Die Zeit - 02.04.2020

(Brent) #1
Liebe und die Leidenschaft werden in einer langjährigen
Beziehung nicht immer gleich stark sein. Außerdem würde
ich einen großen Gemeinschaftsraum bauen, der Küche,
Wohnzimmer und Esszimmer verbindet, damit die Familie
häufig dort zusammenkommen kann. Dieser Raum wür-
de das Zentrum des Hauses darstellen. Gleichzeitig sollte
noch Platz für kleine Rückzugsräume für alle Familienmit-
glieder übrig bleiben. Außerdem sind für mich eine gute
Temperatur und eine angenehme Luftfeuchtigkeit wichtig.
Was ist für Sie die perfekte Raumtemperatur?
24 bis 25 Grad. Ich möchte in meiner Wohnung im Pyja-
ma herumlaufen können, ohne zu frieren. Eine Wohnung
kann auch leer sein, nur mit einer Matratze, die auf dem
Boden liegt: Solange die Temperatur und das Licht stim-
men, wird man sich darin wohlfühlen.
Haben Sie eine Lieblingsfarbe?
Ja, Rot.
Was treibt Sie an, weiter Häuser zu bauen? Geht es nur um
die Idee, etwas zu hinterlassen?
Ich habe mir folgende Aufgabe gestellt: Ich möchte die Pro-
jekte be enden, die ich angefangen habe. Vor fünf Jahren
habe ich mich noch sehr mit dem Tod beschäftigt, das habe
ich aber hinter mir gelassen. Ich arbeite heute mehr als je
zuvor. Ich sitze jeden Tag acht bis zehn Stunden an meinem
Schreibtisch und denke mir Projekte aus. Doch ich habe
keine Angst mehr vor dem Tod. Nur so viel: Ich bin für
Euthanasie. Ich würde, wenn es so weit ist, Sterbehilfe in
Anspruch nehmen. Ich möchte mit Freude leben und mich
nicht quälen. Und ich möchte mental anwesend sein, ich
möchte nicht einen starken geistigen Verfall erleben.

Woher kam diese Bewusstseinsänderung vor fünf Jahren?
Erst hatte ich Krebs, dann habe ich mir beim Skifahren
einen Arm und ein Bein gebrochen. Ich hatte sechs Monate
mit der Heilung zu tun. Danach habe ich mir gesagt: Okay,
ich möchte einfach beschwerdefrei im Jetzt leben. Was da-
nach passiert, ist nebensächlich.
Trennen Sie Beruf und Privatleben?
Als ich jung war, arbeitete ich fünf bis sechs Tage sehr kon-
zentriert an meinen Projekten, dann veranstaltete ich große
Partys. Sie waren wirklich groß! Aber mein Privatleben und
meine Arbeit trennte ich strikt. Freitagabend oder Samstag-
mittag ließ ich den Zeichenstift fallen. Dann feierte ich bis
Sonntagabend um sieben, wobei ich alle möglichen Dro-
gen probierte. Diese Pause brauchte ich. Unterm Strich hat
mein ganzes Leben lang die Arbeit Vorrang gehabt, auch
vor meinen Beziehungen.
Haben Sie das mal bereut?
Nein. Heute ist es natürlich schwieriger für mich, auch
mal gehörig zu feiern. Ich bin dann nicht mehr fit am
nächsten Tag. Da ich meine Zeit gut nutzen will, lebe ich
mittlerweile diszipliniert wie ein Mönch.
Was bereitet Ihnen neben Ihrer Arbeit am meisten Freude?
Ich liebe es, zu segeln und den Horizont rund um mich
herum zu betrachten. Ich mag es, weit draußen im Ozean
zu schwimmen. Außerdem schätze ich die Wüste, die Dü-
nen der Sahara und den Himmel über der Wüste. Ich mag
Reisen, Yoga, Musik, Architektur, deutsche Philosophie.
Würden Sie sagen, dass Sie ein gutes Leben haben?
Ja. Das Schönste ist es für mich, morgens an meinen
Schreibtisch zu kommen. Vor mir liegen weißes Papier und
ein Stift. Ich schalte mein Telefon aus, bin ganz alleine,
nur mit meinen Zigaretten. Normalerweise habe ich ein
Projekt im Kopf, zum Beispiel ein Hotel in Portugal oder
einen sozialen Wohnungsbau in Indien. Ich reise mental
an diese Orte, und dann mache ich den ersten Strich. Ich
beginne das Projekt. Dieser Strich bereitet mir orgiastische
Freude. Es ist der Moment der totalen Konzentration.

2.4.20 N^0 15

»EINE WOHNUNG KANN


AUCH LEER SEIN, NUR


MIT EINER MATRATZE,


DIE AUF DEM BODEN


LIEGT: SOLANGE


DIE TEMPERATUR UND


DAS LICHT STIMMEN,


WIRD MAN SICH


DARIN WOHLFÜHLEN«


Hinter der Geschichte: Kurze Zeit nach dem Inter-
viewtermin mit Bofill veränderte die Corona-Pandemie
auch das Leben in Barcelona radikal. Auf die Frage,
wie sich die aktuelle Situation auf sein Arbeitsleben
auswirkt, antwortete der Architekt in einer E-Mail
Ende März: »Natürlich reise ich jetzt nicht mehr.« Die
meisten seiner Mitarbeiter seien im Homeoffice, und
für seine Geschäftstermine treffe er kaum noch jeman-
den persönlich. »Doch dank Videokonferenzen behal-
te ich den gleichen Arbeitsrhythmus bei. Auch weil
sich mein Büro und meine Wohnung im selben Ge-
bäude befinden, bemerke ich den Unterschied zur Zeit
vor der Corona-Krise nicht so stark.«

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