Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
genheiten. Da organisieren sich die Bewohner nicht. Ich
kann also Ihre Frage nicht so einfach beantworten. Jedes
Land ist unterschiedlich. Als Architekt muss man sich im-
mer an das Klima, die Bautraditionen und Bräuche eines
Landes anpassen. In Marokko braucht man in einer Sied-
lung enge Gassen, die Schatten spenden. In Nordeuropa
sind die Straßen häufig weiter. Aber etwas, worauf ich bei
all meinen Projekten großen Wert lege, sind öffentliche
Plätze. Vor zwei Jahren hat mich die chinesische Regie-
rung nach Peking eingeladen, um eine zukünftige Groß-
stadt zu planen. Mein Problem ist: Die Chinesen mögen
keine großen öffentlichen Plätze. Sie haben keinen Sinn
für leeren Raum. Ich habe meinen chinesischen Auftrag-
gebern gesagt, ihr braucht öffentliche Plätze, sie sind die
Wohnzimmer jeder Stadt.

Immerhin gibt es in Peking den Tiananmen-Platz, den
Platz des Himmlischen Friedens, einen der größten leeren


Plätze, die man sich vorstellen kann.
Darauf kann man eine große Militärparade abhalten. Das
ist aber kein Ort, an dem Menschen aus der Nachbarschaft
auf Stühlen oder Bänken zusammensitzen oder wo sie ins
Theater oder ins Lokal gehen können. Städte brauchen
Straßen, Plätze und Parks, das ist ihre Grundlage.


Die Regierung Trump möchte ein Dekret erlassen, dass
neue Regierungsgebäude hauptsächlich im klassizistischen


Stil gebaut werden sollen. Moderne Regierungsgebäude,
etwa aus der postmodernen Bautradition, sollen verhin-


dert werden.
Das ist fast überall so, die Regierungsgebäude werden im
klassizistischen oder neoklassizistischen Stil gebaut – von
Washington bis St. Petersburg. Ich mag Trump nicht, ich
habe ihn zweimal Anfang der Neunziger getroffen, als er
Kasinos in Atlantic City, New Jersey, betrieben hat.


Wie waren diese Treffen?
Er war ein Verkäufer, aber ich merkte sofort, dass er kein
guter Unternehmer war. Damals hatte er mit seinen Fir-
men schon mehrmals Insolvenz anmelden müssen. Er
schlug vor, gemeinsam einen Wolkenkratzer am Hudson
River zu bauen, aber er hatte überhaupt kein Verständnis
von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Die Berliner wurden vor einigen Jahren gefragt, ob man das


alte Stadtschloss im Zentrum wieder aufbauen solle oder
lieber etwas Neues. Die Mehrheit wollte das alte Schloss.


Ich glaube, die Deutschen wollen Teile ihrer Vergangenheit
zurückholen, weil ihre Städte im Krieg so sehr zerstört wur-
den. Leider habe ich noch nie etwas in Deutschland gebaut.
Ich würde auch hier gerne etwas hinterlassen – vielleicht
ein kleines Museum. Warum wurde ich bisher nie gefragt?
Sie sehen mich wohl als zu mediterran an. Wenn deutsche
Architekten ein Haus bauen, dann ist das immer eine Box
mit ein paar Fenstern. Wenn sie allerdings ins Ausland ge-
hen, bauen sie viel interessantere Häuser. Ich denke da zum
Beispiel an Albert Speer junior, der viel im Nahen Osten
und in Afrika entworfen hat. Es ist schade: In Berlin wäre
noch so viel städtischer Raum zu bebauen. Und generell

liebe ich es, mit Deutschen zu arbeiten. Wenn man Abspra-
chen trifft, werden die auch eingehalten. Wenn ich jedoch
in China oder Indien arbeite, werden Verträge häufig im
Nachhinein gebrochen.
Das geplante Dekret der Trump-Regierung und die Ent-
scheidung, das Berliner Schloss wieder aufzubauen, sind
sehr populär. Warum schätzen so viele Leute ältere Häuser
mehr als moderne Gebäude?
Sie wollen aufsteigen. Nehmen Sie Paris zum Beispiel. Da
wohnt die Oberschicht im Zentrum der Stadt. Man kann
aber keine neuen Häuser im Zentrum von Paris bauen. Man
kann nur die Fassaden säubern. Außerdem sind die histori-
schen Bauten, die überdauert haben, generell auch besser als
die Häuser der vergangenen 50 Jahre. In den meisten euro-
päischen Städten werden Sie öfter vor historischen Bauten
stehen bleiben als vor modernen Gebäuden. Die zeitgenössi-
sche Architektur hat versagt. Das Problem ist, dass viele Ar-
chitekturschulen so unterrichten, als ob die Geschichte der
Architektur erst um 1900 in Österreich begonnen hätte, als
Adolf Loos die Abkehr vom Klassizismus forderte.
Warum sind zeitgenössische Gebäude und Räume oft so
ungemütlich? Betrachtet man viele Glas- und Betonbauten
moderner Architekten, gewinnt man den Eindruck, diese
hätten überhaupt kein Gespür dafür, in welchen Räumen
sich ein Mensch wohlfühlt – oder schlimmer noch, sie in-
teressierten sich nicht dafür.
Dabei sind es oft nur Details, die darüber entscheiden, ob
ein Raum gemütlich ist oder nicht: zum Beispiel durch
Vorhänge oder Lampen. Aber an dem fehlenden Komfort
sind auch die Bauherren schuld. Die Neureichen sind sehr
statusbewusst und wollen in protzigen Häusern wohnen,
die diesen Status untermauern. Bauherren mit altem Geld
wollen nichts verändern und in den alten Häusern wohnen
bleiben. Deswegen gibt es wenig Anreize für Architekten,
sich in dieser Hinsicht zu verbessern.
Aber das Problem sind doch auch ihre Überzeugungen.
Viele moderne Gebäude sehen eher wie Skulpturen aus.
Viele Architekten lehnen Ornamente oder Pflanzen an den
Häusern kategorisch ab. Peter Eisenman weigerte sich ein-
mal zunächst, eine Toilette in ein Wohnhaus in Connec-
ticut einzubauen. Irgendwann gab er zwar nach, doch das
Schlafzimmer teilte er. Die Bauherren, ein Ehepaar, ließen
sich darauf ein, getrennt voneinander schlafen.
Viele Architekten interessiert vor allem, dass die wichtigen
Architekturmagazine und wissenschaftlichen Publikationen
ihren Stil erkennen können und wertschätzen. Sie wollen
eine Marke kreieren. Die Leute, die in den Häusern wohnen
sollen, sind ihnen oft egal. Mich interessiert dagegen schon,
dass sich die Menschen gerne in meinen Räumen aufhalten.
Nehmen wir eine normale vierköpfige Familie aus der Mit-
telschicht, die in einer 120-Quadratmeter-Wohnung oder
in einem kleinen Haus wohnt: Was würden Sie ihr raten,
um die eigenen vier Wände zu gestalten?
Ich würde den Eltern empfehlen, ihr Badezimmer aufzutei-
len, damit jeder ein separates Bad für sich hat. Denn die

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