Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
»Hoffen auf Heilung« hieß der Artikel, in dem
wir in der ZEIT Nr. 13/20 die verschiedenen
Stränge der Suche nach Medikamenten und
Impfungen gegen Covid-19 dargestellt haben.
Unter demselben Motto verfolgen wir in den
kommenden Woche die Fortschritte:
Langfristig ruhen alle Hoffnungen auf
einem Impfstoff gegen das neue Coronavirus.
Aber das kann ein Jahr und länger dauern. Per
Video warnte jüngst Gregory Poland, Direktor
der Vac cine Re search Group der Mayo Clinic
im amerikanischen Rochester, derzeit zielten
fast alle Impfstoffhersteller auf die charakteris-
tischen Stachel auf der Virushülle, die »Spikes«.
Mit ihrer Hilfe gelangen die Viren in die Zel-
len, die sie befallen. Bildete ein geimpfter Kör-
per vorab Antikörper gegen diese Stachel,
stünde das Virus ohne Schlüssel da. Doch
wahrscheinlich, so die Warnung, wirke eine
solche Vakzine nur sehr kurz: Weil nur eine
Klasse unter den Immunzellen, die Typ-2-T-
Helferzellen, trainiert wird, bildet der Körper
kein langlebiges Immungedächtnis aus. Des-
halb fordert Poland, Impfstoffe gegen mehrere
Virusstrukturen zu entwickeln – was den Auf-
wand erheblich erhöhen würde. Kritisch ist
dabei die Sicherheit. Da 85 Prozent aller Infi-
zierten nur leicht erkranken, wäre eine Massen-
vakzinierung mit ungenügend getesteten
Impfstoffen unverantwortlich, ein Schaden
womöglich größer als der Nutzen.
Eine andere Vakzine ist in der Praxis bereits
gut getestet, die Tuberkulose-Impfung BCG.
Womöglich stärkt sie das Immunsystem so, dass
es auch Sars-CoV-2-Viren besser abwehren
kann. Infizierte würden weniger schwer erkran-
ken. Das Max-Planck-Institut für Infektions-
biologie in Berlin arbeitet gerade an einer ak-
tualisierten BCG-Version. Die Uni-Kliniken
von Nijmegen und Utrecht wollen medizini-
sches Personal zum Schutz vor Corona mit BCG
bald impfen – ein Versuch, um herauszufinden,
ob und wie stark die Vakzine auch gegen den
aktuellen Erreger hilft. HARRO ALBRECHT

Die Suche nach einem
Impfstoff geht weiter – und
bezieht Altbekannte mit ein

Gegen Corona


statt Tuberkulose


Der Atem ist immer da, und er fällt uns meist
nur auf, wenn wir mal beim Rennen oder
Treppensteigen aus der Puste kommen. Doch
was wünscht sich unser Atemorgan, was braucht
unsere Lunge eigentlich an alltäglicher Pflege,
damit sie möglichst reibungslos ihren Dienst


versehen kann? Was können wir ihr Gutes tun?
Und wie lässt es sich leicht umsetzen?
Lesen Sie bei ZEIT Doctor, was die Lunge
ihrem Besitzer rät.
Mehr Infos unter zeit.de/2019/46/atmen-lunge-
organ-koerperhaltung-luft

GESUNDHEIT


WISSEN 31


Geflüchtete in Italien
haben die Firma
Talking Hands
gegründet und
nähen selbst
Masken. Ob und wie
solche Modelle
schützen, ist derzeit
noch unklar

Vermummungsgebot?


An der umstrittenen Frage, ob Gesunde Atemmasken tragen sollen, zeigt sich die Spannung zwischen


politischem Kalkül und wissenschaftlicher Beweislage. Analyse einer Debatte VON MAXIMILIAN PROBST


