Handelsblatt - 27.03.2020

(Tina Meador) #1
Kampf gegen Covid-

Schulterschluss der Pharmafirmen


I


m Kampf gegen das neuartige Coronavirus
bildet sich eine neue Allianz von führenden
Pharmakonzernen. Wie am Donnerstag be-
kannt wurde, wollen 15 internationale Hersteller
ihre Kräfte bündeln, damit die Entwicklung von
Medikamenten, Impfstoffen und Diagnosetools
vorangetrieben wird. Zu der Gruppe gehören un-
ter anderem Novartis (Schweiz), Sanofi (Frank-
reich), Glaxo-Smithkline (Großbritannien) sowie
die US-Konzerne Eli Lilly, Merck & Co, Johnson &
Johnson und Gilead. Aus Deutschland sind Boeh-
ringer Ingelheim und die Merck KGaA aus Darm-
stadt dabei.
Zunächst wollen die Unternehmen ihre inter-
nen Moleküldatenbanken für eine externe Nut-
zung öffnen und teilen. Das ist ein bemerkens-
werter Schritt, da diese einer der Schätze jedes
Pharmaunternehmens sind. Es geht aber vor al-
lem darum, Moleküle und Wirkstoffe zu bündeln,
die bereits eine gewisse Wirksamkeit in der Be-
handlung der Lungenkrankheit Covid-19 gezeigt
haben – und die ein erstes Sicherheitsprofil auf-
weisen.
Letzteres ist entscheidend für den schnellen
Einsatz von Wirkstoffen und Kombinationen.
Denn bevor neue Medikamente und Impfstoffe
verwendet werden können, muss nicht nur die
Wirksamkeit bewiesen sein. Es müssen auch die
möglichen Nebenwirkungen klar sein, vor allem,
wenn einige Mittel gleichzeitig eingesetzt wer-
den.
In der Behandlung von Covid-19 fehlt es bis-
lang an speziell wirksamen Medikamenten. Zu-
letzt flammten Hoffnungen auf, dass das alte Ma-
lariamittel Chloroquin die Erkrankungen milder
verlaufen lassen kann. Aus China gibt es dazu ers-
te Studien, die die Wirkung unterstreichen.
Allerdings wurde in China nur an 100 Patien-
ten getestet, was im üblichen Pharmamaßstab
viel zu wenig ist. Für einen breiten Einsatz von
Chloroquin müssen noch weitere, größere Studi-
en vor allem über die Nebenwirkungen gemacht
werden. Die starten nun weltweit, in Deutsch-
land etwa am Tübinger Institut für Tropenmedi-
zin.
Mediziner werteten deswegen die Äußerungen
von US-Präsident Donald Trump als fahrlässig.
Dieser hatte Chloroquin per Tweet öffentlich be-
reits als Durchbruch in der Therapie von Co-
vid-19 gefeiert. Tatsächlich warnen Kardiologen
bereits davor, Chloroquin etwa in Kombination
mit dem speziellen Antibiotikum Azithromycin
einzusetzen.
Beide Medikamente können laut dem Wissen-
schaftlichen Beirat der Deutschen Herzstiftung in
seltenen Fällen bei Patienten bei bestehenden
Herzerkrankungen zu lebensgefährlichen Herz-
rhythmusstörungen führen. Eine Kombination

der Mittel würde sich auf Basis der vorliegenden
Datenlage verbieten.
Der Fall Chloroquin zeigt, wie schwierig die Su-
che nach wirksamen Medikamenten und Impf-
stoffen gegen Corona-Erkrankungen ist. Die am
Donnerstag verkündete Pharmaallianz will ihre
internen Daten dem „Covid-19 Therapeutics Ac-
celerator“ zur Verfügung stellen, der von der Bill-
und-Melinda-Gates-Stiftung, dem gemeinnützi-
gen Wellcome-Trust und dem Finanzdienstleister
Mastercard ins Leben gerufen wurde. Der „Co-
vid-19 Therapeutics Accelerator“ ist eine indus-
trieübergreifende Kooperation von Pharmain-
dustrie und akademischen Institutionen.
Verlaufen erste Tests von Molekülen erfolg-
reich, sollen binnen zwei Monaten In-vivo-Versu-
che starten, also an lebenden Organismen. Ziel
der Kooperation ist aber nicht nur die schnellere
und effektivere Suche, sondern auch eine an-
schließende beschleunigte Entwicklung von Me-
dikamenten sowie das schnelle Hochfahren einer
Produktion im großen Stil nach einer Zulassung.
Denn auch das kann zum Engpass werden, wenn
wirksame Mittel weltweit auf einen Schlag benö-
tig werden.

