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it Krisen kennt Günther Bräunig
sich aus. Schon die Finanzkrise
2008 hat er in Diensten der staat-
lichen Förderbank KfW miterlebt.
Die Coronakrise könnte die Erfah-
rungen von damals noch in den Schatten stellen,
erläutert Bräunig im Handelsblatt-Interview.
Herr Bräunig, wegen der Coronakrise und der
starken Beschränkungen für alle führen wir die-
ses Interview am Telefon. Wo erreichen wir Sie ge-
rade? Im Homeoffice?
Ja, vergangene Woche war ich noch – schön isoliert
- im Büro. Aber seit Montag arbeite ich auch vom
Homeoffice aus. Das ist auf jeden Fall eine neue Er-
fahrung.
Und? Kann man eine Bank von zu Hause aus lei-
ten?
Interessanterweise schon. Ich finde es unglaublich,
wie kooperativ und konstruktiv sich alle darauf ein-
stellen. Wir kommen über den Umweg des Virus in
ein flexibles, neues Arbeiten. Das wird uns sicher
erhalten bleiben, auch wenn wir uns die Pandemie
alle gerne erspart hätten.
Wie viele KfW-Mitarbeiter sitzen gerade wie Sie im
Homeoffice?
Es sind derzeit ungefähr 2 200 Mitarbeiter. Etliche
andere müssen allerdings in der Bank arbeiten, um
bestimmte Aufgaben im Zusammenhang mit dem
Corona-Sonderprogramm zu erledigen.
Wegen Corona gibt es nun einen riesigen Ansturm
auf die Kreditprogramme der KfW. Könnte Coro-
na für die deutsche Wirtschaft schlimmere Folgen
haben als die Finanzkrise 2008?
Die Corona-Pandemie stellt alles in den Schatten,
was wir bislang erlebt haben. Denn mehrere Pro-
bleme treffen gerade zeitgleich aufeinander: Ers-
tens, fast jedes Unternehmen ist direkt und unmit-
telbar betroffen, sowohl durch einen Nachfrage- als
auch Angebotsrückgang. Das unterscheidet diese
Krise deutlich von der Finanzkrise. Zweitens, wir
stehen unter extremem Zeitdruck. Und drittens:
Unser Sonderprogramm ist ein Kreditprogramm,
kein Zuschussprogramm. Das bedeutet zugespitzt:
Die Regulatorik der Kreditvergabe trifft auf Unter-
nehmen in Panik.
Das heißt also, die Banken müssen nach wie vor
sorgfältig prüfen, ob sie das Geld wiedersehen, be-
vor sie Kreditanträge bewilligen ...
Sowohl für die Eilbedürftigkeit der Kreditversor-
gung als auch für die Notwendigkeit einer sorgfäl-
tigen Kreditprüfung muss man Verständnis haben.
Denn letztlich kann ja keiner sagen, wie lange das
Virus das Wirtschaftsleben lahmlegen wird. Unter
dem Strich muss ich sagen, wir haben noch nie ein
Programm so schnell an den Start gebracht wie die
Corona-Hilfe.
Wie lange hat es denn gedauert?
Die Gespräche mit den Ministerien in Berlin fingen
schon vor drei Wochen an. Dynamik und Ausmaß
der Pandemie haben sich in der Zwischenzeit er-
heblich beschleunigt. Wir haben bestehende KfW-
Förderprogramme erweitert, weil das am schnells-
ten geht.
Sie haben also mit heißer Nadel gestrickt ...
Nein, aber das war wie eine Operation am offenen
Herzen. Nach Verkündung des Programms haben
wir noch viele Anregungen von Unternehmen und
Banken mit aufgenommen. Das gilt unter anderem
für Fragen der Höhe der Haftungsfreistellung, für
die Lockerung von Kreditvergabestandards und für
den Verzicht einer eigenen Risikoprüfung durch
die KfW bei Krediten bis zu drei Millionen Euro Vo-
lumen. Das alles muss auch in der IT abgebildet
werden, bei uns und bei den durchleitenden Ban-
ken und Sparkassen.
Werden Ihre IT-Systeme mit der Antragsflut zu-
rechtkommen?
Die aktuelle Situation zeigt, wie gut es war, dass wir
in den vergangenen Jahren hart daran gearbeitet
haben, unsere Prozesse bei der Antragsstellung zu
digitalisieren. Wir können auch mit sehr hohen An-
tragszahlen umgehen. Und es geht deshalb schon
sehr schnell los. Am Montag lagen bereits die ers-
ten Anträge vor, mittlerweile schon im Umfang von
über vier Milliarden Euro. Dabei mussten die Ban-
ken noch bis Sonntag nacharbeiten, weil die Mar-
gen für das Programm erst am Wochenende mit
der EU-Kommission festgelegt werden konnten.
Voraussetzung für KfW-Kredite ist eigentlich eine
positive Fortführungsprognose, also die Erwar-
tung, dass ein Betrieb seine Notlage überlebt. Wie
will man so etwas in Pandemiezeiten realistisch
abschätzen?
Die Kreditanalyse wird zunächst von den Hausban-
ken gemacht. Wir sagen, das Unternehmen muss
bezogen auf das Jahr 2019 gesund und kreditfähig
gewesen und nur wegen Corona in Schwierigkeiten
geraten sein. Aber natürlich muss man auch An-
nahmen dafür treffen, wann das Wirtschaftsleben
wieder weitergeht.
Wann wird das Ihrer Ansicht nach der Fall sein?
Belastbar wissen wir das natürlich nicht, aber man
kann den Blick nach China richten, wo das Wirt-
Günther Bräunig
„Corona stellt
alles in den
Schatten“
Der KfW-Chef spricht über die dramatischen Folgen der
Pandemie, die zu erwartende Antragsflut und darüber, warum er
gegen eine weitere Anhebung der Haftungsgrenzen für den
Staat und damit den Steuerzahler ist.
KfW-Bildarchiv
Finanzen
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WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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