Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

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Auftragsarbeit für das vom Modehaus Margiela eingerich-


tete Hotel La Maison Champs Elysées in Paris. »Die hatten
meine Sachen auf meiner Web site entdeckt und wollten,


dass ich diese Lampe für sie baue«, sagt Kraš. Nachdem das
Projekt abgeschlossen war, hatte sie noch ein Lampengestell


übrig und kam auf die Idee, es mit farbigen Wollfäden zu
umwickeln. Die Garnrollen, die sie dafür verwendete, waren


Restposten einer serbischen Strickmodefirma. »Meine ganze
Familie lachte mich aus«, sagt Kraš und muss selbst lachen.


»Sie meinten, das sei die schlimmste Idee überhaupt!« Aber
in Mailand kam »Bonbon« bestens an. Ana Kraš war plötz-


lich kein unbekannter Name mehr. Sie tat sich mit der
dänischen Marke Hay zusammen, um die Lampe zu pro-


duzieren. Nach und nach bekam sie immer mehr Anfragen
für kleine Designprojekte, aber auch für Illustrations- und


Fotoarbeiten, etwa von dem Wohnmagazin Apartamento.
Im Jahr 2011 flog sie nach Los Angeles, um eine Freundin


zu besuchen und den Musiker Devendra Banhart für Apar-
tamento zu fotografieren. Die beiden wurden ein Paar. Ana


Kraš blieb in Los Angeles. 2013 zog sie nach New York, wo
sie heute wieder als Single lebt.


Nach Belgrad zurückzukehren sei immer wie ein Realitäts-
Check, hier sei es so schön »o. g.«, sagt Kraš – eine Slang-


Abkürzung für »original gangster«, die sie oft verwendet.
Real, authentisch meint sie damit. »Ich vermisse Belgrad


sehr. Hier geht es für mich um die Beziehungen zu Men-
schen. Darum, alltägliche Momente zu genießen.«


21 Jahre nach dem Ende des Jugoslawien-Kriegs spürt man
in Belgrad noch immer, wie die Entwicklung der Stadt


durch die jahrelangen Konflikte massiv gebremst wurde.
Von den Folgen des Kriegs hat sich die Wirtschaft Serbiens


nie ganz erholt. Die Arbeitslosigkeit lag im Jahr 2018 bei
13 Prozent, der Durchschnittslohn bei 500 Euro. Zugleich


hat die Stadt etwas charmant Altmodisches. In den Fußgän-
gerzonen gibt es Wägelchen, die Popcorn verkaufen, und


Stände, an denen man rot-weiße Zuckerstangen bekommt.
Ein Geschäft, an dessen Fassade ein riesiger Schlips hängt,


verkauft Fliegen und Krawatten, wechselt aber auch Geld.
Die erste Adresse der Stadt ist das Hotel Moskau – drinnen


sitzt man auf Brokatsofas und isst Sahnetorte im Zigaretten-
dunst. In Serbien gelten nur lasche Nichtrauchergesetze.


Das Viertel vor ihrer Tür, um die Meštrovićeva herum, sei
ein Ghetto, sagt Ana Kraš, ein Arbeiterviertel. Als sie hier


als Kind von der Schule nach Hause kam, habe sie immer
ein bisschen Angst gehabt. Zu Kriegszeiten hätten ihre El-


tern monatelang gespart, um ihr ein Paar Nike- Turn schu he
zum Geburtstag schenken zu können. Als sie einmal da-


mit draußen herumlief, zwangen ältere Kinder sie, die Schu-
he herzugeben. Sie musste auf Socken nach Hause laufen.


