Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

ZEIT GELD


Sandra Makboul arbeitet in einer Kantine. Jetzt ist ihr Einkommen weggebrochen

Foto: Ramon Haindl für DIE ZEIT

Wenn die Bleibe unbezahlbar wird


Wer von der Krise betroffen ist, hat jetzt Kündigungsschutz. Mieter und Vermieter fordern weitere Hilfen vom Staat VON JENS TÖNNESMANN


S


andra Makboul fragt sich in diesen
Tagen oft, wie es weitergehen soll.
Und sie erinnert sich an die Zeit
mitten in der Finanzkrise im Jahr


  1. Da hat ihr Arbeitgeber sie
    einige Wochen lang nicht mehr be-
    zahlt – und sie musste abends heim-
    lich hinter einem Supermarkt nach Lebensmitteln
    suchen. »Das will ich nicht noch mal erleben«, sagt
    sie am Telefon und ist den Tränen nahe. »Aber ich
    habe Angst, dass es wieder so kommen könnte.«
    Gerade sind der 51-Jährigen aus Veitshöchheim in
    Unterfranken wieder ihre Einnahmen weggebro-
    chen. Eigentlich hat sie einen Teilzeitjob in einer
    Kantine. Doch ihr Arbeitgeber musste wegen der
    Corona-Pandemie schließen und Kurzarbeit an-


melden; und auch ein 450-Euro-Job in einem Hotel
sei ausgesetzt, erzählt Makboul.
Von einem Monat auf den nächsten sind Mak-
bouls Einnahmen von 1400 Euro auf knapp die
Hälfte zusammengeschmolzen. »Davon kann ich
meine Miete und den Strom kaum noch bezahlen«,
sagt sie. Für ihre Zweizimmerwohnung bezahlt sie
monatlich 460 Euro: 46 Quadratmeter in einem
Mehrfamilienhaus, dazu ein Balkon. Sie hat ihrem
Vermieter, der Bayerischen Versorgungskammer,
ihre Lage geschildert. »Ich kann ja nichts dafür, ich
würde ja gern arbeiten und einen neuen 450-Euro-
Job finden«, sagt sie. »Aber bei der Arbeitsagentur
komme ich im Moment gar nicht durch.«
Wie Sandra Makboul dürfte es derzeit vielen Men-
schen gehen, die wegen der Corona-Pandemie in Kurz-

arbeit gehen müssen, ihren Job oder ihre Aufträge
verloren haben. Fast 30 Prozent ihres Netto-Einkom-
mens geben die Menschen in Deutschland im Schnitt
für ihre Kaltmieten aus; in Großstädten und in Ein-
Personen-Haushalten liegt der Anteil noch höher.
Schrumpft das Einkommen so deutlich wie bei Sandra
Makboul, dann ist die Schmerzgrenze schnell erreicht.
Laut Google sind die Anfragen nach dem Suchbegriff
»Miete aussetzen« seit Anfang März in die Höhe ge-
schossen; in Facebook-Gruppen mehren sich Beiträge
ratloser Mieter – und auch der Deutsche Mieterbund
bemerkt eine wachsende Zahl von Anfragen, ohne
genaue Zahlen nennen zu können.
Nun gibt es erste Abhilfe: Im Eiltempo haben
Bundestag und Bundesrat vergangene Woche ein
Gesetz verabschiedet, das Mieter zwischen dem 1. April

