Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

DIE ZEIT: Ist es ein Wagnis für Sie, nun von Ams­
terdam nach Berlin zu ziehen? Nicht wenige Mit­
glieder der jüdischen Gemeinde erwägen ja wegen
der vielen anti semi ti schen Angriffe, Deutschland
zu verlassen.
Hetty Berg: Die Lebenswirklichkeit für viele Jüdin­
nen und Juden hat sich in der Tat sehr verändert –
in einem Ausmaß, das ich niemals für möglich ge­
halten hätte. Und da kommt für mich das Museum
ins Spiel: Es sollte gerade jetzt eine enorm wichtige
Rolle spielen, es muss vom großen Reichtum der
jüdischen Geschichte und Kultur erzählen und sie
lebendig werden lassen. Damit hilft es gegen Vor­
urteile und Hass.
ZEIT: Nun gibt es das Jüdische Museum Berlin
(JMB) in seiner jetzigen Form seit 20 Jahren, und
es wirkt nicht gerade so, als hätte es gegen den
Anti semi tis mus viel ausrichten können.
Berg: Auch Museen können ausgemachte Anti­
semi ten und Rassisten nicht zu anderen Menschen
machen. Aber es gibt noch viele andere, die anzu­
sprechen sich lohnt – angefangen bei den Schul­
klassen, die zu uns kommen. Viele Menschen lau­
fen einfach mit bestimmten Vorurteilen durch die
Welt, weil ihnen das nötige Wissen und die Begeg­
nung fehlen. Sie nehmen das jüdische Leben als
»unbekannte Welt nebenan« wahr. Und gerade de­
nen können wir davon erzählen, wie vielfältig die
jüdische Kultur ist. Sie sehen, ich bin da immer
auch Optimistin.
ZEIT: Ich vermute, Sie werden einigen Optimis­
mus brauchen, schon deshalb, weil derzeit kein
anderer Posten in der deutschen Museumsland­
schaft so heikel ist wie Ihrer. Ihr Vorgänger sah sich
im vorigen Sommer gezwungen zu gehen, seither
ist viel von der Krise des JMB die Rede. Können
Sie erklären, worin genau diese Krise besteht?
Berg: Es ist ein Bundesmuseum, ein nationales
Haus mit hoher symbolischer Bedeutung, und da­
mit ist die Arbeit eines solchen Museums immer
politisch. Das heißt allerdings nicht – und diese
Unterscheidung ist mir wichtig –, dass es sich aktiv
in die Tagespolitik einmischen sollte.
ZEIT: Wollen Sie sagen, Ihr Vorgänger Peter Schä­
fer hat sich zu sehr in die Politik gedrängt und
musste deshalb gehen?
Berg: Ich kann die Beweggründe für seinen Rück­
tritt nicht beurteilen. Es ist nur sehr bedauerlich
für das Museum und für Herrn Schäfer, dass es so
gekommen ist.
ZEIT: Es gab ja große internationale Proteste ge­
gen seinen Rückzug. Hätten auch Sie sich ge­
wünscht, Schäfer wäre geblieben?
Berg: Ich habe einen offenen Brief unterzeichnet,
aus Solidarität mit einem Kollegen. Was aber da­
mals im Detail vorgefallen ist, kann und möchte
ich nicht bewerten. Die wichtigere Frage ist, wie es
nun weitergeht.
ZEIT: Aber weiter geht es am besten, wenn man
versteht, was eigentlich los war. Der zentrale Vor­
wurf der Kritiker lautet: Das Museum ist nicht
unabhängig und kein Ort der Meinungsfreiheit.
Wie berechtigt ist die Kritik?
Berg: Diese Kritik ist aus meiner Sicht überzogen.
Das JMB ist ganz klar eine unabhängige In sti tu­
tion, denn das Museum ist eine Stiftung der Bun­
desrepublik und ist deshalb autonom. Schauen Sie
nach Ungarn, nach Polen, dort mischen sich die
Regierungen in das kulturelle Leben ein und un­
terwerfen die Museen und Theater ihren nationa­
listischen Interessen. Eingriffe in diesem Ausmaß
in deutsche Kultureinrichtungen – von egal wel­
cher Seite – kann ich mir beim besten Willen
nicht vorstellen.
ZEIT: Hinzu kommt der Druck von außen: So
verlangte Israels Ministerpräsident Benjamin Ne­
tanjahu von der Kanzlerin, sie solle das Jüdische
Museum nicht länger finanziell fördern, weil ihm
eine bestimmte Ausstellung missfiel.
Berg: Es wäre völlig inakzeptabel gewesen, die
Ausstellung Wel come to Jerusalem abzusetzen, kein
Land sollte sich in die kulturelle Politik eines ande­
ren Landes einmischen. Ich werde auch nicht zu­
lassen, dass politische Kräfte das Museum instru­
mentalisieren. Das Museum ist für mich ein Ort