Wie hat sie das Leben in diesem Viertel geprägt? »Ich weiß
nicht, wie es gewesen wäre, unter normaleren Umständen


aufzuwachsen«, sagt Kraš schulterzuckend. 1999, als Streit-
kräfte der Nato das Stadtzentrum Belgrads bombardierten,


war sie 14. »Aber selbst in dieser Zeit haben wir relativ
normal gelebt. Das ist das Verrückte am Krieg. Die Be-


dingungen sind irre, sie beeinflussen dein Leben immens.
Aber im Alltag hast du die gleichen Gefühle wie jemand,
der sich um nichts sorgen muss. Du wirst genauso wütend
oder freust dich über Dinge.« Sie erinnert sich, wie sie
als Familie damals manchmal aufs Dach stiegen, um sich
die Luftangriffe wie ein Fußballspiel anzuschauen. »Man
konnte alles gut von da oben sehen, es war gar nicht weit
weg, guck mal« – sie zeigt durch das Fenster auf ein Hoch-
haus, das wenige Kilometer Luftlinie entfernt sein muss –,
»als dieses Haus von einer Bombe getroffen wurde, sind
bei uns die Fensterscheiben zerbrochen. Es war Nacht, der
Himmel war rot, und ich dachte, die Bombe habe unser
Haus getroffen. Ich lag im Bett und wartete darauf zu ver-
brennen.« Sie erzählt all das mit ruhiger Stimme, zwischen-
durch lacht sie. »Stell dir mal vor, das würde in Amerika
passieren. Die Leute würden vor Panik sterben, bevor sie
dazu kämen, sich die Bombardierung anzuschauen!«
Nach dem Frühstück laufen wir durch die Straßen des
Viertels. Ana Kraš fotografiert eine Balkonbalustrade aus
Kieselbeton, hinter der eine Hand mit Zigarette hervor-
lugt, und ein Fenster mit moosgrünem Vorhang, vor dem
rosafarbene Rosen blühen. Sie deutet auf einen Balkon, der
mit blauen Gitterstäben eingezäunt ist: »Hier war jeman-
dem nach einem blauen Gefängnis.« Ein Fensterrahmen
trägt noch die Folie, mit der er geliefert wurde. »Das ist
typisch«, sagt Kraš. »Die Leute lassen die Folie dran, um zu
zeigen, dass das Fenster neu ist.« An einer Hausfassade hat
jedes Stockwerk eine andere Farbe. Das Bauen sei in Bel-
grad nicht wirklich reguliert, erklärt sie. Ärmere Hausbe-
wohner hätten ihren Teil der Fassade einfach ungestrichen
gelassen. Jetzt sieht es aus wie Patchwork. »Für mich ist
Design, wozu Menschen sich aufgrund ihrer Bedürfnisse
entscheiden«, sagt Kraš. »Design ist nicht Dekoration. De-
sign ist, etwas zum Funktionieren zu bringen. Design ist
ein Denkprozess, das Lösen eines Problems.«
Ana Kraš’ Vater, der vor einigen Jahren gestorben ist, war
Ingenieur und hatte sich auf das Reparieren von Kopier-
geräten spezialisiert. 1981 beschloss er, mit seiner Frau ein
eigenes Kopiergeschäft zu eröffnen. Nahe dem Copyshop
lag das Atelier des Grafikers Bata Knežević, mit dem sich
ihre Eltern anfreundeten. Er wurde Ana Kraš’ Patenonkel


  • und er ist einer der Menschen, die sie besonders geprägt
    haben. Am Nachmittag nehmen wir ein Taxi, um ihn in
    seinem Haus in den Hügeln außerhalb Belgrads zu besu-
    chen. Knežević ist ein weißhaariger Mann Anfang 70, mit
    freundlichem Bartgesicht und roter Brille. Sein Haus hat
    er selbst entworfen. Es riecht nach gebratenem Fleisch und
    Zigarettenrauch und ist voller kurioser Dinge. Überall ste-
    hen Pflanzen und Glaskaraffen herum, eine Vitrine ist mit
    Muscheln und Meeresschnecken gefüllt, von einem Holz-
    balken baumeln lange Ketten aus bunten Perlen, Mobiles
    und eine pinkfarbene Trillerpfeife. »Die nehme ich mit,
    wenn ich gegen die Regierung demonstrieren gehe«, erklärt
    Knežević munter – er findet, die amtierende Partei sei zu
    stark vom Westen beeinflusst. Seine Frau Svetlana, [^ S.37^ ]

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