und dem 30. Juni 2020 vor Kündigungen schützt,
wenn sie ihre Miete infolge der Corona-Krise nicht
zahlen können; je nach Lage kann der Gesetzgeber
den Schutz auch noch mal verlängern. »Das ent-
lastet die betroffenen Mieter erst einmal«, sagt
Melanie Weber-Moritz, Bundesdirektorin beim
Deutschen Mieterbund. Allerdings müssen Mieter
die ausstehenden Schulden zuzüglich Zinsen spä-
testens bis 30. Juni 2022 nachzahlen, sonst kann
ihnen doch noch gekündigt werden. Sie verschulden
sich. Und sie müssen glaubhaft machen können,
dass sie von den Folgen der Corona-Pandemie be-
troffen sind – etwa durch eine eidesstattliche Ver-
sicherung oder Dokumente, die einen Jobverlust
oder Kurzarbeit belegen. Beim Mieterbund glaubt
man, dass die Immobilieneigentümer das in der
Regel akzeptieren und Konflikte eher die Ausnahme
bleiben dürften. »Wir beobachten, dass viele Mieter
und Vermieter im Moment aufeinander zugehen
und gemeinsam Lösungen suchen«, sagt dessen Prä-
sident Lukas Siebenkotten.
Tatsächlich zeigen sich gerade größere und ka-
pitalstarke Vermieter in der Krise entgegenkom-
mend. So listet der Spitzenverband der Wohnungs-
wirtschaft GdW eine ganze Reihe von Firmen auf,
die schon vor dem neuen Gesetz angekündigt ha-
ben, in diesen Zeiten auf Mieterhöhungen, Kün-
digungen und Zwangsräumungen zu verzichten.
»Niemand sollte sich in dieser Situation Sorgen
machen müssen, dass er seine Wohnung verliert«,
sagt GdW-Präsident Axel Gedaschko, »das be-
schlossene Moratorium für tatsächlich betroffene
Mieter ist deswegen richtig.« Allerdings würde das
allein noch nicht reichen. »Wenn viele Mieter auf
einmal ihre Mieten nicht mehr bezahlen können,
dann fehlt den Eigentümern Geld, etwa um Hand-
werker zu bezahlen oder auch ihre Kredite zu be-
dienen«, sagt Gedaschko und warnt: »Das könnte
eine Kettenreaktion auslösen.«

Auch für manche Vermieter kann die
Krise schnell existenzbedrohend werden

Es gibt bereits Vermieter, die fürchten, jetzt in Be-
drängnis zu geraten. So berichtet der Chef einer
Genossenschaft mit mehr als 2000 Wohnungen aus
Sachsen-Anhalt, dass etwa 20 Prozent seiner Mieter
im Niedriglohnsektor beschäftigt seien und ver-
mutlich keine Reserven hätten, sollten sie in Kurz-
arbeit gehen müssen. Deswegen habe man bis auf
Notfallreparaturen alle Sanierungen und Bauarbei-
ten vorsorglich gestoppt. Ähnliches berichtet der
Vorstand einer Genossenschaft mit 3000 Wohnun-
gen aus dem Raum Stuttgart: Weil es im Moment
kaum Neuvermietungen gebe, habe er seine Mit-
arbeiter in Kurzarbeit geschickt und aus Angst vor
einem finanziellen Engpass einen Neubau vertagt,
der eigentlich dieses Jahr begonnen werden sollte.
»Wenn 20 Prozent unserer Mieter nicht mehr be-
zahlen können, dann fehlen uns pro Monat
500.000 Euro«, sagt der Chef.
Existenzbedrohend könnte solch ein Engpass
für Privatvermieter werden, die ihre Immobilien
per Darlehen finanziert haben und sonst gerade
wenig Einnahmen erzielen. So wie Alexandra Sigg,
die im Raum Freiburg drei Wohnungen und eine
Gewerbeeinheit besitzt, das sei ihre einzige Alters-
vorsorge. Der Gastronom im Erdgeschoss habe
bereits angekündigt, dass er seine Miete nun nicht
mehr zahlen könne, berichtet Sigg, die alleinerzie-
hend ist und einen 13-jährigen Sohn hat. Jeden
Monat müsse sie nun 1500 Euro auf die verbliebe-
nen Mieteinnahmen drauflegen, um das Darlehen
der Immobilie zu bedienen. Zugleich verdiene sie
selbst weniger, weil sie im Moment als Coach und
Beraterin kaum arbeiten könne und stattdessen
ihren Sohn zu Hause beschule. »Wenn alle Mieten
wegfallen, dann würden meine Rücklagen vielleicht
sechs Wochen reichen«, sagt Sigg, die jetzt mit ihrer
Bank darüber verhandelt, ob sie die Tilgung ihres
Darlehens aussetzen kann. Außerdem hat sie eine
wütende Mail ans Bundesjustizministerium ge-

