Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Anja Müller Düsseldorf

D


as Coronavirus hat sich in der
Wirtschaft fast ebenso schnell
ausgebreitet wie in der Bevölke-
rung. Waren es zunächst die
Messebauer, die Alarm schlugen,
sind nun Mittelständler in jeder Größenord-
nung von den Folgen der Corona-Pandemie be-
troffen. Die Zahl derer, die nicht leiden oder
gar profitieren, ist gering.
Am Mittwoch beschloss der Deutsche Bun-
destag ein historisches Rettungspaket. Unter-
nehmen, die durch das Coronavirus unver-
schuldet in Krisen geraten sind, können nun
staatliche Hilfen beantragen – von Sofortzah-
lungen für die kleinsten Firmen des deutschen
Mittelstandes bis zu Krediten über die KfW für
Unternehmen, die über genügend Eigenkapital
verfügen. Viele Unternehmen loben das ent-
schlossene Handeln der Bundesregierung.
Doch noch ist nicht ausgemacht, ob der Nieder-
gang der kleinen und kleinsten Unternehmen
hierzulande durch die Rettungspakete aufge-
halten werden kann.
Wichtig ist vielen Mittelständlern, dass neben
den Soforthilfen für die Kleinstunternehmen,
die bis zu 9 000 Euro bei maximal fünf Mitar-
beitern und bis zu 15 000 Euro bei bis zu zehn
Mitarbeitern erhalten, auch Soforthilfen an grö-

ßere Firmen gezahlt werden. Diese direkten
Hilfen müssen, anders als Kredite, nicht zu-
rückgezahlt werden. Denn der Druck steigt bei
immer mehr Mittelständlern, und sie sehen
durchaus, dass sie derzeit nicht abschätzen
können, ob sie Kredite in einer angemessenen
Zeit zurückzahlen können. Für Soforthilfen
müssen die Unternehmer aber nachweisen,
dass ihnen entweder der Umsatz um rund die
Hälfte eingebrochen ist oder die vorhandenen
Mittel nicht ausreichen, um Mietkosten, Kredi-
te, Leasingraten etc. zu zahlen. Als dritter
Grund kann auch die behördliche Schließung
angeführt werden. Die private Miete oder die
persönliche Sozial- oder Krankenversicherung
darf damit nicht beglichen werden, auch wenn
der Bund der Selbstständigen in Deutschland
(BDS) wenigstens die Übernahme der Sozialab-
gaben gefordert hatte. „Man muss genau nach-
weisen, wofür man das Geld benötigt“, erklärt
BDS-Präsidentin Liliana Gatterer.
Inzwischen sind auch die Länderprogramme
gestartet, die das Bundesprogramm ergänzen
und auch größere Mittelständler in den Blick
nehmen. Die Bundesländer Bayern und Nord-
rhein-Westfalen haben bereits für Unterneh-
men mit mehr als zehn Mitarbeitern Soforthil-
fen im Programm.

Mittelstand


Kleine Firmen


in großer Not


Der Mittelstand gilt als Rückgrat der deutschen


Wirtschaft. Doch gerade viele kleine


Unternehmen trifft das Coronavirus hart.


Bau und Handwerk


Noch wird


gebaut


L


eere Straßen, leere Züge:
Niemals konnten Bauunter-
nehmen so ungehindert ihrer
Arbeit nachgehen wie jetzt. Das tun
sie auch – mit kräftiger Unterstüt-
zung der öffentlichen Hand. Um zu
benennen, was deutsche Bauunter-
nehmen brauchen, um die Krise zu
überstehen, muss Reinhard Quast
nicht lange überlegen. „Das Wich-
tigste ist, dass wir weiterbauen kön-
nen“, sagt der Geschäftsführer des
Siegener Familienunternehmens Ot-
to Quast.
Denn noch zählt die Bauindustrie
zu den wenigen Branchen, die von
den Auswirkungen der Corona-Pan-
demie weitgehend verschont geblie-
ben sind. Denn die von vielen Bun-
desländern ausgesprochenen Kon-
takt- und Ausgangssperren gelten
nur für den öffentlichen Raum,
nicht für Baustellen.
Als Präsident des Zentralver-
bands des deutschen Baugewerbes
(ZDB) spricht Quast nicht nur als
Unternehmer, sondern auch als Ver-
treter der gesamten Branche. Im
ZDB sind rund 35 000 Bauunter-
nehmen organisiert, die meisten
davon sind Mittelständler. Fast alle
halten ihren Betrieb aufrecht: „Nur
in Einzelfällen, wo der Bauherr frei-
willig um einen Aufschub bittet,
kommt es derzeit wegen der Coro-
na-Pandemie zu Verzögerungen“,
sagt Quast.
Zugute kommt der Branche da-
bei, dass einer ihrer wichtigsten
Auftraggeber bereits angekündigt
hat, seine Bautätigkeit nicht einzu-
stellen – nämlich der deutsche
Staat. Erst am Dienstag hatten Bran-
chenvertreter mit der Deutschen
Bahn ausgehandelt, dass der Staats-
konzern seine Kriterien für die Ver-
gabe von Bauprojekten ab dem



