mas-Cook-Pleite soll sie in den kommenden Mona-
ten kräftig erhöht werden. So jedenfalls will es die
Bundesregierung. Experten halten dabei eine De-
ckungssumme angebracht, die 20 Prozent des Jah-
resumsatzes entspricht. Im Fall von Tui wäre das
eine Milliarde Euro – ein für Rückversicherer
schwer zu tragendes Risiko.
Wenig Mut dürfte ihnen die aktuelle Finanzlage
des an der Londoner Börse notierten Reisekon-
zerns einflößen. Schon in den vergangenen Mona-
ten hatte Vorstandschef Joussen die Ertragsprogno-
sen nach unten schrauben müssen – unter ande-
rem, weil sich Tui im Spanien-Geschäft verschätzt
hatte. Hinzu kam das Grounding der Tui-eigenen
Boeing-Maschinen vom Typ 737 Max. Für die Flie-
ger, die wegen Absturzgefahr bis heute nicht star-
ten dürfen, musste der Vorstandschef teuren Er-
satz hinzuchartern lassen.
In der Folge reichte im vergangenen Geschäfts-
jahr der operative Cashflow nicht für die Investitio-
nen – mit wenig Aussicht auf Besserung. Schon vor
der Coronakrise hatten viele Analysten mit einer
Wiederholung für 2020 gerechnet.
Entsprechend nervös reagierten die Ratingagen-
turen auf Tuis vorläufige Absage des kompletten
Reisegeschäfts am 15. März. Wenige Tage später
stufte Moody’s die Bonität auf den Wert „B2“ he-
rab, Standard & Poor’s (S&P) folgte mit einer He-
rabstufung auf „B-“, was einer Abwertung um zwei
Stufen entsprach. Anleihen gelten damit inzwi-
schen als „hochspekulativ“, wie die Ratingagentu-
ren selbst diese Einstufung übersetzen.
Hoher Cash-Verlust
„Der Cash-Verlust wird für Tui wegen der Corona-
krise signifikant höher ausfallen als bislang ange-
nommen“, erwartet Moody’s-Analyst Vitali Mor-
govski. Auch die Experten bei S&P warnen: „Wir er-
warten nun niedrigere Buchungszahlen in den
kommenden zwei bis drei Monaten, ebenso wie
mögliche Rückzahlungen an Urlaubskunden.“
Zuvor noch hatten die Bonitätswächter bei Tui
auf eine Entspannung gehofft. Nach der Pleite des
Rivalen Thomas Cook, der Nummer zwei in der
Pauschalurlaubsbranche, hatten die Hannovera-
ner im ersten Geschäftsquartal 14 Prozent mehr
Buchungen und um drei Prozent gestiegene Preise
gemeldet. Auch für den Schuldenabbau gab es zu-
letzt Hoffnung. Durch den anvisierten Verkauf der
konzerneigenen Kreuzfahrtreederei Hapag-Lloyd
an ein Joint Venture mit dem Wettbewerber Royal
Caribbean Cruises sollen im Sommer rund 700
Millionen Euro in die Kasse fließen. Auch Scha-
densersatzzahlungen von Boeing, deren Höhe
noch verhandelt wird, sollten die Liquidität wie-
der auffrischen.
Nun aber werde wohl nur noch ein staatlicher
Überbrückungskredit das Unternehmen über
Wasser halten, sind sich die Ratingagenturen ei-
nig. Geflossen ist von der geforderten Hilfe bislang
noch nichts. Am Donnerstagnachmittag meldete
die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Beru-
fung auf „mit der Sache vertraute Personen“, Tui
stehe kurz vor einer Einigung über staatliche Un-
terstützung. Es gehe um Staatshilfe im Umfang
von knapp zwei Milliarden Euro, die von der
staatlichen Förderbank KfW kommen sollen. Wäh-
rend ein Sprecher von Tui lediglich bestätigte,
dass man sich in guten Gesprächen befinde, woll-
te sich die KfW nicht zu dem Vorgang äußern. Ei-
ne Sprecherin verwies darauf, dass bei einer sol-
chen Einigung rund 400 Millionen Euro von Tuis
Hausbanken beizusteuern wären. Ob dies ange-
sichts der Unternehmenssituation realistisch sei,
wollte sie nicht kommentieren.
> Kommentar Seite 26
Urlaubsanzahlungen
Kunden sollen zu
Rettern werden
U
rlaubern, die bei Tui bis zum 31. März ei-
ne Sommerreise buchen, verspricht der
Konzern einen „Treue-Bonus“ von 100
Euro. Das Kalkül: Die Anzahlungen der Kunden,
die meist 20 Prozent des gesamten Preises umfas-
sen, sollen für die nötige Liquidität des Urlaubs-
riesen sorgen. Schließlich kommt sonstiger Geld-
zufluss in diesen Tagen zum Erliegen, weil Kon-
zernchef Fritz Joussen den Geschäftsbetrieb we-
gen der Coronakrise bis zum 30. April weitestge-
hend einstellen ließ.
