Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1

schaftsleben nach etwa 50 Tagen wieder ange-
sprungen ist. Vielleicht nicht mit der alten Dyna-
mik, aber es geht aufwärts – und das ist das Wich-
tigste. Wir – und auch andere – gehen davon aus,
dass in absehbarer Zeit die Shutdown-Maßnahmen
gegen das Virus nach und nach wieder gelockert
werden. Viele Ökonomen erwarten, dass es nach
einem scharfen Einbruch im zweiten Quartal im
zweiten Halbjahr wieder zu einer relativ schnellen
Erholung kommen kann. Aber ob es so kommt,
kann niemand garantieren.


Gelockerte Kreditstandards, eigene Risikoprüfun-
gen erst ab drei Millionen Euro – wie groß ist die
Gefahr, dass die KfW „Zombie-Firmen“ fördert,
die auch ohne Corona in Not geraten wären?
Es ist der politische Wille, dass wir schnell han-
deln, weil alle Unternehmen massiv betroffen sind.
Natürlich müssen dabei Kreditvergabestandards
eingehalten werden. Aber wenn so viel auf einmal
kommt, kann man nicht ausschließen, dass dabei
auch Unternehmen gefördert werden, die nachher
nicht wieder aus der Krise kommen. Die Akzeptanz
eines höheren Risikos ist in den Hilfsprogrammen
durchaus angelegt.


Bis zu welchem Grad wäre das für Sie ein notwen-
diges, aber akzeptables Übel?
Ich halte es für wichtig, dass bei den Banken eine
Mithaftung von zehn beziehungsweise 20 Prozent
verbleibt. Das erscheint mir die entscheidende
Mindestgrenze zu sein. Was Ausfallquoten angeht,
haben wir ja Erfahrungen aus anderen Sonderpro-
grammen, bei denen wir den Banken ebenfalls bis
zu 90 Prozent der Haftung abgenommen haben.
Unter dem Strich gab es da nicht übermäßig viele
Ausfälle. In Einzelfällen wird sich aber nicht alles
vermeiden lassen, zumal ja heute auch niemand
seriös sagen kann, wie die Welt nach der Corona-
krise aussehen wird.


Die KfW haftet nur bei großen Firmen mit 80 Pro-
zent, bei kleinen und mittleren sind es schon heu-


te 90 Prozent. Die Bankenverbände fordern nun
sogar eine noch höhere Haftungsübernahme. Ist
das verständlich oder einfach nur unverschämt?
Zuerst möchte ich einmal den Banken und Spar-
kassen für ihren engagierten Einsatz danken. Ohne
den Schulterschluss von KfW und Durchleitungs-
banken würde die Corona-Hilfe nicht zu den Unter-
nehmen kommen. Das ist eine großartige Leistung
aller Beteiligten. Aber die Entscheidung obliegt der
Bundesregierung. Ich glaube, es ist wichtig, dass es
eine gewisse Eigenhaftung gibt. Letztlich haben die
Banken bei den meisten Kunden ja auch noch an-
dere Kredite ausstehen und müssen ein großes In-
teresse daran haben, dass das Unternehmen über-
lebt. Deshalb ist es auch für die Banken wichtig,
dass ihre Firmenkunden, bei denen ja weitere Kre-
dite bestehen, nun weitere Liquiditätshilfen von
der KfW bekommen.

Wie viele Leute haben Sie denn abgestellt, um die
Antragsflut zu bewältigen?
Wir haben es hier mit einem Mengengerüst zu tun,
wie wir es noch nie hatten. Aktuell sind fast 1 000
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter direkt oder indi-
rekt mit dem Aufbau und der Umsetzung der Coro-
na-Hilfe befasst – mit steigender Tendenz. Deshalb
ordnen wir in unserem Konzern dem Sonderpro-
gramm alles unter, was wir sonst tun. Das bedeutet
auch, dass wir im Moment Ressourcen, auch perso-
nelle, aus anderen Bereichen der KfW dorthin len-
ken. In den ersten Tagen des Programms haben
wir mehr als 200 Anträge erhalten. Das wird in den
nächsten Wochen deutlich anziehen. Bislang sind
wir mit dem Prozess sehr zufrieden.

