Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

ENTDECKEN


Vorher/Nachher: Stundenplan


Bis vor Kurzem galt für unsere Kinder der normale Stundenplan.
Als dann die Schulschließung bekannt gegeben wurde, haben die beiden direkt
einen neuen erarbeitet. Und bisher halten wir uns alle daran ...
Constanze Marambio, Aachen

ZEITSPRUNG

Vor unserer Terrasse steht ein üppiger Kugel-
ahorn. Auf dem treffen sich jeden Tag zwi-
schen sieben und acht Uhr ungefähr 20 Spat-
zen zur Morgenbesprechung. Lautes Palaver,
dann fliegen sie in alle Richtungen fort.
Robert Sega, Neulengbach, Österreich

In dem Kräutertopf, den ich eigentlich ent-
sorgen wollte, zwischen den verdörrten Pflan-
zen aus dem Vorjahr plötzlich wieder Schnitt-
lauch und Minze austreiben zu sehen.
Maria Engeßer, Regensburg

In diesen Tagen erinnere ich mich oft an die
Stille im April 1945. Es gab keinen Fliegeralarm
mehr, keine Bombergeschwader, keine Detona-
tionen, kein gedrängtes Sitzen im Luftschutz-
keller, aber auch keine Stimmen auf den Straßen,
nur Vogelgezwitscher im glitzernden Frühlings-
sonnenschein – denn die Amerikaner hatten nach
der Eroberung unserer kleinen Stadt eine Aus-
gangssperre verordnet.
Um der Stubenhaft zu entkommen, richtete ich
mit meiner Freundin im Nachbarhaus eine stille
Post ein: Ein Bindfaden von ihrem Klofenster zu
unserem Dielenfenster trug unsere – vermutlich
nicht sehr weltbewegenden – Nachrichten in
einem Körbchen hin und her.
Susanne Kauffmann-Kramer,
Rösrath, Nordrhein-Westfalen

Ich blicke mit meiner Mutter aus dem Kü-
chenfenster in den Garten, was die Bemerkung
auslöst: »Die Forsythie – jetzt blüht se.« Wir
müssen schmunzeln und an meinen Vater
denken, der immer gern reimte und sicher
seinen Spaß daran gehabt hätte.
Sophie Wagner, Brombachtal, Hessen

Samstagnachmittag. Ich beschließe, dem Gefäng-
nis unserer Schöneberger Altbauwohnung durch
ein wenig Jogging zu entfliehen. Ich habe das
Haus gerade verlassen, da höre ich Gesang – und
sehe Anna Prohaska, die auf dem Balkon eines
Nachbarhauses eine Arie aus Idomeneo singt. Am
Abend wäre Premiere in der Staatsoper gewesen.
Thomas Gruber, Berlin

Meine 89-jährige Oma ist vor einiger Zeit fast
gänzlich erblindet. Am meisten leidet sie darun-
ter, dass das Kreuzworträtseln nicht mehr geht.
Und jetzt können wir sie nicht einmal besuchen!
Da kam mir die Idee, gemeinsam mit ihr am
Telefon ein Rätsel zu lösen. Und tatsächlich, die
Antworten kamen wie aus der Pistole geschossen.
Am Ende fehlte uns noch ein Wort. »Eine Sache
mit Haken«. Mit P am Anfang und -USS am
Ende. »Pferdefuß!«, rief sie aus.
Glückseligkeit an beiden Enden der Leitung!
Nicole Flügel, Schwülper, Niedersachsen

Kommentar meines dreijährigen Enkels beim
Anblick der neuen Zahnpastatube: »Ein
Hamsterkauf!«
Regine Hansen, Bielefeld

In unserem Vorort gibt es zum Glück noch eine
»richtige« Buchhandlung. Man wird persönlich
beraten, kann aber auch online Bücher zum Ab-
holen bestellen. Leider musste das Geschäft nun
wegen der Corona-Krise vorübergehend schlie-
ßen. »Wie komme ich jetzt an mein Buch?«,
frage ich am Telefon. »Kein Problem! Sie können
es in der benachbarten Apotheke abholen, dort
haben wir die Bestellungen hinterlegt.« Merke:
Auch ein Buch kann Leben retten!
Wolfgang Richrath, Frechen

Ausgangssperre in Paris. Meine Frau steckt in
Deutschland fest, also muss ich die Kinder bei
Laune halten. Mein Siebenjähriger sagt: »Heute
Abend spricht Angela Merkel!« Ich erwidere: »Ja,
aber das Skript wurde schon veröffentlicht, sie
sagt im Grunde ...« Er unterbricht mich: »Sag
nichts! Dann wird’s ’ne Überraschung!«
Boris Ruf, Paris, Frankreich

Meine Frau starb an einem Herzinfarkt – mitten
in der Nacht, nachdem sie gerade einen ersten
Infarkt erfolgreich überstanden hatte. Ich stand
unter Schock.
Wenig später flog ein Marienkäfer auf meine
Jacke. »Blödes Vieh, bei mir bist du beim Fal-
schen!«, dachte ich. Doch im selben Moment
kam mir ein anderer Gedanke: Was haben wir
Glück gehabt, dass sie ohne langes Leiden gehen
durfte! Genau das hatte sie sich immer ge-
wünscht. Ich dankte dem Käfer, der mir die
Augen geöffnet hatte.
Klaus Konagel, Hannover