Wie dringend Tui und andere Reisekonzerne
auf solche Vorauszahlungen angewiesen sind,
zeigte der vom Marktführer Mitte Februar vorge-
legte Quartalsbericht. Danach verfügte Tui zum
letzten Jahreswechsel über einen Finanzmittelbe-
stand von 869 Millionen Euro. Als „erhaltene tou-
ristische Anzahlungen“ wies die Bilanz zu diesem
Stichtag jedoch mit 2,86 Milliarden Euro gut das
Dreifache aus. Mit anderen Worten: Nur ein Drit-
tel der Reiseanzahlungen fanden sich in der Fir-
menkasse, zwei Drittel steckten im Geschäft.
Entsprechend fatal träfe es Tui wie auch ande-
re, wenn sie in den kommenden Tagen einen
Großteil der Anzahlungen zurückzuüberweisen
hätten. Gesetzlich sind sie dazu verpflichtet. Wer-
den bei ihnen gebuchte Reisen storniert, erhal-
ten die Kunden laut Reiserecht binnen zwei Wo-
chen ihr Geld zurück.
Angriff auf die Stornoregeln
Das versuchen die Reiseveranstalter über ihren
Lobbyverband DRV nun zu verhindern. Als Tui
und FTI Touristik am 16. März meldeten, man
werde den Staat um Finanzhilfe bitten, legte der
Deutsche Reiseverband bald nach: „Die gelten-
den Stornoregelungen im deutschen Reiserecht
sind für eine derartige Großkrise nicht geeignet“,
verkündete Verbandspräsident Norbert Fiebig.
Sollten Beihilfen der Bundesregierung „nicht
zeitnah umgesetzt werden“, fügte er hinzu,
„müssen die sofortigen Rückzahlungen auf
Grundlage der geltenden Stornoregeln umge-
hend unternehmens- und verbraucherschützend
ausgesetzt oder durch Reisegutschriften ersetzt
werden“. Dafür benötige die Reisewirtschaft die
Unterstützung der Politik.
Die findet sich – wohl auch, weil der DRV für
seine Mitglieder ein Muster-Beschwerdeschrei-
ben an maßgebliche Politiker ins Internet stellte –
vor allem in Kreisen des CDU-geführten Bundes-
wirtschaftsministeriums. Zu den Befürwortern
der Zwangsgutschriften zählt dort insbesondere
der Tourismusbeauftragte der Bundesregierung,
Staatssekretär Thomas Bareiß (CDU).
Bei stornierten Flügen und Pauschalreisen sol-
len Kunden nach seinem Vorschlag künftig Gut-
scheine erhalten anstelle von Erstattungen. Da-
mit könnten Airlines und Urlaubsveranstalter in
der Coronakrise vor Liquiditätsengpässen be-
wahrt werden, rechtfertigte Bareiß den Vorstoß
gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
Gegenwind kommt allerdings aus dem SPD-ge-
führten Justizministerium von Christine Lam-
brecht, das auch für den Verbraucherschutz zu-
ständig ist. Dort ist man sich mit den Verbraucher-
schutzverbänden einig, dass die Anzahlungen –
wie vom Gesetz vorgesehen – den Buchungskun-
den zurückgezahlt werden müssen.
Fragwürdig sind die Gutscheine schon deshalb,
weil lediglich 110 Millionen Euro per Versiche-
rung bei einem Ausfall gedeckt wären. Allein Tui
dürfte von deutschen Kunden rund 800 Millio-
nen Euro in der Kasse haben. Die Misere scheint
auch dem Deutschen Reiseverband bewusst zu
sein, weshalb dessen Präsident erneut den Staat
zu Hilfe ruft. Berlin solle, fordert Fiebig, für die
Reisegutschriften bürgen. Christoph Schlautmann
Nur wenige große Reiseveranstalter
Marktanteile in Deutschland 2019 in Prozent
Gesamt
40,
Mrd. €
8,5 %
DER Touristik
8,3 %
Thomas Cook
45,2 %
Sonstige
7,9 %
FTI
5,2 %
Aida Cruises
3,6 %
Alltours
3,3 %
Schauinsland Reisen
17,9 %
Tui 1
HANDELSBLATT • 1) Inklusive Tui Cruises u. HLKF; 2) Insolvent; 3) Umsatz deutscher Veranstalter im deutschsprachigen Raum
Quellen: DRV, FVW Medien, Bloomberg
Tui, Aktienkurs in Euro
4,34 €
1.1.2020 26.3.
12
10
8
6
2
imago images / Jürgen Ritter
Die
geltenden
Storno-
regelungen
im deutschen
Reiserecht
sind für eine
derartige
Großkrise
nicht geeignet.
Norbert Fiebig
DRV-Präsident
Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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