Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

28 WISSEN 2. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15


TITELTHEMA


Quellen


Ein Beitrag zum Kinderschutz in Corona-
Zeiten von Kinderpsychiater Jörg Fegert und
anderen erscheint im »Deutschen Ärzteblatt«

Eine Studie zur Arbeitsbelastung im
Allgemeinen Sozialen Dienst der Jugendämter
wurde an der Hochschule Koblenz durchgeführt

Konkrete Forderungen von Wissenschaftlern
und Wissenschaftlerinnen sind in ihrem
Appell für mehr Kinderschutz nachzulesen

Links zu diesen und weiteren Quellen des
Artikels finden Sie bei ZEIT ONLINE
unter zeit.de/wq/2020-15

kranke Eltern extremer Überforderung aussetzt,
wenn man ihnen über Wochen die Betreuung
ihrer auf engem Wohnraum gefangenen Kinder
allein überlässt. Es hätte auffallen müssen, dass der
Schutz der Jüngsten in einer abgeschotteten Ge-
sellschaft nicht mehr gewährleistet ist.
Manchen fiel es ja auch auf.
In Dortmund hat man 75 Mädchen und Jungen
aus desolaten Lebensverhältnissen in die Notbetreu-
ung der Kitas integriert und sich so hinweggesetzt
über das Gebot, die Plätze nur für den Nachwuchs
von Eltern aus systemrelevanten Berufen zu öffnen.
Auch die Stadt Recklinghausen hat kurzzeitig be-
sonders schutzbedürftige Kinder aufgenommen,
denn die Kitas sind leer, und oft erscheinen in den
Notgruppen nur ein bis zwei Kinder. Das Landes-
jugendamt untersagte es dann aber, dass diese Kinder
während der Krise weiter betreut werden. Der Infek-
tionsschutz gehe vor. Bis hinauf zum Minister haben
die fassungslosen Verantwortlichen den Streit getra-
gen. Denn was, wenn Kinder nun zu Hause geprügelt
werden, weil man den Eltern keine Entlastung ver-
schaffen konnte? Und wer trägt die Verantwortung,
wenn nach der Krise unzählige Kinder in Obhut
genommen werden müssen?
Der Schutz der Minderjährigen wird normaler-
weise vom Jugendamt organisiert. Das Amt holt
sich dafür Unterstützung von Sozialpädagogen,
Psychologen und Therapeuten aus der freien
Jugendhilfe. Doch die Strukturen sind gestört. Es
fehlen verbindliche Regelungen für den Not-
betrieb in Corona-Zeiten.


»Was mich gerade besonders ärgert, ist, dass Familien­
helfer ohne Rücksprache mit uns entscheiden, Haus­
besuche einfach einzustellen. Wenn ich nachfrage,
erfahre ich dann zum Beispiel, dass eine Familie, die
zur Vermüllung der Wohnung neigt und ein zweijäh­
riges Kind hat, schon seit zwei Wochen nicht mehr
besucht wurde. Die Einschätzung der Notwendigkeit
muss aber in Absprache mit uns erfolgen. Solche
Regeln werden einfach übergangen.«
(ein Mitarbeiter aus dem Jugendamt einer Klein-
stadt)