offener Diskussionen, an dem unterschiedliche
Stimmen gehört werden. Doch damit solche Dis­
kussionen möglich sind, muss es wieder zu einem
geschützten Raum werden. Damit meine ich einen
Raum, in dem eine produktive, auch kontroverse
Aus ein an der set zung mit Themen möglich ist, die
nicht sofort überhitzt und instrumentalisiert wird.
ZEIT: Was sind denn die zentralen Kontroversen,
die Sie in Zukunft ausfechten wollen?
Berg: Mir gefällt das Wort »ausfechten« nicht. Im
Zentrum unserer Botschaft steht das Zusammen­
leben unterschiedlicher Gruppen in Deutschland.
Diversität und Identität, Integration und Ausgren­
zung, Mi gra tion, all das sind zentrale Themen der
deutsch­jüdischen Vergangenheit, aber auch der
deutschen Gegenwart. Das Museum kann ein Fo­
rum dafür sein, dass sich Deutschland ein bisschen
besser selbst versteht, denn wer vom jüdischen
Leben erzählt, wie wir das tun, spricht immer auch
über ganz aktuelle Fragen. Immer geht es darum,
wie die Mehrheit in einer Gesellschaft mit Min­
derheiten umgeht und wie diese un ter ein an der
auskommen.

ZEIT: Und was heißt das für Ihr Ausstellungs­
programm?
Berg: Ich finde Ausstellungen reizvoll, die ein ge­
nuin jüdisches Thema verhandeln und es gleichzei­
tig für größere, universelle Fragen öffnen. Für die
Zukunft denke ich zum Beispiel an eine Ausstellung
über Juden und Sexualität. Wie hat das Judentum
die Fortpflanzung immer wieder neu verstanden?
Wie fügt sich das in die ethischen Vorstellungen
dieser Kultur ein? Vom Heiratsvermittler bis zur jü­
dischen Dating­App. Auch da verbindet sich die
Reflexion über die Geschichte einer Kultur mit
Fragen der Gegenwart.
ZEIT: Klingt so, als wollten Sie ziemlich genau das
machen, was auch Ihr Vorgänger gemacht hat.
Berg: Sie könnten auch sagen: Ich setze das fort,
was ich in Amsterdam begonnen habe. Diversität,
Ausgrenzung, Integration, das sind im Moment
die Themen, die alle jüdischen Museen in Europa
aufgreifen, weil sie die Gesellschaft beschäftigen.
ZEIT: Gehört zu diesen Themen auch die heutige
Politik der israelischen Regierung? Das war ja
immer ein Streitpunkt: Muss Ihr Haus neutral

sein, oder darf es Kritik üben, etwa an der Sied­
lungspolitik?
Berg: Es ist nicht die Aufgabe des JMB, die Politik
der israelischen Regierung zu kritisieren. Selbstver­
ständlich werden in der Zukunft aber auch Stim­
men, die die israelische Politik kritisch sehen, ne­
ben vielen anderen Stimmen am Jüdischen Mu­
seum Berlin zu hören sein. Allerdings nicht solche
Stimmen, die verlangen, dass andere nicht mehr
zu hören sind und dass Andersdenkenden das
Rede­ oder Auftrittsrecht verweigert wird.
ZEIT: Jetzt spielen Sie auf BDS an, eine umstrittene
Bewegung, die zu »Boykott, Desinvestitionen und
Sanktionen« aufruft, um so Israel unter Druck zu
setzen. Sie würden, wenn ich Sie richtig verstehe,
keine Mitglieder der BDS­Bewegung in Ihr Mu­
seum einladen.
Berg: Das verstehen Sie richtig. BDS ruft ja nicht
nur zum Boykott Israels auf, sondern auch zum
Boykott der Teilnahme von Israelis an öffentlichen
Diskursen in der ganzen Welt. Die Bewegung ver­
weigert das Gespräch, wenn sie fordert, dass Wis­
senschaftler oder Künstler aus Israel nicht nach