S


ollen wir jetzt Masken tragen?
Oder lieber nicht? Das ist auch des-
halb spannend, weil sie den Um-
gang mit Unsicherheit in unserer
Gesellschaft auf doppelte Weise be-
leuchtet. Die Masken sind zum ei-
nen das Symbol schlechthin für die
Corona-Krise, sie bebildern, wie verletzlich, wie
schutzbedürftig der Mensch angesichts der Virus-
Pandemie ist. Zum anderen bleibt es un sicher,
welche Wirkung das Tragen von Atemschutzmas-
ken am Ende eigentlich genau entfaltet. Auf die-
sem schwankenden wissenschaftlichen Grund ist
zuletzt die Streitfrage neu bewertet worden. Hieß
es anfangs von der WHO und den Virologen in
Deutschland: Masken nur für die jeni gen, die sie
dringend brauchen, mehren sich nun die Befür-
worter der Masken-für-alle-Linie.
An der wissenschaftlichen Ausgangslage hat
sich bei der Neubewertung nichts geändert. Die
WHO-Empfehlungen hatten zwar im Blick, dass
es womöglich einen nicht einwandfrei geklärten
positiven Schutz effekt gibt, auch einfache chirur-
gische Masken zu tragen, hielten aber diese Bot-
schaft für das falsche Si gnal zur falschen Zeit.
Schon zu Beginn der Krise war der einfache
Mundschutz vergriffen, genauso wie die etwas
aufwendiger hergestellten N95-Masken. Selbst
die hochwertigen FFP-Masken – die anders als
die simplen Varianten auch den Träger, nicht nur
dessen Gegenüber vor Ansteckung schützen –
drohten knapp zu werden. Ein Aufruf, Masken zu
tragen, hätte die Folge haben können, dass sie
dort, wo sie am dringendsten benötigt wurden,
nicht angekommen wären: im Gesundheits-
system. Womöglich auch von dieser Überlegung
geleitet, entschied sich die WHO, das Tragen von
Masken außerhalb der Fachkreise nur den jeni gen
zu empfeh len, die entweder selbst bereits husteten
oder eine Person betreuten, bei der Verdacht auf
eine Corona-Erkrankung bestand.
Diese Sicht wurde von den Medien übernom-
men und dominierte zumindest in den westlichen
Ländern die öffentliche Wahrnehmung. Masken
waren dort kaum zu sehen, fast nur Menschen mit
Ostasien-Hintergrund trugen sie – um die alle an-
deren, verunsichert, dann lieber einen großen Bogen
machten. Dass sich diese Lage ändern würde, zeich-
nete sich aber spätestens ab, als die amerikanische
Soziologin Zeynep Tufekci Mitte März in einem
global zirkulierenden Leitartikel in der New York
Times die Schwächen des WHO-Standpunkts unter
ihr analytisches Mikroskop nahm. Sie argumen tierte,
dass die WHO und die meisten westlichen
Virologen einer falschen, schlimmer noch: einer
kontraproduktiven Kommunikationsstrategie ge-
folgt seien und vielfältige gesellschaftliche Rück-
kopplungseffekte nicht bedacht hätten.
Tufekci fragte: Wenn die Botschaft inmitten
einer Pandemie lautet, Masken nur fürs Gesund-
heitssystem, nicht für die Bevölkerung, wird das