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D


ie erste Dose versteckte ich im Garten
meiner damaligen Freundin. An ei-
nem Abend im Herbst hob ich mit
einem Spaten die Grasdecke ab und
grub ein Loch. Der Garten war einer von drei
Orten, an denen ich eine Tupperdose mit Silber-
barren und Goldmünzen vergrub. Die Münzen
hatte ich bei Banken und Privatleuten gekauft:
südafrikanischer Krügerrand, kanadischer Maple
Leaf, österreichische Philharmoniker und Ame-
rican Gold Eagle.
Mit Geldanlagen beschäftige ich mich seit
meinem Philosophie-Studium Ende der Neun-
zigerjahre. Damals bin ich an die Börse, habe
auf fallende Kurse gewettet, hatte Glück und
habe viel Geld verdient.
Der Kauf und Verkauf von Aktien finan-
zierte mein Studium. 2005 bin ich dann auf
die Idee gekommen, meine Geldanlagen brei-
ter zu verteilen. Gold schien mir praktisch, weil
es eine der ältesten Währungen ist, die interna-
tional akzeptiert werden.
Zwei Drittel meiner Münzen habe ich im
Tresor zu Hause gelagert, den Rest vergraben.
Mir war klar, dass das keine sichere Methode
ist, aber ich war schon immer neugierig und
habe gerne Dinge ausprobiert, auch um zu
lernen. Als ich im Garten meiner damaligen
Freundin das Loch grub, bin ich immer wie-
der auf handgroße Steine gestoßen, die ich
herausheben musste. Bei einer Tiefe von 40
Zentimetern habe ich aufgehört. Ihre Mutter
hat mich von einem Fenster aus kurz gesehen.
Das war mir aber egal, ich habe ihr sogar noch
gewinkt.
Die zweite Stelle war ein Aussichtspunkt in
der Nähe von Essen, man steht zwischen zwei
Bäumen und sieht auf die Ruhr. Hier hatte ich
als Schüler mein erstes Gedicht geschrieben.
Der Boden war lehmig und schwer. Es begann
zu regnen. Ich habe die Dose reingeworfen und
das Loch zugeschüttet. Maximal 20 Zentimeter
war das tief – richtig dämlich, das habe ich aber
erst Jahre später begriffen. Die dritte Dose habe
ich in einem Wald vergraben, durch den ich oft
wandere, wenn ich im Urlaub bin.
Fünf Jahre später war der Goldpreis so stark
gestiegen, dass ich meine Schätze verkaufen
wollte. Eine Karte habe ich nie gemalt, und auf
den Zentimeter genau konnte ich mir die Stel-
len damals natürlich nicht merken. Als ich
auch am dritten Ort nichts fand, begann ich zu
zweifeln. Hatte sich der Boden verschoben?
Statt großflächig zu graben, habe ich mir einen
Metalldetektor gekauft. Er piepte, als ich ihn
über das Moos im Garten schwenkte. Ich fing
an zu graben. Statt meines Golds fand ich aber
nur rostige Nägel. Ich frage mich bis heute, wo
es geblieben ist.


... G old z u


vergraben


WIE ES WIRKLICH IST

Robert Velten, 40,
arbeitet als Fondsmanager und
investiert mittlerweile lieber in
Aktien und Immobilien statt in Gold

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Korona


Von der Berichterstattung über das Coronavirus überrollt, taucht ganz unvermittelt eine
Kindheitserinnerung auf. Meine Mutter erzählte gern von den herrlichen Wintertagen, die sie »mit der
ganzen Korona« im Harz verbrachte. Gemeint waren ihre Lehrerkollegen aus Gandersheim, mit denen
sie in jungen Jahren gemeinsam Ski zu laufen pflegte. Laut Duden bezeichnet Korona eine fröhliche Runde –
was für ein Kontrast. Hoffen wir, dass wir alle bald wieder in Korona zusammen sein können.
Dorothee Leitlein, Ludwigsburg

Gehege


In meiner Kindheit pflegten wir Störenfriede mit dem Satz »Komm mir nicht ins Gehege!«
in die Schranken zu verweisen. Heute findet man Gehege fast nur noch in Tierparks. Doch der Begriff,
der sich vom germanischen »haga« ableitet und eine Geländeumfriedung durch Ruten oder
(Dornen-)Hecken bezeichnet, ist auch in vielen Ortsnamen (von Hagen bis Den Haag) erhalten.
Und gerade jetzt, wo wir wegen der Corona-Krise zu Hause bleiben und ein striktes Kontaktverbot
einhalten müssen, ist auch der Satz »Komm mir nicht ins Gehege« plötzlich wieder aktuell.

Roland Pieper, Münster

MEIN WORTSCHATZ

Aufgezeichnet von Theresa Tröndle

Das Rosetten-Meerschweinchen Mo ist fünf Jahre alt und lebt in Bournemouth an der Südküste Großbritanniens. Er teilt sich seinen Käfig mit seinem Bruder Marley. Fotografiert von James Kelly

Folge 199


Du siehst aus, wie ich mich fühle


62 2. APRIL 2020 DIE ZEIT No 15


Foto: privat
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