schickt: Das Mietmoratorium differenziere zu
wenig, es sei »fahrlässig und kurzsichtig«.
Tatsächlich sehen sowohl Mietervertreter als auch
die Wohnungswirtschaft Nachbesserungsbedarf:
Gemeinsam fordern der Mieterbund und der GdW
einen »solidarischen Sicher-Wohnen-Fonds«, dabei
werden sie von einer Reihe anderer Verbände unter-
stützt. Dieser staatliche Fonds soll für die Mieter
unbürokratisch ab der zweiten Miete einspringen,
die sie infolge der Corona-Krise nicht mehr selbst
bezahlen können; das Geld solle dann später in ein
zinsloses Darlehen oder einen Zuschuss umgewan-
delt werden, so die Idee. »Das Modell würde ver-
hindern, dass Mieter zahlungsunfähig werden, und
es würde Vermieter und damit Handwerker und
Baufirmen davor schützen, dass ihnen das Geld aus-
geht«, sagt GdW-Präsident Gedaschko.
Auch beim Mieterbund ist Präsident Lukas
Siebenkotten überzeugt, dass der Fonds besser
wirken würde als bereits existierende Sozialleis-
tungen, die vor einer Bewilligung aufwendig ge-
prüft werden müssten. »Der Fonds hingegen könn-
te schnell auszahlen und dann im Nachhinein
prüfen, ob ein Mieter von der Corona-Krise be-
troffen ist«, sagt Siebenkotten. Mietern mit nied-
rigen Einkommen und wenigen Ersparnissen
würde der Fonds außerdem einen Schuldenberg
ersparen, den sie vielleicht bis 2022 gar nicht ab-
zahlen können.

Mietervertreter und Vermieter fordern
einen Fonds, der unbürokratisch hilft

Beim Bundesjustizministerium stößt die Idee
bisher nicht auf Gegenliebe. Auf Anfrage zitiert
das Ministerium die Justizministerin Christine
Lambrecht (SPD) mit den Worten, dass ein
Fonds »neben den bestehenden Systemen der
sozialen Sicherung nicht erforderlich« sei. Wer
infolge der Krise seine Miete nicht mehr zahlen
könne, habe in aller Regel Anspruch auf Sozial-
leistungen wie Grundsicherung oder Wohngeld.
Für Selbstständige und kleine Unternehmen
stelle man darüber hinaus Soforthilfen bereit
und helfe unbürokratisch.
GdW und Mieterbund wollen das nicht akzep-
tieren. Sie geben sich kämpferisch und berichten
von einem wachsenden Rückhalt in der Politik für
den Fonds; der GdW sieht zudem eine Bereitschaft
in der Digitalwirtschaft, bei der technologischen
Umsetzung zu helfen. Allerdings sei Eile geboten,
und der Bundestag müsse Mitte April ein entspre-
chendes Gesetz auf den Weg bringen, damit der
Fonds ab Mai einspringen könne.
Sandra Makboul wird dann womöglich ihre
zweite Monatsmiete aussetzen müssen. Sie trägt
an ihrem linken Arm den Schriftzug »Hope« als
Tattoo. Sie hofft, dass sie ihre Miete schrittweise
abbezahlen kann, wenn sie wieder arbeiten geht.
Die 51-Jährige kann wohl davon ausgehen, dass
sie trotz der angespannten Lage ihre Wohnung
nicht verlieren wird. Zwar wartet sie noch auf
eine Antwort ihres Vermieters; doch schon in der
Krise vor zehn Jahren hatte sich die Versorgungs-
kammer laut Makboul auf eine Ratenzahlung
eingelassen. Und gegenüber der ZEIT hat die
Behörde angekündigt, man werde bei Notlagen
der Mieter »jeden Einzelfall prüfen und im Rah-
men unseres treuhänderischen Auftrags Lösun-
gen anbieten, um das jeweilige Mietverhältnis
fortführen zu können«. Bisher hat die Versor-
gungskammer mit ihren 10.500 Wohneinheiten
zwar nur vereinzelte Anfragen von Mietern er-
halten, werde aber von Kündigungen wegen
Zahlungsverzug infolge der Corona-Pandemie
absehen; man sei finanziell »solide aufgestellt«
und fürchte keine Liquiditätsengpässe, man stor-
niere auch keine Handwerksleistungen oder
Bau- und Renovierungsaufträge. Ziel sei es,
»Mietverhältnisse in vorübergehenden Krisen-
zeiten stabil zu halten.« Für Sandra Makboul ist
das endlich mal eine gute Nachricht.

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24 WIRTSCHAFT 2. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15


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