„Die kleineren Unternehmen
sind etwas schneller,
die größeren nehmen
sich etwas mehr Zeit.“
Roland Boekhout, Firmenkundenchef der
Commerzbank, über die Anzahl der Anfragen zu
den Corona-Hilfsprogrammen
„Auch wenn der Handel in dieser
Situation kreativ ist, wird es einer
großen Zahl von Betrieben ohne
staatliche Soforthilfen nicht gelingen,
die Krise zu überstehen.“
Stefan Genth, Geschäftsführer Handelsverband
Deutschland
I
n der Coronakrise wird uns vor allem abver-
langt, die Ruhe zu bewahren und mit gewa-
schenen Händen zu Hause zu bleiben. Dort ist
für viele Arbeitnehmer neuerdings auch der
Arbeitsplatz. Sie sind auf das sogenannte Homeoffice
zurückgeworfen. Bislang waren Home und Office ei-
gentlich ein Widerspruch. Denn man ging ins Büro,
weil es dort ganz anders ist als im Heim. Im Büro
gibt es Computer und Kollegen, aber zum Beispiel
keine lauten Kinder oder Ehepartner. Wahrschein-
lich wurden Büros sogar deswegen erfunden.
Nun arbeitet man zu Hause, der Ehepartner arbei-
tet zu Hause, und die Kinder gehen nicht mehr zur
Schule, sondern sollen ebenfalls zu Hause lernen.
Kinder und Erwachsene längere Zeit gemeinsam in
einen Raum zu sperren kann kritisch sein. Aber kriti-
scher ist es, sie zusammenzusperren, während beide
Dinge machen müssen, auf die sie keine Lust haben –
nämlich arbeiten oder lernen.
Im Homeoffice hat man nun den gleichen Stress,
wie wenn man am Arbeitsplatz wäre, aber nicht die
Möglichkeit wegzurennen. Noch dazu fallen all die
Dinge weg, die wenigstens für ein bisschen Abwechs-
lung sorgen. Es gibt keinen Weg zum Kopierer, es
gibt keinen Kaffeeautomaten. Es gibt nicht einmal
Bewegung.
Ich habe gelesen, dass der Bewegungsmangel im
Homeoffice die Muskelaktivität hemme, die Band-
scheiben belaste und den Blutkreislauf und die Sau-
erstoffversorgung aller Organe beeinträchtige. Der
Körper komme nicht mehr dazu, Kalorien zu ver-
brennen, werde schneller müde. Man könne sich we-
niger gut konzentrieren.
Wer zu viel Zeit im Homeoffice verbringe, der ris-
kiere seine Gesundheit, warnen Gesundheitswissen-
schaftler. Es drohe allerlei: nämlich Übergewicht,
Rückenschmerzen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen so-
wie Krebs. Dem kann man nur entgegenwirken, in-
dem man sich in der häuslichen Quarantäne wie ein
Hamster im Hamsterrad verhalte: sich bewegen, be-
wegen, bewegen.
Um den absehbaren Zusammenbruch ihrer Mitar-
beiter hinauszuzögern, bieten nun viele Arbeitgeber
Heimyoga an. Beim Heimyoga stellt man den Laptop
auf den Boden, am besten noch eine Kerze daneben.
Es wird empfohlen, alle Geräuschquellen auszuma-
chen, sämtliches Pingen und Vibrieren, das einem
die innere Einkehr verderben kann. Man soll sich am
besten einen abgeschlossenen Raum suchen. Oder
die Kinder in einen solchen sperren.
Dann muss man noch darauf hoffen, dass die Netz-
verbindung steht, denn wenn beim Online-Yoga das
Bild wackelt, schadet auch dies der Seelenreise. Kei-
nesfalls darf man sich beim Heimyoga aufregen,
wenn Ehepartner nicht die Klappe halten. Und Kin-
der einen stören, weil sie nicht kapieren, was der
Lehrer in Mathe von ihnen wissen will. Man soll sich
dann weiterhin vorstellen, Sonnenlicht würde von
oben in den Kopf träufeln und langsam den Körper
anfüllen. Keinesfalls soll man Ehepartner und Kin-
der anbrüllen oder auf sie losgehen.
Ich fürchte, wenn uns das Coronavirus nicht er-
wischt, werden wir in unseren Homeoffices umkom-
men. Durch Herzinfarkt oder Totschlag. Das ist auch
nicht schön, aber man muss wenigstens dabei nicht
husten.
Prüfers Kolumne
Homeoffice macht krank
Wenn uns das
Coronavirus nicht
erwischt, werden
wir in unseren
Homeoffices
umkommen,
fürchtet Tillmann
Prüfer.
Der Autor ist Mitglied der Chefredaktion des
„Zeit-Magazins“. Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
dpa, Ulrich Baumgarten/Getty Images, Reuters
Illustration: Max Fiedler
Finanzsystem
Gefährliche
Trockenzeit
D
ie Coronakrise setzt das
weltweite Finanzsystem un-
ter enormen Stress. Selbst
an einigen der liquidesten Märkten
der Welt wie dem für US-Staatsan-
leihen oder für Termingeschäfte auf
US-Aktien ächzt und knarrt es ganz
erheblich, seit die Pandemie den
Globus überrollt. Dieser Mangel an
Liquidität ist gefährlich, denn er
verunsichert die bereits tief verstör-
ten Investoren noch stärker. Frei
nach dem Motto: Wenn ich nicht
einmal amerikanische Regierungs-
bonds oder die Anleihen namhaf-
ter, solider Konzerne ohne Proble-
me kaufen und vor allem verkaufen
kann, sollte ich mein Geld besser in
einen Tresor stopfen oder Goldbar-
ren unter meinem Bett stapeln.
Das Problem an der Sache: Die
Lage dürfte sich kaum verbessern,
solange sich die Coronakrise nicht
von einer unberechenbaren Kata-
strophe in ein berechenbares Risiko
verwandelt hat. Der wichtigste
Grund dafür: Die Banken hamstern
in der Krise Liquidität, die Bereit-
schaft selbst ins Risiko zu gehen,
um den Kunden einen reibungslo-
sen Handel zu ermöglichen, ist in
diesen Tagen sehr begrenzt. Das
mag bedauerlich sein, aber letztlich
ziehen die Banken damit auch die
Lehren aus der Finanzkrise, und sie
folgen den Vorgaben der Regulierer,
die nach der Krise den Handel der
Geldhäuser auf eigene Rechnung
deutlich eingeschränkt haben.
Nun sind der Eigenhandel und
das Stellen von An- und Verkaufs-
preisen für die Geschäfte der Kun-
den im Prinzip zwei verschiedene
paar Schuhe. In der Praxis ver-
schwimmen die Grenzen allerdings,
vor allem in so turbulenten Zeiten
wie im Moment.
Es wäre falsch, die Zurückhaltung
der Banken als Panik abzutun, denn
die Gefahr auf dem falschen Fuß er-
wischt zu werden, ist angesichts der
wilden Kurssprünge an den Märk-
ten sehr real. Die niederländische
Großbank ABN Amro musste gerade
ein komplexes Wertpapiergeschäft
auflösen, weil der Kunde kein Geld
mehr nachschießen konnte, um die
aufgelaufenen Verluste auszuglei-
chen. Schaden für die Bank: 200
Millionen Dollar.
In der Coronakrise hamstern
Banken Liquidität. Diese
Zurückhaltung als Panik abzutun,
wäre falsch, meint Michael Maisch.
Der Autor ist stellvertretender
Ressortleiter in Frankfurt.
Sie erreichen ihn unter:
[email protected]
Unternehmen & Märkte
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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