Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
M. Buchenau, M. Telgheder Stuttgart, Frankfurt

E


s ist fast acht Jahre her. Volkmar Den-
ner war erst wenige Tage Bosch-Chef,
als er im September 2012 den Grund-
stein zum 300 Millionen Euro teuren
Forschungszentrum des Konzerns leg-
te. „Mein Traum ist es, dass wir mit Bosch den
Krebs besiegen“, sagte der promovierte Physiker,
als er ein „lab on the chip“ in den Grundstein legte


  • ein Mikrosystem, das medizinische Diagnosen
    blitzschnell verfügbar macht. „Das ist ein Kampf-
    auftrag an meine Forscher“, sagte Denner.
    Das klang reichlich pathetisch und ambitioniert
    für den neuen Chef eines Konzerns, der weltgröß-
    ter Autozulieferer ist und ansonsten unter ande-
    rem Elektrowerkzeuge, Hausgeräte und Industrie-
    und Gebäudetechnik herstellt. Zumal die Medizin-
    technik bei Bosch damals erst noch gegründet wer-
    den musste. Lange führte sie mit ihren 120 For-
    schern eher ein Mauerblümchendasein im Kon-
    zern. Doch jetzt legt die kleine Einheit nach langer
    Vorarbeit richtig los. Nicht mit Kampf gegen Krebs,
    sondern gegen die Lungenkrankheit Covid-19.
    Bosch Healthcare Solutions hat gemeinsam mit
    dem nordirischen Unternehmen Randox einen der
    weltweit ersten vollautomatisierten molekulardiag-
    nostischen Tests auf Covid-19 entwickelt. „Mit dem
    Schnelltest wollen wir einen Beitrag zur möglichst
    raschen Eindämmung der Corona-Pandemie leis-
    ten. Infizierte Patienten können schneller identifi-
    ziert und isoliert werden“, sagte Bosch-Chef Volk-
    mar Denner am Donnerstag.
    Der neue Schnelltest wurde in nur sechs Wochen
    entwickelt und kann medizinische Einrichtungen
    wie Arztpraxen, Krankenhäuser, Labore und Ge-
    sundheitszentren bei einer raschen Diagnose un-
    terstützen. Angewendet wird er auf dem Analyse-
    gerät Vivalytic von Bosch. Mit dem Schnelltest lässt
    sich bei Patienten eine Infektion mit dem Corona-
    virus in unter zweieinhalb Stunden feststellen, teil-
    te das Unternehmen mit. Aktuell dauert es bis zu
    zweieinhalb Tage, bis aus den medizinischen Labo-
    ren ein Corona-Testergebnis vorliegt.


Kooperation mit Randox aus Irland
Das Verfahren von Bosch weist Gensequenzen des
Sars-Cov-2-Erregers nach. So kann eine Infektion
früher nachgewiesen werden als mit Schnelltests,
die auf den Nachweis eines Antikörpers ausgerich-
tet sind. Denn ein Antikörper bildet sich im Körper
erst nach ein paar Tagen. Aus diesem Grund raten
viele Experten von Antikörper-Schnelltests ab.
Der Bosch-Schnelltest kann direkt am Ort der Be-
handlung ohne besonders geschultes Personal
durchgeführt werden. Die Probe wird mittels Ab-
strich-Tupfer aus Nase oder Rachen entnommen
und in eine Prüfkartusche gegeben, die schon alle
für den Test erforderlichen Reagenzien enthält. Die
Kartusche wird in das Analysegerät eingeführt.
Zeitaufwendige Transportwege entfallen dem deut-
schen Konzern zufolge. „Im Kampf gegen das Virus
ist Zeit einer der entscheidenden Faktoren. Eine
zuverlässige, schnelle Diagnose direkt vor Ort ohne
Umwege – das ist der große Vorteil unserer Lö-
sung“, betont Denner.
Der Berufsverband Deutscher Laborärzte (BDL)
warnt bereits vor Engpässen bei den Covid-19-Tes-
tungen für den Fall, dass die Forderungen nach La-
bortests weiter ansteigen würden wie bisher.
Gleichwohl können die Schnelltests nach Ansicht
des Verbandes die Labore nicht wirklich entlasten,
da sie nur geringe Kapazitäten bieten. Mit dem
Bosch-Verfahren etwa können zehn Tests inner-
halb von 24 Stunden durchgeführt werden.
„Es gilt, vorhandene Testkapazitäten für medizi-
nisches Personal, Sicherheitsorgane und weitere
besonders gefährdete Personen wie Hochrisiko-
gruppen unter den Patienten und Patientinnen zu
sichern“, forderte deshalb der BDL-Vorsitzende An-
dreas Bobrowski. Zudem müsse die Versorgung mit
Testmaterialien und Schutzkleidung jetzt dringend

verbessert werden, damit die Labore die steigen-
den Test-Anforderungen aus Praxen und Gesund-
heitsämtern bewältigen könnten.
Die Hersteller der Schnelltests betonen derweil
die Vorteile ihrer Systeme: Beim Bosch-Verfahren
etwa können mit derselben Probe neben Covid-
gleichzeitig neun weitere Atemwegserkrankungen
wie Influenza A und B untersucht werden. „Die Be-
sonderheit des Bosch-Tests ist: Durch die Differen-
zialdiagnostik ersparen sich die Ärzte zusätzlich die
Zeit für weitere Tests, erhalten rasch eine fundierte
Diagnose und können daraus schneller eine geeig-
nete Therapie einleiten“, sagt Marc Meier, Ge-
schäftsführer von Bosch Healthcare Solutions.
Eine Kartusche, bei der Partner Randox die
biologischen Komponenten liefert, kostet pro

Test zwischen 50 und unter 100 Euro. Das Test-
gerät kommt auf rund 15 000 Euro. „Mittelfristig
streben wir mit unserer Vivalytic-Plattform einen
Umsatz im dreistelligen Millionenbereich an“,
sagt Meier.
Das Analysegerät von Bosch ist bereits zugelas-
sen und auf dem Markt, speziell für den Sars-
Cov-2-Test braucht Bosch noch eine Zulassung,
die das Unternehmen laut einer Sprecherin aber
in den nächsten Tagen erhalten wird. Der neu
entwickelte Test soll dann ab April in Deutsch-
land erhältlich sein, weitere europäische und au-
ßereuropäische Märkte sollen folgen. Die Genau-
igkeit liegt laut Bosch bei 95 Prozent. Der
Schnelltest erfülle die Qualitätsstandards der
Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Bosch baut

Corona-Tester

Der Stuttgarter Industriekonzern überrascht die Branche mit


einem selbst entwickelten Virus-Check, der besonders schnell und


genau sein soll. Das Geschäft drumherum ist begehrt.


Volkmar Denner:
Der Bosch-Chef
will die Medizin-
technik im Kon-
zern ausbauen.

RONALD WITTEK/EPA-EFE/REX

Im Kampf


gegen das Virus


ist Zeit einer der


entscheidenden


Faktoren.


Volkmar Denner
Bosch-Chef

Schwerpunkt


Kampf gegen Corona


WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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