Nicht nur Jugendämter haben ihre Arbeit auf
das Notwendigste reduziert, sind kaum oder erst
nach Tagen zu erreichen, wie man von Lehrern
und Erziehern erfährt. Auch die Arbeit der freien
Träger leidet unter der Krise.
Gegenseitige Schuldzuweisungen bleiben jetzt
nicht aus. Vereine und Hilfsprojekte beklagen
fehlende Klarheit über Zuständigkeiten und Finan-
zierungen. Neue Formen der Familienberatung über
Skype oder andere Online-Formate standen bisher
nicht im Leistungskatalog und werden an vielen
Orten gar nicht bezahlt. Wie gut es den Kindern und
Jugendlichen in einer Stadt oder Ge-
meinde geht, hängt davon ab, wie viel
Geld einer Kommune zur Verfügung
steht und wie wichtig ihr der Kinder-
schutz ist.
Rund eine Million Minderjährige
sind bundesweit in Jugendhilfeein-
richtungen untergebracht oder werden
von ambulanten Diensten betreut. In-
nerhalb der 559 Jugendämter von
Flensburg bis Freiburg wachen rund
15.000 Mitarbeiter des Allgemeinen
Sozialen Dienstes über den Schutz der
Kinder. Sie sind diejenigen, die Kinder
aus Familien nehmen, wenn die Zu-
stände dort unhaltbar geworden sind,
die Hilfepläne entwickeln, nach Unter-
bringungsmöglichkeiten für das Kind
suchen. Und auch wenn die meisten
Fachkräfte mit hohem Einsatz in diesen
Tagen dabei sind, den Kindern in Not
zu helfen, fällt es vielen schwer, ihrem
Schutzauftrag nachzukommen. »Ich
erlebe eine große Unsicherheit bei allen, die sich
gerade für Kinder in schwierigen Lebenslagen ein-
setzen. Vieles ist unklar. In den stationären Einrich-
tungen denken Mitarbeiter sogar darüber nach,
Kinder mit zu sich nach Hause zu nehmen, sollte ein
Corona-Fall auftreten. Weil die Vorgaben fehlen,
strickt sich jeder selbst ein Konzept für den Notfall«,
sagt Kathinka Beckmann, die an der Hochschule
Koblenz Kinderschutz lehrt und in ihren berufs-
begleitenden Studiengängen viele Stimmen aus der
Praxis hört.

»Ich mache mir Sorgen um unsere Mitarbeiter. Die
arbeiten gerade weit über die Belastungsgrenze
hinaus. Wir haben jetzt schon viele Krankheitsfälle.
Das wird zunehmen. Überall fehlt Personal. Ge­
schützt war das Personal in unseren Einrichtungen
bisher gar nicht. Wir standen als freier Träger nicht
auf der Dringlichkeitsliste. Ich habe das jetzt selbst in
die Hand genommen und bei Amazon 30 Schutz­
anzüge bestellt und bei der chinesischen Botschaft um
Gesichtsmasken gebeten. Die wollen 3000 schicken.
Was wird geschehen, wenn wir erste Corona­Fälle
unter den Kindern und Jugendlichen haben? Schickt

sie auf ihr Zimmer, heißt es dann. Aber wir machen
hier zum Teil intensivtherapeutische Angebote. Die
Jugendlichen kann man nicht einfach auf ihrem
Zimmer isolieren.«
(Michael Wantschura von hpkj, einem freien
Träger in München)

Die Krise überfordert alle, nicht nur die Familien,
auch die Verantwortlichen bei Ämtern und
Jugend hilfediensten. Doch überall arbeiten Men-
schen unter widrigen Bedingungen und hohem

