Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

  

  


   


$


"%


!


!!


!^ 






MICHAEL PRELLBERG


Was hat sich geändert durch
das Coronavirus? Wenn wir
später auf diese turbulenten
Wochen zurückblicken, werden
wir feststellen: Wir arbeiten di-
gitaler. Weil es nicht ausreicht,
Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter ins Homeoffice zu schicken
und anzuordnen: »Nun macht
mal schön!« Um arbeitsfähig zu
sein, braucht es die passende
Ausstattung: Zugang zu Daten
und Dokumenten, Software für
Telefon- und Videokonferenzen
und Kollaborations-Tools für
den schnellen Austausch. Wo
das fehlt, heißt es: rasch nach-
rüsten und digitalisieren. Oder
untergehen.


Damit ist die Zeit des Zögerns
abgelaufen. Bis zum Start der


Corona-Krise hatten sich gera-
de Mittelständler vor der digi-
talen Transformation gedrückt.
Als das Beratungsunternehmen
IDC im Herbst 2019 fragte, wie
die Unternehmen vorankommen
mit der Umstellung auf elektro-
nische Prozesse, antwortete ein
Viertel: »Machen wir längst!« Der
Rest arbeitete dran, plante oder

dachte zumindest darüber nach.
Und einige wenige planten, dar-
über nachzudenken. Nur 19 Pro-
zent der Mittelständler sind laut
IDC darauf vorbereitet, Abläufe
im Büro umfassend zu digitali-
sieren.
Für das Zögern gibt es Grün-
de. Wer Prozesse digitalisiert,

muss erprobte Abläufe ändern,
sich mit darob ergrimmten Mit-
arbeitern arrangieren und zu-
dem Geld investieren. Also zuck-
ten viele Unternehmen zurück:
»Klappt doch auch so!« Es klappt
allerdings mäßig. Auf die Frage,
wofür sie im Umgang mit Doku-
menten am meisten Zeit aufbrin-
gen, sagen zwei Drittel der Büro-
angestellten: fürs Suchen. Bis zu
zwei Stunden verplempern sie
damit jeden Tag. Doch »die größ-
te Barriere beim Einstieg in ein
digital versiertes Unternehmen
ist die Tatsache, dass der Trans-
formationsprozess einem kul-
turellen Wandel gleichkommt«,
sagt Niklas Mahrdt, Professor für
digitale Transformation. »Es geht
darum Hierarchien abzubauen
und Silos einzureißen.« Genau
davor schrecken viele Unterneh-
menslenker zurück.

Zwei Stunden am
Tag werden mit
Suchen vergeudet

Aus dieser Zwickmühle gibt es
zwei Auswege: das Outsourcen
von IT-Aufgaben an spezialisier-
te Dienstleister und den Einsatz
von neuen Technologien, die das
bestehende IT-Team entlasten.
Diese Technologien haben einen
weiteren Vorteil: Sie sind mittler-
weile so user-freundlich, dass die
angeblich unzureichend qualifi-
zierten Mitarbeiter problemlos
mit ihnen zurechtkommen.Tat-
sächlich sind derzeit weniger
Spezialisten für revolutionäre
»Industrie 4.0«-Konzepte gefragt
als Angestellte, die offen sind für
Aufgaben mit digitalem Kontext.

Andre Lipsmeier, Wissenschaft-
ler am Fraunhofer IEM in Pader-
born, beobachtet einen Wandel
vom »Hype Industrie 4.0« hin zu

langfristigen Strategien: Erst ein-
mal die Hausaufgaben erledigen
und die internen Prozesse digi-
talisieren.
Auf dieser gesunden Basis
lässt sich aufbauen – dann ist »In-
dustrie 4.0« kein Hype, sondern
ein zukunftsfähiges Geschäfts-
modell. So wie bei der Helmut
Beyers GmbH, die in Mönchen-
gladbach unter anderem Platinen

mit elektronischen Elementen
bestückt. Der gesamte Produkti-
onsablauf wird digital abgebildet,
jeder einzelne Fertigungsschritt.

Gibt es Verzögerungen? Wie sieht
es mit dem Material aus? Werden
kritische Werte unter- oder über-
schritten, können die Mitarbeiter
sofort reagieren und etwa Waren
nachbestellen?
Im westfälischen Delbrück
verhindert der Verpackungsher-
steller Josef Schulte GmbH, dass
Gabelstapler in den Produkti-
onshallen miteinander kolli-
dieren: geht jetzt alles automa-
tisch. »Unser Auslastungsgrad
ist seitdem höher, die Rüst- und
Produktionszeiten kürzer und
unsere Lagerhaltung schlanker
geworden«, sagt Geschäftsführer

Dietmar Schulte. Die Produktion
konnte insgesamt um mehr als 15
Prozent gesteigert werden.
In Delbrück haben sie ihre
Hausaufgaben erledigt. Und
dann einfach weitergemacht.
Denn die digitale Transforma-
tion, einmal angestoßen, geht
immer weiter und weiter. Auch
wenn Corona längst vergessen
sein wird.

