Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1

D


iese Woche geschah etwas Besonde-
res in den bisherigen Monaten jenes
Ausnahmezustandes, der weltweit
vom Kampf gegen die Corona-Pande-
mie dominiert wird. Nicht, dass ein
Impfstoff entwickelt worden wäre, aber die Debat-
te um die richtige Strategie gegen das Virus begann
sich zu verändern. Während bislang unisono befür-
wortet wurde, dass für die zu rettenden Menschen-
leben alle Opfer gebracht werden müssten, regte
sich plötzlich erster Widerstand.
Steht die ökonomische Vollbremsung noch im
richtigen Verhältnis zum Nutzen der Schutzmaß-
nahmen? Immerhin werden Grenzen geschlossen,
Ausgangssperren verhängt und selbst Grundrechte
eingeschränkt. Das Münchener Ifo-Institut hat er-

rechnet, dass allein eine dreimonatige Teilschlie-
ßung der deutschen Wirtschaft über 700 Milliar-
den Euro kosten könnte.
Der Investor Alexander Dibelius befand im Han-
delsblatt-Interview Anfang der Woche: „Am Ende
des Tages ist der akute Absturz der Weltwirtschaft
mit all seinen Folgewirkungen der weit größere
und gefährlichere Stresstest als Sars-CoV-2.“ Damit
stieß der Ex-Goldman-Sachs-Deutschland-Chef eine
breite Debatte unter unseren Leserinnen und Le-
sern an, die von der „FAZ“ auf die ebenso griffige
wie irreführende Formel gebracht wurde: „Geld
oder Leben – die Corona-Moral“.
Dibelius war nicht der Einzige, der sich zu Wort
meldete: Sein früherer Chef, Ex-Goldman-CEO
Lloyd Blankfein, forderte, die weniger Gefährdeten

bald wieder an die Arbeit gehen zu lassen. Auch
Wirtschaft und Jobs seien nun mal wichtige
Faktoren. US-Präsident Donald Trump twit-
terte, ein Medikament dürfe nicht gefährli-
cher als die Krankheit selbst werden. Seither
wird hitzig debattiert.
Wäre es nicht doch praktikabler, man würde
die Risikogruppen isolieren und die anderen
normal weiterarbeiten lassen, bis soge-
nannte „Herdenimmunität“ erreicht
ist? Oder würde das bedeuten, Millio-
nen von Senioren und Vorerkrankten
mutwillig dem Virus auszusetzen? Wir
haben hier einige der Stimmen aus
dem Kreis der Handelsblatt-Leserin-
nen und -Leser zusammengestellt. HB

Wie viel Stillstand

erträgt die Wirtschaft?

Der aktuelle Shutdown der globalisierten Welt ruft erste Kritiker auf den Plan.


Debattiert wird, ob die drakonischen Maßnahmen gegen


das Coronavirus noch verhältnismäßig sind.


Das Urteil der Handelsblatt-Leserinnen und -Leser ist durchaus geteilt.


Investor
Alexander
Dibelius:
Provokante
Thesen im
Handelsblatt-
Interview.

Andreas Chudowski

Debatte
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
14
Free download pdf