Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
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Fotos: dpa; Hans Lucas/imago (2); ddp (v. l.)

Wochen der Ansprachen:
Kanzlerin Angela Merkel

Spaniens Regierungschef
Pedro Sánchez

Frankreichs Präsident
Emmanuel Macron

Mark Rutte, Ministerpräsident
der Niederlande

Neues Programm, alte Konf likte


Der Streit um die Verteilung der Krisenkosten spaltet Europa. Jetzt schauen alle auf Deutschland VON GEORG BLUME UND MARK SCHIERITZ


W


enn Jacques Delors sich
zu Wort meldet, dann
kann man davon ausge-
hen, dass die Lage ernst
ist. Der langjährige Prä-
sident der Europäischen
Kommission in Brüssel
und Wegbereiter des einheitlichen Binnenmarkts
ist 94 Jahre alt und hat sich aus dem politischen
Geschäft weitgehend zurückgezogen. Bis vergange-
ne Woche. Da sagte Delors, der Mangel an »euro-
päischer Solidarität« in der Corona-Krise sei eine
»tödliche Gefahr für die Europäische Union«.
Tatsächlich kehrt in dieser Krise mit Wucht
eine Frage zurück, die Europa bislang mehr oder
weniger erfolgreich verdrängte: Wie viel finanzielle
Unterstützung ist in der EU nötig? Und wie kann
sie organisiert werden?
Es stehen sich gegenüber: die von der Epidemie
besonders betroffenen und teilweise hoch verschul-
deten Länder des Südens unter der Führung Frank-
reichs. Und die finanzpolitisch eher konservativen
Nordländer um Deutschland und die Niederlande.
Im Kern geht es in der Auseinandersetzung um
die Verteilung der enormen Kosten, die Corona den
Mitgliedsländern der EU aufbürdet. Allein die deut-
sche Bundesregierung hat mehr als eine Billion Euro
an Zuschüssen, Krediten und Bürgschaften bereit-
gestellt, um das Gesundheitssystem aufzurüsten und
die wirtschaftlichen Folgen des Lockdown abzufe-
dern. Deutschland kann sich das leisten, die Staats-
schuldenquote ist vergleichsweise niedrig, Finanz-
minister Olaf Scholz kann sich günstig frisches Geld
borgen. Andere Länder stehen nicht so gut da.
Das gilt zuerst für Italien, wo besonders viele
Menschen erkrankt sind und die Schuldenquote
schon vor dem Ausbruch der Krise rund 130 Prozent
der jährlichen Wirtschaftsleistung betrug. Sie könn-
te Schätzungen zufolge auf 150 bis 170 Prozent
steigen – was das Land erdrücken könnte, wie rö-
mische Experten glauben, zumal die Regierung ihren
Geldgebern wahrscheinlich irgendwann deutlich
höhere Zinsen bezahlen müsste als heute, wenn sie
sich wieder Geld leihen will. Tatsächlich beträgt das
italienische Hilfspaket gemessen an der Wirtschafts-
leistung nach Berechnung der Genfer Vermögens-
verwaltung Pictet nur 7,3 Prozent, das deutsche je-
doch 32,2 Prozent – und das obwohl die Krise Italien
härter trifft als Deutschland.


Frankreich fordert deshalb einen »europäischen
Marshallplan« für den Wiederaufbau des Kontinents.
Herzstück ist die Ausgabe sogenannter Corona-
Bonds. Das wären spezielle Anleihen, die die Mit-
gliedsstaaten zusammen herausgeben. Es würde also
eine Art europäische Gemeinschaftskasse für den