Das ändert sich, seitdem das Co-
ronavirus den Büroangestellten
fast die Pflicht zum Homeoffice
aufbürdet – das Arbeiten am
heimischen Schreibtisch funkti-
oniert nur mit der entsprechen-
den elektronischen Ausstattung.
Und auf einmal stellen Unterneh-
men fest, wie einfach der Einstieg
in digitale Geschäftsprozesse ist.
Längst gibt es Software-Lösun-
gen, die Dokumente elektronisch
ordnen und archivieren und da-
rüber hinaus standardisierte
Workflows anbieten. Damit ha-
ben alle berechtigten Mitarbei-
ter – egal von wo sie arbeiten –
jederzeit Zugriff. Und für alle ist
transparent, wie weit beispiels-
weise eine Rechnung gerade be-
arbeitet ist.
Optimierte Prozesse sind für
Philipp Depiereux allerdings nur
»Hausaufgaben«. Den Schlüssel

zum langfristigen Erfolg sieht der
Geschäftsführer der Digitalbera-
tung etventure in der Entwick-
lung neuer digitaler Geschäfts-
modelle. Sich auf die digitalen
Workflows zu konzentrieren, füh-
re »in die falsche Richtung«. Da-
rüber ließe sich streiten. Insbe-
sondere für Mittelständler ist die

Umstellung auf elektronische Ge-
schäftsprozesse der Startschuss
für die digitale Transformation.
Mit dem Wissen darüber, wie
schnell dieser Umstieg gelingt
und wie effizienter die Prozesse
anschließend laufen, wächst
auch die Zuversicht für weitere
Schritte in die digitale Welt.
Leider halten nur 28 Prozent
der Unternehmen ihre Mitarbei-
ter für ausreichend qualifiziert,

die Digitalisierung voranzutrei-
ben. Und 76 Prozent der bei einer
etventure-Umfrage Befragten
nennen »fehlende qualifizierte
Mitarbeiter mit Digital-Know-
how« als größtes Hemmnis bei
der Umsetzung der digitalen
Transformation. Doch der Markt
ist leer gefegt. Wer IT-Kenntnisse
hat, kann sich seinen Arbeitgeber
aussuchen.

IMPRESSUM
Verantwortlich fü r den redaktio nellen Inhalt: ZEIT Verlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Helmut Schmidt Haus, Speersort 1, 20095
Hamburg Geschäftsfü hrung: Dr. Rainer Esser Art Direktion: Kay Lü bke, Dietke Steck Realisierung: TEMPUS CORPOR ATE GmbH


  • Ein Unter nehmen des ZEIT Verlags Redaktion: Michael Prellberg Projektmanagement: Stefanie Eggers Grafi k: Jan Paschetag
    Lektorat: Egbert Scheunemann Illustrationen: iStockphoto Chief Sales Offi cer ZEIT Verlagsgruppe: Áki Hardarson Anzeigen preise:
    Preisliste Nr. 65 vom 1. Januar 2020


Mehr IT wagen


63 Prozent der Unternehmen


im deutschsprachigen Raum


erhöhen laut Capgemini-


Umfrage ihre IT-Ausgaben



  1. Wichtigstes Ziel: Aus-


bau der Digitalisierung, um


die Effizienz zu erhöhen und


Kosten zu reduzieren.


Jetzt digitalisieren. Oder untergehen


Industrie 4.0? Erst
die Hausaufgaben

Keine Fachkräfte?
Aufgaben einfach
mal outsourcen!

Die Digitalisierung
ist zugleich eine
Kulturrevolution

In der Industrie 4.0
sind die Maschi-
nen vernetzt und
interagieren.
Viele Unternehmen
entdecken derzeit,
dass sie schleunigst
ihre Mitarbeiterin-
nen und Mitarbei-
ter miteinander
vernetzen sollten,
damit sie mobil und
fl exibel arbeiten
können. So rückt
das digitale Büro
mit elektronischen
Workfl ows ganz
nach oben auf die
To-do-Liste.

Arbeiten im Homeoffi ce


Eine der überraschendsten Erkenntnisse


dieser Tage: Das Coronavirus treibt die digitale


Transformation voran. Unternehmen erkennen,


wie überlebenswichtig digitale Prozesse sind



  • und bauen Vorbehalte ab, auch wenn es um


Recruiting oder Lernen geht.


PLÖTZLICH SIND


ALLE DIGITAL


UNTERWEGS


»Es geht
darum, Hierar-
chien abzubauen
und Silos einzu-
reißen.«

ANZEIGEX | IT UND DIGITALISIERUNG | Ein Spezial des Zeitverlags Ein Spezial des Zeitverlags | FORSCHUNGSWELTEN | ANZEIGE^1
Free download pdf