Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1

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PAUL VAN DER GRIENT, 32, arbeitet in einem Architekturstudio in New York an Bürgerprojekten

Der Esstisch meiner offenen Küche ist eine Notlösung. Die Einzel-


teile stammen aus Baumärkten in China town und blieben bei der
Renovierung der Wohnung übrig: Die Beine sind einfache Tisch-


böcke, die Platte ist aus Sperrholz, als Decke verwende ich eine
Abdeckplane aus Baumwolle. Eigentlich war der Tisch als Arbeits-


fläche bei der Renovierung gedacht und zum Bauen von Möbeln.
Heute freue ich mich, wenn mich Freunde spontan besuchen und


wir gemeinsam an dem Tisch essen. Nach meinem Einzug waren
die Handwerker des Hausbesitzers noch nebenan, sie waren mit Ab-


riss- und Trockenbauarbeiten noch nicht fertig. Da ich kein Kanto-
nesisch kann und sie kein Englisch sprachen, kommunizierten wir
per Google Translate und schrieben die Begriffe mit Bleistift an die
Wand. Der Bauleiter war aber ein harter Kerl, der nicht so wirkte,
als hätte er die Geduld, um die Resultate meiner Zeichenkünste zu
entziffern. Als Geste des guten Willens brachte er uns allen Kaffee
und Teilchen von einer Bäckerei nebenan mit, die wir gemeinsam
am Tisch verzehrten – in vereinender Stille. Das ist eine meiner
liebsten Erinnerungen, die ich mit dem Tisch verbinde.
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