Zweck der Krisenbekämpfung eingerichtet wer-
den. Dieser Forderung haben sich inzwischen
neun Länder angeschlossen, darunter Irland,
Belgien, Spanien und Italien (siehe Seiten 2 und
45). Macron will den Beweis erbringen, dass
Europa in der Krise zusammenhält – und so die
euroskeptischen Kräfte schwächen.
An den Details wird noch gearbeitet, aber in
der Diskussion ist ein Modell, bei dem über eine
solche Anleihe einmalig Finanzmittel in Höhe von
tausend Milliarden, also einer Billion Euro auf-
genommen werden, die dann je nach Bedarf in
die Mitgliedsstaaten fließen. Für die Rückzahlung
würden die teilnehmenden Staaten dann gemein-
sam haften. Auf diese Weise würden Länder mit
hohen Schulden von den günstigen Finanzie-
rungskosten der soliden Länder profitieren.
Die deutsche Bundesregierung lehnt solche
Anleihen bislang vehement ab. In Berlin fürchtet
man vor allem, dass die zweckgebundene Gemein-
schaftskasse im Laufe der Zeit in eine allgemeine
Gemeinschaftskasse übergeführt wird. Konkret:
dass durch die Hintertür die wegen ihrer Haf-
tungsrisiken umstrittenen gemeinsamen Euro-
bonds eingeführt werden.
In der Berliner Koalition hält man es für mög-
lich, dass genau das die radikalen Kräfte stärken
könne. Das Argument: Das Wirtschaftswachstum
wird zurückgehen, die Arbeitslosigkeit steigen. In
einer solchen Situation will man sich nicht dem
Vorwurf aussetzen, deutsches Steuergeld im Aus-
land zu verteilen. Schließlich wurde die AfD ur-
sprünglich als Anti-Euro-Partei gegründet. Des-
halb soll Ländern in Not über ein anderes Ge-
meinschaftsinstrument geholfen werden, das in
der Euro-Krise etabliert wurde. Der Rettungs-
fonds ESM. Der Vorteil: Es gibt diesen Fonds
bereits, und er verfügt über freie Mittel in Höhe
von 410 Milliarden Euro, die als Kredite an klam-
me Staaten vergeben werden können.

Frankreichs Präsident will gegen die
deutsche Zurückhaltung kämpfen

Das Problem ist: In Italien und in anderen Süd-
staaten gilt ein Engagement des ESM als politisch
nicht vermittelbar, weil der Fonds seine Kredit-
programme traditionell an strenge Auflagen
knüpft. Conte steht dabei unter einem enormen
Druck durch die Rechtspopulisten der Lega, die
einen solchen Kredit schon jetzt als ökonomische
Kapitulationserklärung brandmarken. In einer
Videokonferenz der Staats- und Regierungschefs
am vergangenen Donnerstag eskalierte der Streit.
Nach stundenlangen Diskussionen musste Ange-
la Merkel einräumen, dass man sich nicht auf eine
gemeinsame Linie verständigen konnte.
Im Moment besteht zwar kein akuter Hand-
lungsbedarf, weil die Europäische Zentralbank
ebenfalls ein neues Hilfsprogramm aufgelegt hat,
in dessen Rahmen sie die Anleihen der Euro-
Länder aufkauft. Das verschafft vor allem den
hoch verschuldeten Ländern des Südens zusätzli-
chen Spielraum für das Krisenmanagement der
nächsten Wochen und Monate.
Doch die meisten Ökonomen gehen davon
aus, dass diese Krise noch viel Geld verschlingen
wird – und eine dauerhafte Staatsfinanzierung
durch die Notenpresse will man vor allem im
Norden Europas vermeiden, zumal die europäi-
schen Verträge das nicht erlauben. So sieht man
das auch bei der Bundesbank. »Solidarität ist
wichtig, auch auf europäischer Ebene. Die Noten-
banken können einen wichtigen Beitrag leisten,
die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern.
Sie haben aber ein spezielles, geldpolitisches Man-
dat, und die Politik sollte dadurch nicht aus der
Verantwortung entlassen werden«, sagte Bundes-
bankpräsident Jens Weidmann der ZEIT.
Deshalb soll nun bis nächste Woche eine Lö-
sung gefunden werden. Der französische Staats-
chef Emmanuel Macron hat klargemacht, dass er