Risiko für ihre eigene Gesundheit weiter. Und so
steht jeder Arbeitgeber vor dem fast unlösbaren
Dilemma: Was wiegt schwerer, der Schutz der
Mitarbeiter oder der Schutz der Kinder? Die meis-
ten fühlen sich mit dieser Frage alleingelassen.
Maud Zitelmann, die Initiatorin des Appells
aus der Wissenschaft, fordert jetzt, einen nationa-
len Krisenstab einzurichten, ein Gremium aus
Bund und Ländern, das klare Handlungsempfeh-
lungen setzt: »Wir brauchen bundesweit einheit-
lich Standards, besonders in dieser Ausnahmesitua-
tion«, sagt Zitelmann, Professorin für Jugendhilfe
und Kinderschutz an der Frankfurt
University of Applied Sciences, »Kin-
derschutz ist systemrelevant.« Nicht
nur Polizei, Feuerwehr, Lebensmit-
tel-, Wasser- und Stromversorgung
hätten neben dem Gesundheitssektor
verlässlich fortzubestehen, auch Hil-
fesysteme zum Schutz der Kinder
müssten aufrechterhalten bleiben.
Darauf musste nun auch Bundes-
familienministerin Franziska Giffey
reagieren. Bisher hatte man eher ver-
geblich auf ein Bekenntnis der Politi-
kerin zum Kinderschutz gewartet. Zwar
hat das Familienministerium schnell
den Zugang zum Kinderzuschlag er-
leichtert. Doch als für die Wirtschaft
eifrig Rettungsschirme aufspannt wur-
den, fuhr man die Angebote für gefähr-
dete Kinder vielerorts immer noch zu-
rück. »Das war schon fast unterlassene
Hilfeleistung der Politik«, sagt Rainer
Rettinger, Geschäftsführer des Deut-
schen Kindervereins. »Dabei sollte Giffey doch die
oberste deutsche Kinderschützerin sein.«
Nun endlich rafft sie sich auf: Bund, Länder
und Kommunen müssten alles tun, damit Kinder
und Jugendliche auch während der Krise vor
Gewalt und Missbrauch geschützt seien. Die Ar-
beit von Mitarbeitern in Beratungsstellen, Kinder-
heimen, Jugend- und Frauenhäusern müsse als
»systemrelevant eingestuft werden«, fordert jetzt
auch Giffey. Sollte die Notbetreuung der Kitas für
die schutzbedürftigen Kinder geöffnet werden?

»Das hängt vor allem davon ab, wie lange der Aus-
nahmezustand noch dauert«, sagt Giffey der ZEIT.
»Derzeit haben wir eine Schließzeit von fünf
Wochen. Das ist so lange wie etwa die Sommerfe-
rien. Das ist noch vertretbar.«
In den nächsten Tagen wird man also weiter auf
die Corona-Kurven starren, auf In fek tions zah len und
Todesfälle. Und während sich alle danach sehnen,
dass die Kurven abflachen und das Leben wieder
weniger angstbesetzt wird, steigt der Stresslevel in den
Familien von Woche zu Woche an. Mit allen Neben-
wirkungen, die solch eine Belastung mit sich bringt.
»Alle größeren wirtschaftlichen Rezessionen der
letzten Jahrzehnte hatten einen deutlichen Anstieg
von körperlicher, emotionaler und sexualisierter
Gewalt gegen Kinder zur Folge«, sagt Jörg Fegert,
Kinder- und Jugendpsychiater am Universitätskli-
nikum Ulm. »Wir müssen aufpassen, dass auf die
Covid-19-Pandemie keine soziale Pandemie folgt.«
Doch während die warnenden Stimmen nicht
mehr zu überhören sind, ist es andernorts verdäch-
tig still.

»Wir als Kinderschutzambulanz haben gerade auf­
fallend wenige Anfragen. Unser ruhiges Telefon ist für
uns aber kein Anzeichen von weniger häuslicher Ge­
walt, im Gegenteil, die Sorge ist groß, dass es in diesen
Tagen zu mehr Gewalt in den Familien kommt. Aber
im Moment gibt es wenig direkten Kontakt zu Kin­
dern und Eltern. Deshalb fehlen uns die Hinweise.«
(Gabriele Komesker, Leiterin der Kinderschutz-
ambulanz am Evangelischen Krankenhaus
Düsseldorf )

Wo keiner hinsieht, fällt niemandem etwas auf. Auch
Jugendämter berichten, dass die Fallmeldungen von
Kindeswohlgefährdungen stark abgenommen haben.
Die Berliner Polizei verzeichnet aktuell einen leich-
ten Rückgang bei den Strafanzeigen zu Misshand-
lungen von Kindern und Jugendlichen. Eine
Sprecherin sagt, man erkläre sich das auch mit den
geschlossenen Kitas und Schulen, die sonst wichtige
Kontrollinstanzen sind.
Diese Ruhe, da sind sich alle einig, ist trüge-
risch. Hinter den verschlossenen Türen dürfte es
lauter werden als jemals zuvor.

Die Unsichtbaren Fortsetzung von S. 27


Sozialarbeiter der »Arche« besuchen eine Berliner Familie

Foto: Sascha Montag/Zeitenspiegel

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