Geldpolitik
Die EZB verzichtet auf ihre Limits
Im Rahmen ihres
Krisenprogramms will die
Notenbank für 750 Milliarden
Euro Anleihen kaufen. Dabei
räumt sie sich größtmögliche
Flexibilität ein.
J. Blume, J. Mallien Frankfurt
D
ie Europäische Zentralbank
(EZB) will ihre neu beschlosse-
nen Anleihekäufe flexibler auf
die Euro-Länder verteilen und setzt da-
für bestehende Obergrenzen aus. Das
geht aus einem Rechtsdokument her-
vor, das sie in der Nacht von Mittwoch
auf Donnerstag veröffentlicht hat.
Bislang darf die EZB nach ihren
selbst gesteckten Grenzen nicht mehr
als ein Drittel der ausstehenden Anlei-
hen eines Landes kaufen. In dem Do-
kument heißt es jedoch, dass diese
Grenzen nicht für die Käufe innerhalb
des neu beschlossenen Krisenpro-
gramms „PEPP“ (Pandemic Emergen-
cy Purchase Programme) gelten.
Auch in anderen Punkten will die
Zentralbank deutlich flexibler als bis-
her vorgehen.
„Das ist eine Bombe“, kommen-
tiert Frederik Ducrozet, Stratege
beim Schweizer Vermögensverwalter
Pictet. „Mit der Entscheidung wer-
den praktisch alle Beschränkungen
für die Anleihekäufe beseitigt, was
die Glaubwürdigkeit des Engage-
ments der EZB erhöht.“ An den
Märkten hatte es zuletzt Zweifel an
ihrer Handlungsfähigkeit gegeben.
Mit der Entscheidung kann die No-
tenbank Ländern wie Italien künftig
stärker mit Anleihekäufen helfen.
Die Reaktion am Anleihemarkt fiel
entsprechend deutlich aus: Die Kurse
europäischer Staatsanleihen stiegen
auf breiter Front. Im Gegenzug fiel et-
wa die Rendite für zehnjährige Bun-
desanleihen auf minus 0,33 Prozent.
Noch stärker profitierten die Zinspa-
piere aus Italien, Spanien und Portu-
gal. Zehnjährige italienische Papiere
werfen rund 0,8 Prozent Rendite ab.
Vor rund zwei Wochen verlangten
die Investoren noch 2,4 Prozent.
Ähnlich stark sind auch die Anleihe-
renditen von anderen südeuropäi-
schen Staaten gesunken.
Italien profitiert
Dass die EZB die Nacht zu Donners-
tag als Zeitpunkt gewählt hatte, um
die Aufhebung der Obergrenzen be-
kannt zu geben, dürfte kein Zufall
sein. Am Donnerstagvormittag hatte
Italien am Kapitalmarkt rund drei
Milliarden Euro über Anleihen einge-
sammelt. Die erste Emission seit dem
Ausbruch der Coronakrise in Italien
galt an den Märkten als Test, ob sich
das Land angesichts rasant steigen-
der Staatsverschuldung noch günstig
refinanzieren kann. Doch nachdem
die EZB vorgelegt hatte, verlief die
Anleiheemission Italiens erfolgreich.
Die Nachfrage nach den Papieren
überstieg das Angebot deutlich.
Die EZB hatte ihr Krisenprogramm
in der vergangenen Woche beschlos-
sen. Es sieht Wertpapierkäufe im Um-
fang von 750 Milliarden Euro vor und
soll bis Ende 2020 laufen. Zusammen
mit bereits laufenden und schon ge-
planten Käufen von Staatsanleihen,
Firmenanleihen und anderen Titeln
steigt das Volumen aller Käufe damit
in diesem Jahr auf 1,1 Billionen Euro.
