Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
Unsere Regierungschefin befindet sich
in Quarantäne. Sie wurde vor unserem
Redaktionsschluss am 27. März zwar
negativ auf das Coronavirus getestet,
verbleibt aber trotzdem prophylaktisch
14 Tage lang in ihrer Wohnung in Ber-
lin-Mitte. Man ahnt, die Lage muss
ernst sein, Ausnahmezustand muss herr-
schen, um sich so etwas Befremdliches
wie Angela Merkel als Stubenhockerin
vorzustellen. Auch wenn wir natürlich
wissen, dass sie das Land jetzt per Tele-
fonschalte und Videokonferenz regiert,
wollen wir uns einmal der Fantasie hin-
geben: Was macht unsere Kanzlerin
eigentlich mit so viel Zeit zu Hause?
Däumchendrehen statt Merkelraute?
Merkel mag falsch- oder richtigliegen,
sich nach links oder rechts lehnen, am
Ende glaubt man allem eins: dass ihr
jeglicher Egoismus völlig abgeht. Was,
ganz plötzlich, zu einer Frage führt: Was
will sie eigentlich, außer ihr Volk zu be-
schützen? Erlebt sie den Hausarrest wie
wir Normalsterblichen, hängt sie auf
der Couch vor Netflix ab? Klickt sie
sich durch die Instagram-Profile ande-
rer Regierungschefs? Skypt sie von der
Badewanne aus mit ihren beiden besten
Freundinnen aus Schulzeiten?
14 Tage sind lang, schon dann, wenn
man nicht Kanzlerin ist und wenig zu
tun hat, außer die Wettervorhersage und
Jobmöglichkeiten online zu aktualisie-
ren. Man kehrt also heim. Heim, dieser
antiquierte Begriff, den man bestimmt

philosophisch untersuchen könnte und
der in Merkels Realität aber vor allem
eins bedeutet: Hausarrest und ein net-
ter dude, mit dem sie anscheinend ver-
heiratet ist, der wohnt, wo sie wohnt,
der Joachim heißt und sogar einen ei-
genen Nachnamen hat, ein Mann, der
die Kanzlerin liebt, und das schon so
viel länger als zwei Wochen. Vielleicht
hat Joachim sogar etwas vorbereitet,
ein »Welcome Home, A/Engel«-Poster
etwa oder einen mit Käse überbackenen
Auflauf oder irgendetwas anderes, was
ein Mensch so wollen kann, wenn alles
andere unsicher ist.
Die zwei Wochen müssen ihr wie eine
Ewigkeit vorkommen. Plötzlich: Zeit,
Demut zu beweisen, gerade dann, wenn
auch eine Spitzenpolitikerin es nicht
schafft, sich bei Google Hangouts
anzumelden, um mit Justin Trudeau
zu sprechen, und das eigene Gesicht
plötzlich zu einem verzerrten, pixeligen
Bildschirmfoto wird, auf dem man ir-
gendwie immer aussieht, als habe man
gerade etwas viel zu Heißes gegessen.
Statt 24/7 aus dem Kanzleramt zu re-
gieren, gilt für Merkel also nun: warten.
Online Nachrichten checken, statt die
Nachricht zu sein. Zu spät aufstehen,
Langeweile, Candy Crush. Mittags kurz
Joachim anraunzen. Ihn dann doch
sehr lieben. Einschlafen. Warten. Auf-
wachen. Anführen. Und dann, zwei
Wochen später: Kanzlerin sein, genau
wie immer, vielleicht noch besser.

Von Ronja von Rönne

Gesellschaftskritik ÜBER MERKEL ZU HAUSE

Die Kanzlerin ist in Quarantäne.
Wie kann man sich
ihren neuen Alltag vorstellen?

Foto


Ralf Mueller


/^ dpa Picture-Alliance


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