Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Christoph Schlautmann Düsseldorf

E


r habe den Staat angesichts der Coro-
nakrise um Finanzhilfe gebeten,
schockte Tui-Chef Friedrich „Fritz“
Joussen vor einigen Tagen die Märkte.
Was der Vorstandsvorsitzende des Rei-
sekonzerns dabei offensichtlich nicht bedachte:
Das Hilfegesuch bringt den Pauschalreise-Welt-
marktführer, der in Deutschland vergangenes Jahr
5,3 Milliarden Euro und damit ein Drittel seines
Konzerngeschäfts umsetzte, in ungeahnte Bedräng-
nis. Ende April könnte es ihn deutschlandweit so-
gar die Betriebserlaubnis für das Pauschalreise -
geschäft kosten.
Schuld daran ist ein unglückliches Timing. Nur
noch bis zum 28. April hat Tui Zeit, den von der Fi-
nanzaufsicht Bafin angemahnten Schutz seiner
Kundengelder sicherzustellen. Gelingt dies den
Hannoveranern nicht, dürfen sie für Pauschal -
reisen nicht mehr die gesetzlich vorgeschriebenen
Reise-Sicherungsscheine ausstellen. Die Erlaubnis
zum Geschäftsbetrieb – zumindest in Deutschland


  • würde Tui in der Folge entzogen. Hinzu kommt,
    wie das Handelsblatt erfuhr, dass auch in einem
    zweiten europäischen Land ein zusätzlicher Versi-
    cherungsschutz angemahnt ist, bei dem es um eine
    ähnliche Höhe wie in Deutschland geht.
    Ob der Konzern die Frist einhalten kann, ist seit
    Ausbruch der Coronakrise jedoch fraglich. Hatte
    Tui zuvor für die vom Konzern mitgegründete Ver-
    sicherung noch ein Konsortium von Rückversiche-
    rern gewinnen können, das sich bereit erklärte, für
    mögliche Insolvenzschäden einzuspringen, hat
    sich die Lage seit dem 15. März gründlich geändert.
    In einer Ad-hoc-Meldung verkündete Tui an die-
    sem Tag kurz vor Mitternacht, dass man wegen des
    Coronavirus den größten Teil des Reisegeschäfts
    vorerst aussetzen und Staatshilfe beantragen werde.
    Mehrere Versicherer aus dem Konsortium, an dem
    unter anderem die Münchener Rück beteiligt ist,
    reagierten prompt. Nach Informationen des Han-
    delsblatts aus Assekuranzkreisen stellten sie ihre De-
    ckungszusage für die Tui-Versicherung zurück. Das
    weitere Vorgehen werde nun unter den Versiche-
    rungsvorständen diskutiert, hieß es. Die Assekuranz
    wollte sich auf Anfrage dazu nicht äußern.


Wettlauf gegen die Zeit
Für Tui beginnt damit ein Wettlauf gegen die Zeit.
Weil die Bafin der von Tui mitgegründeten Versi-
cherung im vergangenen Dezember schon einmal
eine Fristverlängerung gewährte, ist eine weitere
Terminverschiebung nach geltendem Recht nicht
möglich. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Ver-
sicherungspartner in der aktuellen Situation einen
erhöhten Informationsbedarf haben“, erklärte Tui
auf Anfrage dazu schriftlich. „Der gegenwärtige Ar-
beitsprozess wird dadurch aber keinesfalls ge-
hemmt.“ Mit der Bafin führe der Versicherer DRS
ebenfalls einen „offenen, konstruktiven und ziel-
führenden Dialog“. Alle involvierten Parteien arbei-
teten „weiter gemeinschaftlich an der Finalisierung
des Rückversicherungskonzeptes“. Ob man Tui
entgegenkommen werde, ließ die Bafin auf Anfrage
offen. Zu einzelnen Unternehmen äußere man sich
nicht, sagte ein Sprecher.
Nach der Online-Veröffentlichung des Handels-
blatt-Artikels ließ Tui per Pressemitteilung wissen,
„zu keinem Zeitpunkt war oder ist die Betriebser-
laubnis der Tui gefährdet“. Selbstverständlich wer-
de die Tui über den 28. April hinaus weiterhin Pau-
schalreisen verkaufen.
Die aktuellen Probleme bei Tui liegen auch in
Sünden aus der Vergangenheit begründet. Als die
Bundesregierung 1994 die Kundengeldabsicherung
für Pauschalreisen im Bürgerlichen Gesetzbuch
(BGB) verankerte, entschied sich Tui für eine Spar-
variante. Statt die Reiseanzahlungen durch eine
Versicherung zu garantieren, gründeten die Han-

noveraner gemeinsam mit der DER-Touristik-Mut-
ter Rewe einen „Versicherungsverein auf Gegensei-
tigkeit“ – den Deutschen Reisepreis Sicherungsver-
ein VVaG (DRS). Der Clou: Anstelle teurer
Versicherungsprämien sorgten Bürgschaften für
den Insolvenzschutz. Als gesetzlich vorgeschriebe-
nes Finanzinstitut fand man die WestLB. Nach de-
ren unrühmlichem Ende machten Tui und Rewe
achtlos und ungehindert weiter. Erst die Pleite des
Wettbewerbers Thomas Cook, der sich im Herbst
2019 als hoffnungslos unterversichert entpuppte,
rief die Finanzaufsicht auf den Plan. Auch der DRS
schütze Pauschalurlauber nicht genügend gegen In-
solvenzfolgen, stellte die Bafin fest. Sie forderte
umfangreiche Nachbesserungen und empfahl die
Deckung durch einen Rückversicherer.
Der aber war schon vor der Coronakrise nur
noch schwer zu finden. Zwar blieb die Versiche-
rungssumme bis heute gesetzlich auf 110 Millionen
Euro pro Jahr gedeckelt, doch als Folge der Tho-

Frist der Bafin

bringt Tui in

Bedrängnis

Bis zum 28. April muss Tui einen verlässlichen Kundengeld-Versicherer


finden, um in Deutschland weiterhin Pauschalreisen verkaufen zu können.


Doch die Verhandlungspartner haben ihre Zusage jetzt zurückgestellt.


Schiff von Tui Cruises im
Hamburger Hafen: Touris-
ten halten sich mit Kreuz-
fahrten zurück.

Tui-Reisebüro: Der Reisemarkt leidet massiv unter der Coronakrise.

dpa

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WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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