Die selbst gesteckte Grenze der EZB,
wonach sie nicht mehr als ein Drittel
der ausstehenden Anleihen eines Lan-
des kaufen darf, ist ein großes Politi-
kum. Mit dem Limit wollte die Noten-
bank gewährleisten, dass bei ihren
Käufen die Grenze zur monetären
Staatsfinanzierung gewahrt bleibt.
EZB-Ratsmitglieder, die sich grundsätz-
lich eher für einen strafferen geldpoli-
tischen Kurs einsetzen, wie Bundes-
bank-Präsident Jens Weidmann und
sein niederländischer Kollege Klaas
Knot, haben die Bedeutung dieser Li-
mits in der Vergangenheit stark betont.
Ob man die Grenzen aussetzen
kann, ist juristisch umstritten. Der
für Recht zuständige EZB-Direktor
Yves Mersch hat in früheren Ver-
handlungen vor dem Bundesverfas-
sungsgericht betont, dass sich die No-
tenbank an diese Grenze halten will.
Der Europäische Gerichtshof dage-
gen hat der EZB bei der Ausübung ih-
res Mandats sehr viel Spielraum ein-
geräumt. In Deutschland steht ein
weiteres Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts zu den Anleihekäufen
der EZB noch aus. Ursprünglich woll-
ten die Karlsruher Richter darüber in
dieser Woche entscheiden, der Ter-
min für die Urteilsverkündung wurde
nun aber auf Mai verschoben.
Aus dem Dokument der EZB geht
neben der Flexibilität bei den Ober-
grenzen außerdem hervor, dass nun
auch Käufe von Staatspapieren mit
einer kurzen Laufzeit von 70 Tagen
möglich sind. Bisher waren Laufzei-
ten von unter einem Jahr ausge-
schlossen. Dies ist unter anderem
deshalb wichtig, weil etwa Deutsch-
land mehr kurz laufende Papiere aus-
geben will, um die stärkere Verschul-
dung in diesem Jahr zu finanzieren.
Zudem betont die EZB, dass sie im
Hinblick auf die Bindung der Käufe
an den Kapitalschlüssel flexibel ist.
Anleihekäufe der EZB orientieren
sich bislang am Kapitalschlüssel der
Notenbank, der sich nach Wirt-
schaftskraft und Bevölkerungsgröße
der Euro-Länder richtet. Sie kauft al-
so mehr deutsche Staatsanleihen als
italienische oder spanische. Das soll
grundsätzlich auch bei dem Krisen-
programm so bleiben.
Allerdings heißt es in dem Doku-
ment auch: Ein flexibler Ansatz für
die Zusammensetzung der Käufe im
Rahmen des Krisenprogramms sei
„unerlässlich“, um Verwerfungen zu
verhindern. Pictet-Stratege Ducrozet
wertet die Formulierung so, dass im
Zweifel auch eine stärkere Abwei-
chung vom Kapitalschlüssel möglich
ist, um besonders von der Krise be-
troffenen Ländern zu helfen.
In einem Gastbeitrag in der „Finan-
cial Times“ meldet sich auch der frü-
here EZB-Präsident Mario Draghi zu
Wort. Seine Botschaft: Die Regierun-
gen müssen sehr entschlossen auf die
aktuelle Krise reagieren. Als Folge sei-
en höhere Staatsschulden unabding-
bar, denn die Staaten müssten die
Privatwirtschaft stützen. Draghi
warnt: „Die Kosten des Zögerns kön-
nen unumkehrbar sein.“
Christine Lagarde:
Seit der Pressekonfe-
renz der EZB-Präsi-
dentin am 12. März
sind die Anleiherendi-
ten südeuropäischer
Staaten deutlich ge-
AFP or licensors sunken.
Obergrenze
33
PROZENT
der ausstehenden Anleihen eines
Landes darf die EZB laut ihren
selbst auferlegten Grenzen kaufen.
Für das Krisenprogramm soll diese
Beschränkung nicht mehr gelten.
Quelle: Europäische Zentralbank
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Finanzen & Börsen
WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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