den Kampf gegen die deutsche »Zurückhaltung« nicht
aufgeben werde. Man habe der Bundesregierung noch
nicht nahebringen können, dass die Einheit Europas
auf dem Spiel stehe und deshalb neue Wege beschrit-
ten werden müssten, heißt es in Paris. Und auch der
grüne Europa-Abgeordnete Sven Giegold hält es für
»grundfalsch«, die französischen Vorstöße rundweg
abzulehnen.
Was die Sache so kompliziert macht: Die Ausei-
nandersetzung verläuft entlang der Konfliktlinien, die
schon in der Euro-Krise den Kontinent gespalten
hatten. Und das löst alte Abwehrreflexe aus. Im Nor-
den wird gern unterstellt, dem Süden gehe es nur um
Zugang zu billigem Geld. Und im Süden glauben
viele, dass der Norden einzig nach Wegen suche, um
seine Sparvorstellungen überall durchzusetzen.
Allerdings bringt die Krise auch neue Allianzen
hervor. Ein Zusammenbruch der Währungsunion
oder ein Ende des Binnenmarkts wäre auch wirt-
schaftlich für Deutschland mit erheblichen Einbußen
verbunden. Volkswagen-Chef Herbert Diess fordert
daher, über die Einführung von Gemeinschaftsanlei-
hen zumindest zu diskutieren, und das arbeitgeber-
nahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln spricht

sich ebenfalls dafür aus. Die Kölner Ökonomen haben
die drei derzeit diskutierten Hilfsinstrumente – neue
Liquiditätsprogramme der EZB, Kredite des ESM und
Corona-Bonds – verglichen und kommen zu dem
Ergebnis, dass Letztere am »besten« abschneiden. Ihr
Hauptargument: Wenn Staaten die Milliardenhilfen
annehmen, dürfe das nicht mit einem Stigma ver-
bunden sein. Und es müsse sichergestellt werden, dass
das Geld auch tatsächlich für den Kampf gegen die
Krise verwendet werde. Die Programme der Euro-
päischen Zentralbank aber erlaubten keine Zweck-
bindung, und an den ESM wendet man sich normaler-
weise nur, wenn die Staatspleite kurz bevorsteht.

Bundesbankpräsident Weidmann kann sich
gelockerte Kreditauflagen vorstellen

So werden jetzt in Berlin und Paris mögliche Kom-
promisslinien sondiert. Eine Variante läuft darauf
hinaus, dem ESM sein Stigma zu nehmen. Das
könnte erreicht werden, indem alle Euro-Länder
pro forma eine Kreditlinie beantragen, dann wäre
Italien nicht allein. Auch die Rückzahlungsfristen
zu strecken ist im Gespräch, dadurch wären die zu-

sätzlichen Kredite leichter zu schultern. Schließlich
wird erwogen, die an die Darlehen gekoppelten
wirtschaftspolitischen Zwangsmaßnahmen zu lo-
ckern. Deren Philosophie ist ein Produkt der Euro-
Krise. Damals gab es wirtschaftspolitische Fehlent-
wicklungen in den Mitgliedsstaaten, die durch An-
passungsprogramme korrigiert werden sollten. Die
Corona-Krise aber gleicht einer Naturkatastrophe,
sie ist nicht die Folge überhöhter Etatdefizite oder
eines zu großen Sozialstaats.
Denkbar ist, dass die an einem Kredit interessierten
Staaten Geld für den Kampf gegen das Virus bekom-
men und dabei nur die allgemeinen Haushaltsregeln
der EU einhalten müssen. Die sind derzeit krisen-
bedingt ohnehin ausgesetzt. Bundesbankpräsident
Weidmann kann sich solche Modelle vorstellen.
»Eurobonds sehe ich weiterhin skeptisch. Ein Weg
könnte aber eine Kreditlinie des ESM sein. Die wirt-
schaftspolitischen Auflagen wären dabei nicht so streng
ausgestaltet wie bei klassischen Hilfskrediten«, sagt er.
Am Ende wird die Frage sein, ob es gelingt, eine Lö-
sung zu finden, die sich für Italien rechnet und die
zugleich in Deutschland politisch vermittelbar ist.
Sicher ist das nicht.

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  1. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15 WIRTSCHAFT 25


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