  1. April vereinfacht. Auch der Bau
    von Autobahnen und Wasserstra-
    ßen soll wie geplant vorangehen,
    ebenso wie viele private Großpro-
    jekte, die bereits lange in Auftrag
    gegeben sind. Dabei sind die Liefer-
    ketten weiterhin stabil – denn die
    Zementwerke können ihre Produk-
    tion meist nicht einfach abschalten
    und sind auch in Deutschland mit
    eigenen Produktionen vertreten.
    Fraglich ist, was passiert, wenn
    langfristig Aufträge etwa aus der In-
    dustrie ausbleiben. Zwar gibt es
    auch für Bauunternehmen, die in
    Probleme geraten, das Instrument
    der Kurzarbeit. Doch laufende Kos-
    ten wie die Miete von Maschinen
    müssen im Zweifel weiterbedient
    werden, was am Ende zu höheren
    Schulden führt. Kevin Knitterscheidt


Messebauer

Die ersten


Opfer


H


endrik Coers, Co-Geschäfts-
führer von Aventem aus
Hilden, beschreibt die de-
solate Geschäftslage treffend: „Wir
haben wegen Corona eine komplet-
te Vollbremsung hinlegen müssen.“
Der Anbieter von Standbau und Ver-
anstaltungstechnik beschäftigt 51
Mitarbeiter. Die sind inzwischen in
Kurzarbeit.
Sah es im Februar noch so aus,
als wären nur ein paar messefreie
Wochen durchzustehen, so hat sich
die Lage zugespitzt: „Wir gehen da-
von aus, dass bis Ende Juni keine
Messen oder größeren Veranstal-
tungen stattfinden“, sagt Coers. Zu-
mindest die Koelnmesse hat bis da-
hin alle Events abgesagt. 600 Veran-
staltungen in ganz Europa stattet
Aventem im Jahr aus.
Coers begrüßt die unbürokrati-
schen Lohnersatzleistungen. Trotz-
dem gebe es viele Einzelschicksale
in der Belegschaft. Mitarbeiter, de-
ren Partner in Elternzeit sind, könn-
ten ein halbes Jahr mit Kurzarbei-
tergeld kaum durchstehen. Coers
fordert für solche Fälle eine staatli-
che Aufstockung.
Weil die Geschäfte von Aventem
vor Corona gut liefen, hat der Mit-
telständler ein paar finanzielle
Rücklagen. Trotzdem ist Coers gera-
de in Gesprächen mit der Hausbank
über Soforthilfen der KfW – auch
wenn er die später zurückzahlen
muss. Eines aber wird sich durch
Corona ändern, glaubt Coers: Eini-
ge Events würden dauerhaft ins Di-
gitale abwandern.
Der Verband der deutschen Mes-
sewirtschaft, Auma, fürchtet, dass
die Messeabsagen und -verschie-
bungen die deutsche Wirtschaft
rund 5,5 Milliarden Euro kosten
werden. Rund 45 000 Arbeitsplätze
könnten betroffen sein. Der Ver-
band begrüßt die Corona-Maßnah-
men wie die Ausweitung des Kurz-
arbeitsgeldes, Liquiditätshilfen für
Unternehmen, etwa durch Stun-
dung von Steuerzahlungen, und die
Lockerung der Bedingungen für
KfW-Kredite. „Die Bundesregierung
setzt damit ein starkes Zeichen für
die deutsche Wirtschaft und den in-
ternational führenden Messestand-
ort Deutschland. Das Maßnahmen-
paket wird den Akteuren der Messe-
wirtschaft helfen, die aktuelle
Situation zu überbrücken“, sagt
Jörn Holtmeier, Auma-Geschäftsfüh-
rer. „Abhängig von der weiteren
Entwicklung müssen wir aber da-
rauf achten, ob weitere Maßnah-
men der Bundesregierung erforder-
lich sein werden.“ Katrin Terpitz

imago images/Ralph Peters

Bauarbeiter vor dem Kanzleramt:
Noch laufen die Geschäfte.


Stefan Boness/Ipon
Kein Eintritt zur Leipziger Messe:
Auch die Messebauer leiden.

dpa

Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
24

Free download pdf