Wie lange dauert es, bis ein Unternehmen Geld
ausgezahlt bekommt, wenn es sich heute an seine
Hausbank wendet?
Unternehmen kommen sehr schnell an das Geld aus
der KfW-Corona-Hilfe. Zum Beispiel bei Kredi-
ten bis drei Millionen Euro: Nachdem
der Antrag bei der Hausbank gestellt,
dort geprüft und dann mittels digi-
taler Antragsstellung bei uns ein-
geht, geben wir innerhalb kür-
zester Zeit wiederum digital
der Hausbank eine unwider-
rufliche Zusage, auf Basis de-
rer die Hausbank den Kredit
auszahlen kann. Dies geht des-
halb so zügig, da die KfW bei
Darlehen von bis zu drei Millio-
nen Euro auf eine eigene Risiko-
prüfung verzichtet und die Risiko-
prüfung der Hausbank übernimmt. Bei
Krediten über drei Millionen Euro haben
wir eine vereinfachte Risikoprüfung etabliert.

Der Verzicht auf eine Risikoprüfung bei kleineren
Darlehen soll der KfW Arbeit ersparen. Reicht die
gewählte Schwelle von drei Millionen Euro?
Wir schätzen, dass mit dieser Größenordnung etwa
90 Prozent der Stückzahlen aller Anträge – also
nicht das Volumen, sondern die Anzahl – erfasst
werden können. Aus meiner Sicht bringt es nicht
so viel, diese Schwelle noch weiter anzuheben, um
von 90 Prozent auf vielleicht 95 Prozent der Anträ-
ge zu kommen. Hinzu kommt, dass wir für Anträ-
ge, bei denen die Kreditsumme zwischen drei und
zehn Millionen Euro liegt, ein Schnellverfahren bei
der Prüfung anwenden, bei dem wir nur auf be-
stimmte Kennzahlen und das Rating schauen. Hier
wird es keine Engpässe geben.

Wittern Sie anderswo Engpässe?
Engpässe sehe ich eher, wenn wir sehr schnell sehr
viele Konsortialkredite bekommen. Solche Grup-
pendeals, bei denen sich mehrere Banken für eine
Finanzierung zusammenschließen, erfordern mehr
Handarbeit.

Was glauben Sie, wie viel Geld am Ende abgerufen
wird? Welche Prognosen legen Sie zugrunde?
Wir haben drei Szenarien von klein, mittel bis groß
modelliert. Wir wissen nicht, welches eintritt. Aber
es ist sicherlich hilfreich, dass die Bundesregierung
unabhängig von unseren Kreditangeboten einen So-

lidarfonds über 50 Milliarden Euro aufgelegt hat. Er
ermöglicht Unternehmen mit bis zu zehn Mitarbei-
tern direkte Zuschüsse. Damit wird sofort eine gro-
ße Masse – sicher drei, vier Millionen Antragsteller –
auf diesen Fonds umgeleitet, was uns entlastet. Den-
noch stellen wir uns auf 20 000 bis 100 000 KfW-An-
träge ein. Und fragen Sie mich nicht nach einem Vo-
lumen, das lässt sich nicht seriös prognostizieren. Es
gibt einfach keinen Präzedenzfall.

Wenn man alle Maßnahmen der Regierung im
Kampf gegen die Corona-Auswirkungen zusam-
menzählt, reicht das Volumen aus Ihrer Sicht?
Wenn wir allein die Maßnahmen im Nachtrags-
haushalt und im Wirtschaftsstabilisierungsfonds
zusammenzählen, dann kommen wir in Deutsch-
land auf eine Summe, die fast einem Viertel unse-
rer jährlichen Wirtschaftsleistung entspricht. Im
Vergleich dazu hat China bisher vier Prozent ausge-
lobt und die USA zehn Prozent. Wir haben ein Kre-
ditprogramm für Liquidität, ein Zuschusspro-
gramm für kleine Unternehmen, Selbstständige
und Künstler. Außerdem gibt es mit dem Wirt-
schaftsstabilisierungsfonds noch ein Bürgschafts-
und ein Eigenkapitalprogramm, das auch Start-ups
umfasst. Deutschland ist also sehr, sehr weit gegan-
gen, auch im internationalen Vergleich.