dann nicht falsch verstanden? Erscheinen dann die
Masken nicht erst recht als kostbares, lebensnot-
wendiges Gut, um das sich die Bevölkerung sogleich
reißt? Besser wäre es gewesen, hätte man gleich auf
ein allgemeines Maskentragen gesetzt, die Produk-
tion angekurbelt und die Bevölkerung auf Solidari-
tät eingeschworen, mit der Forderung, die gebun-
kerten Masken den Krankenhäusern zu spenden und
sich selbst vorerst mit selbst genähten zu behelfen.
Unterdessen hatte sich auch der Fokus der De-
batte verschoben. Die Bürger kauften anfangs den
Mundschutz in der Hoffnung, sich damit selbst vor
Ansteckung zu schützen. Das aber funktioniert nach
gängiger Lehrmeinung bei normalen Alltagsbegeg-
nungen nicht. Die Virologen und Gesundheitspoli-
tiker mussten sich dementsprechend in der Kom-
munikation besonders darauf konzentrieren, diesen
Irrglauben auszuräumen. In diesem Sinne stellte die
Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände
Anfang Februar auf ihrer Internetseite klar: »Um
sich vor einer Infektion mit dem Coronavirus zu
schützen, brauchen Gesunde in Deutschland nach
derzeitigem Wissensstand keine Atemschutzmas-
ken.« Die Tatsache, dass ein Infizierter auch mit
einfachen Masken seine Mitbürger schützt, wurde
demgegenüber meist sekundär behandelt. Als sich
aber zeigte, dass entgegen der anfänglichen Einschät-
zung die Übertragung des Virus auch vor oder
gänzlich ohne Eintritt von Symptomen recht häufig
zu sein scheint, änderte das die Debatte. Nun wirkte
plausibel: Weil jeder potenziell das Virus unwissend
übertragen kann, sollte jeder vorsorglich zum Schutz
seiner Mitbürger den Schutz anlegen.
Allerdings wirft diese glasklar erscheinende
Schlussfolgerung ihrerseits eine ganze Reihe von
Fragen auf. Zwar betonen Befürworter, die Masken
würden helfen, sich nicht unbewusst an die Nase
oder den Mund zu fassen, aber beim Auf- und Ab-
setzen und wenn sie unangenehm sitzen, passiert
womöglich gerade das. Zudem: Könnten nicht die
Masken ein Gefühl von falscher Sicherheit vor-
gaukeln – mit der Folge, dass die Träger die
Abstandsregeln laxer handhaben als gefordert?
Ziehen die Leute »Nebenluft« ein, wenn sie auf-
grund der Masken tiefer atmen, und macht das die
Sache schlimmer? Was ist mit Tröpfchen, die auf der
Oberfläche des Gewebes landen? Und lässt sich
sicherstellen, dass die Masken regelmäßig gewechselt
oder desinfiziert werden? Weil, wenn nicht, dann ...
Die wissenschaftliche Literatur gibt keine ein-
deutigen Antworten, viele Erkenntnisse stammen
von Influenza-Epidemien, oder die Versuchsgrup-
pen waren sehr klein. Dass unter anderem der Prä-
sident der Bun des ärzte kam mer jetzt diesen unge-
sicherten Weg trotzdem einschlagen will, hat wohl
vor allem mit dem Beispiel der ost asia ti schen
Länder und Stadtstaaten zu tun. Dort hat man
unterschiedlich auf den Ausbruch der Pandemie
reagiert. Hongkong hat etwa die Schulen geschlos-
sen, Taiwan sie nach zwei Wochen wieder geöffnet,
Singapur sie nie zugemacht. Eins aber haben die

Länder gemein: niedrige Infektionszahlen, trotz der
Nähe zu China. Und die Praxis, dass ausnahmslos
alle in der Öffentlichkeit Masken benutzen.
Daraus folgt natürlich noch immer nicht, dass
sie eine entscheidende Zutat dieses Erfolgs waren
oder das Beispiel auf die westlichen Länder so ein-
fach übertragbar ist. Japan hat beispielsweise allge-
mein sehr viel höhere Hygienestandards als wir.
Hongkong und Singapur haben Erfahrungen mit
Sars gesammelt, und niemand hat besser im Blick,
was in China passiert, und reagiert darauf schneller
als Taiwan. Zudem haben alle Länder besseren Zu-
griff auf Masken-Fabrikate und müssen nicht auf
selbst gebastelte zurückgreifen, zu denen es keine
Studienergebnisse gibt. Darum hat Taiwan um-
gehend seine Produktion hochgefahren: Während
man sich in Deutschland freut, zehn Millionen

Masken auf dem Weltmarkt ergattert zu haben,
produziert das Land dieselbe Anzahl täglich.
Womit uns die ostasiatischen Länder konfron-
tieren, ist deshalb eher ein Indiz, eine Art weiches
Erfahrungswissen, keine harte Erkenntnis. Aber da
die west lichen Infektionszahlen nach wie vor durch
die Decke gehen, während die ostasiatischen sta-
gnie ren, scheint der Schritt, es ebenfalls mit Mas-
ken zu versuchen, fast unausweichlich. Wohin er
führt, wird die Wissenschaft erst rückblickend
wissen. Oder anders gesagt: Wir haben in der Mas-
kenfrage den spannendsten Punkt der Debatte er-
reicht, wo nach allem Abwägen der Argumente
und Stu dien der Bereich des Ge sicher ten aufhört
und der des Glaubens beginnt.

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Hoffen auf Heilung


Foto: Matteo de Mayda/Contrasto; Illustration: Matthias Schütte für DIE ZEIT

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  1. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15


Die neueAlmzei tvonBergader.Soc remi g!
SowürzigwiedieAlmwelt.
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