Januar 2010.
Das Barometer, das die Münchener
Konjunkturforscher monatlich exklu-
siv für das Handelsblatt berechnen,
basiert auf den Beschäftigungsabsich-
ten von rund 9 000 Firmen. „Die
deutschen Unternehmen legen bei
den Personalplanungen eine Voll-
bremsung hin“, kommentierte Ifo-Ex-
perte Klaus Wohlrabe die Daten. Neu-
einstellungen würden gestoppt. „Ein
Anstieg der Arbeitslosigkeit wird
trotz Kurzarbeit unvermeidlich sein.“
Bei der Kurzarbeit berichtet die
Bundesagentur für Arbeit (BA) be-
reits von einem Rekordansturm. Die
Behörde geht davon aus, dass die
Zahl von knapp 77 000 Anträgen al-
lein in der vergangenen Woche in
dieser Woche noch übertroffen wird.
Der Arbeitsmarkt sei im Moment
von zwei Seiten unter Druck, erklärt
Ifo-Experte Wohlrabe. „Zum einen
kommt es vermehrt zu Entlassungen,
zum anderen gibt es im Moment de
facto keine Einstellungen.“ Ifo hat die
Unternehmen zwischen dem 2. und
dem 24. März befragt, rund 90 Pro-
zent der Antworten gingen bis zum


  1. März ein – also noch bevor Bund
    und Länder sich auf Kontaktsperren
    geeinigt haben.
    Handel, Dienstleister und Bau ver-
    zeichnen neue Rekorde beim Rück-
    gang des Ifo-Barometers. Im Handel
    werde es verstärkt Entlassungen ge-
    ben, bei den Dienstleistern sei diese
    Tendenz nur leicht vorhanden, er-
    wartet Wohlrabe. Nur auf dem Bau,
    der weitgehend frei von Einschrän-
    kungen arbeiten kann, gebe es keine
    Änderungen beim Personal.


Umsatzeinbruch
im Handwerk
In der Industrie ist das Barometer
nur wenig gefallen. Allerdings steckt
das verarbeitende Gewerbe schon
länger in der Rezession, was sich
auch vor Corona schon in den Be-
schäftigungsabsichten gezeigt hatte.
Bei Industrieunternehmen waren
auch schon vor Ausbruch der Pande-
mie Entlassungen vorgesehen. Dieser
Trend wird sich laut Ifo fortsetzen.
Die Corona-Pandemie führt auch
zu erheblichen Auswirkungen im
Handwerk. In einer Umfrage des Zen-
tralverbands ZDH, an der vom 23. bis
zum 25. März knapp 4 900 Unterneh-
men teilnahmen, klagten 77 Prozent
der Betriebe über Umsatzrückgänge,
55 Prozent über stornierte Aufträge
und 36 Prozent über fehlendes Per-
sonal, weil beispielsweise Beschäftig-
te wegen fehlender Kinderbetreuung
nicht zur Arbeit erscheinen können.

16 Prozent der Befragten gaben an,
dass ihr Betrieb wegen behördlicher
Vorgaben geschlossen wurde. Die
Umfrageergebnisse liegen dem Han-
delsblatt exklusiv vor. „Die Corona-
krise hat das Handwerk mit voller
Wucht und in der ganzen Breite ge-
troffen“, kommentiert ZDH-Präsident
Hans Peter Wollseifer die Ergebnisse.
Ohne staatliche Überbrückungshilfen
stünden zahlreiche Betriebe vor dem
Aus mit der Folge, dass über Jahre ge-
wachsene Marktstrukturen wegbre-
chen. „Das wiederum würde die
Grundversorgung mit handwerkli-
chen Dienstleistungen und Produk-
ten nach der Krise gefährden.“
Besonders von Umsatzrückgängen
betroffen sind das Kfz-, aber auch das
Gesundheits- oder das Lebensmittel-
handwerk. Die befragten Betriebe
insgesamt berichten im Schnitt von

einem Umsatzminus um mehr als 50
Prozent. Die Quote der stornierten
Aufträge liegt bei 45 Prozent. 58 Pro-
zent der Betriebe planen Kurzarbeit.
Für elf Prozent ist die Kündigung von
Mitarbeitern vorstellbar und für 18
Prozent die vorübergehende Schlie-
ßung des eigenen Betriebs.

Blechrollen in
einem Stahlwerk:
Ein Anstieg der
Arbeitslosigkeit wird
unvermeidlich sein.

picture alliance / Ulrich Baumga







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WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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