Angesichts der unlimitierten Hilfsprogramme
muss sich die KfW selbst im großen Stil refinan-
zieren. Klappt das angesichts der Unruhe an den
Finanzmärkten?
In der vergangenen Woche hat das am Markt si-
cherlich noch für eine gewisse Unsicherheit ge-
sorgt, weil man nur die hohen Zahlen des Sonder-
programms kannte, aber nicht wusste, wie die KfW
das refinanzieren will. Wir haben aber ein ganzes
Bündel an Maßnahmen zusammengetragen. Dazu
gehört auch, dass der Bund der KfW über den
Wirtschaftsstabilisierungsfonds bis zu 100
Milliarden Euro leihen darf. Daneben
können wir uns wie jede andere
Bank auch Geld bei der EZB lei-
hen. Am Donnerstag haben wir
gerade eine Anleihe über vier
Milliarden Euro platziert. Um
unsere Refinanzierung ma-
che ich mir also überhaupt
keine Gedanken.

Haben Sie das Gefühl, dass die
Notenbanken die Anleihe-
märkte wieder beruhigt haben?
Die Kapitalmärkte gucken derzeit
nicht nur darauf, was die Zentralban-
ken machen, sondern genauso auf die
Zahlen der Johns-Hopkins-Universität zu Neuinfek-
tionsraten. Alle warten darauf, dass diese Neuinfek-
tionszahlen in einzelnen Ländern im Vergleich
zum Vortag sinken. Das ist ein wichtigerer Indika-
tor im Moment als das, was die Zentralbanken tun.
Aber dennoch: Die Mischung aus fast unbegrenz-
ten Ankaufprogrammen der Zentralbanken einer-
seits und das massive Fiskalpaket der US-Regierung
andererseits hat wieder für mehr Zuversicht an
den Kapitalmärkten gesorgt.

Erhöht die Krise aus Ihrer Sicht die Akzeptanz von
staatlichen Akteuren im Wirtschaftsgeschehen –
wie eben der KfW?
Ich habe mir über die Notwendigkeit und Sinnhaf-
tigkeit der KfW nie Gedanken gemacht, weil es im-
mer wieder neue Aufgaben für die KfW gegeben hat.
Bis vor drei Monaten haben wir nur über neue Maß-
nahmen für Klimaschutz geredet oder einen zehn
Milliarden Euro großen Fonds für Zukunftsinvesti-
tionen. Das ist nicht in Vergessenheit geraten, ist
aber vorläufig in den Hintergrund getreten. Und das
Tempo, mit dem wir das aktuelle Corona-Krisenpro-
gramm auf die Beine gestellt haben, zeigt, dass es
vielleicht ganz gut ist, wenn es ein Unternehmen mit
öffentlichem Auftrag gibt, das der Wirtschaft im Not-
fall so schnell zur Hilfe eilen kann.

Herr Bräunig, vielen Dank für das Interview.

Das Gespräch führten K. Jones und Y. Osman.

Günther Bräunig:
„Regulatorik der
Kreditvergabe trifft
auf Unternehmen
in Panik.“

Der Manager Seit 1989 arbeitet
der 64-Jährige für die Förder-
bank. 2017 berief ihn der Ver-
waltungsrat zum KfW-Chef. Die
Umstände nannte Bräunig
„menschlich tragisch“: Er rückte
auf, weil sein Vorgänger wegen
einer Erkrankung sein Mandat
niederlegte. Bräunig kennt die
Nöte des Mittelstands aus ers-
ter Hand: Einer seiner Brüder
war Unternehmer, der andere
Mittelstandsbeauftragter beim
BDI.

Die Bank Schon während der
Finanzkrise 2008 nahm die
KfW eine wichtige Rolle im
Kampf gegen die Rezession ein.
Dank Staatsgarantie kann sich
die Förderbank günstig Geld
leihen – und weiterverleihen.

Vita Günther Bräunig

Wir stellen uns auf


20 000 bis 100 000


KfW-Anträge ein. Und


fragen Sie mich nicht nach


einem Volumen.


Finanzen & Börsen


WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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