Europa, nicht nach Deutschland eingeladen wer­
den sollten. So kommt man in der Diskussion
nicht weiter.
ZEIT: Was ist aber mit Mitgliedern der jüdischen
Gemeinde, die BDS unterstützen? Davon gibt es ja
einige. Warum dürfen diese Juden im Jüdischen
Museum nicht ihre Meinung sagen?
Berg: In einem Museum unter meiner Leitung
gebe ich nur solchen Stimmen ein Forum, die
sich von Ausgrenzung und Gewalt distanzieren
und mit Respekt auf andere zugehen. Nur das
erlaubt eine differenzierte Beschäftigung mit
sensiblen Themen.
ZEIT: Gelegentlich kann man den Eindruck ge­
winnen, manche Mitglieder der jüdischen Ge­
meinde glaubten, das Museum sei vor allem für sie
bestimmt. Deshalb hat der Gründungsdirektor W.
Michael Blumenthal schon bedauert, das Haus
habe den falschen Namen. Besser wäre »Museum
der Geschichte der deutschsprachigen Juden«.
Berg: Das ist bemerkenswert, denn in Amsterdam
hatten wir auch diese Diskussion, nur unter umge­
kehrten Vorzeichen. Dort trägt das Haus den Na­
men »Jüdisches Historisches Museum«, und es
wäre manchen lieb gewesen, wären wir einfach ein
»Jüdisches Museum«, um nicht so stark auf die
Geschichte reduziert zu werden. Wie immer man
es also nennt, beides hat seine Nach­ und Vorteile.
ZEIT: Wenn aber der Zentralrat der Juden wäh­
rend der Kontroversen des letzten Sommers twit­
terte, das Museum sei nicht mehr jüdisch, habe also
seinen Namen verwirkt, dann kommt es einem so
vor, als glaube dieser Zentralrat, dass hier vor allem
seine Interessen gewahrt werden müssten.
Berg: Das Museum ist für alle da, die sich ernst­
haft mit jüdischer Geschichte und Kultur be­
schäftigen wollen. Denn die Geschichte der Ju­
den in Deutschland ist immer auch die Ge­
schichte der deutschen Nichtjuden, es ist eine
gemeinsame Geschichte. Außerdem kommen
rund 75 Prozent der Besucher aus dem Ausland.
Ich möchte daran arbeiten, dass mehr Menschen
aus Deutschland, aus Berlin ins Museum kom­
men, jüdisch oder nicht jüdisch.
ZEIT: Wenn Sie mehr Berliner ins Museum ziehen
wollen, heißt das, Sie werden auch stärker auf die
muslimisch geprägte Community zugehen, die ja
hier sehr groß ist?
Berg: Natürlich, gerade im Umfeld des Museums,
im Kreuzberger Kiez, leben viele Muslime. Und
ich kann mir vorstellen, dass auch die neue Kin­
derwelt des Museums, Anoha, für viele aus der
Umgebung attraktiv sein wird. Alle sind willkom­
men, egal welcher Religion oder Zugehörigkeit.
ZEIT: Es gibt allerdings auch Jüdinnen und Ju­
den, die sagen, dass vieles in ihrer Kultur für
Nichtjuden unzugänglich bleibe. Vor allem die
Schoah in ihrer ganzen Grausamkeit sei für diese
nicht zu begreifen.
Berg: Die Schoah, fürchte ich, kann letztlich nie­
mand begreifen – Juden nicht, Nachkommen der
Täter nicht und auch keine Dritten. Und das gilt
in gewisser Weise auch für weitere schreckliche Er­
fahrungen, die für andere in ihrer Bedeutung im­
mer nur zu erahnen sind. Dennoch muss man na­
türlich versuchen, sich in das Geschehene hinein­
zudenken und die Kultur der anderen zu begreifen.
Sonst blieben wir ja mit unseren Erfahrungen al­
lein – wie schrecklich wäre das!
ZEIT: Wird es denn für Sie von Vorteil sein, dass
Sie als neue Direktorin selbst einen jüdischen Hin­
tergrund haben?
Berg: Die Religion sollte bei der Besetzung eines
Postens keine Rolle spielen. Für mich persönlich
ist meine jüdische Identität wichtig, sie prägt
meine Perspektive und ist Ausgangspunkt mei­
ner Offenheit für andere Meinungen und Kul­
turen. Für die Aufgabe ist es jedoch am wichtigs­
ten, dass man sich mit der jüdischen Geschichte
und Kultur gut auskennt, dass man weiß, wie ein
Museum funktioniert und dass man die richtige
Mischung aus Offenheit und Klarheit findet. Ich
freue mich auf diese Aufgabe!

Das Gespräch führte Hanno Rauterberg

Die niederländische Kulturhistorikerin Hetty Berg, geboren 1961, war bislang Direktorin des Jüdischen
Historischen Museums in Amsterdam. Ihren neuen Job tritt sie diese Woche an

»Ich bin da Optimistin«


Sie übernimmt den schwierigsten Posten, den es in der deutschen


Museumslandschaft gibt: Hetty Berg, die neue Direktorin des Jüdischen Museums Berlin, über ihre


Hoffnung im Kampf gegen den Antisemitismus und die Grenzen ihrer Toleranz


Foto: Jüdisches Museum Berlin

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  1. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15 FEUILLETON 49


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