Frank M. Drost Berlin
M
onika P. versucht derzeit, von
dem Vermögen ihres Vaters zu
retten, was zu retten ist. Nach und
nach war ihr klar geworden, dass
die Lebensgefährtin ihres Vaters
seine schwere Krankheit dazu nutzte, sich zu berei-
chern. So wurde beispielsweise seine Hausverwal-
tungsfirma ohne vorherige Bewertung verkauft. Ei-
ne Vollmacht reichte dazu aus.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine Entwick-
lung, die in der deutschen Öffentlichkeit und Poli-
tik noch weitgehend ignoriert wird. Immer mehr
Menschen werden älter und pflegebedürftig. Damit
wächst die Gefahr, dass Vorsorgevollmachten miss-
braucht werden.
Kriminaloberkommissarin Annett Mau vom Lan-
deskriminalamt Berlin gehört zu der überschauba-
ren Zahl von Menschen in Deutschland, die sich
schon seit Jahren mit Missständen rund um Vorsor-
gevollmachten beschäftigen. Mit einer Vorsorge-
vollmacht kann man Vertrauenspersonen bevoll-
mächtigen, Entscheidungen für die eigene Person
zu treffen – beispielsweise Verträge zu unterschrei-
ben, über Konten zu verfügen, Versicherungen zu
regeln. „Wir stellen fest, dass sich die Fälle häufen,
in denen mit Vorsorgevollmachten Schindluder ge-
trieben wird, zumal Vollmachten relativ leicht ver-
ändert oder gar neu verfasst werden können“, sagt
Mau in einem Gespräch mit dem Handelsblatt. Mit
neuen Vollmachten können bestehende, sogar no-
tarielle Vollmachten einfach widerrufen werden.
Bei den Fällen, die sie betreut, geht es um relativ
viel Geld. Im Jahr 2018 bearbeitete ihre Dienststelle
mehr als 70 Verfahren, bei denen es addiert um
ein Volumen von 8,8 Millionen Euro ging, also im
Durchschnitt um 124 000 Euro pro Fall. Gern wür-
de sich Mau mit anderen Bundesländern zu diesem
Thema austauschen. Doch kein anderes Bundes-
land erhebt Schadensfälle, die im Zusammenhang
mit Vorsorgevollmachten stehen. Auch die Berliner
Zahlen wurden händisch erhoben.
Schäden sind schwer nachzuweisen
Ein Problem ist, dass der konkrete Missbrauch
schwer nachzuweisen ist und meistens auch der
Anlass fehlt, einem möglichen Missbrauch nachzu-
gehen. Das liege in der Sache selbst begründet,
sagt Mau: „Vorsorgevollmachten dienen vor allem
dazu, andere, die selbst nicht mehr dazu imstande
sind, rechtswirksam vertreten zu können.“ Doch
diesen Vertretenen fehlten genau aus diesem
Grund auch die entsprechenden Fähigkeiten, Miss-
bräuche zu erkennen und öffentlich zu machen.
„Wer bringt denn Verstöße des Bevollmächtigten
wegen Diebstahls, Unterschlagung, Betrugs und
Untreue zur Anzeige?“, fragt sie rhetorisch.
Der Vater von Monika P. erlitt vor fünf Jahren ei-
ne schwere Hirnblutung. Für diesen Fall hatte er
keinerlei Vorsorge getroffen. Für die damalige Le-
bensgefährtin wurde eine Eilbetreuung für eine
Dauer von sechs Monaten eingerichtet. Später un-
terschrieb der Vater eine Generalvollmacht für sie.
Die Vollmacht wurde ihm von der Lebensgefährtin
mit der Begründung vorgelegt, es müssten schnell
Entscheidungen für seine Firma getroffen werden,
in der die Lebensgefährtin selbst auch tätig war.
Zudem lebte der Sohn der Lebensgefährtin in einer
Wohnung des Vaters, für die er keine Miete zahlte.
Später baute er durch zwei ausgezahlte Rentenver-
sicherungen des Vaters über rund 50 000 Euro die
Wohnung nach eigenen Vorstellungen aus. „Aus
meiner Sicht war mein Vater seit Beginn der Er-
krankung nie wieder geschäftsfähig“, sagt Monika
P., die als Ärztin tätig ist.
Solange die Politik den Eindruck hat, es handele
sich um Einzelfälle, baut sich nach Einschätzung
von Oberkommissarin Mau kein Druck auf. Sie plä-
diert daher für eine Dunkelfeldstudie nach dem
Vorbild der Schweiz und für eine spezifische ge-
setzliche Sanktionierung des finanziellen Miss-
brauchs wie beispielsweise in den Vereinigten Staa-
ten. Eine entsprechende Studie („Elder Financial
Abuse“) in den USA kam 2015 zu dem Ergebnis,
dass sich der jährliche Schaden auf rund 36 Milliar-
den Dollar belaufe. Laut der in der Schweiz erho-
benen Studie ist jeder Vierte im Alter von über 55
Jahren Opfer eines Finanzmissbrauchs geworden.
Prinzipiell sind Vorsorgevollmachten ein sinnvol-
les Instrument, rechtzeitig die persönlichen Belange
selbst zu regeln. „Viele Menschen glauben, dass au-
tomatisch Ehepartner, Eltern oder Kinder an ihrer
Stelle entscheiden dürfen. Das ist nicht der Fall“,
heißt es im Vorsorgehandbuch, das kürzlich die
Hamburger Verbraucherzentrale herausgebracht
hat. Auch Angehörige benötigen eine Vollmacht. Lie-
ge keine Vollmacht vor, ordne das Gericht eine ge-
setzliche Betreuung an. Schnell kann ein Unfall, eine
Krankheit oder eine fortschreitende Demenz dazu
führen, dass Menschen nicht mehr in der Lage sind,
ihre eigenen Angelegenheiten zu regeln.
Um Missbrauchsmöglichkeiten einzudämmen,
plädiert Mau für ein obligatorisches Register, in
dem die Vorsorgevollmachten zentral hinterlegt
sind. Derzeit gibt es keine Übersicht über alle Vor-
sorgevollmachten, sondern lediglich ein Vorsorge-
register bei der Bundesnotarkammer. Jedem ist
freigestellt, seine Vorsorgevollmacht dort registrie-
ren zu lassen. „Eine verpflichtende Registrierung
hätte den Vorteil, dass Vollmachten nicht mehr ‚im
Dunkeln‘ einfach erteilt und bestehende Vollmach-
ten nicht einfach ausgehebelt werden können“,
sagt Mau. Außerdem könnten dann andere Vorsor-
gevollmachten keine Wirkung entfalten. Banken
hätten beispielsweise bei begründetem Verdacht
die Möglichkeit nachzufragen, ob eine vorgelegte
Vollmacht dort hinterlegt und damit rechtens ist.
Ist die Willensfreiheit gegeben?
Für wesentlich hält die Kriminalbeamtin eine un-
abhängige Prüfung, dass solche Vollmachten nicht
nur im Vollbesitz der geistigen Kräfte verfasst wer-
den, sondern auch die wirkliche Willensfreiheit da-
zu gegeben ist.
Verschenktes
Vertrauen
Vorsorgevollmachten laden zum
Missbrauch geradezu ein, warnt
das Landeskriminalamt Berlin.
Noch ignoriert die Politik das
Problem. Die bisherigen Gesetze
bieten keine wirkliche Handhabe.
Senioren beim Spa-
ziergang: Mit einer
Vorsorgevollmacht
kann eine Vertrauens-
person wichtige Ent-
scheidungen treffen.
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WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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