Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
gab so viele Möglichkeiten. Mir gefielen Psychologie, Film
und Politik, ich war ein entschiedener Gegner Francos.
Warum haben Sie Architektur gewählt?
Ich mochte den Gedanken, dass das Ergebnis meiner Ar-
beit mein Leben überdauern kann. Ein Gebäude kann 300
Jahre oder länger stehen. Ein weiterer Grund war, dass ich
ein bisschen klaustrophobisch bin. Große Menschenmen-
gen, zum Beispiel im Fußballstadion, machen mir Angst.
Ich mag das Gefühl, Platz zu haben, und es gefiel mir schon
immer, mir darüber Gedanken zu machen, wie man Platz
sinnvoll nutzt. Mein Vater half mir bei meinen beruflichen
Anfängen: In meinen Semesterferien ließ er mich Miets-
häuser in Barcelona entwerfen, mein erstes Projekt war
aber ein Haus für meine Tante auf Ibiza, da war ich 19.
Was ist das Wichtigste, das Sie von Ihrem Vater gelernt
haben?
Die totale Freiheit, über jedes Thema nachzudenken. Ver-
bote gab es nicht. Außerdem hat er mich gelehrt, beschei-
den zu sein und den Mitgliedern aller Gesellschaftsschich-
ten mit dem gleichen Respekt zu begegnen.
Sie haben mal erwähnt, dass La Rambla, eine kilometer-
lange Promenade im Zentrum Barcelonas, Einfluss auf Ihre
Arbeit hatte. Was fasziniert Sie an ihr?
Ich spreche von der Rambla Ende der Fünfziger-, Anfang
der Sechzigerjahre. Damals war ich Student. Erst ging ich
an die Escuela Técnica Superior de Arquitectura de Barce-
lona. Als ich eine Studentengewerkschaft gründete und die
Flagge der Spanischen Republik auf dem Campus hisste,
warf mich die Verwaltung aus der Uni.
Sie waren sogar mal im Gefängnis.

Insgesamt saß ich Ende der Fünfziger- und Anfang der
Sechzigerjahre viermal in Haft, aber nie länger als fünf
Tage. Wenn man sich offen gegen Franco bekannte, bekam
man Ärger mit der Polizei, so war das damals.
Hatten Sie Angst?
Beim ersten Mal schon, das war 1957, ich war gerade 17
Jahre alt. Im Verhör haben sie mir damit gedroht, mich
umzubringen. Sie haben mir ihre Pistolen gezeigt. Aber
man musste einfach schweigen, das habe ich schnell durch-
schaut. Die Polizisten wollten, dass man sich mit Aus-
sagen belastet und seine Komplizen verrät. Da ich schwieg,
sperrten sie mich ins Gefängnis. Zum Glück kannte meine
Mutter den spanischen Gouverneur in Katalonien und rief
ihn an. Er sorgte dafür, dass mir nichts passierte.
Wie ging es für Sie weiter?
An der technischen Universität in Barcelona hatte ich keine
Zukunft, ich war ja der Hochschule verwiesen worden. Ich
ging dann nach Genf, um weiter Architektur zu studieren.
In den Semesterferien kam ich nach Hause und arbeitete
mit meinem Vater. Zu dieser Zeit ging ich häufig auf der
Rambla feiern. Mittags stand ich auf, ging auf die Bau-
stellen und konzentrierte mich auf unsere Projekte. Abends
ging ich aus und rauchte Joints.
Was mochten Sie an der Rambla?
Ich verbrachte die Nächte im Barrio Chino, dem Rotlicht-
viertel von Barcelona, und trieb mich mit den Fischern und
Hafenarbeitern herum. Die Rambla, die teilweise zum Bar-
rio Chino gehört, faszinierte mich, weil sie wie ein Theater
aufgebaut war. Auf der Allee standen Stühle, von denen aus
man die dort entlangspazierenden Leute beobachten konn-
te. Der öffentliche Raum wurde zur Aufführung, es gab
zwei Gruppen: die, die herumliefen, diskutierten, lachten
und tanzten, und die, die auf der Allee saßen und zuschau-
ten. Bei meinen größeren Wohnprojekten habe ich später
diese Beobachtung aufgenommen. Ich habe zum Beispiel
in meinem sozialen Wohnbauprojekt Espaces d’Abraxas
in der Nähe von Paris einen Theaterplatz angelegt und die
Häuser darauf ausgerichtet.
Sie haben viele größere Wohnprojekte entworfen. Zum
Beispiel Walden 7, ein Hausprojekt mit 450 Wohnungen,
das Sie 1975 für Menschen mit geringem Einkommen in
der Nähe Ihrer Fabrica errichtet haben. Es heißt, auch
heute seien die Bewohner von Walden 7 zufrieden. Im
Es paces d’Abraxas, das Sie gerade angesprochen haben –
einem Gebäudeensemble mit etwa 600 Wohnungen, das
1983 in einem Pariser Vorort gebaut wurde –, gibt es hin-
gegen Kriminalität. Meinen Sie, das hat auch mit der Ar-
chitektur zu tun?
Bei jedem meiner Projekte frage ich mich: Wo habe ich
Fehler begangen, was kann ich besser machen? Allerdings
sind Projekte wie Abraxas und Walden 7 nicht ganz so
leicht zu vergleichen. In Barcelona haben die Bewohner
des Hauses eine Organisation gegründet, sie kümmern
sich aktiv um die Instandhaltung des Hauses. In Frank-
reich kümmert sich immer der Staat um solche Angele-

»ENDE DER FÜNFZIGER-


UND ANFANG DER


SECHZIGERJAHRE SASS


ICH VIERMAL IN HAFT.


WENN MAN SICH OFFEN


GEGEN FRANCO


BEKANNTE, BEKAM MAN


ÄRGER MIT DER POLIZEI,


SO WAR DAS DAMALS«


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