Weitere Allianzen gebildet
Die neue Pharmaallianz von 15 Herstellern ist
nicht die erste industrieübergreifende Kooperati-
on. In der bereits länger bestehenden europäi-
schen Innovative Medicines Initiative (IMI) arbei-
tet die Branche seit ein paar Wochen auch bei
Coronatherapien zusammen. Die IMI ist eine Pu-
blic Private Partnership der Europäischen
Kommission und der europäischen Pharmaver-
bände.
Dieser Initiative gehören aus Deutschland un-
ter anderem Boehringer Ingelheim und Biontech
aus Mainz an. Biontech ist einer der Hoffnungs-
träger bei der zügigen Entwicklung eines Impf-
stoffs gegen das Coronavirus. Die Firma will ei-
nen aussichtsreichen Wirkstoff bereits im April in
die Testphase am Menschen bringen.
Ebenfalls intensiv forscht die Tübinger Biotech-
firma Curevac an einem Impfstoff. Im Sommer
könnte das Unternehmen Tests am Menschen
starten, um Effektivität und Nebenwirkungen zu
untersuchen. Auch bei den Impfstoffen gilt: Über
sie muss ein ausreichendes Sicherheitsprofil vor-
liegen, bevor sie massenhaft eingesetzt werden
können.
Curevac und Biontech werden zugleich von
der internationalen Initiative CEPI unterstützt.
Diese ist eine weltweite Allianz der Weltgesund-
heitsorganisation WHO, der EU-Kommission, von
Forschungseinrichtungen und der Impfstoffin-
dustrie. Auch hier ist die Gates Stiftung beteiligt.
Bert Fröndhoff, Maike Telgheder

Der Test von Bosch ist dem der US-Firma Ce-
pheid ähnlich, den die US-Arzneimittelbehörde
FDA vor ein paar Tagen zugelassen hat. Der Test
von Cepheid soll innerhalb von 45 Minuten eine In-
fizierung mit dem Coronavirus Sars-CoV-2 nachwei-
sen. FDA-Chef Stephen Hahn hatte die beschleunig-
te Zulassung des Tests damit begründet,
dass die Verfügbarkeit und die Ge-
schwindigkeit von Tests erhöht
werden sollten.
Auch das deutsche Biotech-
unternehmen Qiagen hat ei-
nen molekularen Schnell-
test auf das Coronavirus
entwickelt, weitere kom-
men von Wettbewerbern
wie Biomérieux und Gen-
mark Diagnostics. Bei Qia-
gen wurde ein bestehen-
der Test auf mehr als 20
unterschiedliche Erreger
von Atemwegserkrankungen
um die Erkennung zweier Gene
des neuen Virus erweitert.
Das Test-Panel hat bereits eine Zu-
lassung in Europa und den USA. Auch
Qiagen bietet ein System aus Einmalkartuschen mit
Reagenzien und einem speziellen Analysegerät, in
dem Proben in der Kartusche vervielfältigt und
dann auf die unterschiedlichen Erreger analysiert
werden. Beim Qiagen-Test liefert das Analysegerät
das Ergebnis binnen einer Stunde. Der Test kostet
rund 100 Euro, das Analysegerät rund 20 000
Euro.

Auch Start-ups mischen mit
Jenseits der großen Diagnostikunternehmen sind
auch Start-ups auf dem Gebiet der Testentwick-
lung aktiv. So fertigt beispielsweise das Freibur-
ger Diagnostik-Start-up Spindiag ein kleines Test-
gerät samt integrierter Kartusche, das für den
Nachweis antibiotikaresistenter Erreger zugelas-
sen ist. Jetzt wird auf dieser Basis ein Sars-CoV-
2-Schnelltest entwickelt, der binnen 30 Minuten
ein Ergebnis liefern soll. Auch bei diesem System
wird das genetische Material des Erregers analy-
siert. Spindiag plant, den Test bis zum Sommer
entwickelt zu haben.
Ein völlig neuartiges System entwirft in Mainz ge-
rade das Unternehmen Digital Diagnostics, das un-
ter anderem von Ex-Sanofi-Managern geführt wird.
In Zusammenarbeit mit Virologen und Forschungs-
laboren wurde ein digitaler Biosensor entwickelt,
auf dem eine Fangschicht mit Antikörpern das neu-
artige Coronavirus bindet, was ein elektrisches Sig-
nal auslöst. Für diesen Test in Westentaschengröße
will das Unternehmen in wenigen Wochen die Zu-
lassung beantragen.
Alle Schnelltests eignen sich für den Einsatz im
Krankenhaus oder auch am Flughafen, wo eine zü-
gige Einschätzung der Verdachtsfälle gefragt ist. Als
Goldstandard der Sars-CoV-2-Testung gilt die PCR-
Methode, ein Verfahren, bei dem die genetische
Substanz des Erregers künstlich vervielfältig wird,
damit er nachgewiesen werden kann. Diese Tests
dürfen in Deutschland nur Fachärzte für Laborato-
riumsmedizin oder Mikrobiologie und Infektions-
epidemiologie machen.
Während die ersten Tests sozusagen noch hän-
disch in den Laboren der Universitätsmedizin er-
stellt wurden, wird es dank neu entwickelter Test-
kits von Diagnostikunternehmen möglich, eine grö-
ßere Anzahl von Proben unter standardisierten
Bedingungen zu analysieren. In den großen Labo-
ren laufen Tausende PCR-Tests im Hochdurchsatz-
verfahren durch die Maschinen. Nach Angaben des
Vereins „Akkreditierte Labore in der Medizin“ sind
in 200 Laboren in Deutschland in den ersten drei
Märzwochen rund 400 000 Tests auf Sars-CoV-
durchgeführt worden, davon allein 260 000 in der
zwölften Kalenderwoche. Der PCR-Test wird in
Deutschland mit 59 Euro vergütet.

Forschung im
Pharmalabor:
Auf der Suche
nach einem
Mittel gegen
Covid-19.

Novartis

Testkartu-
schen: Partner
Randox liefert
biologische
Komponenten.

Bosch


Kampf gegen Corona


WOCHENENDE 27./28./29. MÄRZ 2020, NR. 62
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